Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung von Maßnahmen der Dienstaufsicht
Leitsatz (amtlich)
a) Eine „Beanstandung” ist keine nach § 26 Abs. 2 DRiG zulässige Maßnahme der Dienstaufsicht.
b) Übersendet der Vorsitzende eines Senats des Landessozialgerichts nach Ablehnung eines vom Gericht angeregten Vergleiches durch das Landesversorgungsamt die Akten dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zur Entschließung darüber, ob die Zustimmung zur Gewährung von Versorgung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG erteilt wird, so übt er damit eine richterliche Tätigkeit aus, die der Dienstaufsicht entzogen ist.
c) Auch eine Meinungsäußerung der Dienstaufsichtsbehörde, die nicht zur Kenntnisnahme durch den Richter bestimmt ist, kann als Maßnahme der Dienstaufsicht anzusehen sein.
Normenkette
DRiG §§ 26, 62 Abs. 1 Nr. 4e, § 67 Abs. 4; BVG § 1 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Entscheidung vom 08.08.1966) |
LG Karlsruhe (Urteil vom 02.12.1965) |
Tenor
Auf die Revision des Antragstellers werden die Urteile des Richterdienstgerichts beim Landgericht Karlsruhe vom 2. Dezember 1965 und des Dienstgerichtshofs beim Oberlandesgericht Stuttgart vom 8. August 1966 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß die Erlasse des Arbeitsministeriums Baden-Württemberg vom 22. Juli 1964, 25. August 1964 und 30. November 1964 sowie dessen Schreiben vom 26. August 1964 an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung unzulässig sind, soweit sie sich auf die vom Antragsteller als Vorsitzenden eines Senats des Landessozialgerichts beanspruchte Befugnis beziehen, unmittelbar bei dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung anzufragen, ob die nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG zur Gewährung von Versorgung erforderliche Zustimmung erteilt wird.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Antragsteller ist Vorsitzender eines Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg. Vor diesem Senat war ein Berufungsverfahren anhängig, in dem es um die Gewährung von Versorgung aufgrund des Bundesversorgungsgesetzes für eine multiple Sklerose ging, an welcher der Kläger Olpp erkrankt war. Dessen Klage war im ersten Rechtszug abgewiesen worden. Nachdem das Landesversorgungsamt als Vertreter des Landes Baden-Württemberg (§ 71 Abs. 5 SGG) eine vom Berichterstatter des Senats angeregte vergleichsweise Regelung im Wege des Härteausgleichs abgelehnt hatte, übersandte der Antragsteller, ohne die Parteien vorher zu hören oder sie davon zu verständigen, mit Schreiben vom 24. April 1964 sämtliche dem Landessozialgericht vorliegenden Akten dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung „zur gefl. Entschließung darüber, ob die Zustimmung zur Gewährung von Versorgung gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG (n.F.) erteilt wird”. Mit dieser Zustimmung kann nach jener Vorschrift Versorgung auch dann gewährt werden, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, wie es z.B. bei multipler Sklerose noch der Fall ist. Der Bundesminister teilte dem Arbeitsministerium Baden-Württemberg durch Erlaß vom 6. Juli 1964 mit, daß er die Voraussetzungen für eine Kannversorgung als erfüllt ansehe, mit einer Versorgung in bestimmter Höhe einverstanden sei und eine unstreitige Beilegung des Rechtsstreits für angezeigt halte. Gleichzeitig unterrichtete er das Landessozialgericht davon, daß er die unstreitige Beilegung des Rechtsstreits empfohlen habe. Das Arbeitsministerum gab die Auffassung des Bundesministers durch den von einem Ministerialrat mit dem Zusatz „im Auftrage” unterzeichneten Erlaß vom 22. Juli 1964 dem Landesversorgungsamt bekannt mit der Bitte, „im anhängigen Berufungsverfahren ein entsprechendes Angebot abzugeben und im übrigen darauf hinzuweisen, daß es nicht für angezeigt gehalten wird, wenn die Gerichte in Fällen vorstehender Art Versorgungsakten unmittelbar dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vorlegen”. Das Landesversorgungsamt unterbreitete darauf mit Schriftsatz vom 3. August 1964 einen – später von O. angenommenen – Vergleichsvorschlag. Das für das Landessozialgericht bestimmte Stück dieses Schriftsatzes trug als Nachschrift folgenden Vermerk:
„Das Arbeitsministerium Baden-Württemberg ersuchte darauf hinzuweisen daß es nicht für angezeigt gehalten wird, wenn die Gerichte in Fällen vorstehender Art Versorgungsakten unmittelbar dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vorlegen”.
