Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 14.01.1993; Aktenzeichen 15 U 68/91) |
LG Marburg (Urteil vom 14.11.1990; Aktenzeichen 5 O 48/90) |
Tatbestand
Der damals 31 Jahre alte Kläger unterzog sich im Jahre 1987 wegen eines Harnblasenkarzinoms einer Operation, von der er wußte, daß sie zu seiner Zeugungsunfähigkeit führen werde. Um sich die Möglichkeit zu erhalten, einmal eigene Kinder zu haben, ließ er vor der Operation in der Universitätsklinik der Beklagten von ihm stammendes Sperma in einer Kryokonserve einlagern. Da die Lagerungskapazität der Beklagten begrenzt ist, fragte sie bei dem Kläger mit Schreiben vom 19. Januar 1989 an, ob er an einer weiteren Konservierung interessiert sei; sie kündigte in diesem Schreiben die Vernichtung der Spermakonserve an, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen eine gegenteilige Mitteilung des Klägers erhalte. Der Kläger antwortete daraufhin in einem eingeschriebenen Brief vom 26. Januar 1989, daß er die weitere Konservierung wünsche. Dieses Schreiben ging zwar bei der Beklagten ein, gelangte aber aus nicht mehr aufklärbaren Gründen nicht zu der bei der Beklagten über den Kläger geführten Akte. Die Spermakonserve wurde deshalb am 29. Mai 1989 vernichtet. Als sich der Kläger, der im März 1989 geheiratet hatte, mit seiner Ehefrau den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind erfüllen wollte, erfuhr er von der Beklagten, daß in der Zwischenzeit sein Sperma vernichtet worden war.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, das mindestens 25.000 DM betragen soll. Hierzu macht er geltend, seine Ehefrau hätte durch eine Insemination mit dem konservierten Sperma ohne weiteres ein Kind empfangen können. Sein Eigentum an dem Sperma werde von seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht überlagert, so daß ihm in Parallele zu der zum Ehrenschutz entwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Geldentschädigung zustehe. Außerdem könne er aus dem Gesichtspunkt der Körperverletzung ein Schmerzensgeld verlangen; die Vernichtung der Sperma-Kryokonserve habe bei ihm zu psychosomatischen Störungen geführt.
Die Beklagte, die nicht bestreitet, daß es durch eine Sorgfaltspflichtverletzung in ihrem Bereich zu der Vernichtung des Spermas gekommen ist, hat ihre Verpflichtung zur Erstattung der Kosten anerkannt, die dem Kläger durch die Konservierung entstanden sind. Sie hält sich jedoch nicht für verpflichtet, an den Kläger ein Schmerzensgeld zu zahlen. Hierzu macht sie geltend, daß selbst dann, wenn die Entscheidungsfreiheit über das "Ob" und "Wann" der Fortpflanzung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugeordnet werde, dem Kläger ein Anspruch auf eine Entschädigung in Geld nicht zustehe, weil sie nur fahrlässig, nicht aber zielgerichtet in dieses Recht eingegriffen habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes weiter.
Entscheidungsgründe
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger gegen die Beklagte weder ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 847 Abs. 1 BGB noch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Aus dem Gesichtspunkt der Körperverletzung scheitere ein Schmerzensgeldanspruch schon im Ansatz, weil die behaupteten psychosomatischen Störungen nicht auf einem Eingriff in die körperliche Befindlichkeit des Klägers beruhten. Eine Gesundheitsverletzung im Sinne von § 847 Abs. 1 BGB sei gleichfalls zu verneinen; seelische Beeinträchtigungen, wie sie der Kläger geltend mache, könnten nicht als Gesundheitsverletzung qualifiziert werden; der Kläger habe auch nicht schlüssig vorgetragen, daß die behaupteten psychosomatischen Störungen den Heilungsverlauf der Krebserkrankung ungünstig beeinflußt hätten. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers sei nicht verletzt. Allerdings habe die Vernichtung des Spermas die Freiheit des Klägers verletzt zu entscheiden, ob, wie und wann sein Sperma zur Befruchtung eingesetzt werde. Diese Freiheit werde jedoch vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das nur den Bestand der Rechtsposition schütze, nicht umfaßt; das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre einen Integritäts-, nicht aber einen Aktivitätsschutz. Der Kläger könne sich auch nicht auf ein "Recht auf Familienplanung" berufen; ein solches Recht könne nicht anerkannt werden. Im übrigen fehle es, da die Vernichtung der Spermakonserve nur auf einem fahrlässigen Verhalten der Bediensteten der Beklagten beruhe, an einem zielgerichteten Eingriff in die Rechtsposition des Klägers. Auch aus diesem Grund scheide die Zubilligung einer Geldentschädigung aus.
II. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Revision beanstandet nicht die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht wegen der behaupteten psychosomatischen Störungen und seelischen Beeinträchtigungen eine Körper- und Gesundheitsverletzung und damit einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers schon deshalb aus § 847 Abs. 1 BGB verneint. Insoweit sind auch Rechtsfehler nicht erkennbar.
2. Der Schmerzensgeldanspruch des Klägers ist aber wegen der schuldhaften Vernichtung seines Spermas begründet.
a) Nach nicht unbestrittener, aber weit überwiegender Auffassung wird ein Körperteil, der vom Körper abgetrennt wird, zu einer Sache mit der Folge, daß sich das Recht des Betroffenen an seinem Körper in Sacheigentum am abgetrennten Körperteil umwandelt (vgl. etwa BGB-RGRK/Kregel, 12. Aufl., § 90 Rdn. 2; MünchKomm/Holch, BGB, 3. Aufl., § 90 Rdn. 21; Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Aufl., § 90 Rdn. 3; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 90 Rdn. 15; Taupitz, JZ 1992, 1089, 1092; aA. Bernat, Rechtsfragen medizinisch assistierter Zeugung, 1989, S. 115; Forkel, JZ 1974, 593). Teilweise wird die Auffassung vertreten, daß dies auch für das konservierte Sperma zu gelten habe (vgl. MünchKomm/Holch und Palandt/Heinrichs, jeweils aaO.). Dieser Meinung ist auch das Berufungsgericht. Danach würde sich die Vernichtung des Spermas des Klägers nicht als Körperverletzung darstellen, an die § 847 BGB Schmerzensgeldansprüche knüpft.
Diese Betrachtung erscheint dem Senat indes zu eng. Der Senat hat den Begriff der Körperverletzung im Sinne von §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB weit ausgelegt. Er versteht das Recht am eigenen Körper als gesetzlich ausgeformten Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und erblickt eine Verletzung des Körpers, die § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich neben der Verletzung der Gesundheit erwähnt, in jedem unbefugten, weil von der Einwilligung des Rechtsträgers nicht gedeckten Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit (vgl. Senatsurteil vom 18. März 1980 - VI ZR 247/78 - NJW 1980, 1452, 1453, insoweit in BGHZ 76, 259 nicht abgedruckt). Schutzgut des § 823 Abs. 1 BGB ist nicht die Materie, sondern das Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert ist (BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdn. 9). Die Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB schützt den Körper als Basis der Persönlichkeit.
Angesichts der heutigen medizinischen Möglichkeiten gewinnt das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgendes Selbstbestimmungsrecht des Rechtsträgers für das Schutzgut Körper eine zusätzliche Bedeutung. Der medizinische Fortschritt läßt es zu, dem Körper Bestandteile zu entnehmen und sie ihm später wieder einzugliedern. Das gilt beispielsweise für zur Eigentransplantation bestimmte Haut- oder Knochenbestandteile, für die zur Befruchtung entnommene Eizelle und für die Eigenblutspende. Werden dem Körper Bestandteile entnommen, um mit ihm nach dem Willen des Rechtsträgers zur Bewahrung der Körperfunktionen oder zu ihrer Verwirklichung später wieder vereinigt zu werden, dann führt eine Betrachtung, nach der § 823 Abs. 1 BGB die körperliche Integrität in Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Rechtsträgers umfassend schützt, zu dem Ergebnis, daß diese Bestandteile auch während ihrer Trennung vom Körper aus der Sicht des Schutzzweckes der Norm mit diesem weiterhin eine funktionale Einheit bilden. Damit erscheint es geboten, eine Beschädigung oder Vernichtung solcher ausgegliederten Körperbestandteile als Körperverletzung im Sinne von §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB zu werten.
Anders liegen die Dinge, wenn die ausgegliederten Körperbestandteile nicht nach dem Willen des Rechtsträgers dazu bestimmt sind, seinem Körper wieder eingegliedert zu werden. Für solche Fälle der endgültigen Trennung bleibt es dabei, daß die abgetrennten Körperbestandteile mit der Abtrennung ihre Zuordnung zum Schutzgut Körper verlieren und zu Sachen im Rechtssinn werden; dies deshalb, weil hier der Gedanke, nach dem das Selbstbestimmungsrecht des Rechtsträgers den Körper und seine ausgegliederten Bestandteile weiterhin als eine funktionale Einheit erscheinen läßt, nicht zum Tragen gelangt. Das gilt insbesondere für gespendete Organe, die nach dem Willen des Spenders dazu bestimmt sind, einer anderen Person implantiert zu werden, oder für fremdbestimmte Blutspenden. In solchen Fällen können zwar auch Entschädigungsansprüche entstehen, wenn die Spende gegen den ausdrücklichen oder stillschweigend erklärten Willen des Spenders verwendet oder vernichtet wird, weil auch das Sacheigentum hier von dem Persönlichkeitsrecht überlagert wird (vgl. Bernat, aaO.; Coester-Waltjen, Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages, Band I Teil B S. 32; Deutsch, MDR 1985, 179; VersR 1985, 1004; NJW 1986, 1974;.Giesen, FamRZ 1970, 569; Heldrich, JuS 1969, 461; Laufs, JZ 1986, 772; Püttner/Brühl, JZ 1987, 532; Taupitz, aaO. S. 1093); dies aber nur unter den besonderen, für die Fälle einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelten einschränkenden Voraussetzungen.
