Leitsatz (amtlich)
›Die Zahlung hat eingestellt, wer zwar noch geringe Zahlungen leistet, aber einem Großgläubiger, der die wirtschaftlichen Verhältnisse kennt, erklärt, daß er dessen ernsthaft angeforderte, einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verpflichtungen bildende Forderung auch nicht teilweise mehr erfüllen könne.‹
Verfahrensgang
LG Düsseldorf |
OLG Düsseldorf |
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Konkurs über das Vermögen der Bauunternehmung B. S. & Co. GmbH, D.. Das Konkursverfahren wurde am 14. September 1981 beantragt und am 1. Oktober 1981 eröffnet.
Die Gemeinschuldnerin befand sich seit 1979 in finanziellen Schwierigkeiten. Löhne und Steuern zahlte sie nur schleppend. Die Steuerschuld betrug am 31. Januar 1981 (Lohn- und Umsatzsteuer) 723.425,51 DM zuzüglich 60.077 DM Säumniszuschläge, trotz weiterer Abschlagszahlungen im Februar, Juni und Juli 1981 am 7. September 1981 noch 627.865,49 DM zuzüglich 113.345 DM Säumniszuschläge. Außerdem war die Gemeinschuldnerin im September 1981 mit 200.000 bis 300.000 DM Sozialabgaben im Rückstand. Das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger hatten bis dahin stillgehalten.
Vor dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens fanden zahlreiche Gespräche zwischen der Gemeinschuldnerin und dem Finanzamt statt, das Ende Juli 1981 die Bestellung von Sicherheiten verlangte. Mit Schreiben vom 26. August 1981 forderte es die Gemeinschuldnerin auf, bis 7. September 1981 Sicherheiten beizubringen, anderenfalls weiterer Vollstreckungsaufschub nicht gewährt werden könne. Der Bevollmächtigte der Gemeinschuldnerin teilte darauf den Beamten des Finanzamts in einem Gespräch am 7. September 1981 mit, daß die Gemeinschuldnerin keine Sicherheiten stellen könne.
Mit Verfügungen vom 8., 9. und 23. September 1981, jeweils am nachfolgenden Tage zugestellt, pfändete das Finanzamt Forderungen der Gemeinschuldnerin, welche die Bilanz zum 31. Dezember 1980 auswies, wegen 572.330,24 DM rückständiger Steuern zuzüglich 113.035 DM Säumniszuschlägen. Die Drittschuldner zahlten 230.856,78 DM.
Mit Schreiben vom 5. November 1981 erklärte der Kläger die Anfechtung der Pfändungsverfügungen und forderte Rückgewähr der eingezogenen Beträge zur Konkursmasse. Am 9. Dezember 1981 klagte er gegen das Land auf Zahlung eingezogener 230.856,78 DM nebst Zinsen und auf Verzicht auf die Rechte aus den Pfändungen, soweit die Beträge von den Schuldnern noch nicht eingezogen worden waren.
Das Landgericht gab der Klage bis auf einen geringfügigen Teil des Zinsanspruchs statt. Die Berufung des beklagten Landes hatte im wesentlichen Erfolg; bestehen blieb nur die Verurteilung zum Verzicht auf die Rechte aus der Pfändungsverfügung vom 23. September 1981; im übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Anfechtung der Pfändungsverfügungen vom 8. und 9. September 1981 nach § 30 Nr. 2 KO greift durch.
Nach dieser Vorschrift sind anfechtbar die nach der Zahlungseinstellung oder dem Antrag auf Eröffnung des Konkurses vorgenommenen Rechtshandlungen, welche einem Konkursgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewähren, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, sofern er nicht beweist, daß ihm zur Zeit der Handlung weder die Zahlungseinstellung noch der Eröffnungsantrag, noch eine Absicht des Gemeinschuldners, ihn vor den übrigen Gläubigern zu begünstigen, bekannt war. Da hier der Konkursantrag (14. September 1981) erst nach Erlaß der Pfändungsverfügungen (8. und 9. September 1981) gestellt wurde, kommt es auf den Zeitpunkt der Zahlungseinstellung an.
Das Berufungsgericht kann nicht feststellen, daß bei der Gemeinschuldnerin vor dem 14. September 1981 eine Zahlungseinstellung vorgelegen habe und erkennbar gewesen sei. Dabei hebt es besonders darauf ab, daß die Gemeinschuldnerin trotz des hohen Schuldenstandes nach wie vor laufend Zahlungen geleistet habe.
