Leitsatz (amtlich)
›Zur Bemessung des Verdienstausfallschadens in einem Fall, in dem der Verletzte vor dem Schadensfall in kurzen Abständen die Arbeitsstelle gewechselt hatte.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger ist am 4. Januar 1979 bei einem Verkehrsunfall, für den der Beklagte schadensersatzpflichtig ist, verletzt worden. Im Streit ist noch der Verdienstausfallschaden des Klägers. Er hat insoweit für die Zeit vom 15. Januar 1979 bis zum 31. März 1986 über vorprozessual von dem Haftpflichtversicherer des Beklagten gezahlte 4.700 DM hinaus weitere 211.293,82 DM nebst Zinsen verlangt und geltend gemacht, er wäre am 15. Januar 1979 von der W.-KG als Lkw-Fahrer eingestellt worden und hätte für diese Beschäftigung auch eine Arbeitserlaubnis erhalten, wie er sie als jugoslawischer Staatsangehöriger benötige. Wegen der bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen habe er die Stelle bei der W.-KG aber nicht antreten können. Nach der späteren Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit habe er in seinem Beruf als Kraftfahrer dann keinen Anschluß mehr gefunden. Das Landgericht hat dem Kläger als Schadensersatz wegen Verdienstausfalls unter Abweisung des weitergehenden Klagebegehrens über die vorprozessual erhaltenen 4.700 DM hinaus lediglich 1.036,20 DM nebst Zinsen zugesprochen. Das Berufungsgericht hat nochmals 752,41 DM nebst Zinsen für gerechtfertigt gehalten, die weitergehende Berufung des Klägers jedoch zurückgewiesen. Mit der Revision hält der Kläger an seiner ursprünglichen Forderung fest.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht ist zugunsten des Klägers davon ausgegangen, daß er ab 15. Januar 1979 bei der W.-KG als Kraftfahrer eingestellt worden wäre und für diese Tätigkeit auch die für ihn als jugoslawischen Staatsangehörigen erforderliche Arbeitserlaubnis, und zwar - zunächst - für ein Jahr, erhalten hätte. Es hat weiter angenommen, daß er bis zum 2. Juli 1980 unfallbedingt arbeitsunfähig war. Gleichwohl hat es ihm Schadensersatz wegen Verdienstausfalls nur für die Zeit bis einschließlich September 1979 zugebilligt, weil er in den letzten sechs Jahren vor dem Unfall zwölfmal den Arbeitgeber gewechselt habe und hiernach davon auszugehen sei, daß auch das Arbeitsverhältnis bei der W.-KG nur einige Monate Bestand gehabt hätte. Für die anschließende Zeit - so versteht der Senat das Berufungsurteil - bleibe ungewiß, ob er anderweitig Arbeit gefunden bzw. aufgenommen und hierfür eine Arbeitserlaubnis erhalten hätte. Nach Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit ab 2. Juli 1980 sei er ohnehin nicht mehr unfallbedingt an der Wiederaufnahme einer Tätigkeit als Fernfahrer gehindert gewesen.
II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht in jeder Hinsicht stand.
Der dem Kläger zu ersetzende Schaden umfaßt seinen verletzungsbedingten Verdienstausfall als einen Unterfall des entgangenen Gewinns i.S. des § 252 BGB. Zufolge Satz 2 der Vorschrift gilt als entgangen der Gewinn, "welcher nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge oder nach den besonderen Umständen... mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte". Hiervon ausgehend ist die Einschätzung des Berufungsgerichts, daß der Kläger die Tätigkeit als Kraftfahrer bei der W.-KG nicht über den 30. September 1979 hinaus ausgeübt hätte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dahingehende auf einen auffällig häufigen Arbeitsplatzwechsel in den Jahren vor dem Unfall gestützte Annahme des Berufungsgerichts bleibt im Rahmen tatrichterlicher Würdigung und ist daher vom Senat hinzunehmen. Das Berufungsgericht hat sich indes nicht hinreichend mit der Frage befaßt, ob der Kläger ohne den Unfall nicht anschließend bei einem anderen Arbeitgeber Arbeit gefunden und Einkommen erzielt hätte.
1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger bis zum 2. Juli 1980, mithin noch rund neun Monate über die mutmaßliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der W.-KG hinaus, unfallbedingt arbeitsunfähig. Für diese weiteren neun Monate steht ihm ebenfalls Schadensersatz wegen Verdienstausfalls zu, wenn und soweit "mit Wahrscheinlichkeit" (§ 252 S. 2 BGB) davon ausgegangen werden kann, daß er ohne den Unfall anderweitig Arbeit aufgenommen hätte. Dies aber kommt nach Lage des Falles durchaus in Betracht. Die Revision verweist zu Recht darauf, daß der Kläger in den Jahren vor dem Unfall immer wieder Arbeit gefunden hat. Darauf deuten sowohl der von dem Berufungsgericht in Bezug genommene Versicherungsverlauf des Klägers vom 26. Juli 1983 als auch die in dem Berufungsurteil zusammengestellten vielfachen Arbeitserlaubnisse hin. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Berufungsgericht damit auseinandersetzen müssen, ob bei Arbeitsfähigkeit des Klägers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der W.-KG nicht wiederum eine Anschlußbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu erwarten gewesen wäre. Unter diesem Blickwinkel muß sich das Berufungsgericht der Sache noch einmal annehmen. Dabei wird freilich auch die Arbeitsmarktlage ab Oktober 1979 sowie die - mit der Arbeitsmarktlage zusammenhängende - Frage zu bedenken sein, ob der Kläger erneut mit einer Arbeitserlaubnis hätte rechnen können. Zu letzterem liegt indes nahe, daß die Behörde sich bei einer vergleichbaren Stelle schwerlich anders verhalten hätte als einige Monate zuvor, als sie die Arbeitserlaubnis für die Tätigkeit bei der W.-KG erteilt hat.
