Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragshändlervertrag aufgrund sog. Kettenverträge. § 89 Abs. 1 HGB analog
Leitsatz (amtlich)
Zur entsprechenden Anwendung des § 89 Abs. 1 HGB auf einen durch sogenannte Kettenverträge zustandegekommenen Vertragshändlervertrag.
Normenkette
HGB § 89
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 22.03.2001) |
LG Köln |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. März 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die einen Großhandel für Heimtierbedarf und Pflanzenschutz betreibt, bezog seit 1994 zunächst von der Firma R. C. Tiernahrung GmbH & Co. KG (im folgenden: RC), später von der Beklagten, die 1997 als selbständige Vertriebsorganisation der RC ausgelagert worden war, Produkte der RC. Hierüber schlossen im Jahre 1994 die Klägerin und die RC, in den Jahren 1998 und 1999 die Klägerin und die Beklagte sogenannte „Jahresvereinbarungen”, in denen der Klägerin ausgehend von einem Grundpreis verschiedene Rabatte und – bei Erbringung zusätzlicher Leistungen – ein sogenannter Kooperationsbonus eingeräumt wurde.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 1999, das auch von der Komplementärin der Beklagten unterzeichnet worden ist, teilte die RC der Klägerin mit, daß die Geschäftsverbindung nicht über den 31. März 2000 hinaus fortgesetzt werden solle und vorsorglich das etwa mit der Klägerin bestehende Vertragsverhältnis zum 31. März 2000, hilfsweise zum nächstmöglichen späteren Termin, gekündigt werde.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin das Vorliegen eines zwischen den Parteien bestehenden Vertragshändlervertrages geltend gemacht und zunächst die Feststellung begehrt, daß das Vertragsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten zum 31. März 2000 oder später beendet sei, sondern unverändert fortbestehe. Das Landgericht hat der Klage im ersteren Teil stattgegeben, sie im übrigen aber abgewiesen. Hiergegen hat die Beklagte Berufung mit dem Ziel eingelegt, die Klage insgesamt abzuweisen. Die Klägerin hat sich nachfolgend mit einer Beendigung des Vertragsverhältnisses zum 31. Dezember 2000 einverstanden erklärt und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, hilfsweise die Zurückweisung der Berufung beantragt; die Beklagte hat einer Erledigung des Rechtsstreits widersprochen. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre im zweiten Rechtszug gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Rechtsstreit sei nicht für erledigt zu erklären gewesen, weil die Klage auch vor der von der Klägerin angenommenen Erledigung keinen Erfolg hätte haben können. Zwischen den Parteien habe kein auf Dauer angelegter Vertragshändlervertrag bestanden, der nur mit einer drei Monate überschreitenden Kündigungsfrist hätte gekündigt werden können, da eine Eingliederung der Klägerin in die Vertriebsorganisation der Beklagten nicht festzustellen sei. Eine Verpflichtung zur Förderung des Absatzes von RC-Produkten durch die Klägerin habe sich aus den abgeschlossenen Jahresvereinbarungen nicht ergeben.
Zwar möge durch die – wenn auch inhaltlich unterschiedlich gestalteten – jährlich wiederkehrenden Verträge und Jahresgespräche ein Vertrauenstatbestand in bezug auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses entstanden sein, der die Vertragspartner zu einer rechtzeitigen Ankündigung verpflichte, wenn keine Bereitschaft zur Fortsetzung der Geschäftsbeziehung mehr bestehe. Durch das Kündigungsschreiben vom 22. Dezember 1999, das durch die insoweit eindeutigen Unterschriften sowohl die Beklagte als auch die RC als Erklärende ausweise, habe die Beklagte jedenfalls einer solchen Verpflichtung genügt; dabei sei die gewählte Kündigungsfrist von drei Monaten auch ausreichend bemessen gewesen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
1. Mit Erfolg beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe bei seiner Annahme, zwischen den Parteien habe kein auf Dauer angelegter Vertragshändlervertrag bestanden, erheblichen Prozeßstoff nicht berücksichtigt (§ 286 ZPO).