Hierin erblickte der Antragsteller eine – ungerechtfertigte – Maßnahme der Dienstaufsicht. Er erhob mit Eingabe vom 6. August 1964 bei dem Arbeitsminister Gegenvorstellungen und erklärte, daß er sein Verhalten für ordnungsmäßig halte und auch in Zukunft in der beanstandeten Weise verfahren werde, besonders dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – mit einer Uneinsichtigkeit der Versorgungsverwaltung zu rechnen sei. In Vertretung des erkrankten Arbeitsministers erwiderte der Ministerialdirektor des Arbeitsministeriums mit einem Erlaß an den Präsidenten des Landessozialgerichts vom 25. August 1964. Er hat zunächst, dem Antragsteller zu eröffnen, daß der von diesem beanstandete Vermerk keine Maßnahme der Dienstaufsicht darstelle, sondern nur die Auffassung eines Prozeßbeteiligten über die Sachbehandlung wiedergebe. Weiter führte er u.a. aus, daß die Einholung der Zustimmung des Bundesministers zur Gewährung des Härteausgleichs ausschließlich in pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Landesversorgungsbehörde liege, daß das Gericht seine Kompetenz überschreite, wenn es sich selbst um die Zustimmung bemühe, und daß der Antragsteller sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens insbesondere auch nicht auf Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes berufen könne. Abschließend heißt es:
„Durch die Bemühung um Erteilung der Zustimmung des BMA hat Dr. C. … in unzulässiger Weise in den Ermessensbereich der Versorgungsverwaltung eingegriffen. Da Senatspräsident Dr. C. ausdrücklich erklärt, daß er auch in Zukunft so verfahren werde, wird dieses Verhalten hiermit im Wege der Dienstaufsicht beanstandet.”
Am 26. August 1964 richtete der Ministerialdirektor ferner an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung unter Bezugnahme auf dessen Erlaß vom 6. Juli 1964 folgendes Schreiben:
„Das Landessozialgericht ist vom Arbeitsministerium Baden-Württemberg darauf hingewiesen worden, daß die unmittelbare Vorlage von Anträgen dieser Art an den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nicht für angezeigt gehalten wird. Trotz diesem Hinweis hat sich der betreffende Senat nach wie vor für berechtigt erklärt, die Zustimmung des Herrn Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Gewährung von Härteausgleichen bzw. Kannversorgungen unmittelbar einzuholen. Unter diesen Umständen habe ich den betreffenden Senat nunmehr im Dienstaufsichtswege angewiesen, künftig derartige unmittelbare Vorlagen zu unterlassen. Ich möchte annehmen, daß meiner Weisung Rechnung getragen wird. Sollten Ihnen dennoch vom Landessozialgericht Baden-Württemberg weiterhin derartige Anträge unmittelbar zugehen, bitte ich, diese Anträge ohne Entscheidung und unter Hinweis auf den Dienstweg an das Landessozialgericht wieder zurückzugeben.”
Auf erneute Gegenvorstellungen des Antragstellers hielt der Ministerialdirektor in einem weiteren Erlaß an den Präsidenten des Landessozialgerichts vom 30. November 1964, den er ohne den Zusatz „in Vertretung” unterzeichnete, mit näherer Begründung an dem im Erlaß vom 25. August 1964 eingenommenen Standpunkt fest. Den Widerspruch des Antragstellers gegen den Vermerk vom 3. August 1964 sowie gegen die Erlasse vom 25. August 1964 und 30. November 1964 wies das Arbeitsministerium mit Bescheid vom 3. März 1965, den Widerspruch gegen das dem Antragsteller später bekanntgewordene Schreiben vom 26. August 1964 mit Bescheid vom 19. August 1965 zurück.
Am 12. März 1965 leitete der Antragsteller das dienstgerichtliche Prüfungsverfahren ein, in das später auch das Schreiben vom 26. August 1964 einbezogen wurde. Mit der Behauptung, es handle sich um Maßnahmen der Dienstaufsicht, die seine richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigten, beantragte er festzustellen, daß die in dem Vermerk vom 3. August 1964 enthaltene „Weisung” des Arbeitsministeriums, die Erlasse vom 25. August 1964 und 30. November 1964 sowie das Schreiben vom 26. August 1964 unzulässig seien.
