Leitsatz (amtlich)
›Beschränkt sich der Berufungskläger in der Berufungsbegründung darauf, den Gesetzeswortlaut einer vom Erstgericht angeblich außer acht gelassenen Vorschrift zu zitieren, liegt eine zulässige Berufung nicht vor. Es muß zumindest im Ansatz der Versuch unternommen werden darzutun, daß das Erstgericht im konkreten Fall Anlaß hatte, die Vorschrift zu prüfen.‹
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe |
LG Offenburg |
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages auf Schadensersatz in Anspruch.
Im November 1983 beauftragte der Kläger den Beklagten, Ansprüche wegen mangelhafter Werkleistungen gegen einen Dritten geltend zu machen. Im Juni 1986 leitete der Beklagte deswegen ein Mahnverfahren ein. Nach Überführung in das streitige Verfahren wurde die Klage überwiegend wegen Verjährung abgewiesen. Auf Empfehlung des Beklagten legte der Kläger Berufung ein. Im Laufe des Berufungsverfahrens wurde das Mandatsverhältnis beendet. Dem Beklagten wurde der Streit verkündet; er trat dem Rechtsstreit nicht bei. Die Berufung des Klägers hatte keinen nennenswerten Erfolg.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Ersatz des Schadens, der ihm durch die Verjährung des Anspruchs und durch die Aufwendung unnützer Prozeßkosten entstanden ist. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht verworfen, weil die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht entspreche. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 547 ZPO unbeschränkt statthafte Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen, weil deren Begründung nicht die Gründe aufzeige, die der rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung des Landgerichts entgegengesetzt würden.
II. Das hält den Angriffen der Revision stand.
1. Das Landgericht hat eine Pflichtverletzung des Beklagten darin gesehen, daß er - obwohl er ausreichend Zeit zu verjährungsunterbrechenden Maßnahmen gehabt habe - das Mahnverfahren erst zu einem Zeitpunkt eingeleitet habe, als die Ansprüche bereits verjährt gewesen seien. Schon deswegen, im übrigen auch wegen der Interventionswirkung gemäß § 74 in Verbindung mit § 68 ZPO sei dem Beklagten der Einwand abgeschnitten, der nach ihm eingeschaltete Prozeßbevollmächtigte habe das Verfahren schlecht geführt. Dagegen hat der Beklagte mit seiner Berufungsbegründung folgendes vorgebracht: Die Berufung sei begründet, weil die Rechtsausführungen des Landgerichts unzutreffend seien. Dieses sei eine nachvollziehbare Begründung schuldig geblieben. Es habe auch die ausführlichen Darlegungen des Beklagten in der Klageerwiderung nicht zur Kenntnis genommen. Dort sei ausgeführt worden, daß der Kläger Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die dem Beklagten unbekannt gewesen seien, absichtlich oder durch grobes Verschulden nicht geltend gemacht habe. Der Einwand mangelhafter Prozeßführung sei deshalb beachtlich. Sollten gegen die Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag Bedenken bestehen, werde um einen richterlichen Hinweis gebeten.
2. Damit läßt die Berufungsbegründung nicht erkennen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sei. Das ist aber von einer Berufungsbegründung zu verlangen (BGH, Urt. v. 1. Dezember 1987 - VI ZR 5/87, NJW-RR 1988, 507, 508; Beschl. v. 10. Juli 1990 - XI ZB 5/90, NJW 1990, 2628; v. 17. September 1992 - IX ZB 45/92, NJW 1992, 3243, 3244).
