Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 29.12.1966) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 5. Zivilsenat in Freiburg - vom 29. Dezember 1966 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger befuhr am Morgen des 12. November 1962 zwischen 6.45 Uhr und 6.50 Uhr mit seinem Fahrrad auf den Wege zu seiner Arbeitsstelle die Fr.straße in O. in westlicher Richtung. Vor dem Parkplatz, der sich bei der D.kirche auf der rechten Straßenseite befindet, stieß er mit dem Beklagten zusammen, der die Straße - vom Kläger aus gesehen - von rechts nach, links überqueren wollte. Der Kläger stürzte vom Rad; der Beklagte kam ebenfalls zu Fall. Der Kläger suchte noch am gleichen Vormittag seinen Arzt, den Facharzt für innere Krankheiten Dr. S., auf. Dieser stellte fest, daß der Kläger eine Gehirnerschütterung sowie Verletzungen im Gesicht, an den Beinen und am linken Daumen erlitten hatte.
Anfang Januar 1963 erlitt der Kläger eine Gehirnblutung. Er wurde am 5. Januar 1963 in bewußtlosem Zustand in das städtische Krankenhaus eingeliefert und dann in die Neurochirurgische Universitätsklinik in F. gebracht. Dort wurde an 7. Januar 1963 ein Bluterguß unter der harten Hirnhaut operativ beseitigt, Nach, mehrwöchigen Aufenthalt in der Klinik und weiterer ärztlicher Behandlung in O. versuchte der Kläger im Herbst 1963 die Arbeit wieder aufzunehmen. Er mußte sie jedoch nach kurzer Zeit wieder einstellen.
Der Kläger hat für seinen Schaden den Beklagten verantwortlich gemacht und zur Begründung vorgetragen:
Der Beklagte sei zwischen mehreren Kraftwagen, die auf dem Parkplatz neben der Straße gestanden hätten, plötzlich auf die Fahrbahn der Fr.straße getreten, ohne sich, zu vergewissern, ob die Fahrbahn frei war. Dadurch sei der Beklagte ihm etwa 1 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt in das Fahrrad gelaufen. Er, der Kläger, sei auf seiner rechten Fahrbahnseite gefahren und für jeden aufmerksamen Verkehrsteilnehmer zu erkennen gewesen. Den Beklagten habe er wegen der abgestellten Fahrzeuge und der am Straßenrand stehenden Bäume erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß gesehen und sehen können. Er habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß ein Fußgänger vor ihm die Fahrbahn überqueren werde, ohne auf den Verkehr zu achten.
Die Gehirnblutung, die Anfang Januar 1963 bei ihm aufgetreten sei, sei eine Folge der bei dem Sturz erlittenen Verletzungen. Zwar habe Professor Dr. R., Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik in F., in seinem Gutachten für den Haftpflichtversicherer des Beklagten festgestellt, daß die Hirnhaut des Klägers schon vorher einen Schaden in Form einer degenerativen Veränderung der in der harten Hirnhaut verlaufenden Gefäße (eine präformierte Pachymeningosis haemorrhagica interna) auf gewiesen habe. Das schließe aber nicht aus, daß der Unfall für die Gehirnblutung und ihre weiteren Folgen ursächlich, gewesen sei. Er, der Kläger, sei jetzt voll arbeitsunfähig; er leide an einer traumatischen Epilepsie mit zum Teil heftigen Krampfanfällen. Dieses Leiden habe auch eine Wesensveränderung zur Folge gehabt.
Mit der Klage hat der Kläger von dem Beklagten ein Schmerzensgeld und eine Schmerzensgeldrente verlangt, wobei er die Festsetzung der Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Ferner hat er gebeten, festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihm alle Schäden aus den Unfall zu ersetzen, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht:
Nicht er, sondern der Kläger habe den Unfall allein oder zumindest ganz überwiegend verschuldet. Vor dem Betreten der Fr.straße habe er sich davon überzeugt, daß die Straße frei gewesen sei. Im Augenblick des Zusammenstoßes sei er schon in der Mitte der rechten Fahrbahnhälfte des Klägers gewesen, nachdem er vier bis fünf Schritte auf der Fahrbahn zurückgelegt habe. Der Kläger habe ihn deshalb schon aus größerer Entfernung sehen müssen. Daraus ergebe sich, daß der Kläger nicht genügend auf die Fahrbahn geachtet habe.