Das Richterdienstgericht beim Landgericht Karlsruhe hat den Antrag durch Urteil vom 2. Dezember 1965 zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Antragstellers ist erfolglos geblieben (Urteil des Dienstgerichtshofs für Richter beim Oberlandesgericht Stuttgart vom 8. August 1966).
Mit der vom Dienstgerichtshof gemäß § 80 Abs. 2 DRiG zugelassenen Revision rügt der Antragsteller die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt,
die Urteile des Richterdienstgerichts vom 2. Dezember 1965 und des Dienstgerichtshofs vom 8. August 1966 aufzuheben, die Unzulässigkeit des Vermerks vom 3. August 1964, der Erlasse vom 25. August 1964 und 30. November 1964 sowie des Schreibens vom 26. August 1964 festzustellen und dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Antragsgegner bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
Die frist- und formgerecht eingelegte Revision hat Erfolg.
I. Der Antrag auf Durchführung des dienstgerichtlichen Prüfungsverfahrens ist in vollem Umfang zulässig.
1. Mit dem Vermerk auf dem Schriftsatz vom 3. August 1964 hat das Landesversorgungsamt wörtlich dem Ersuchen des Arbeitsministeriums im Erlaß vom 22. Juli 1964 entsprochen und hierbei ausdrücklich auf dieses Ersuchen Bezug genommen. Der Vermerk stellt sich damit als die bloße Übermittlung einer Auffassung des Ministeriums dar und hat mithin für die Frage, ob dessen Meinungsäußerung eine Maßnahme der Dienstaufsicht zum Inhalt hat, keine selbständige Bedeutung. Hierfür kommt es vielmehr in erster Linie auf den Erlaß selbst an. Das Berufungsgericht ist der Meinung, daß in dem Ersuchen des Ministeriums nur die an das Landesversorgungsamt gerichtete Weisung erblickt werden könne, als Parteivertreter Kritik an dem Verhalten des Antragstellers im Falle O. zu üben. Dieser Ansicht kann sich das Dienstgericht nicht anschließen.
Das Arbeitsministerium hatte hier eine Doppelfunktion. Ihm oblag die (gesetzlich beschränkte) Dienstaufsicht über den Antragsteller und es war zugleich die dem Landesversorgungsamt übergeordnete Landesbehörde; denn nach Abschnitt VIII Nr. 3 der Bekanntmachung der vorläufigen Regierung über die Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Ministerien vom 8. Juli 1952 (GBl. f. Bad.-Württ. 1952, 21) in Verbindung mit Art. 83, 84 GG gehört zu seinem Geschäftsbereich die Kriegsopferversorgung. Daß das Ministerium sich nicht unmittelbar an den Antragsteller wandte, sondern sich zur Übermittlung seiner Auffassung des Landesversorgungsamtes bediente, spricht zwar dafür, daß es nur von seinem Recht Gebrauch machen wollte, die ihm untergeordnete Behörde anzuweisen, als Parteivertreter Kritik an der Prozeßführung zu üben. Nach dem Wortlaut des Ersuchens sollte sich der Hinweis jedoch nicht auf den Fall O. beschränken, sondern dahin gehen, „daß es nicht für angezeigt gehalten werde, wenn die Gerichte in Fällen vorstehender Art Versorgungsakten unmittelbar dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vorlegen.” Dieser allgemeine Hinweis, der dann auch dem Landessozialgericht übermittelt worden ist, war aber geeignet, den Anschein zu erwecken, das Ministerium wolle nicht das Landesversorgungsamt anweisen, im anhängigen Verfahren Prozeßkritik zu üben, sondern sich als dienstaufsichtsführende Stelle gegen das Verhalten des Antragstellers im Falle O. wenden und ihm zugleich nahelegen, sich künftig anders zu verhalten. So hat ersichtlich auch das Landesversorgungsamt den Erlaß verstanden; denn es hätte sonst keinen Anlaß gehabt, auf das Ersuchen des Ministeriums Bezug zu nehmen. Hiervon konnte daher auch der Antragsteller ausgehen. Den vom Ministerium selbst erweckten Anschein muß der Antragsgegner gegen sich gelten lassen. Dabei ist es ohne Bedeutung, daß die Erwähnung des Erlasses nicht dem Willen des dafür verantwortlichen Ministerialrats entsprochen haben mag; denn es kommt nicht darauf an, ob die Meinungsäußerung einer für die Ausübung der Dienstaufsicht in Betracht kommenden Stelle zur Kenntnisnahme durch den Richter bestimmt ist. Das wird bei der Erörterung des Schreibens vom 26. August 1964 naher dargelegt werden.
