Verfahrensgang
LG Kassel (Entscheidung vom 31.03.2022; Aktenzeichen 1 S 110/20) |
AG Kassel (Entscheidung vom 15.04.2020; Aktenzeichen 432 C 3989/19) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 31. März 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Maut für die Benutzung ungarischer Autobahnen.
Rz. 2
Die Klägerin ist eine ungarische Gesellschaft, deren Geschäftszweck die Eintreibung der ungarischen Autobahnmaut ist. Der Beklagte ist Halter dreier Kraftfahrzeuge, mit denen im Zeitraum vom 11. Mai bis zum 4. September 2018 insgesamt zehnmal an verschiedenen Tagen ein Abschnitt der ungarischen Autobahn befahren wurde, für den auf Grundlage des ungarischen Gesetzes Nr. I von 1988 über den Straßenverkehr (im Folgenden: Straßenverkehrsgesetz) i.V.m. der Verordnung des ungarischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr Nr. 36/2007 (III. 26.) GKM über die Maut von Autobahnen, Autostraßen und Hauptstraßen (im Folgenden: MautVO) eine Straßenmaut zu entrichten ist.
Rz. 3
Schuldner der Maut ist nach § 15 Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz der Halter des Fahrzeugs. Wird die Maut nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer virtuellen Vignette (e-Matrica) entrichtet, ist gemäß § 33/A Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 MautVO eine Grundersatzmaut von 14.875 ungarischen Forint (HUF) bei Zahlung innerhalb von 60 Tagen nach Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte Zusatzgebühr von 59.500 HUF bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen.
Rz. 4
Mit mehreren Schreiben forderte ein im Inland ansässiges Inkassounternehmen den Beklagten zur Zahlung der Grundersatzmaut für die jeweiligen Straßenbenutzungen auf. Nachdem der Beklagte diese nicht beglichen hatte, forderte die Klägerin ihn mit weiteren Schreiben zur Zahlung der erhöhten Zusatzgebühren auf.
Rz. 5
Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung von 1.855,29 € nebst Zinsen sowie von 790,86 € außergerichtlichen Inkassokosten verlangt. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, abgesehen von einer Reduzierung der Inkassokosten auf 172,60 €. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen; hiergegen richtet sich dessen zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Rz. 7
Über das Rechtsmittel ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war; inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis der Klägerin, sondern auf einer umfassenden Würdigung des Sach- und Streitstandes (vgl. Senatsurteil vom 7. November 2018 - XII ZR 109/17 - NZM 2019, 824 Rn. 3 mwN).
I.
Rz. 8
Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Klägerin habe gegen den Beklagten als Halter der Fahrzeuge einen Anspruch auf Zahlung einer erhöhten Zusatzgebühr für das Befahren der ungarischen Autobahn an zehn Tagen in Höhe von - abhängig vom Wechselkurs - jeweils 183,23 € bis 188,01 € gemäß Anlage 1 MautVO. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien sei als ein vertragliches Schuldverhältnis anzusehen, auf das gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO das ungarische Recht anzuwenden sei. Die Klägerin könne die erhöhte Zusatzgebühr nach Anlage 1 MautVO verlangen, da die Fahrzeuge des Beklagten mautpflichtige Straßen befahren hätten, ohne dass die Maut vorher bezahlt worden sei. Ein Verstoß gegen den ordre public, der zur Nichtanwendung der Vorschriften der MautVO führen könnte, liege nicht vor. Die Heranziehung des Fahrzeughalters als Mautschuldner sei dem deutschen Recht nicht wesensfremd. Auch begründe die erhöhte Zusatzgebühr keinen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung, da sie mit einer auch dem deutschen Recht bekannten Vertragsstrafe vergleichbar sei. Der Sache nach handle es sich um eine Sanktionierung des Zahlungsverzugs. Darin liege kein Verstoß gegen das Verschuldensprinzip, da der Beklagte die - als angemessen anzusehende - Zahlungsfrist von 60 Tagen nicht eingehalten habe.
II.
