Entscheidungsstichwort (Thema)
Vererblichkeit von Schmerzensgeldansprüchen
Leitsatz (amtlich)
Nach der durch Gesetzesänderung zum 1. Juli 1990 erfolgten Streichung des Satzes 2 in § 847 Abs. 1 BGB setzt die Übertragbarkeit und Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruchs keine Willensbekundung des Verletzten zu Lebzeiten mehr voraus, Schmerzensgeld fordern zu wollen.
Normenkette
BGB § 847
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) |
LG Osnabrück |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 4. Februar 1994 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Aus dem Sachverhalt:
Die Kläger nehmen als Erben ihres verstorbenen Sohnes die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Zwischen den Parteien steht außer Streit, daß die Beklagten für die Unfallfolgen in vollem Umfang eintrittspflichtig sind. Gegen den von den Klägern geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch in der Größenordnung von 10.000 DM haben die Beklagten eingewandt, trotz des durch Gesetzesänderung zum 1. Juli 1990 bewirkten Wegfalls der bisher die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruchs beschränkenden Regelung des § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. sei im vorliegenden Fall kein derartiger Anspruch auf die Kläger übergegangen. Es fehle hier an der höchstpersönlichen Willensbekundung des Verletzten zu seinen Lebzeiten, Schmerzensgeld fordern zu wollen. Da es sich auch weiterhin um ein höchstpersönliches Recht des Verletzten handele, sei eine derartige Willensäußerung auch nach der Novellierung des § 847 Abs. 1 BGB erforderlich.
Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 8.000 DM nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Entscheidungsgründe
Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß der Schmerzensgeldanspruch des Verletzten nach der seit dem 1. Juli 1990 gültigen Rechtslage auf seine Erben übergeht, ohne daß es einer vorherigen Willensbekundung des Verletzten zu seinen Lebzeiten bedarf, die Schmerzensgeldforderung geltend machen zu wollen. Durch die Streichung des § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. hat der Gesetzgeber sämtliche Einschränkungen, die bisher der freien Übertragbarkeit und Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruchs entgegenstanden, in vollem Umfang beseitigt.
1. Vor der durch das Gesetz zur Änderung des bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze vom 14. März 1990 (BGBl. 1990 I 478) herbeigeführten Änderung des § 847 Abs. 1 BGB war in dessen Satz 2 bestimmt:
„Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist.”
Diese Regelung sollte sicherstellen (vgl. Motive II S. 802), daß nicht die Erben aus eigenem Willensentschluß einen Schmerzensgeldanspruch verfolgten, der vom Verletzten selbst nicht geltend gemacht worden war; des weiteren sollte aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten die Vererblichkeit nicht schon an eine nicht näher bestimmte außergerichtliche Geltendmachung, sondern an klar definierte äußere Anhaltspunkte (vertragsmäßige Anerkennung bzw. Rechtshängigkeit) geknüpft werden.
2. Mit der vom Gesetzgeber vorgenommenen ersatzlosen Streichung des § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. sind alle Erfordernisse für die Vererblichkeit und Übertragbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs entfallen, die ihre Grundlage und Rechtfertigung in dieser Vorschrift hatten. Dies gilt in vollem Umfang für die Voraussetzungen, die für den Eintritt der Rechtshängigkeit in diesem Sinne sowohl als „verfahrensrechtliche Komponente” wie auch als „materiell-rechtliche Komponente” aufgestellt waren. Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruchs setzt nach der Neuregelung weder die Anerkennung durch Vertrag oder die Rechtshängigkeit noch die einer derartigen Manifestation der Geltendmachung nach außen zugrunde liegende und sie tragende höchstpersönliche Willensbekundung des Verletzten selbst voraus. Nur eine solche Beurteilung wird dem Anliegen gerecht, das der Gesetzgeber mit der Streichung des Satzes 2 in § 847 Abs. 1 BGB verfolgte.
a) Die Novellierung des § 847 Abs. 1 BGB sollte dazu führen, daß der Schmerzensgeldanspruch künftig „frei übertragen und vererbt werden” kann (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 11/4415, S. 4). Damit sollte den Unzuträglichkeiten begegnet werden, die sich häufig gerade in Fällen schwerster Verletzungen ergeben hatten, in denen es zu einem „Wettrennen mit dem Tod” kam, auf das sich die Angehörigen einlassen mußten, um bei andauernder Bewußtlosigkeit des Verletzten etwa durch Pflegerbestellung etc. die Erfordernisse der bisherigen gesetzlichen Regelung noch rechtzeitig erfüllen zu können (vgl. hierzu Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 11/5423, S. 1). Der Absicht des Gesetzgebers, künftig die Übertragbarkeit und Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruchs, gerade nicht mehr von den Zufälligkeiten der rechtzeitigen Erlangung einer Vollmacht des Verletzten abhängig zu machen, würde es zuwiderlaufen, wenn auch nach der Gesetzesänderung weiterhin eine Willensbekundung des Verletzten gefordert würde; diese wäre in Fällen schwerster Verletzung mit Bewußtlosigkeit des Opfers häufig (etwa über eine Betreuerbestellung) wiederum nur in einem Wettlauf mit der Zeit zu erlangen, den der Gesetzgeber nunmehr gerade verhindern wollte.
b) Daß der Schmerzensgeldanspruch in der Begründung zum Entwurf des Änderungsgesetzes (BT-Drucks. 11/4415 S. 4) weiterhin als ein solcher „höchstpersönlicher Natur” bezeichnet ist, führt nicht zu einer anderen Beurteilung; die Gesetzesbegründung läßt – wie bereits dargestellt – deutlich erkennen, daß hieraus künftig keinerlei Einschränkungen für die freie Übertragbarkeit und Vererbbarkeit des Anspruchs mehr folgen sollten.
3. Der Schmerzensgeldanspruch ihres Sohnes ist daher auf die Kläger als Erben übergegangen, auch wenn sich der Verletzte zu diesem Anspruch zu Lebzeiten nicht mehr geäußert hat, unabhängig davon, ob er dies aus gesundheitlichen Gründen noch hätte tun können oder nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 604947 |
BB 1995, 431 |
NJW 1995, 783 |
AusR 1995, 28 |