Das dienstgerichtliche Prüfungsverfahren ist daher zulässig, soweit das Landesversorgungsamt durch den Erlaß vom 22. Juli 1964 um den dann in Form eines Vermerks dem Landessozialgericht übermittelten Hinweis ersucht worden ist. Allerdings hat der Antragsteller diesen Erlaß nicht ausdrücklich in seinen Anträgen aufgeführt. Er wird jedoch von dem Antrag miterfaßt, die Unzulässigkeit des Vermerks vom 3. August 1964 festzustellen. Auch der Widerspruchsbescheid vom 3. März 1965 bezieht sich zugleich auf ihn.
2. Daß die beiden Erlasse vom 25. August und 30. November 1964 Maßnahmen der Dienstaufsicht zum Inhalt haben, bedarf keiner näheren Darlegung. Das ist aber in größerem Umfang der Fall, als das Berufungsgericht angenommen hat. Dieses ist der Meinung, daß Gegenstand der „Beanstandung” nur die in der Eingabe vom 6. August 1964 enthaltene Erklärung des Antragstellers über sein künftiges Verhalten sei. Das beruht möglicherweise darauf, daß in dem späteren Erlaß zur Widerlegung der Ansicht des Antragstellers, schon der Vermerk vom 3. August 1964 sei als Maßnahme der Dienstaufsicht anzusehen, u.a. ausgeführt wird, erst diese Erklärung habe Anlaß zur Beanstandung gegeben; es stehe dem Arbeitsministerum – wie im vorliegenden Fall geschehen – frei, auf die Beanstandung des unkorrekten Verhaltens eines Richters im Wege der Dienstaufsicht zu verzichten, aber auf die Erklärung des Richters, er werde auch in Zukunft so verfahren, diesen im Wege der Dienstaufsicht zu künftiger ordnungsgemäßer Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen. Eine solche Auslegung wird indessen dem Erlaß vom 25. August 1964 nicht gerecht.
Dort wird zunächst zum Verhalten des Antragstellers im Falle O. Stellung genommen und die Auffassung vertreten, daß er in unzulässiger Weise in den Ermessensbereich der Versorgungsverwaltung eingegriffen habe. Wenn es dann weiter heißt, da der Antragsteller ausdrücklich erklärt habe, auch in Zukunft so verfahren zu wollen, „wird dieses Verhalten hiermit im Wege der Dienstaufsicht beanstandet”, so bezieht sich die Beanstandung eindeutig auf die für ordnungswidrig gehaltene Sachbehandlung selbst. Zugleich sollte der Antragsteller allerdings auch dazu angehalten werden, in Fällen dieser Art nicht wieder unmittelbar an den Bundesminister heranzutreten. Das wird zwar in dem Erlaß nicht ausdrücklich gesagt, folgt jedoch ohne weiteres aus seinem Zweck, aus dem sich sogar ergibt, daß es dem Ministerium in erster Linie auf das zukünftige Verhalten des Antragstellers ankam. Der Erlaß ist also dahin zu verstehen, daß die Behandlung des Falles O. beanstandet und der Antragsteller außerdem ermahnt wird, sich in Zukunft anders zu verhalten.
Der Erlaß vom 30. November 1964 hat dieselben Dienstaufsichtsmaßnahmen zum Inhalt. Dort wird ausdrücklich betont, daß an dem früher eingenommenen Standpunkt festgehalten werde. Beanstandung und Ermahnung werden damit uneingeschränkt aufrechterhalten. Die in diesem Erlaß in anderem Zusammenhang vertretene irrtümliche Auffassung, daß der Antragsteller nur ermahnt worden sei, sich künftig anders zu verhalten, kann hieran nichts ändern.
3. Eine. Maßnahme der Dienstaufsicht ist schließlich auch das Schreiben des Arbeitsministeriums vom 26. August 1964 an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Das Berufungsgericht hat dies verneint, weil das Schreiben nur die Mitteilung von einer Dienstaufsichtsmaßnahme enthalte, mit der Bitte, künftig anders zu verfahren, nicht unmittelbar in die Rechte des Gerichts eingegriffen habe und im übrigen an eine andere Behörde gerichtet sei, ohne zur Weiterleitung an den Antragsteller bestimmt gewesen zu sein.
