Leitsatz (amtlich)
Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: gegen Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 31.07.2019; Aktenzeichen 17 U 326/18) |
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.11.2018; Aktenzeichen 2-07 O 159/18) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 17. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 31.7.2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das OLG als unzulässig verworfen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision des Klägers ist begründet.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die Berufung nicht ordnungsgemäß begründet worden sei. Der Kläger greife weder die Tatsachenfeststellung (Kenntnis von der Abgasmanipulation) noch die rechtliche Würdigung (Fehlen der haftungsbegründenden Kausalität) konkret an. Dem Berufungsangriff fehle der erforderliche Bezug zur angefochtenen Entscheidung. Zu den Feststellungen und zur Würdigung des LG verhalte sich die Berufungsbegründung nur formelhaft. Weiter heißt es:
"Soweit auf S. 5 der Berufungsbegründung knapp ausgeführt wird, es komme nicht darauf an, welche Faktoren für 'die Klägerin' kaufentscheidend gewesen seien; entscheidend sei nur, ob 'die Klägerin' das Fahrzeug auch dann gekauft habe, wenn sie gewusst hätte, dass der Motor des Fahrzeuges die Typengenehmigung nur erhalten habe, weil 'die Beklagte' das Testverfahren manipuliert habe, wiederholt der Kläger nahezu wörtlich die Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Schriftsatz vom [...] und lässt den erforderlichen Fallbezug vor allem deshalb vermissen, weil sich der Kläger nicht mit dem Inhalt seiner informatorischen Anhörung auseinandersetzt."
Rz. 5
Dass die Berufungsbegründung nicht auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sei, zeige sich auch dadurch, dass in der gesamten Berufungsbegründung nicht von den Beklagten die Rede sei, sondern von der Beklagten. Außerdem sei die Rede von der Klägerin statt von dem Kläger. Auch auf den Umstand, dass es sich vorliegend um den Erwerb eines Fahrzeuges der Marke Audi handle, gehe die Berufungsbegründung nicht ein. Es entstehe der Eindruck, dass die Berufungsbegründung weitgehend aus Textbausteinen zusammengesetzt und nicht auf den konkreten Streitfall angepasst worden sei.
II.
Rz. 6
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufung des Klägers nicht mangels ordnungsgemäßer Begründung unzulässig.
Rz. 7
1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (vgl. BGH, Beschlüsse v. 13.4.2021 - VI ZB 50/19, juris Rz. 5; v. 27.10.2020 - VI ZB 81/19, juris Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 8
2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Klägers.
Rz. 9
a) Im klageabweisenden Urteil des LG ist ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch gem. §§ 826, 31 BGB habe. Zwar sei der Kläger Eigentümer des Audi geworden. Auch hätten die Beklagten durch den Einbau der Software gegen die guten Sitten i.S.d. § 826 BGB verstoßen. Es fehle jedoch an der Kausalität zwischen sittenwidrigem Verhalten und Abschluss des Kaufvertrags. Der Kläger habe gewusst, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet gewesen sei, die dazu geführt habe, dass die Emissionswerte des Fahrzeugs im realen Fahrbetrieb erheblich höher ausfielen als auf dem Prüfstand. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass ihm der Skandal um den Softwareeinbau beim Kauf des Wagens bekannt gewesen sei. Grund für den Kauf - trotz Abschaltsoftware - sei gewesen, dass er dringend einen Wagen gebraucht habe, der so konfiguriert sei. Der Kläger habe gewusst, dass er ein Fahrzeug erworben habe, das durch den Einbau der Manipulationssoftware von einem deutschlandweiten Skandal betroffen gewesen sei. Die Folgen seien damals noch unabsehbar gewesen. Das Software-Update habe noch lange nicht im Raum gestanden. Wie die Zulassungsbehörden mit der Software umgehen würden, sei damals ebenfalls nicht absehbar gewesen.
Rz. 10
b) In der Berufungsbegründung ist auf Seite 5 u.a. ausgeführt:
"Diese Täuschung war auch ursächlich für die Kaufentscheidung. Es kommt nämlich nicht noch nicht einmal darauf an, welche Faktoren und Informationen im Einzelnen für die Klägerin kaufentscheidend gewesen sind. Vielmehr kommt es entscheidend auf die Frage an, ob die Klägerin das Fahrzeug (zu demselben Preis) auch dann gekauft hätte, wenn sie gewusst hätte, dass der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs die EG-Typengenehmigung nur erhalten hatte, weil die Beklagte das Testverfahren mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung manipuliert hatte. Das ist aber nicht der Fall. Die Klägerin hätte dieses Fahrzeug unter diesen Umständen nicht erworben."
Rz. 11
Nach diesen Ausführungen des Klägers soll seinem Anspruch nicht bereits - wie im Urteil des LG ausgeführt - die Kenntnis der Softwaremanipulation entgegenstehen, sondern müssten darüber hinaus auch deren Auswirkungen auf die Typgenehmigung bekannt sein (rechtliche Gründe). Außerdem ergibt sich aus den Ausführungen des Klägers, dass diese spezielle Kenntnis bei ihm nicht vorhanden gewesen sei (tatsächliche Gründe). Die in der Berufungsbegründung verwendeten Bezeichnungen "Klägerin" und "Beklagte" sind für das Verständnis nicht so entscheidend, dass der Bezug zum angegriffenen Urteil des LG nicht mehr erkennbar wäre. Das vom Berufungsgericht vermisste Eingehen auf den Umstand, dass es sich vorliegend um den Erwerb eines Fahrzeuges der Marke Audi handelt, war angesichts der Begründung des landgerichtlichen Urteils nicht erforderlich.
Rz. 12
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt sich die angefochtene Entscheidung nicht aus anderen Gründen deshalb als richtig dar, weil die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen ist (§§ 561, 563 Abs. 3 ZPO). Denn aus der angegriffenen Entscheidung ergeben sich schon keine Feststellungen, auf deren Grundlage dies beurteilt werden könnte.
Rz. 13
Daher ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Fundstellen