Entscheidungsstichwort (Thema)
Bodenreformgrundstück, Rechtsverhältnis zwischen Verfügenden und besser Berechtigten, Herausgabepflicht beschränkt auf Abtretung des Zahlungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB gewährt dem besser Berechtigten keinen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, sondern ordnet die Herausgabe dessen an, was der Verfügende aufgrund des Vertrages erlangt hat; der Senat läßt offen, ob es sich dabei um die Herausgabe des Surrogats nach § 281 BGB handelt oder um einen an § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB angelehnten Bereicherungsanspruch.
Normenkette
EGBGB Art. 233 § 16 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Am 15. März 1990 war der im Jahre 1974 verstorbene W. G. als Eigentümer mehrerer Bodenreformgrundstücke im Grundbuch eingetragen. Mit notariellem Vertrag vom 10. Dezember 1991 veräußerte seine Erbeserbin, die Beklagte, eines dieser Grundstücke für 152.520 DM an vier, in einer BGB-Gesellschaft verbundene Interessenten, für die am 9. Juni 1992 eine Auflassungsvormerkung eingetragen wurde. Zuvor, am 5. Juni 1992, war die Beklagte als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen worden.
Das klagende Land (im folgenden: Kläger) verlangt von der Beklagten – soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung – Schadensersatz wegen des veräußerten Grundstücks. Der auf Zahlung von 152.520 DM nebst Zinsen gerichteten Klage hat das Landgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht – nach Rücknahme des Rechtsmittels in Höhe von 50.000 DM – die Zahlungsklage abgewiesen und die Beklagte auf den Hilfsantrag des Klägers zur Abtretung des noch nicht erfüllten Kaufpreisanspruchs verurteilt. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er verfolgt den Zahlungsanspruch in Höhe von 102.520 DM nebst Zinsen weiter. Die Beklagte hat sich in der Revisionsinstanz nicht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt vertreten lassen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die Verfügung der Beklagten über das im Wege der Erbfolge erworbene Grundstück aus der Bodenreform nach Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 1 EGBGB für wirksam. Es meint, der sich für den Kläger als besser Berechtigten nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB ergebende Auflassungs- oder Zahlungsanspruch sei in diesem Fall nach Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB auf die Herausgabe der aus dem Veräußerungsgeschäft erlangten Leistung gerichtet. Habe der Vertragspartner – wie hier – die Leistung noch nicht – erbracht, bestehe die Herausgabepflicht in der Abtretung des Anspruchs.
II.
Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
1. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, der von der Revision nicht angegriffen wird, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nach Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 1 EGBGB war die Verfügung der Beklagten zugunsten der Käufer des Grundstücks wirksam. Die Beklagte war durch Erbschein ausgewiesene Rechtsnachfolgerin des zuletzt im Grundbuch eingetragenen Bodenreformeigentümers, und sie hatte sich vor Inkrafttreten der Vorschriften über die Abwicklung der Bodenreform, also vor dem 22. Juli 1992, zur Übereignung verpflichtet. Ferner war für die Erwerber vor diesem Zeitpunkt die Eintragung einer Auflassungsvormerkung beantragt worden. Infolgedessen ist der sich aus Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB für den besser Berechtigten ergebende Anspruch nicht mehr auf unentgeltliche Auflassung, ersatzweise auf Zahlung des Verkehrswertes gerichtet. Vielmehr „beschränkt sich” die Haftung der Beklagten „auf die in dem Vertrag zu” ihren „Gunsten vereinbarten Leistungen” (Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB).