Das Schreiben kann Messen nicht als bloße Meinungsäußerung im dienstlichen Verkehr zwischen zwei mit demselben Aufgabengebiet befaßten Behörden gewertet werden; denn das Arbeitsministerium ist nicht nur in seiner Eigenschaft als die für die Kriegsopferversorgung zuständige oberste Landesbehörde tätig geworden. Wie der Wortlaut des Schreibens, insbesondere die dort erwähnte „Weisung” an den Senat des Landessozialgerichts, zeigt, verfolgte der Ministerialdirektor jedenfalls auch den Zweck, die Beachtung des im Erlaß vom 25. August 1964 vertretenen Standpunktes für den Fall sicherzustellen, daß der Antragsteller seine Ankündigung, in Zukunft in derselben Weise verfahren zu wollen, wahrmachen werde. Das Schreiben diente somit der Durchsetzung einer Dienstaufsichtsmaßnahme und richtete sich damit mittelbar gegen den Antragsteller.
Wie das Dienstgericht in der Entscheidung BGHZ 46, 66, 70 ausgesprochen hat, gewährt § 26 Abs. 3 DRiG den Richtern einen allgemeinen Rechtsschutz gegen Einflußnahmen der Dienstaufsichtsbehörden. Das macht es erforderlich, den Begriff „Maßnahmen der Dienstaufsicht” weit auszulegen und darunter nicht nur unmittelbare Eingriffe zu verstehen, sondern auch solche Einflußnahmen einer für die Dienstaufsicht in Betracht kommenden Stelle, die sich auf die Tätigkeit des Richters nur mittelbar auswirken (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG § 26 Anm. 28). Dabei kann es nicht darauf ankommen, daß das Schreiben nicht zur Bekanntgabe an den Antragsteller bestimmt war. Bescheidet z.B. der Dienstvorgesetzte die Aufsichtsbeschwerde eines Rechtssuchenden dahin, daß er die von diesem geäußerten Bedenken gegen das Verfahren des Richters teile, aber durch dessen Unabhängigkeit an Dienstaufsichtsmaßnahmen gehindert sei, und teilt er den Bescheid dem Richter zur Kenntnisnahme mit, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß dieser mit der Behauptung, hierdurch werde seine Unabhängigkeit beeinträchtigt, die dienstgerichtliche Nachprüfung herbeiführen kann (vgl. Schäfer in Loewe-Rosenberg Anm. 6 a aa zu § 1 GVG). Nichts anderes kann gelten, wenn der Richter von einem solchen Bescheid nicht unmittelbar durch den Dienstvorgesetzten, sondern auf sonstige Weise, etwa durch den Rechtssuchenden oder durch Zufall, Kenntnis erhält. Die Wirkung auf ihn ist dieselbe, das Rechtsschutzbedürfnis also nicht geringer. Mit den Schreiben vom 26. August 1964 verhält es sich ähnlich.
Das Dienstgericht sieht daher auch in diesem Schreiben eine das zukünftige Verhalten des Antragstellers berührende Maßnahme der Dienstaufsicht und bejaht deshalb insoweit ebenfalls die Voraussetzungen für das dienstgerichtliche Prüfungsverfahren.
