Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an eine Delegierung der Verkehrssicherungspflicht durch Absprache mit einem Dritten (hier: bei Entfernung von einem unabgedeckten 3 m tiefen Schacht).
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 05.02.1987) |
LG München II |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 5. Februar 1987 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz nach einem Sturz in einen 3 m tiefen Lichtschacht im Bereich des Hofeingangs des Kreiskrankenhauses D.. Der Beklagte hatte dort für seinen Arbeitgeber mit einem Lkw Natronlauge und Salzsäure auszuliefern. Die Einfüllstutzen für diese Flüssigkeiten befinden sich am Boden des besagten Schachtes. Der Beklagte entfernte zunächst zusammen mit dem Zeugen P., einem Angestellten des Krankenhauses, das Gitter über dem Schacht. Nach dem Abpumpen der Natronlauge stellte sich heraus, daß der Schlauch von dem Salzsäurebehälter auf dem Lkw zu dem Einfüllstutzen zu kurz war. Der Beklagte entschloß sich daher, einen anderen Teil der Ladung zunächst bei einer anderen Firma abzuliefern und den Salzsäurebehälter auf dem Lkw so versetzen zu lassen, daß die Schlauchlänge reichen würde. Er entfernte sich zu diesem Zweck etwa eine halbe Stunde lang von der Einfüllstelle. Während dieser Zeit blieb der Lichtschacht unabgesichert offen. Die Klägerin, die in der Wäscherei des Krankenhauses beschäftigt ist, stürzte hinein, als sie mit Wäsche durch den Hof ging. Sie wurde erheblich verletzt. Es besteht ein Dauerschaden.
Nach Auffassung der Klägerin fällt dem Beklagten eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zur Last. Soweit er auf den Zeugen P. verweise, könne ihn dies nicht entlasten. Der Zeuge habe sich, als der Kläger weggefahren sei, an dem Schacht gar nicht aufgehalten, sondern sei im Keller des Krankenhauses beschäftigt gewesen. Demgegenüber macht der Beklagte geltend, daß er mit dem Zeugen P. den weiteren Ablauf an dem offenen Lichtschacht abgesprochen habe. Die Klägerin hat die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens 40.000 DM, sowie zum Ersatz ihres Sachschadens in Höhe von 176,80 DM, jeweils nebst Zinsen, sowie die Feststellung begehrt, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision hält die Klägerin daran fest, daß der Beklagte für den Unfallschaden ersatzpflichtig sei.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten und seine Haftung nach §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 230 StGB mit der Begründung verneint, es sei nicht bewiesen, daß der Beklagte weggefahren sei und den offenen Schacht zurückgelassen habe, während der Zeuge P., der als Sicherheitsbeauftragter des Krankenhauses die Anlieferung und das Einfüllen der Chemikalien zu beaufsichtigen hatte, im Keller des Krankenhauses beschäftigt gewesen und von dem Beklagten nicht benachrichtigt worden sei. An der Richtigkeit der dahingehenden Angaben des Zeugen P. bestünden erhebliche Zweifel. Es erscheine in gleicher Weise möglich, daß der Beklagte, wie er es vor dem Berufungsgericht geschildert habe, mit dem Zeugen P. im Hof vor dem geöffneten Lichtschacht, bevor er weggefahren sei, das weitere Vorgehen abgesprochen habe, insbesondere auch, daß der Zeuge auf seine – des Beklagten – Rückkehr warten solle. Der Beklagte habe unter diesen Umständen davon ausgehen dürfen, daß der Zeuge P. für die Absicherung der Gefahrenstelle sorgen würde. Eines besonderen Hinweises des Beklagten, daß der offene Schacht abzusichern sei, habe es nach Lage des Falles nicht bedurft.