2. Über das Wesen dieses Anspruchs hat sich bislang eine einheitliche Meinung nicht herausgebildet. Zum Teil wird angenommen, es handle sich um einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (OLG Naumburg, NJ 1995, 431, 432; LG Rostock, VIZ 1995, 54, 55; zust. MünchKomm-BGB/Eckert, Art. 233 § 16 EGBGB Rdn. 3). Vereinzelt ist erwogen worden, den Anspruch nach bereicherungsrechtlichen Kategorien zu beurteilen (vgl. OLG Rostock, OLG-NL 1995, 112). Eine dritte Auffassung sieht in der Norm die Anordnung der Herausgabe des Surrogats im Falle der Unmöglichkeit und wendet daher § 281 BGB an (OLG Hamm, VIZ 1996, 725; OLG Rostock, VIZ 1997, 488, 490; vgl. auch OLG Celle, VIZ 1996, 104, 106). Der Senat ist der Auffassung, daß es sich bei der Regelung nicht um die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung handelt. Damit kann die Klage keinen Erfolg haben. Denn bei Zugrundelegung von Bereicherungsrecht beschränkt sich der Anspruch ebenso auf die Herausgabe des Erlangten, also auf die Abtretung des noch nicht erfüllten Kaufpreisanspruchs, wie im Falle des § 281 Abs. 1 BGB.
a) Der Revision ist allerdings zuzugeben, daß Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB das gesetzliche Schuldverhältnis, das nach Art. 233 § 11 Abs. 3, 4 EGBGB zwischen dem vorläufigen Eigentümer nach Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB und dem besser Berechtigten nach Art. 233 § 12 EGBGB begründet wird, unter den aufgeführten Voraussetzungen auf das Verhältnis zwischen besser Berechtigtem und dem nach Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 1 EGBGB Verfügungsbefugten ausdehnt. Die angeordnete Haftung des durch Erbschein ausgewiesenen Verfügungsbefugten ließe sich daher als Sanktion für die Nichterfüllung des ursprünglichen Eigentumsverschaffungsanspruchs verstehen. Dann läge es aber, zumal mit Blick auf Art. 233 § 11 Abs. 4 Satz 1 EGBGB, nahe, daß dieser Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung nur unter den allgemeinen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs (§§ 280 ff BGB) gegeben sein soll, insbesondere also ein Verschulden des Haftenden erfordert.
Daran fehlt es aber im Regelfall. Das gesetzliche Schuldverhältnis ist erst mit Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes am 22. Juli 1992 begründet worden. Die zur Nichterfüllung des Auflassungsanspruchs führenden Ursachen sind in den Fällen des Art. 233 § 16 Abs. 2 EGBGB jedoch vorher gelegt worden, sei es, daß bereits verfügt worden war, sei es, daß der Verfügungsberechtigte jedenfalls die Verpflichtung zur Verfügung eingegangen und die Eintragung einer Auflassungsvormerkung beantragt worden war. Unter diesen Umständen läßt sich ein Verschulden, bezogen auf die Nichterfüllung einer erst zu einem späteren Zeitpunkt gesetzlich begründeten Pflicht, im allgemeinen nicht feststellen. Dem Gesetzgeber mag zwar vorgeschwebt haben, daß der Verfügungsberechtigte dem Berechtigten grundsätzlich auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung hafte (vgl. amtl. Begründung, BT-Drucks. 12/2480, S. 90). Er hat andererseits aber auch gesehen, daß den Verfügenden in aller Regel kein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft („… weil er meist diese Frage [scil. Nichterfüllung] nicht hat voll übersehen können”; amtl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 12/2480, S. 90). Angesichts dessen kann die Regelung des Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB bei verständiger Würdigung nicht allein als Hinweis auf einen sich nach allgemeinen Grundsätzen richtenden Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aufgefaßt werden.
b) Zu einem Schadensersatzanspruch würde man allerdings kommen, wenn die Norm als Anordnung einer verschuldensunabhängigen Haftung verstanden werden könnte (so MünchKomm-BGB/Eckert, Art. 233 § 16 EGBGB Rdn. 3). Dagegen spricht jedoch – worauf das Berufungsgericht zu Recht hinweist – schon der Wortlaut des Gesetzes. Danach wird nämlich keine Haftung unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet, sondern es wird eine als grundsätzlich bestehend vorausgesetzte Haftung auf die vereinbarte Leistung „beschränkt” (vgl. auch OLG Hamm, VIZ 1996, 725, 726).