Die zwei Monate später eingetretene Gehirnblutung und ihre Folgen seien nicht auf den Unfall zurückzuführen. Der Kläger sei bei dem Unfall nicht mit dem Kopf auf die Straße aufgeschlagen; er sei vielmehr mit seinen Gesicht auf das Gesicht des Beklagten gefallen. Es liege außerhalb der allgemeinen Erfahrung, daß eine solche geringfügige Erschütterung des Kopfes so schwere folgen nach sich, ziehe. Der Kläger sei schon vor dem Unfall durch, eine anlagemäßig bedingte Veränderung der harten Hirnhaut vorgeschädigt gewesen. Diese Vorschädigung habe ohnehin mit zunehmendem Alter oder infolge anderer Umstände zu dem jetzigen Zustand geführt.
Das Landgericht hat dem Kläger eine Schmerzensgeldrente von monatlich 150 DM ab 1. Januar 1963 zugesprochen und festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger alle Schäden aus dem Unfall zu ersetzen, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag,
die Klage abzuweisen,
weiter.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Zum Haftungsgrund
1.
Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Landgericht angenommen, der Beklagte habe beim Überqueren der Fahrbahn die erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen und durch diese Fahrlässigkeit den Unfall des Klägers verursacht.
Zutreffend ist es davon ausgegangen, daß der Beklagte verpflichtet war, herannahende Fahrzeuge erst vorbeizulassen, ehe er selbst die Straße überquerte. Er mußte besondere Sorgfalt walten lassen, weil er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der Morgendämmerung aus einer Reihe von Bäumen heraus und dazu noch zwischen parkenden Fahrzeugen hervor auf die Fahrbahn trat und vom Kläger nicht rechtzeitig zu erkennen war. Die Sicht auf die Fr.straße war für den Beklagten durch die Bäume und die parkenden Fahrzeuge behindert. Wie das Landgericht an Ort und Stelle unangefochten festgestellt hat, ist die Fr.straße nach links bin, also in der Richtung, aus welcher der Kläger mit seinem Fahrrad kam, erst dann zu übersehen, wenn man an den Fahrbahnrand oder in die am Rande der Fahrbahn befindliche Straßenrinne tritt. Der Beklagte hat nach seinen eigenen Angaben das herankommende Fahrrad nicht bemerkt. Das zwingt nach der nicht zu beanstandenden Ansicht des Berufungsgerichts zu den Schluß, daß er sich, nicht durch einen Blick nach links vergewissert hat, ob die Straße frei war, denn bei Beachtung der in dieser Lage erforderlichen Sorgfalt hätte er den Kläger rechtzeitig sehen müssen.
Zu Unrecht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang die Behauptung des Beklagten, der Kläger sei ohne Licht gefahren, übersehen habe. Allerdings ist das Berufungsgericht auf diese Frage nur bei seinen Ausführungen zum Mitverschulden des Klägers eingegangen. Das ist aber rechtlich nicht zu beanstanden.
Das Berufungsgericht konnte bei der Prüfung, ob der Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat, unentschieden lassen, ob das Fahrrad des Klägers beleuchtet oder, wie der Beklagte behauptet, nicht beleuchtet war. Es ist ersichtlich davon ausgegangen, daß der Beklagte in der Morgendämmerung bei gehöriger Sorgfalt auch ein unbeleuchtetes Fahrrad hätte bemerken können. Dagegen ist rechtlich nichts einzuwenden.
Auch, im übrigen enthält das Berufungsurteil zur Frage der Haftung des Beklagten keinen Rechtsfehler.
2.