2. Auch soweit das Berufungsgericht für die Zeit nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers, d.h. ab 2. Juli 1980, einen unfallbedingten Verdienstausfallschaden verneint hat, läßt das Berufungsurteil eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem Streitstoff vermissen. Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung geltend gemacht und unter Beweis gestellt, er habe sich nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit intensiv um eine neue Beschäftigung bemüht, hiermit jedoch keinen Erfolg gehabt, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits 1 1/2 Jahre ohne Arbeit gewesen sei, als Ursache hierfür auf Nachfrage den Unfall (bzw. die Unfallverletzungen) habe offenbaren müssen, die Arbeitsmarktlage inzwischen ungünstiger gewesen sei und dies für ihn als Ausländer die Arbeitsuche in besonderer Weise erschwert habe. Er hat weiter unter Beweis gestellt, daß er unfallbedingt nicht in der Lage sei, schwere körperliche Arbeit zu leisten, und auch dies seiner Wiederbeschäftigung in seinem Beruf als Lkw-Fahrer entgegenstehe, weil die Arbeitgeber erwarteten, daß ein Lkw-Fahrer beim Be- und Entladen mit anpacke bzw. ggfls. in der Lage sei, Räder zu wechseln und andere Reparaturarbeiten an dem Kraftfahrzeug auszuführen. Bei Berücksichtigung dieses Vorbringens kommt in Betracht, daß die Arbeitslosigkeit des Klägers auch in der Zeit nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit ihre Ursache weiterhin in dem Verkehrsunfall vom 4. Januar 1979 findet. Das Berufungsgericht hätte sich daher mit diesem Vorbringen auseinandersetzen müssen; die dahingehende Rüge der Revision liegt in dem Hinweis, es sei nicht ersichtlich, daß der Kläger ohne den Unfall keine neue Stelle gesucht und gefunden hätte, wie es ihm in den Jahren vor dem Unfall immer wieder gelungen sei. Hiernach kann das Berufungsurteil auch für die Zeit nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht bestehen bleiben; das Berufungsgericht muß vielmehr das hier wiedergegebene Vorbringen des Klägers in seine Würdigung einbeziehen. Freilich bleibt zu bedenken, daß der Kläger Schadensersatz wegen Verdienstausfalls nur beanspruchen kann, wenn sich ihm auf dem Arbeitsmarkt weiterhin eine Beschäftigung geboten hätte und davon ausgegangen werden kann, daß ihm weiterhin eine Arbeitserlaubnis erteilt worden wäre. Indes hat der Kläger durch Auskunft des Arbeitsamts unter Beweis gestellt, daß die für die Tätigkeit bei der W.-KG auf ein Jahr befristete Arbeitserlaubnis nach Ablauf dieses Jahres jedenfalls für ein weiteres Jahr erteilt worden wäre. Darin dürfte die Behauptung liegen, daß allgemein, also auch für die Beschäftigung als Kraftfahrer bei einem anderen Arbeitgeber, mit einer einjährigen Arbeitserlaubnis zu rechnen war.
Andernfalls hätte das Berufungsgericht, wie die Revision für diesen Fall zu Recht rügt, über einen Hinweis nach § 139 ZPO Gelegenheit zu einem dahingehenden Beweiserbieten geben müssen.
III. Für den Fall, daß dem Kläger nach dem Ergebnis der neuen Verhandlung und Beweisaufnahme auch für die Zeit nach dem 30. September 1979 Schadensersatz wegen Verdienstausfalls zuzubilligen ist, weist der Senat darauf hin, daß nach dem schon erwähnten Versicherungsverlauf des Klägers in der Vergangenheit im Übergang von der einen zu einer anderen Stelle möglicherweise Zeiten ohne Erwerbseinkommen aufgetreten sind. Ist das anzunehmen, kann dies ggfls. bei der Bemessung des unfallbedingten Verdienstausfallschadens einen nach § 287 ZPO zu schätzenden Abschlag rechtfertigen. Soweit die Revision für den Verdienstausfallschaden in der Zeit vom 15. Januar 1979 bis 30. September 1979 die Höhe der von dem Berufungsgericht gegen die (mutmaßlichen) Bruttoeinkünfte verrechneten ersparten Sozialversicherungsbeiträge sowie die Höhe des weiterhin in Abzug gebrachten Steuersatzes in Zweifel zieht, weist der Senat darauf hin, daß die eingesetzten Sozialversicherungsbeiträge einer Aufstellung entnommen sind, die von einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2.650 DM und nicht, wie in dem Berufungsurteil zugrundegelegt, von einem solchen von 2.450 DM ausgeht. Ferner läßt der in Ansatz gebrachte Steuersatz von 20 % nicht erkennen, ob sich das Berufungsgericht bewußt war, daß als ersparte Steuer nur die Differenz zwischen der (fiktiven) Steuer auf das entgangene Bruttoeinkommen und der auf die Schadensersatzleistung entfallenden Steuer in Abzug gebracht werden darf (vgl. zusammenfassend Weber DAR 1986, 161, 178 f.).
Fundstellen
Haufe-Index 2993011 |
BGHR BGB § 252 Satz 2 Verdienstausfall 1 |
DRsp I(123)337d |
NJW-RR 1990, 286 |
DAR 1990, 98 |
MDR 1990, 529 |
VRS 78, 254 |
VersR 1990, 284 |