II. Der Antrag ist auch sachlich begründet.
1. Dem angefochtenen Urteil ist darin beizutreten, daß der Ministerialdirektor für Dienstaufsichtsmaßnahmen gegen den Antragsteller und damit auch für den Erlaß vom 30. November 1964 zuständig war. Dieb indessen, wie das Berufungsgericht es getan hat, daraus zu folgern, daß die Dienstaufsicht dem Arbeitsministerium und nicht ausdrücklich dem Arbeitsminister selbst übertragen ist, geht nicht an. Das Dienstgericht vermag in den angeführten Verordnungen (§ 1 Nr. 2 der Verordnung vom 21. Dezember 1953 zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes in Verbindung mit § 2 Nr. 1 der Verordnung des Arbeitsministeriums betreffend die Geschäfte der Verwaltung und Dienstaufsicht bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vom 30. Juni 1954 – GBl. f. Bad. Württ. 1953, 236 und 1954, 110 –) eine besondere Zuständigkeitsregelung nicht zu erkennen. In beiden Fällen ist es selbstverständlich, daß die (beschränkte) Dienstaufsicht über Richter nicht von einem Beamten des Ministeriums kraft seiner Dienststellung, sondern nur vom Minister selbst oder in seinem Namen ausgeübt werden kann. Das folgt auch aus § 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung des Arbeitsministeriums vom 30. Juni 1954. Danach ist, wer die Dienstaufsicht ausübt, Dienstvorgesetzter. Eine Behörde als solche kann nicht „Dienstvorgesetzter” sein. Der Ministerialdirektor als erster Beamter des Ministeriums ist jedoch ohne weiteres als befugt anzusehen, den Minister bei der Ausübung der Dienstaufsicht zu vertreten. Daß er als Vertreter handelte, hat er in dem Erlaß vom 25. August 1964 selbst hervorgehoben. Auch das Schreiben vom 26. August 1964 hat er „in Vertretung” gezeichnet. Bei seiner Unterschrift unter dem Erlaß vom 30. November 1964 fehlt zwar dieser Zusatz. Nach dem Inhalt des Erlasses ist der Ministerialdirektor hier aber in derselben Eigenschaft tätig geworden wie auch sonst, nämlich als Vertreter des Ministers. Der Ansicht des Antragstellers, der Ministerialdirektor sei für diesen Erlaß nicht zuständig gewesen, kann somit nicht gefolgt werden.
Anders verhält es sich hingegen mit dem an das Landesversorgungsamt gerichteten, von einem Ministerialrat unterzeichneten Erlaß vom 22. Juli 1964. Dem Ministerialrat fehlte die Befugnis zu Dienstaufsichtsmaßnahmen. Dabei kann unerörtert bleiben, ob der Minister ihm diese Befugnis allgemein oder für einen einzelnen Fall hätte übertragen können; denn eine Übertragung ist offensichtlich nicht erfolgt. Gemäß § 67 Abs. 4 DRiG muß daher die Unzulässigkeit des Erlasses vom 22. Juli 1964, soweit er Gegenstand des Prüfungsverfahrens ist, schon deshalb festgestellt werden, weil der Ministerialrat nicht im Wege der Dienstaufsicht tätig werden konnte.
2. Alle hier in Frage stehenden Maßnahmen der Dienstaufsicht betreffen zweifelsfrei eine richterliche Tätigkeit. Gleichwohl ist das Berufungsgericht – stillschweigend – davon ausgegangen, daß die im Erlaß vom 25. August 1964 ausgesprochene und im Erlaß vom 30. November 1964 aufrecht erhaltene „Beanstandung” nach § 26 Abs. 2 DRiG zulässig sei, sofern sie nicht die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtige. Indessen gestattet diese Vorschrift im Bereich der richterlichen Tätigkeit nicht mehr als den Vorhalt und die Ermahnung. Damit ist, wie der Antragsteller zutreffend geltend macht, die obere Grenze der zulässigen Dienstaufsichtsmaßnahmen gesetzt. Geringere Mittel sind erlaubt, nicht jedoch strengere, wie die Rüge oder Mißbilligung (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG § 26 Anm. 24; Gerner-Decker-Kauffmann, DRiG § 26 Anm. 6). Auch Weisungen dürfen nicht erteilt werden (vgl. Bericht des Rechtsausschusses vom 9. Juni 1961 S. 13 zu § 22 Abs. 2 des Regierungsentwurfs eines Deutschen Richtergesetzes). Eine „Beanstandung” hält sich nicht mehr im Rahmen der danach erlaubten Maßnahmen. Sie bedeutet eine „Bemängelung” und nähert sich damit einer Rüge oder Mißbilligung zumindest bereits an. Nichts anderes gilt, wenn sie in Anlehnung an das Schreiben vom 26. August 1964 als „Weisung” aufgefaßt wird.
Soweit die beiden Erlasse vom 25. August und 30. November 1964 sich gegen das Verhalten des Antragstellers im Folie O. wenden, sind sie mithin unzulässig, weil § 26 Abs. 2 DRiG eine „Beanstandung” nicht als Mittel der Dienstaufsicht zuläßt.