Ein Mitverschulden des Klägers hält das Berufungsgericht nicht für bewiesen. Seine Ausführungen zu dieser Frage sind ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
a)
Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe die Beweisregeln verkannt. Sie meint: Der Anscheinsbeweis spreche für ein Verschulden des Klägers, weil dieser gegen ein Hindernis, nämlich den die Straße überquerenden Beklagten gefahren sei. Der Kläger müsse beweisen, daß der Beklagte ihm plötzlich vor das Fahrrad getreten sei und er ein Anfahren nicht mehr habe vermeiden können.
Diese Ansicht kann nicht gebilligt werden. Allerdings ist nach den Regeln des Anscheinsbeweises von einem Verschulden des Kraftfahrers auszugehen, wenn dieser bei Dunkelheit einen Fußgänger anfährt, der sich auf einer Straße ohne Gehweg auf der rechten Straßenseite in der gleichen Richtung bewegt (Urteil des BGH vom 6. Dezember 1966 - VI ZR 121/65 - VersR 1967, 257). Ein solcher Unfall findet in aller Regel seine Erklärung darin, daß der Kraftfahrer es entweder an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen oder seine Fahrgeschwindigkeit nicht den Sichtverhältnissen angepaßt hat. Für die Regeln des Anscheinsbeweises ist aber kein Raum, wenn ein Fußgänger in der Morgendämmerung von der Seite her auf die Straße tritt und dabei möglicherweise so spät in die Fahrbahn und in den Gesichtskreis des Kraftfahrers gekommen ist, daß dieser auch bei gehöriger Aufmerksamkeit einen Zusammenstoß nicht vermeiden konnte (vgl. das Urteil des BGH vom 19. März 1968 - VI ZR 4/67 -). Ein solcher Sachverhalt ist nicht in der Weise typisch, daß er nach der Erfahrung des Lebens auf ein Verschulden des Kraftfahrers hindeutet. Das Berufungsgericht ist daher mit Recht von den normalen Beweisregeln ausgegangen und hat zutreffend angenommen, daß die Beweislast für das behauptete Mitverschulden des Klägers den Beklagten trifft.
b)
Das Berufungsgericht hat nicht klären können, wie sich, der Unfall im einzelnen zugetragen hat. Da weder Zeugen noch Spuren als Beweismittel zur Verfügung standen, verblieben nur die Angaben, die die Parteien über den Unfall gemacht haben. Das Berufungsgericht hat sich auf Grund der Aussagen des Beklagten nicht davon überzeugen können, daß der Kläger den Beklagten rechtzeitig auf der Fahrbahn hätte sehen können. Es hat erwogen, der Beklagte habe nur unbestimmte Aussagen gemacht und nicht mit Sicherheit angeben können, daß er vor dem Zusammenstoß schon vier bis fünf Schritte auf der Fahrbahn zurückgelegt habe. Diese Würdigung liegt im Rahmen der tatrichterlichen Aufgabe des Berufungsgerichts. Sie enthält keinen Rechtsfehler und kann daher mit der Revision nicht angegriffen werden.
c)
Das Berufungsgericht hält auch nicht für bewiesen, daß der Kläger den Beklagten schon auf dem Parkplatz, also schon vor dem Betreten der Fahrbahn hätte bemerken müssen. Insoweit findet es in den Lichtbildern, die der Beklagte vorgelegt hat, eine Bestätigung für die Feststellung des Landgerichts, daß der Kläger den Beklagten unter dem Schatten der Bäume zwischen den parkenden Fahrzeugen nicht habe sehen können.
Die Bedenken, die von der Revision hiergegen erhoben werden, sind unberechtigt. Die Revision übersieht, daß zur Zeit des Unfalls Morgendämmerung herrschte, so daß die Sicht auch aus diesem Grunde in gewissem Umfang beeinträchtigt war.