II.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Fehl geht allerdings die Verfahrensrüge der Revision, mit der sie beanstandet, das Berufungsgericht habe Angaben, die der Beklagte persönlich vor dem Gericht gemacht habe, in seine Würdigung einbezogen, ohne eine Parteivernehmung des Beklagten angeordnet zu haben und ohne daß die Angaben protokolliert oder in dem Berufungsurteil wiedergegeben worden seien. In Wahrheit ist der Inhalt der Angaben des Beklagten im Berufungsurteil hinreichend bezeichnet. Es heißt dort, der Beklagte habe den Sachverhalt so geschildert wie in dem vorangegangenen Strafverfahren. Was er dort gesagt hat, ist aber aus den Vernehmungsprotokollen der Strafakten, die in die mündliche Verhandlung auch im Berufungsverfahren einbezogen worden sind (BU S. 2), sowie durch Verweisung auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, welches seinerseits auf die Strafakten Bezug nimmt, ersichtlich. Die Mitberücksichtigung dieser Angaben des Beklagten bei der richterlichen Überzeugungsbildung ist durch § 286 Abs. 1 ZPO gedeckt. Der Tatrichter ist nicht gehindert, im Rahmen der Würdigung „des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme” (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben (vgl. BGH Urteile vom 26. Februar 1952 – I ZR 65/51 – LM ZPO § 286 (B) Nr. 4 und vom 26. April 1974 – V ZR 147/72 – LM ZPO § 286 (C) Nr. 64).
2. Entgegen der Auffassung der Revision beruht die angefochtene Entscheidung auch nicht auf einer Verkennung der Beweislast. Die Revision meint insoweit: Da der Beklagte durch die – zusammen mit dem Zeugen P. vorgenommene – Entfernung des Schachtrosts objektiv eine Gefahrenlage geschaffen habe, stehe bereits fest, daß er, indem er die Gefahrenstelle nicht abgesichert habe, die sog. „äußere” Sorgfalt verletzt habe. Die Verletzung der äußeren Sorgfalt indiziere aber die der inneren Sorgfalt oder begründe den Anscheinsbeweis für die Verletzung der inneren Sorgfalt (vgl. insoweit das von der Revision angeführte Senatsurteil vom 11. März 1986 – VI ZR 22/85 – VersR 1986, 765, 766). Daher sei es Sache des Beklagten, darzulegen und zu beweisen, daß ihn kein Verschuldensvorwurf treffe. Diese Argumentation setzt indes zu früh an. Sie übersieht, daß sich zunächst, solange nämlich der Einfüllvorgang im Gange und der Beklagte an dem Lichtschacht zugegen war, weitere Absicherungsmaßnahmen erübrigten. Fraglich ist allein, ob der Beklagte anschließend, als er wegfuhr, die nunmehr erforderlichen Schutzvorkehrungen unterlassen hat. Dies ist als anspruchsbegründend von der Klägerin darzulegen und zu beweisen.
3. Die Revision steht indessen zu Recht auf dem Standpunkt, daß dem Beklagten selbst dann eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zur Last fällt, wenn er sich so, wie es das Berufungsgericht als möglich erachtet, vor dem Wegfahren mit dem Zeugen P. ins Benehmen gesetzt hat. Das Berufungsgericht stellt, indem es für diesen Fall eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verneint, zu geringe Sorgfaltsanforderungen. Der offene Lichtschacht im Hof des Krankenhauses stellte eine erhebliche Gefahrenquelle dar, wenn dort keine Einfüllarbeiten stattfanden, durch die Passanten auf die Gefahrenstelle hingewiesen wurden, und der Beklagte nicht mehr zugegen war, um gegebenenfalls Passanten zu warnen und fernzuhalten. Für diese Gefahrenquelle war der Beklagte mitverantwortlich, weil er sie durch das Abdecken des Schachts mitgeschaffen hatte. Er durfte daher nicht wegfahren, ohne in geeigneter Weise Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß jemand zu Schaden kam. Er hatte dementsprechend entweder dafür zu sorgen, daß der Schacht wieder geschlossen wurde, oder aber – wenn der Schacht offenblieb – sicherzustellen, daß Dritte zuverlässig vor der Gefahr gewarnt und bewahrt wurden (s. – zu einem vergleichbaren Fall – Senatsurteil vom 2. April 1974 – VI ZR 193/72 – VersR 1974, 888). Den ihn hiernach treffenden Verpflichtungen ist der Beklagte auch für den Fall nicht gerecht geworden, daß er, bevor er wegfuhr, mit dem Zeugen P. im Hof vor dem geöffneten Schacht den weiteren Ablauf abgesprochen und sich mit dem Zeugen darüber verständigt hat, daß dieser auf seine Rückkehr warten solle. Diese „Absprache” befaßte sich, wie die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts ergeben, nicht auch mit der Frage der Absicherung des Schachtes. Vielmehr habe es, so meint das Berufungsgericht, eines besonderen Hinweises auf die Notwendigkeit der Absicherung nicht bedurft, da dies für den Zeugen „erkennbar selbstverständlich” gewesen sei. Daher habe der Beklagte davon ausgehen dürfen, daß der Zeuge bis zu seiner Rückkehr für die Absicherung sorgen würde. Mit dieser subjektiven Erwartung durfte sich der Beklagte jedoch nicht begnügen. Er hätte sich vielmehr verantwortlicherweise vergewissern müssen, daß der Zeuge P. sich dieser Aufgabe auch bewußt war und ihr hinreichend nachkommen werde. Jedenfalls war die Situation nicht klar genug. Es fehlte an einer unmißverständlichen Verabredung, daß etwa der Zeuge P. zur Warnung Dritter an dem Schacht stehenbleiben oder den Schacht wieder schließen oder sonstwie absichern sollte. Durch eine „Absprache”, die sich auf die zwischenzeitliche Belieferung eines anderen Kunden und die spätere Rückkehr mit umgesetzter Ladung, und darauf beschränkte, daß der Zeuge P. auf den Beklagten warten sollte, wurde eine Absicherung des Schachtes nicht zuverlässig sichergestellt. Insbesondere bestand die Gefahr, daß der Zeuge P. die Absprache über das weitere Vorgehen und die Bitte, zu warten, lediglich darauf bezog, daß er auch bei der Rückkehr des Beklagten noch erreichbar sein möge, um den Anlieferungsvorgang, etwa durch Quittierung der Lieferung, abzuschließen. Der Beklagte hätte daher nur wegfahren dürfen, wenn entweder der Schacht bereits geschlossen oder abgesichert war oder der Zeuge P. durch eine eindeutige Absprache die alleinige Verantwortung für die Gefahrenstelle und deren Absicherung übernommen hatte. Hieran fehlte es.
Ohne Bedeutung bleibt in diesem Zusammenhange, daß es sich bei dem Zeugen P. um den Sicherheitsbeauftragten des Krankenhauses handelte. Die Gefahr, die der im Eingangsbereich liegende offene Lichtschacht darstellte, war so erheblich, daß selbst einem solchen Sicherheitsbeauftragten gegenüber eine unmißverständliche Klarstellung der Verantwortlichkeit geboten war.
Der Beklagte hat sich auch schuldhaft verhalten. Ihm mußte klar sein, daß er sich nicht entfernen durfte, bevor nicht entweder der Schacht geschlossen oder eine unzweideutige Regelung für die Absicherung der Gefahrenstelle getroffen war.
4. Das Berufungsurteil läßt sich auch nicht mit einer anderen Begründung aufrechterhalten. Insbesondere ist der Beklagte nicht etwa nach § 637 Abs. 1 i.V.m. § 636 Abs. 1 RVO von der Haftung gegenüber der Klägerin frei. Die Parteien sind nicht Betriebsangehörige in demselben Betrieb i.S. des § 637 Abs. 1 RVO. Der Beklagte ist durch den Anlieferungsvorgang und das Abpumpen der anzuliefernden Chemikalien in die Tanks des Krankenhauses nicht in dessen Betrieb eingegliedert worden. Er blieb vielmehr dem Aufgabenbereich seines Arbeitgebers – dem Vertrieb jener Chemikalien – zugeordnet, mag sich seine Tätigkeit auch vorübergehend im Risikobereich des Arbeitgebers der Klägerin abgespielt haben (vgl. etwa Senatsurteil vom 8. April 1986 – VI ZR 61/85 – VersR 1986, 868 f.).
