Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an den Tatrichter hinsichtlich der Darlegung der tatsächlichen Grundlagen einer nach § 287 ZPO vorgenommenen Schadensschätzung (hier: Stundensatz bei fiktiver Berechnung eines Haushaltsführungsschadens).
Normenkette
BGB § 843 Abs. 1; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Augsburg (Entscheidung vom 06.12.2023; Aktenzeichen 74 S 2948/22) |
AG Augsburg (Entscheidung vom 09.09.2022; Aktenzeichen 25 C 4980/19) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom 6. Dezember 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als mit ihm das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 9. September 2022 zum Nachteil der Klägerin abgeändert worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten nach einem Verkehrsunfall noch über die Höhe des der Klägerin von der Beklagten zu erstattenden Haushaltsführungsschadens.
Rz. 2
Am 25. Oktober 2016 verursachte die Fahrerin eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs einen Verkehrsunfall, indem sie aus Unachtsamkeit auf ein hinter dem von der Klägerin gesteuerten Pkw befindliches Fahrzeug auffuhr, wodurch dieses auf das Heck des klägerischen Wagens geschoben wurde. Die volle Einstandspflicht der Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit. Der Sachschaden wurde bereits außergerichtlich reguliert.
Rz. 3
Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Ersatz weiterer materieller und immaterieller Schäden begehrt und unter anderem einen - fiktiv berechneten - Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum vom 26. Oktober bis zum 7. November 2016 (141,75 Stunden, Stundensatz 14 €) geltend gemacht. Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dabei hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens unter Annahme von 93,75 auszugleichenden Stunden und einem Stundensatz von 12 € einen Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.125 € nebst Zinsen für begründet erachtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte lediglich zur Erstattung eines Haushaltsführungsschadens in Höhe von 879,44 € nebst Zinsen verurteilt, wobei es von einer auszugleichenden Stundenanzahl von 109,93 und einem Stundensatz von 8 € ausgegangen ist. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens nach § 823 Abs. 1, § 249 Abs. 2 Satz 1, § 843 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, §§ 1, 3 Satz 1 PflVG dem Grunde nach für gegeben erachtet und angenommen, dass die Klägerin im Zeitraum vom 26. Oktober bis 7. November 2016 unfallbedingt mit 109,93 Arbeitsstunden bei der Haushaltsführung ausgefallen ist. Zur Begründung des von ihm bei der Bemessung der Höhe des Haushaltsführungsschadens zugrunde gelegten Stundensatzes hat das Berufungsgericht ausgeführt, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München sei lediglich ein Betrag von 8 € netto als fiktiver Stundensatz anzusetzen. Der Klägerin sei zuzugeben, dass man für diesen Preis - legal - keine Haushaltshilfe engagieren könne. Allerdings sei eben gerade keine Haushaltshilfe eingestellt worden, es gehe um die Abrechnung eines fiktiven Haushaltsführungsschadens. Die Unterschiede würden im Rahmen der fiktiven Abrechnung hingenommen. Der Geschädigte, der nicht die Mithilfe von Dritten in Anspruch nehme, mache es für das erkennende Gericht geradezu unmöglich, fiktiv nachzuvollziehen, in welchem Umfang eine Tätigkeit durch Dritte erforderlich und möglich gewesen wäre. Er müsse deshalb mit diesen Unwägbarkeiten leben, zumal er ja gerade auf finanzielle Aufwendungen verzichtet habe und der Ersatz des Haushaltsführungsschadens ihm deshalb ohne Abzug von Kosten zugutekomme. Diese "Unwägbarkeiten" schlügen sich daher auch bei der Bemessung des Netto-Stundenlohns nieder.
Rz. 5
Der gesetzlich verordnete Mindestlohn spiele bei der fiktiven Schadensbemessung für die Bemessung eines Haushaltsführungsschadens keine Rolle. Das Mindestlohngesetz (MiLoG) habe keine grundsätzlich erhöhende Auswirkung, da bei fiktiver Abrechnung auf den Nettolohn (also unter Herausnahme insbesondere der Steuern sowie der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Sozialversicherungsabgaben) vergleichbarer Hilfskräfte (professionelle Hilfskraft) abzustellen sei. Es gehe nicht um die Entlohnung konkret eingestellter Fachkräfte.
II.
Rz. 6
Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts durfte die von ihm vorgenommene Kürzung des vom Amtsgericht der Klägerin zugesprochenen Ersatzbetrages für ihren unfallbedingten Haushaltsführungsschaden nicht erfolgen.