3. Die beiden Erlasse sind aber auch unzulässig, soweit der Antragsteller ermahnt wird, sich künftig anders zu verhalten. Das Berufungsgericht hat sie für rechtmäßig erachtet, weil es nicht Aufgabe des Gerichts sei, die nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG erforderliche Zustimmung des Bundesministers einzuholen. Die Zustimmung sei für einen Vergleich rechtlich unerheblich, weil das beklagte Land an sie nicht gebunden sei. Mit ihrer Einholung könne der Antragsteller nur bezweckt haben, die Autorität des Bundesministers gegen die Landesbehörden auszuspielen, diese also unter moralischen Druck zu setzen, um sie zu einer Änderung ihres Standpunkts zu veranlassen. Unter diesen Umständen könne die Anfrage des Antragstellers beim Bundesminister nicht zum Kernbereich der Rechtsprechung und damit nicht zu denjenigen richterlichen Tätigkeiten gerechnet werden, die nach der Entscheidung BGHZ 42, 163 der Dienstaufsicht entzogen seien.
Das Dienstgericht vermag dieser Ansicht nicht zu folgen. Eine Ermahnung gehört zwar zu den vorgesehenen Maßnahmen der Dienstaufsicht. Sie durfte hier jedoch nicht ausgesprochen werden, weil sie den Antragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt.
Das Berufungsgericht hat offensichtlich angenommen, daß nur die zum Kernbereich der Rechtsprechung gehörenden richterlichen Tätigkeiten der Dienstaufsicht entzogen seien. Schon diese Auffassung findet in dem erwähnten Urteil keine Stütze. Das Dienstgericht hat dort zum Ausdruck gebracht, daß eine richterliche Tätigkeit nur dann der Dienstaufsicht zugänglich sei, wenn sie den äußeren Ordnungsbereich zugehöre. Diesen Bereich hat es nicht dahin abgegrenzt, daß er alles umfasse, was nicht zum Kern der richterlichen Tätigkeit gehöre, also nicht den eigentlichen Rechtsspruch betreffe, sondern hervorgehoben, daß in die Garantie der Unabhängigkeit auch zahlreiche richterliche Betätigungen einbezogen seien, die der Rechtsfindung nur mittelbar dienten. Hierzu ist in der Entscheidung weiter darauf hingewiesen worden, daß sich eine allgemeine Abgrenzungsformel nicht aufstellen lasse, daß aber die Möglichkeit, einen Auslegungsstreit dem Bereich der äußeren Ordnung richterlicher Tätigkeit zuzuweisen, um so eher bestehe, je weiter dieser Streit dem Kernbereich der eigentlichen Rechtsprechung entrückt sei vgl. insbesondere a.a.O. S. 172). Neben diesem Kernbereich gibt es also noch ein weites Gebiet richterlicher Tätigkeit, das der Dienstaufsicht ebenfalls entzogen ist.
In dem Urteil des Dienstgerichts ist ferner ausgesprochen, daß zunächst zu prüfen sei, ob die angefochtene Maßnahme der Dienstaufsicht dem Bereich der äußeren Ordnung der richterlichen Tätigkeit zuzuordnen sei und damit überhaupt erst eine Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 26 Abs. 2 DRiG erfüllt sei; nur wenn das bejaht werde, habe das Dienstgericht auch den Streit über die Auslegung des Gesetzes zu entscheiden (vgl. a.a.O. S. 171). Das Berufungsgericht ist jedoch gerade umgekehrt verfahren: Es hat zunächst geprüft, ob es Aufgabe des Richters ist, die nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG erforderliche Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung einzuholen, Weil dies nach seiner Ansicht zu verneinen ist, meint es, daß eine solche Maßnahme zu dem Bereich richterlicher Tätigkeit gehöre, welcher der Dienstaufsicht unterliege.
Bei dieser Betrachtungsweise bliebe die richterliche Unabhängigkeit in einem weiten Bereich ungesichert. Die gütliche Beilegung von Rechtsstreiten spielt erfahrungsgemäß in der gerichtlichen Praxis eine erhebliche Rolle. Sie gehört neben der Entscheidung durch Urteil zu den bedeutungsvollsten Aufgaben des Richters und ist daher ebenso wie der Rechtsspruch dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit zuzuordnen. Damit sind einer Dienstaufsicht aber ebenso wie im Falle einer Streitentscheidung (vgl. insoweit Schmidt-Räntsch, DRiG § 25 Anm. 8, § 26 Anm. 20) grundsätzlich auch alle die gütliche Beilegung vorbereitenden prozeßleitenden Anordnungen entzogen. Das Gericht hat in richterlicher Unabhängigkeit zu prüfen und zu entscheiden, ob ein Vergleich überhaupt anzustreben ist, welche Vorbereitungen für eine Einigung der Parteien getroffen werden sollen und in welcher Weise dies geschehen soll. Die Entschließung des Antragstellers, im Wege der Prozeßleitung die Akten dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit der Anfrage vorzulegen, ob die Zustimmung zur Gewährung von Versorgung erteilt werde, ist damit eine Entscheidung, die mit der richterlichen Aufgabe jedenfalls in so engem Zusammenhang steht, daß sie nicht dem Bereich der äußeren Ordnung zugerechnet werden kann.