5. Zu einer abschließenden Entscheidung durch den Senat (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) ist die Sache nicht reif. Zwar läßt der dem Senat vorliegende Sachverhalt die Beurteilung zu, daß sich der Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB sowie, soweit die Verletzung des Körpers und die Gesundheit der Klägerin in Frage steht, gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 230 StGB schadensersatzpflichtig gemacht hat. Für den Umfang des Schadensersatzanspruches ist jedoch noch aufzuklären, wieweit die Klägerin ein mitwirkendes Verschulden trifft. Zur Beurteilung dieser Frage, die im übrigen in erster Linie Sache des Tatrichters ist, fehlt es an hinreichenden Feststellungen. Ferner bedarf es unter den Gegebenheiten des Falles einer Bestimmung der Verschuldensanteile des Beklagten einerseits und des Zeugen P. andererseits, da es sich insoweit angesichts der Zugehörigkeit der Klägerin und des Zeugen P. zu demselben Betrieb um ein sog. gestörtes Gesamtschuldverhältnis handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Schadensersatzanspruch eines Geschädigten, dem ohne die Vorschriften der §§ 636, 637 RVO auch der Arbeitgeber oder ein in demselben Betrieb tätiger Betriebsangehöriger ersatzpflichtig wären, gegen einen außenstehenden Schädiger von vornherein auf den Betrag beschränkt, der auf ihn im Innenverhältnis endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nicht als Folge der §§ 636, 637 RVO gestört wäre (BGHZ 61, 51, 55 und lfd., zuletzt Senatsurteil vom 17. Februar 1987 – VI ZR 81/86 – BGHR § 840 Gesamtschuldnerausgleich 1 = ZfS 1987, 300 f. m.w.N.). Daher ist in solchen Fällen jeweils zu prüfen, wie weit der Arbeitgeber und/oder der Betriebskollege ohne die §§ 636, 637 RVO ausgleichspflichtig wären, und in diesem Umfange der Anspruch gegen den Außenstehenden zu kürzen. Auch in dieser Hinsicht erlauben die bisherigen Feststellungen keine abschließende Beurteilung. Es kommt in Betracht, daß der Beklagte in Abweichung von der Regel des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zu einem geringeren als dem seinem Kopfteil entsprechenden Anteil haftet. Die Beweislast insoweit liegt, ähnlich wie bei dem Einwand des mitwirkenden Verschuldens nach der analog heranzuziehenden Vorschrift des § 254 BGB (vgl. Senatsurteil vom 2. April 1974 a.a.O. S. 890) bei dem Inanspruchgenommenen, hier also dem Beklagten. Eine von der Regel des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB abweichende Aufteilung könnte vorliegend etwa anzunehmen sein, wenn der Beklagte den Zeugen am offenen Schacht darüber unterrichtet hätte, daß er nun wegfahre, und der Zeuge so unmittelbar miterlebt hätte, wie die Gefahrenstelle ungesichert zurückblieb. In diesem Falle träfe den Zeugen – zumal auch in seiner Eigenschaft als Sicherheitsbeauftragter des Krankenhauses – und über ihn dessen Arbeitgeber eine erhebliche Mitverantwortlichkeit an dem Unfall. Daß sich die Dinge so zugetragen haben, ist aber bisher von dem Berufungsgericht nur für möglich gehalten, nicht aber positiv festgestellt worden. Allgemein ist im übrigen die Bestimmung der Verantwortlichkeitsanteile im Rahmen der Anspruchsbegrenzung nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses wiederum in erster Linie Sache des tatrichterlichen Ermessens. Letztlich bedarf es auch noch einer tatrichterlichen Überzeugungsbildung zur Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Schadens, insbesondere des von ihr beanspruchten Schmerzensgeldes. Zur Abklärung aller dieser Fragen weist der Senat die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Unterschriften
Dr. Steffen, Dr. Macke, Dr. Lepa, Bischoff, Dr. Birkmann
Fundstellen
Haufe-Index 2008480 |
Nachschlagewerk BGH |