Rz. 7
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass in dem Verlust der Fähigkeit, weiterhin Haushaltsarbeiten zu verrichten, ein ersatzfähiger Schaden liegt, und zwar unabhängig davon, ob vom Geschädigten Vermögensaufwendungen für die Entlohnung einer Ersatzkraft getätigt wurden (so bereits BGH, Beschluss vom 9. Juli 1968 - GSZ 2/67, BGHZ 50, 304, 305 f., juris Rn. 3, 6 f.). Er stellt sich je nachdem, ob die Hausarbeit als Beitrag zum Familienunterhalt oder den eigenen Bedürfnissen des Verletzten diente, entweder als Erwerbsschaden im Sinne des § 843 Abs. 1 Alt. 1 BGB oder als Vermehrung der Bedürfnisse im Sinne des § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB dar (vgl. Senatsurteile vom 10. Oktober 1989 - VI ZR 247/88, VersR 1989, 1273, 1274, juris Rn. 8;vom 25. September 1973 - VI ZR 49/72, VersR 1974, 162, 163, juris Rn. 13 f.). In dem einen wie dem anderen Falle ist der Schaden messbar an der Entlohnung, die für die verletzungsbedingt nicht mehr ausführbaren oder nicht mehr zumutbaren Hausarbeiten an eine Hilfskraft gezahlt wird (dann Erstattung des Bruttolohns) oder, wenn - wie im Streitfall - von der Heranziehung einer Hilfskraft abgesehen und der Haushaltsführungsschaden daher "fiktiv" zu berechnen ist, gezahlt werden müsste (dann Orientierung am Nettolohn; vgl. Senatsurteile vom 18. Februar 1992 - VI ZR 367/90, VersR 1992, 618, 619, juris Rn. 10; vom 10. Oktober 1989 - VI ZR 247/88, VersR 1989, 1273, 1274, juris Rn. 8; vom 29. März 1988 - VI ZR 87/87, BGHZ 104, 113, 120 f., juris Rn. 14; vom 8. Juni 1982 - VI ZR 314/80, VersR 1982, 951, 953, juris Rn. 17 f.).
Rz. 8
Richtig ist auch, dass das Berufungsgericht im Rahmen seiner nach § 287 ZPO vorgenommenen Schätzung der Höhe des Schadens zunächst die Anzahl der Arbeitsstunden ermittelt hat, mit der die Klägerin unfallbedingt bei der Haushaltsführung ausgefallen ist (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1989 - VI ZR 247/88, VersR 1989, 1273, 1274, juris Rn. 8). Seine diesbezüglichen Feststellungen werden von den Parteien nicht beanstandet.
Rz. 9
2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens die Vergütung einer fiktiven Ersatzkraft mit 8 € netto pro Stunde bemessen hat.
Rz. 10
a) Zwar ist die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters und revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Acht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 16. Juli 2024 - VI ZR 243/23, juris Rn. 9 mwN). Zur Ermöglichung der Überprüfung muss der Tatrichter aber die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung und ihrer Auswertung darlegen (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 2012 - VI ZR 157/11, VersR 2012, 905 Rn. 22 mwN).
Rz. 11
b) Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen des Berufungsgerichts nicht. Es hat die Höhe der Vergütung einer fiktiven Ersatzkraft auf 8 € netto pro Stunde geschätzt, ohne näher darzulegen, wie es auf diesen Betrag gekommen ist, etwa durch Angaben zur Höhe des als Bezugsgröße für den angenommenen Nettolohn herangezogenen Bruttostundenlohns und dessen Ermittlung sowie zur Höhe des als gerechtfertigt angesehenen Abzugs vom Bruttolohn. Die vom Berufungsgericht erwähnten möglichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Feststellung, in welchem Umfang eine Ersatzkraft hätte eingestellt werden müssen, rechtfertigen es nicht, hinsichtlich der vorgenommenen Schätzung des Stundensatzes auf eine nachvollziehbare Darlegung der Schätzungsgrundlagen zu verzichten. Abgesehen davon bestanden diese Schwierigkeiten im Streitfall nach den vom Berufungsgericht selbst getroffenen Feststellungen gerade nicht. Der pauschale Verweis des Berufungsgerichts auf zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts München (r+s 2021, 296 Rn. 76 ff. und NZV 2014, 577, 580) genügt zur Darlegung der Schätzungsgrundlagen schon deshalb nicht, weil beiden Entscheidungen Unfälle aus dem Jahr 2009 zugrunde lagen. Vorliegend geht es dagegen um einen im Jahr 2016 entstandenen Haushaltsführungsschaden, so dass bereits aus diesem Grunde die Erwägungen des Oberlandesgerichts München zum maßgeblichen Lohnniveau nicht ohne weiteres auf den Streitfall übertragen werden können.