Allerdings kann ein Richter auch bei der Ausübung einer Tätigkeit, die an sich der Dienstaufsicht entgegen ist, gegen die äußere Ordnung verstoßen. Unter welchen Umständen das hier der Fall sein könnte, braucht indessen nicht erörtert zu werden; denn das Ministerium hat die Maßnahme auf keine Tatsachen gestützt, aus denen sich ein solcher Verstoß ergeben könnte, sondern es hat sich nur darauf berufen, daß der Antragsteller nicht berechtigt sei, sich unmittelbar an den Bundesminister zu wenden.
Raum für Maßnahmen der Dienstaufsicht wäre somit höchstens dann, wenn die Meinung des Antragstellers offensichtlich fehlginge (vgl. Schmidt-Räntsch DRiG § 26 Anm. 23; Gerner-Decker-Kauffmann, DRiG § 26 Anm, 5; Schäfer a.a.O. Anm. 6 a cc; Eb. Schmidt, StPO Teil I Nr. 531; vgl. auch BGHZ 46, 147, 150). Das läßt sich jedoch nicht feststellen. Die Auffassung, daß das Landessozialgericht befugt sei, unmittelbar an den Bundesminister heranzutreten, wenn es die Gewährung von Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG für angemessen hält und die Landesbehörden einen Vergleich ablehnen, ist nicht unvertretbar. Sie widerspricht insbesondere nicht offensichtlich den Zweck der Vorschrift, die dadurch, daß sie die Landesbehörden an die Zustimmung des Bundesministers bindet, jedenfalls auch eine möglichst einheitliche Behandlung von Gesundheitsstörungen erreichen will, deren Ursache – wie bei der multiplen Sklerose – noch nicht geklärt ist.
Bei Beachtung der in der Entscheidung BGHZ 42, 163 aufgestellten Grundsatze, an denen das Dienstgericht festhält, führt die Prüfung mithin zu dem Ergebnis, daß es auch nicht zulässig war, den Antragsteller im Wege der Dienstaufsicht zu ermahnen, sich künftig anders zu verhalten. Deshalb ist insoweit ebenfalls die Unzulässigkeit der beiden Erlasse festzustellen.
4. Dieselbe Entscheidung ist für das Schreiben des Arbeitsministeriums vom 26. August 1964 an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zu treffen. Dieses Schreiben beeinträchtigt ebenfalls den Antragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit; denn es soll, soweit die Zustimmung des Bundesministers einzuholen ist, sicherstellen, daß dies auf einem bestimmten Weg, den sog. Dienstweg, geschieht. Ein solcher Weg kann dem Antragsteller bei seiner Tätigkeit als unabhängiger Richter nicht vorgeschrieben werden. Da er als solcher nur den Gesetz unterworfen ist, dieses aber schweigt, kann das Ministerium als Verwaltungsbehörde nicht von sich aus bestimmen, wie er im Falle des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG zu verfahren hat. Im übrigen setzt der Begriff „Dienstweg” verschiedene einander übergeordnete Beamte oder Behörden voraus. Er bedeutet, daß im dienstlichen Verkehr mit einer höheren Stelle die nächstübergeordnete nicht übergangen werden darf. Der Richter steht aber, soweit seine Tätigkeit durch die richterliche Unabhängigkeit gedeckt ist, nicht in einem Unterordnungsverhältnis zu anderen Stellen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 1 DRiG, § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Baldus, Haueisen, Dr. Langkeit, Meyer, Mormann
Fundstellen
Haufe-Index 1502504 |
BGHZ |
BGHZ, 275 |
NJW 1967, 2054 |
DRiZ 1967, 236 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1967, 668 |
DVBl. 1967, 794 |