b) Auf dem Boden dieser Erwägungen stellt das konservierte Sperma, das nach dem Willen des Rechtsträgers dazu bestimmt ist, zu seiner Fortpflanzung verwendet zu werden, einen Sonderfall dar. Einerseits ist das Sperma endgültig vom Körper des Rechtsträgers getrennt, andererseits ist es dazu bestimmt, eine körpertypische Funktion, die der Fortpflanzung des Rechtsträgers, zu erfüllen. Jedenfalls wenn wie hier die Spermakonserve die verlorene Fortpflanzungsfähigkeit substituieren soll, hat sie für die körperliche Integrität des Rechtsträgers und die in dieser begriffene personale Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung nach Gewicht und Inhalt keine geringere Bedeutung als die Eizelle oder andere körperliche Bestandteile, die nach dem zuvor Gesagten auch nach ihrer Entnahme aus dem Körper von dessen Schutz durch die §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB erfaßt sind. Ebenso wie die zur Befruchtung entnommene und zur Reimplantation bestimmte Eizelle verkörpert das konservierte Sperma für seinen Rechtsträger die im Streitfall einzige Möglichkeit, seine körperlichen Funktionen zur Hervorbringung von Nachkommen, denen er seine genetischen Erbinformationen weitergibt, zur Geltung zu bringen. Dieser Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit im deliktischen Schutzbedürfnis ebenso wie im deliktischen Schutzzweck muß nach Auffassung des Senats auch in den deliktsrechtlichen Folgen Rechnung getragen werden. Sollte gleichwohl das konservierte Sperma selbst in Fällen wie diesem allein deshalb, weil es nicht in den Körper des Rechtsträgers zurückkehrt, tatbestandlich in dem Schutzgut der körperlichen Integrität nach Maßgabe dieser Vorschriften nicht erfaßt sein, so sind diese jedenfalls unter den genannten Voraussetzungen entsprechend anzuwenden. Zu solcher die §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB erweiternden Rechtsanwendung auch in diesem Fall legitimiert das Persönlichkeitsrecht des Rechtsträgers, das durch die Vernichtung der Spermakonserve nicht anders und nicht geringer betroffen ist als das Persönlichkeitsrecht der Frau durch die Vernichtung einer ihrem Körper entnommenen und zur Reimplantation bestimmten Eizelle. Ebenso wie der betroffenen Frau in jenem Fall, so steht dem Kläger hier auf der Grundlage des § 847 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu.
3. Zur Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes bedarf es keiner weiteren tatrichterlichen Feststellungen; die für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Beurteilungselemente sind unstreitig. Für die Bestimmung des Schmerzensgeldes kommt es nicht darauf an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, mit der die Ehefrau des Klägers ein Kind bekommen hätte, wenn eine Insemination mit dem Sperma des Klägers vorgenommen worden wäre. Entscheidend ist die Belastung, der der Kläger ausgesetzt ist, weil er die einzige ihm noch verbliebene Chance verloren hat, mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Kind zu haben. Diese Belastung wiegt schwer. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß die Vernichtung des Spermas auf einem Versehen beruht, das den Bediensteten der Beklagten im Zuge von Bemühungen unterlaufen ist, die gerade darauf gerichtet waren, das Selbstbestimmungsrecht des Klägers zu wahren. In Würdigung dieser Umstände hält der Senat ein Schmerzensgeld von 25.000 DM für angemessen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993237 |
BGHZ 124, 52 |
BGHZ, 52 |
NJW 1994, 127 |
LM BGB § 823 (Aa) Nr. 151 |
BGHR BGB § 823 Abs. 1 Körperverletzung 2 |
BGHR BGB § 847 Abs. 1 Satz 1 Bemessung 5 |
DRsp I(145)402a |
EBE/BGH 1993, 398 |
FamRZ 1994, 154 |
FuR 1994, 56 |
JR 1995, 21 |
EzFamR aktuell 1994, 24 |
EzFamR BGB § 823 Nr. 4 |
JA 1994, 177 |
JZ 1994, 463 |
JZ 1994, 464 |
JuS 1994, 351 |
MDR 1994, 140 |
MedR 1994, 113 |
VersR 1994, 55 |
ZfS 1994, 45 |
r s 1994, 95 |