Rz. 12
c) Rechtliche Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die vom Berufungsgericht geäußerte Auffassung, der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn könne bei der fiktiven Bemessung des Haushaltsführungsschadens keine Rolle spielen; er habe grundsätzlich keine erhöhende Wirkung. Zwar weist das Berufungsgericht zu Recht darauf hin, dass es sich bei dem in § 1 MiLoG festgesetzten Mindestlohn um einen Bruttostundenlohn handelt, während für die fiktive Schadensbemessung nach den oben genannten Grundsätzen der Nettolohn maßgeblich ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der in dem maßgeblichen Zeitraum geltende Mindestlohn die Untergrenze des Bruttolohns bildet, auf dessen Grundlage die Ermittlung des für die Schätzung maßgeblichen Nettolohns erfolgen kann. Will der Tatrichter seine Schätzung des Haushaltsführungsschadens auf den gesetzlichen Mindestlohn als Bezugsgröße stützen, muss er aber nachvollziehbare Gründe dafür nennen, warum dieser ausgehend von den Umständen des Einzelfalls (etwa den Anforderungen an die konkret zu erbringende Haushaltstätigkeit) - bei möglicher Orientierung an durchschnittlichen Maßstäben (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 1983 - VI ZR 201/81, BGHZ 86, 372, 377 f., juris Rn. 13) - als die Vergütung angesehen werden kann, die vom Geschädigten für eine (fiktive) Ersatzkraft zu zahlen wäre.
III.
Rz. 13
Das Berufungsurteil war daher im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 14
Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht nachzuholende Darlegung der tatsächlichen Grundlagen und deren Auswertung bezüglich des im Rahmen der Schätzung des Haushaltsführungsschadens zugrunde gelegten Stundensatzes ist es zwar nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungs- oder Ermittlungsmethode vorzuschreiben (vgl. Senatsurteile vom 24. Oktober 2017 - VI ZR 61/17, VersR 2018, 240 Rn. 29; vom 23. November 2004 - VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 154, juris Rn. 6). Der in § 21 Satz 1 JVEG bestimmte Stundensatz für die Entschädigung von Zeugen für Nachteile bei der Haushaltsführung erscheint jedoch - anders als die Revision (unter Berufung auf LG Tübingen, ZfSch 2023, 201, 202 f., sowie Bock, SVR 2020, 171, 173 f. und Kääb, FD-StrVR 2016, 375123) meint - aus Rechtsgründen als alleinige Schätzungsgrundlage ungeeignet. Insoweit wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Zeugenentschädigung nach dem JVEG nicht wie die Schadensschätzung nach § 287 ZPO dem Zweck dient, einen konkreten Schaden vollständig - aber nicht übermäßig - zu kompensieren (vgl. dazu näher Scholten, ZfSch 2023, 201, 204; Doukoff in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 5. Mai 2023, § 843 BGB Rn. 178; ablehnend auch OLG Frankfurt, VersR 2019, 435, 438). Zudem spricht gegen eine Heranziehung des in § 21 Satz 1 JVEG bestimmten Stundensatzes im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO, dass die tatsächlichen Grundlagen, auf denen die Festsetzung der Höhe der Zeugenentschädigung beruht, nicht in einer Weise offengelegt sind, die es dem Tatrichter erlauben würde zu beurteilen, ob diese Grundlagen auch unter den Umständen des Streitfalls als Ausgangspunkt der Schadensschätzung geeignet sind. Insoweit unterscheidet sich § 21 Satz 1 JVEG von den in diesem Gesetz enthaltenen Bestimmungen zur Erstattung von Nebenkosten des gerichtlichen Sachverständigen, die nach der Senatsrechtsprechung als Orientierungshilfe im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO herangezogen werden können (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2016 - VI ZR 50/15, VersR 2016, 1133 Rn. 18 ff.).
Seiters von Pentz Klein
Böhm Linder
Fundstellen
Dokument-Index HI16717369 |