a) Als Vertragshändlervertrag wird ein auf gewisse Dauer gerichteter Rahmenvertrag eigener Art bezeichnet, durch den sich der Vertragshändler verpflichtet, Waren des Herstellers oder Lieferanten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben, und durch den der Vertragshändler in die Verkaufsorganisation des Herstellers bzw. Lieferanten eingegliedert wird (vgl. BGHZ 54, 338, 340 f; siehe auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, Vor § 84 Rdnr. 13 m.w.Nachw.). Auf dieses Vertragsverhältnis ist Handelsvertreterrecht entsprechend anwendbar, wenn der Vertragshändler durch den Rahmenvertrag handelsvertretertypische Rechte und Pflichten übernommen hat und in erheblichem Umfang Aufgaben erfüllt, wie sie auch vom Handelsvertreter wahrgenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 1988 – I ZR 244/86, NJW-RR 1988, 1305 unter D 2).
b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den zwischen der Klägerin und der RC bzw. der Beklagten abgeschlossenen „Jahresvereinbarungen” keine auf ein bestehendes Vertragshändlerverhältnis hinweisenden Anhaltspunkte entnehmen können. Aus den vorgelegten „Jahresvereinbarungen” für die Jahre 1994, 1998 und 1999 ergaben sich weder eine Abnahmepflicht der Klägerin noch Kontroll- oder Überwachungsbefugnisse der RC bzw. der Beklagten, die für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über den Handelsvertretervertrag sprechen könnten (BGH, Urteil vom 8. Juni 1988 aaO); insbesondere bestand keine vertragliche Verpflichtung der Klägerin, sich für den Absatz der Waren der Marke RC einzusetzen (vgl. Karsten Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl., § 28 II 2 c; Manderla in Martinek-Semler, Handbuch des Vertriebsrechts, 1996, § 14 Rdnr. 13). Soweit in der Jahresvereinbarung 1999 für den Erhalt des sogenannten Kooperationsbonus eigene Verkaufsaktivitäten und sonstige Maßnahmen der Klägerin genannt werden, waren diese lediglich Voraussetzungen für den genannten Bonus, den die Klägerin in Anspruch nehmen konnte, aber nicht mußte; in gleicher Weise gilt dies für den – an andere Voraussetzungen geknüpften – Kooperationsbonus in den „Jahresvereinbarungen 1994”.
c) Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß das Berufungsgericht entscheidungserhebliches, unter Zeugenbeweis gestelltes Vorbringen der Klägerin unberücksichtigt gelassen hat. Die Klägerin hat vorgetragen, grundsätzlich seien Werbemaßnahmen für die neuen Produkte und Aktionsprodukte der RC von dieser durchgeführt worden, die Einzelhändler seien daraufhin mit der Firma RC in Kontakt getreten und hätten Aufträge erteilt; Kopien dieser Aufträge und Lieferanfragen seien sodann an die Klägerin weitergeleitet worden. Diese habe die Prüfung der Bonität der anfragenden Einzelhändler übernommen und der RC mitgeteilt, ob Bedenken gegen den Abschluß von Geschäften bestünden. Die Beklagte habe sodann, sofern die Klägerin keine Bedenken gegen die Bonität des Einzelhändlers ausgesprochen habe, die Ware an die Einzelhändler ausgeliefert. Über die Warenlieferung sei der Klägerin von der Beklagten eine Rechnung erteilt worden, die mit den Einzelhändlern unmittelbar abgerechnet habe. Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens hat die Beklagte der Klägerin in erheblichem Umfang handelsvertretertypische Aufgaben auferlegt und sie in ihre Verkaufsorganisation eingegliedert.