Unbegründet ist die Verfahrensrüge, mit der die Revision bemängelt, daß das Berufungsgericht zur Prüfung der Sichtverhältnisse die Unfallstelle nicht besichtigt hat. Das Landgericht hatte bereits einen Augenscheinstermin abgehalten und an Ort und Stelle die erforderlichen Feststellungen getroffen. Außerdem lagen dem Berufungsgericht mehrere Lichtbilder vor, welche die Unfallstelle und ihre Umgebung (Parkplatz) aus dem Blickpunkt des auf seinem Fahrrad herankommenden Klägers zeigen. Bei diesen Material konnte das Berufungsgericht von einer eigenen Besichtigung der Unfallstelle absehen, ohne hierdurch gegen das Verfahrensrecht zu verstoßen.
d)
Mit einer weiteren Rüge beanstandet die Revision, das Berufungsgericht sei auf die Aussage des Beklagten nicht eingegangen, daß der Kläger ihm nach dem Unfall gesagt habe, er habe ihn am Straßenrand gesehen, aber gemeint, er werde stehen bleiben. Diese Rüge kann keinen Erfolg haben.
Ersichtlich hält das Berufungsgericht diese Behauptung allein auf Grund der Aussage des Beklagten noch nicht für erwiesen. Aber selbst wenn der Kläger nach dem Unfall eine solche Erklärung abgegeben und den Beklagten tatsächlich, am Straßenrand bemerkt hätte, könnte das der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Dem Kläger könnte auch in diesem Falle kein Vorwurf gemacht werden, denn ihm stand der Vertrauensgrundsatz zur Seite. Er brauchte nicht damit zu rechnen, daß ein Fußgänger noch vor dem herankommenden Radfahrer versuchen werde, die Fahrbahn zu überqueren.
e)
Den Kläger könnte ein Mitverschulden treffen, wenn er ohne Licht gefahren wäre. Es ist aber keinerlei Beweis dafür erbracht, daß er in dieser Hinsicht seine Pflicht verletzt hätte. Der Beklagte hat diesen Vorwurf erst in der Berufungsinstanz erhoben, ohne für seine Behauptung Beweis anzutreten. In diesem Punkte hat auch die Revision keine Bedenken gegen das Berufungsurteil erhoben.
3.
Nach, alledem ist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, daß der Beklagte nach § 823 BGB in vollem Umfang für den Schaden des Klägers einzustehen hat.
II.
Zur Höhe des Schadens
1.
Das Berufungsgericht hat auf Grund der ärztlichen Gutachten unangefochten festgestellt, daß die Gehirnblutung, die der Kläger im Januar 1963, knapp zwei Monate nach dem Unfall erlitten hat, eine Folge des Unfalls war. Sie war zwar auch, dadurch bedingt, daß der Kläger schon vor dem Unfall an einer fortschreitenden Erkrankung der harten Hirnhaut (Pachymeningosis haemorrhagica interna) litt. Die Gehirnblutung ist aber durch das beim Unfall erlittene Schädelhirntrauma ausgelöst worden Diese Schädelverletzung war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts für die spätere Gehirnblutung auch dann ursächlich, wenn der Kopf des Klägers bei dem Sturz nicht unmittelbar auf die Straße, sondern auf den Kopf des Beklagten aufgeschlagen ist. Nach dem ärztlichen Gutachten, auf das sich das Berufungsgericht stützt, ist es bei einer Pachymeningosis haemorrhagica interna typisch, daß auch leichte Traumen das Krankheitsbild auslösen.
Diese Feststellungen des Berufungsgerichts werden von der Revision nicht angegriffen. Sie bezweifelt nicht, daß der Unfall im natürlichen Sinne mitursächlich für die Gehirnblutung des Klägers und ihre Folgen war.
2.
Die Revision wendet sich mit ihren Angriffen in erster Linie gegen die Annahme des Berufungsgerichts, daß die festgestellte ursächliche Verbindung adäquat sei, daß also auch, der adäquate Kausalzusammenhang zu bejahen sei. Auch, in dieser Frage hält das Berufungsurteil einer rechtlichen Prüfung stand.
Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, daß die vom Beklagten verursachte Unfallverletzung auch, eine adäquate Bedingung für die seit Januar 1963 (Gehirnblutung) eingetretenen Gesundheitsschäden des Klägers war. Eine Kopfverletzung nach einem Sturz vom Fahrrad ist generell geeignet, ein Hirntrauma und damit weitere Schäden an der empfindlichen Schädelpartie herbeizuführen. Diese Schäden sind, auch wenn das Gehirn vorgeschädigt war, eine Folge des Unfalls und dem Schädiger zuzurechnen.
Das Berufungsgericht verweist zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach, der Krankheitserscheinungen, die durch einen Unfall nur deshalb ausgelöst werden, weil die Anlage zu der Krankheit bei dem Verletzten bereits vorhanden war, im Rechtssinne in vollem Umfang eine Unfallfolge und dem Schädiger zuzurechnen sind.
Die Revision ist demgegenüber der Ansicht, in einem Falle wie dem vorliegenden überwiege die Krankheit des Verletzten, die schon vor dem Unfall bestanden habe, in einem derart bestimmenden Maße, daß der kleine Unfall bei geringem Verschulden des Schädigers nicht mehr als adäquate Verursachung angesehen werden könne.
Dem kann nicht beigetreten werden. Mit der Erwägung, daß eine Ursache die andere überwiege, stellt die Revision im Grunde entscheidend darauf ab, welche der Schadensursachen die wesentliche war. Damit legt sie einen Maßstab an, der nur in der Unfallversicherung Gewicht hat (vgl. BSG 1, 76), dem aber in der Kausalitätslehre, wie sie im Zivilrecht gilt, keine entscheidende Bedeutung zukommt.
3.
Eine andere Frage ist, ob die schon vor dem Unfall in der Entwicklung begriffene Gehirnerkrankung des Klägers auch ohne den Einfluß des Unfalls zu denselben Gesundheitsschäden geführt hätte, für die der Kläger jetzt Ersatz begehrt. Dieser Behauptung des Beklagten hat das Berufungsgericht mit Recht unter dem Gesichtspunkt der überholenden Kausalität Bedeutung beigemessen. Es handelt sich um ein hypothetisches Ereignis, das nur berücksichtigt werden kann, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, daß es tatsächlich eingetreten wäre und den gleichen Schaden verursacht hätte (BGHZ 8, 289, 296 und 10, 6 sowie das Urteil des BGH vom 19. September 1961 - VI ZR 233/60 - VersR 1961, 998 für ein anlagebedingtes Leiden).
Das Berufungsgericht hat sich auf Grund der ärztlichen Gutachten und der Aussagen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugen können, daß die anlagebedingte Gehirnerkrankung den Klägers auch ohne die Einwirkung des Unfalls zu den gleichen Symptomen geführt hätte, an denen der Kläger heute leidet. Allerdings hält Professor Dr. N. eine solche Entwicklung für möglich, ja sogar für wahrscheinlich. Andererseits hat das Berufungsgericht der Aussage des Sachverständigen aber auch entnommen, daß die beim Kläger festgestellte Krankheit nicht immer zu einer Gehirnblutung und ihren weiteren Folgen führen muß, daß vielmehr in einzelnen Fällen ein Stillstand oder sogar ein Rückgang der in Gang gebrachten Entwicklung eintreten kann. Das Berufungsgericht hält es daher, gestützt auf die Äußerung des Sachverständigen, auch für möglich, daß die Krankheit des Klägers ohne den Unfall irgendwann zum Stillstand gekommen wäre. Die Zweifel, die hiernach, verblieben sind, gehen, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, zu Lasten des Beklagten, weil er insoweit die Beweislast trägt. Der Geschädigte soll zwar nicht besser gestellt werden, als er ohne den Unfall gestanden hätte; andererseits soll er aber auch, nicht mit dem Risiko der Zweifelhaftigkeit der Entwicklung belastet wer den (vgl. von Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität im Schadensersatzrecht, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft, Heft 54, 1962, Seite 20). Was die Revision gegen diesen Teil des Berufungsurteils vorbringt, kann nicht durchgreifen. Wie sich der Gesundheitszustand des Klägers ohne den Unfall entwickelt hätte, hatte das Berufungsgericht nach. § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden. Dabei stand es in seinem Ermessen, ob und inwieweit es zu einzelnen Punkten weitere Beweise erheben wollte. Durch diesen großen Ermessensspielraum, den § 287 ZPO dem Tatrichter gewährt, sind der Nachprüfung des Revisionsgerichts von vornherein enge Grenzen gezogen. Der Senat kann nur nachprüfen, ob die Entscheidung des Tatrichters auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht und ob wesentliche Tatsachen außer acht gelassen worden sind (BGHZ 3, 162, 175). Solche Fehler läßt das Berufungsurteil nicht erkennen.