Der Berufungsführer muß konkret auf den Streitfall eingehen. Es reicht nicht aus, die tatsächliche und rechtliche Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen (BGH, Urt. v. 20. Februar 1975 - VI ZR 183/74, NJW 1975, 1032; Beschl. v. 22. November 1977 - IV ZB 29/77, VersR 1978, 182; Urt. v. 1. Dezember 1987 - VI ZR 5/87, aaO.). Die Bezugnahme auf das - vom Erstgericht angeblich nicht oder unrichtig gewürdigte - Vorbringen in der Klageerwiderung war unzulässig (BGHZ 7, 170, 172; BGH, Beschl. v. 18. Februar 1981 - IVb ZB 505/81, NJW 1981, 1620; Urt. v. 24. Oktober 1988 - II ZR 6/88, BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 - Bezugnahme 2; v. 29. September 1993 - XII ZR 209/92, NJW 1993, 3333, 3334). Die Berufungsbegründung soll aus sich heraus verständlich sein, damit eine Zusammenfassung und Beschleunigung des Rechtsstreits erreicht werden kann. Was ohne die unwirksame Bezugnahme als Begründung verbleibt, wird den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht gerecht. Zwar ist die Schlüssigkeit der Begründung nicht Voraussetzung der Zulässigkeit (BGH, Urt. v. 20. Februar 1975 - VI ZR 183/74, aaO.; v. 8. Oktober 1976 - V ZR 224/74, VersR 1977, 152; v. 14. März 1979 - VIII ZR 46/78, WM 1979, 619). Es gibt jedoch Grenzen. Wenn diese überschritten sind, kann nicht mehr von einer Begründung im Sinne einer Urteilskritik gesprochen werden. Eine kurze, auf den konkreten Fall bezogene Darlegung ist auch in einfachen Streitfällen unerläßlich (BGH, Beschl. v. 4. März 1980 - IV ZB 28/79, VersR 1980, 580; v. 30. Oktober 1984 - IX ZB 103/84, VersR 1985, 67). So wenig die bloße Bezeichnung der angeblich verletzten Norm ausreicht (BAG AP § 519 ZPO Nr. 3 mit zustimmender Anm. Pohle; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 21. Aufl. § 519 Rdnr. 36; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, § 519 Rdnr. 43), so wenig genügt für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung die formelhafte Rüge, es sei eine bestimmte Vorschrift zu Unrecht nicht angewendet worden. Macht der Berufungsführer dem Erstgericht zum Vorwurf, es habe die Voraussetzungen einer Ausnahmevorschrift verkannt, darf er sich nicht damit begnügen, lediglich den Gesetzeswortlaut zu zitieren; es muß zumindest im Ansatz der Versuch unternommen werden darzutun, daß im konkreten Fall Anlaß bestanden hat, diese Vorschrift zu prüfen. Entsprechende Bemühungen läßt die Berufungsbegründung des Beklagten nicht erkennen. Das Berufungsgericht mußte deshalb davon ausgehen, der Hinweis auf § 68 Halbsatz 2 ZPO sei "aus der Luft gegriffen" bzw. "ins Blaue hinein" erfolgt.
3. Zu Unrecht macht die Revision geltend, das Berufungsgericht hätte einem Antrag des Beklagten auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung entsprechen müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Gericht zur Wiedereröffnung einer bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung nur verpflichtet, wenn sich nach deren Schluß aus neuem Vorbringen ergibt, daß in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts oder zur Erteilung von Hinweisen bestand (vgl. BGHZ 53, 245, 262; BGH, Urt. v. 21. Februar 1986 - V ZR 246/84, NJW 1986, 1867, 1868 unter II 2; v. 7. Oktober 1992 - VIII ZR 199/91, WM 1993, 177, 178). Daß der Beklagte in der Berufungsbegründung zum Ausdruck gebracht hatte, seines Erachtens entspreche die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, und andernfalls um einen richterlichen Hinweis gebeten hatte, der ihm dann erst in der mündlichen Verhandlung erteilt worden war, ist unerheblich. Entspricht die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des Gesetzes, ist dieser Mangel bei einer selbständigen Berufung nach Ablauf der Begründungsfrist nicht mehr behebbar. Eine dahingehende Möglichkeit scheidet regelmäßig aus, wenn die Berufungsbegründungsschrift - wie im vorliegenden Fall - am letzten Tage der Berufungsbegründungsfrist eingereicht wird. Selbst wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung wiedereröffnet hätte, hätte der Beklagte also eine den gesetzlichen Erfordernissen entsprechende Berufungsbegründung nicht nachholen können.
4. Das Berufungsgericht mußte die mündliche Verhandlung auch nicht deshalb wiedereröffnen, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, eine Aufrechnung zu erklären. Abgesehen davon, daß die bisherige Verhandlung nicht lückenhaft war, hätte das Berufungsgericht die Aufrechnung nur berücksichtigen dürfen, wenn eine zulässige Berufung vorgelegen hätte. Das war jedoch gerade nicht der Fall.
Fundstellen
Haufe-Index 2993331 |
BB 1995, 1056 |
NJW 1995, 1559 |
BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 Inhalt, notwendiger 12 |
DRsp IV(416)328Nr. 6b |
MDR 1995, 1063 |