Die Behauptungen der Klägerin sind zwar von der Beklagten bestritten worden, die ausgeführt hat, der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt treffe nur auf die wenigen Fälle zu, in denen die Firma RC Verkaufsförderungsaktionen selbst durchgeführt habe, in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle sei der Warenverkehr ausschließlich so abgewickelt worden, daß die Klägerin bei der Beklagten Waren bestellt und diese Waren selbst weiterveräußert habe. Da das Berufungsgericht hierzu Feststellungen nicht getroffen hat, ist jedoch revisionsrechtlich von dem Vorbringen der Klägerin auszugehen.
2. Sofern sich die Behauptungen der Klägerin bestätigen sollten, stellt sich die weitere Frage, ob die seit 1994 mit der RC bzw. der Beklagten geschlossenen Jahresvereinbarungen als Kettenverträge anzusehen sind. Bei einer Aneinanderreihung von Verträgen, die jeweils auf bestimmte Dauer abgeschlossen und dann, ohne erneut ausgehandelt worden zu sein, mit gleichlautendem oder im wesentlichen gleichen Inhalt jeweils für einen bestimmten weiteren Zeitraum verlängert werden, kann ein auf unbestimmte Zeit eingegangener Vertrag anzunehmen sein (BGH, Urteile vom 13. Dezember 1995 – VIII ZR 61/95 – WM 1996, 877 unter II 1 und vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 59/01, zur Veröffentlichung vorgesehen, unter II, 1 b bb; BGH, Urteil vom 11. Dezember 1958 – II ZR 169/57, VersR 1959, 129 unter 2; s.a. BGHZ 141, 248, 251). Das bei Feststellung dieser Voraussetzungen zwischen der Klägerin und der RC bzw. der Beklagten seit 1994 (siehe „Jahresvereinbarungen 1994” vom 24. Juni 1994) bestehende Vertragshändlerverhältnis durfte in entsprechender Anwendung des § 89 Abs. 1 Satz 2 HGB nach einer Vertragsdauer von mehr als fünf Jahren nur mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 1962 – VII ZR 202/60, NJW 1962, 1107 unter 1; BGH, Urteil vom 23. Februar 1966 – VIII ZR 30/64, DB 1966, 577; siehe auch Brüggemann in Staub, Großkommentar-HGB, 4. Aufl., Vor § 84 Rdnr. 22, Hopt, Handelsvertreterrecht, 2. Aufl., § 84 Rdnr. 11; Schwytz BB 1997, 2385 ff). Eine darüber hinausgehende Kündigungsfrist kommt entgegen der Ansicht der Revision nicht in Betracht. Soweit der Bundesgerichtshof bei einem Kfz-Vertragshändler die formularmäßig vereinbarte einjährige Kündigungsfrist auch der Sache nach als „unterste Grenze” bezeichnet hat (BGH, Urteil vom 21. Februar 1995 – KZR 33/93, GRUR 1995, 765 unter I 2 b), sind die dort angestellten Erwägungen auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Klägerin hat einmal nichts dafür vorgetragen, daß die Umstellung auf ein Ersatzprodukt für sie einen längeren Zeitraum als sechs Monate erforderte; zudem machte der Umsatz der Klägerin mit den Produkten der RC nach ihrem eigenen Vortrag weniger als 10 % ihres Gesamtumsatzes aus, so daß eine einseitige Ausrichtung der Klägerin auf die Produkte der RC, die eine gesteigerte Rücksichtnahme der Beklagten auf die Belange der Klägerin gebieten könnte, nicht gegeben ist.
III.
Da der Rechtsstreit danach weiterer Aufklärung bedarf, ist die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst
Fundstellen
Haufe-Index 875424 |
BB 2002, 2520 |
DB 2003, 825 |
BGHR 2003, 70 |
NJW-RR 2003, 98 |
EWiR 2003, 587 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 842 |
ZAP 2003, 15 |
MDR 2003, 162 |