Zu Unrecht rügt die Revision, das Berufungsgericht sei sich der Freiheiten nicht bewußt gewesen, die § 287 ZPO dem Tatrichter gewährt. Das Berufungsgericht hat bei seinen Ausführungen zur überholenden Kausalität diese Bestimmung ausdrücklich, erwähnt. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß es ihre Bedeutung und das Maß seiner Befugnisse aus § 287 ZPO verkannt hätte.
Die Revision führt einzelne Äußerungen der ärztlichen Sachverständigen an und bemängelt, daß sich das Berufungsgericht nur mit den mündlich erstatteten Gutachten von Dr. Gr. und Professor Dr. N. auseinandergesetzt, das schriftliche Gutachten des Professors Dr. R. jedoch unbeachtet gelassen habe. Diese Rüge kann keinen Erfolg haben. Das Berufungsgericht hat ausführlich die Gründe dargelegt, die für seine Entscheidung maßgebend waren. Es war nicht verpflichtet, bei seiner Würdigung auf alle Äußerungen der Gutachter einzugehen. Das Berufungsgericht hatte die ihn vorliegenden schriftlichen und mündlichen Gutachten frei zu würdigen. Daß es dabei entscheidendes Gewicht auf die Erklärungen des Sachverständigen Professor Dr. N. gelegt hat, liegt im Rahmen seiner tatrichterlichen Befugnisse und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
4.
Die Bemessung des Schmerzensgeldes durch, das Berufungsgericht ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 18, 149), auf die das angefochtene Urteil ausdrücklich verweist.
Die Revision versucht die tatsächlichen Grundlagen der Schmerzensgeldentscheidung durch Verfahrensrügen zu erschüttern. Damit kann sie keinen Erfolg hoben. Das Berufungsgericht hat ersichtlich, auf Grund der ärztlichen Gutachten und der Angaben des Klägers die Überzeugung gewonnen, daß der Kläger unter den Gesundheitsschäden und Beschwerden zu leiden hat, die im Urteil im einzelnen angeführt werden. Daß es dabei nicht ausdrücklich auf das Gutachten des Professors Dr. R. eingegangen ist, ist aus den gleichen Gründen, die schon oben angeführt wurden, verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Berufungsgericht hat bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht übersehen, daß die schwerwiegenden Folgen nicht allein durch das Verhalten des Beklagten, sondern auch durch die anlagebedingte Gehirnerkrankung des Klägers mitverursacht worden sind. Es hat diesen Umstand ausdrücklich erwähnt und hervorgehoben, daß die Höhe des Schmerzensgeldes hierdurch gemindert wird.
Die Revision meint, dieser Hinweis genüge nicht, weil daraus nicht ersichtlich sei, inwieweit dieser dem Beklagten günstige Umstand tatsächlich berücksichtigt worden sei. Sie rügt Verletzung des § 313 ZPO, weil das Berufungsurteil das nicht erkennen lasse.
Diese Rüge greift nicht durch. Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, ziffernmäßig anzugeben, inwieweit es wegen dieses dem Beklagten günstigen Umstandes das Schmerzensgeld gemindert hat. Seine Ausführungen zur Festsetzung des Schmerzensgeldes genügen den Anforderungen, die an die Begründung des Urteils zu stellen sind.
Danach erweist sich die Revision des Beklagten in allen Punkten als unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.
Fundstellen