Es besteht auch kein Grund, der Norm über diesen Wortlaut hinaus anspruchsbegründende Kraft zuzuweisen. Mit welcher Zielrichtung der Gesetzgeber die Haftungsregelung getroffen hat, ist den Materialien allerdings nicht eindeutig zu entnehmen. Wenn es in der amtlichen Begründung heißt (BT-Drucks. aaO), der Verfügungsberechtigte solle „dem Berechtigten auf Erfüllung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung haften, jedoch begrenzt auf den Erlös”, so läßt dies beide Möglichkeiten zu, die Vorstellung, es gehe um die Beschränkung eines in solchen Fällen regelmäßig gegebenen Anspruchs, ebenso wie die Vorstellung, es müsse ein in besonderer Weise ausgestalteter Schadensersatzanspruch geschaffen werden. Für eine verschuldensunabhängige Haftung fehlt es jedoch an der inneren Rechtfertigung. Sie begegnet im Vertragsrecht als Folge der Nichterfüllung bei bestehender Garantiehaftung (z.B. § 538 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Mit dieser Konstellation weist der vorliegende Regelungskomplex keine Parallelen auf. Dem Verfügungsberechtigten oblag im Zeitpunkt der haftungsbegründenden Handlung keine Garantieverpflichtung. Der Anspruch des besser Berechtigten auf unentgeltliche Auflassung nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB (ersatzweise auf Zahlung des Verkehrswertes) wurde erst anschließend geschaffen und ist auch nicht mit einer Garantiehaftung im Falle der Unmöglichkeit gekoppelt, sondern unterliegt den allgemeinen Regeln (vgl. Art. 233 § 11 Abs. 4 Satz 1 EGBGB). Im Deliktsrecht findet sich eine verschuldensunabhängige Haftung in den verschiedenen Gefährdungshaftungstatbeständen, die der Gesetzgeber geschaffen hat. Ihnen ist – trotz aller Vielgestaltigkeit – als Grundgedanke gemein, daß derjenige, der in seinem Interesse durch eine Anlage, einen Betrieb oder durch den Besitz eines bestimmten Stoffes die Allgemeinheit einer besonderen Gefahr aussetzt, für die Schäden verantwortlich sein soll, die in Verwirklichung dieser Gefahr entstehen, und zwar auch dann, wenn er sie bei aller Sorgfalt nicht vermeiden konnte (vgl. Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 69 ff; Kötz, AcP 170, 1 ff, 20 f; Deutsch, VersR 1971, 1 ff, 4; Koziol, Festschrift Wilburg, 1975, S. 173 ff, 178 ff). Dieser Grundgedanke kann für die Haftung des Verfügungsberechtigten nicht in Anspruch genommen werden.
3. Die Revision hat damit keinen Erfolg, ohne daß es darauf ankäme, ob die Regelung gedanklich an § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB angelehnt oder ob sie als Hinweis auf § 281 BGB zu verstehen ist. Für letzteres spricht, daß der Gesetzgeber zum einen den durch Erbschein Ausgewiesenen mit der Befugnis zur Verfügung versehen und zum anderen die Haftung an die Nichterfüllung der an sich auch ihn treffenden Auflassungspflicht geknüpft hat. Das aber ist die Konstellation des §§ 281 BGB. Auf Verschulden kommt es dann nicht an (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 281 Rdn. 5 m.w.N.). Die Haftung ist auf die Herausgabe dessen gerichtet, was der Schuldner infolge des Umstandes, der zur Unmöglichkeit der Leistung geführt hat, erlangt hat. Das ist der Kaufpreisanspruch, den abzutreten das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt hat. Einen Zahlungsanspruch hätte der Kläger nur, wenn die Beklagte den Kaufpreis erhalten hätte – dann wäre der Anspruch aus § 281 BGB auf Herausgabe dieses Erlöses gerichtet – oder wenn sie den erlangten Kaufpreis aus von ihr zu vertretenden Gründen nicht mehr herausgeben könnte – das folgt aus §§ 280, 275 BGB (vgl. OLG Celle, VIZ 1996, 104, 106). Bei Zugrundelegung von Bereicherungsrecht ergäben sich – wie bereits dargelegt – für den Kläger keine weitergehenden Rechte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 604926 |
FamRZ 1998, 429 |
VIZ 1998, 150 |
WM 1998, 408 |
WuB 1998, 603 |
ZAP-Ost 1998, 35 |
MDR 1998, 765 |
ZNotP 1998, 124 |
www.judicialis.de 1997 |