Rz. 9
Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung insoweit nicht stand, als es an Feststellungen zur Berechtigung der Klägerin fehlt, die Zahlung in inländischer Währung zu fordern.
Rz. 10
1. Die Klage ist zulässig erhoben. Insbesondere liegt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte vor (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 9 mwN).
Rz. 11
2. Zur Anwendung kommt im vorliegenden Fall ungarisches Sachrecht (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 18 ff.).
Rz. 12
3. Nach den vom Landgericht im Freibeweis (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 22 mwN) getroffenen Feststellungen zum Inhalt des ungarischen Rechts ist, wenn die Maut nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer virtuellen Vignette entrichtet ist, gemäß § 33/A Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 MautVO eine Grundersatzmaut von 14.875 HUF bei Zahlung innerhalb von 60 Tagen nach Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte Zusatzgebühr von 59.500 HUF bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen. Schuldner der nachträglich zu entrichtenden Maut ist nach § 15 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes der Halter des Fahrzeugs. Aufgrund von zehn Benutzungen von Autobahnabschnitten an verschiedenen Tagen, für die auf Grundlage der MautVO eine Straßenmaut anfällt, ergibt sich eine Forderung gegen den Beklagten als Halter des Fahrzeugs in Höhe von zehnmal der erhöhten Zusatzgebühr.
Rz. 13
4. Die Anwendung der Vorschriften des ungarischen Rechts über die zu entrichtende erhöhte Zusatzgebühr kann auch nicht gemäß Art. 21 Rom I-VO deshalb versagt werden, weil diese mit der inländischen öffentlichen Ordnung („ordre public“) offensichtlich unvereinbar wäre. Denn ein ordre public-Verstoß läge nur dann vor, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stünde, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint. Dies ist jedoch, wie der Senat bereits wiederholt in vergleichbaren Fällen ausgesprochen hat und auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen wird, nicht der Fall (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 25 mwN).
Rz. 14
5. Rechtlich zu beanstanden ist allerdings, dass das Landgericht den Beklagten - wie von der Klägerin beantragt - zur Zahlung einer Geldschuld in inländischer Währung verurteilt hat.
Rz. 15
Fremdwährungsschulden sind als solche, also in fremder Währung einzuklagen. Die Inlandswährung ist kein minus, sondern ein aliud dazu. Eine auf die falsche Währung gerichtete Zahlungsklage wäre somit abzuweisen (Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 38 mwN).
Rz. 16
Für die Frage, in welcher Währung vertragliche Zahlungsansprüche geschuldet sind, gilt das Statut, das den Vertrag insgesamt beherrscht, hier also das ungarische Recht (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 39 mwN). Insoweit fehlt es an Feststellungen, dass die Klägerin nach ungarischem Sachrecht dazu berechtigt ist, die Mautschulden in Euro zu fordern. Aus der vom Landgericht herangezogenen MautVO ergibt sich nur eine Zahlungspflicht in ungarischen Forint.
Rz. 17
Denkbar wären allerdings vom Landgericht nicht ermittelte Vorschriften im allgemeinen ungarischen Schuldrecht, die entweder einen Wechsel in eine andere Währung erlauben oder die eine Ersetzungsbefugnis entsprechend der inländischen Regelung des § 244 BGB enthalten, auf die hin auch eine stillschweigende Einigung im Prozess über eine Umwandlung in die Heimwährungsschuld in Betracht käme (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 41 mwN).
III.
Rz. 18
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen zum ausländischen Recht hinsichtlich einer dort verankerten Berechtigung, den Zahlbetrag anstatt in ungarischen Forint auch in Euro zu verlangen, nicht selbst treffen kann. Hierzu ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.
Rz. 19
Bei seiner erneuten Befassung wird das Landgericht auch in den Blick zu nehmen haben, inwieweit die Regelung des § 33/B Abs. 5 Satz 4 des Straßenverkehrsgesetzes einer Ausurteilung von Verzugszinsen entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644 Rn. 34).
Rz. 20
Rechtsbehelfsbelehrung
Rz. 21
Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.
Guhling |
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Klinkhammer |
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Nedden-Boeger |
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Botur |
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Pernice |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15734759 |