Diese Auffassung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Der Annahme der Zahlungseinstellung steht nicht entgegen, daß der Schuldner überhaupt noch Zahlungen leistet; es genügt, daß das Unvermögen zur Zahlung den wesentlichen Teil der ernsthaft angeforderten Verbindlichkeiten des Schuldners betrifft (BGH, Urt. v. 3. März 1959 - VIII ZR 176/58, LM KO § 30 Nr. 2 a = WM 1959, 470, 472; v. 30. April 1959 - VIII ZR 179/58, LM KO § 30 Nr. 6 = WM 1959, 891; v. 6. Februar 1963 - VIII ZR 158/62, WM 1963, 511; v. 1. März 1984 - IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 = ZJP 1984, 809; Böhle-Stamschräder/Kilger KO 14. Aufl. § 30 Anm. 5; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck KO 9. Aufl. § 30 Rdn. 3, 8). Diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht, wie die Revision zur Recht rügt, nicht berücksichtigt.
Für den 26. August 1981 (Schreiben des Finanzamtes an den Vertreter der Gemeinschuldnerin mit dem Verlangen nach Sicherheiten) stellt das Berufungsgericht fest, daß trotz eines Schuldenstandes von 1.867.000 DM (741.000 DM Steuern - ohne die fällige, später auf 800.000 DM festgesetzte Umsatzsteuer für 1980 -, rund 300.000 DM Sozialabgaben, 475.000 DM Bankschulden, 351.000 DM Verpflichtungen aus Lieferung und Leistung) die Zahlungen noch nicht eingestellt worden seien; nach wie vor habe die Gemeinschuldnerin laufend Zahlungen geleistet.
Der Kläger hat - von dem beklagten Land nicht substantiiert bestritten - vorgetragen, daß die Gemeinschuldnerin lediglich in der Lage gewesen sei, aus ihren laufenden Geschäften die dringendsten Verpflichtungen zu erfüllen. Für das Finanzamt war jedenfalls nichts dabei; die letzte Abschlagszahlung auf die Abgabenschuld hatte die Gemeinschuldnerin im Juli 1981 erbracht. Nach dem Klagevortrag waren am 8. September 1981 259.000 DM Sozialabgaben fällig, davon 170.000 DM bereits seit 8. August 1981. Diese Umstände ergeben, daß Anfang September die öffentliche Abgabenschuld (über 900.000 DM, mit Umsatzsteuer über 1.700.000 DM) den wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten ausmachte. Die finanziellen Verhältnisse der Gemeinschuldnerin waren den zuständigen Sacharbeitern des Finanzamtes unstreitig aus zahlreichen Gespräche bekannt, mithin auch dem beklagten Land.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es zur Annahme der Zahlungseinstellung, wenn sie dem Gläubiger gegenüber erkennbar wird, der nunmehr Anfechtungsgegner ist (Urt. v. 29. April 1974 - VIII ZR 200/72, WM 1974, 570, 571 und v. 1. März 1984 aaO). Das Schreiben des Finanzamtes vom 26. August 1981 stellte die durch den Rechtsanwalt Dr. N. vertretene Gemeinschuldnerin vor die Wahl: Bestellung von Sicherheiten bis 7. September 1981 oder Vollstreckung. Damit war die Steuerschuld nicht mehr gestundet, vielmehr erneut angefordert und eine Stundung nur für den Fall der Gewährung von Sicherheiten nochmals in Aussicht gestellt. Die Mitteilung des Rechtsanwalts Dr. N. beim Gespräch am 7. September 1981, daß die Gemeinschuldnerin keine Sicherheiten stellen könne, bedeutete, daß die Gemeinschuldnerin die fällige Abgabenschuld auch nicht teilweise erfüllen oder absichern konnte. Jedenfalls aus der Sicht des Finanzamtes mit seiner aus vielfältigen Verhandlungen mit der Gemeinschuldnerin gewonnenen Kenntnis von deren finanzieller Lage war unter diesen Umständen am 7. September 1981 erkennbar, daß, soweit es um die einen wesentlichen Teil der fälligen Verpflichtungen der Gemeinschuldnerin bildende Abgabenschuld ging, trotz sonstiger dieser gegenüber nicht ins Gewicht fallender Zahlungen nicht mehr nur eine weitere Stockung, sondern die endgültige Einstellung der Zahlungen eingetreten war.
Die aufgrund der Pfändungen am 8. und 9. September 1981, also nach der Zahlungseinstellung, erlangten Sicherheiten waren, wie auch das Berufungsgericht richtig sieht, solche, auf die das beklagte Land keinen Anspruch hatte (vgl. Böhle-Stamschräder/Kilger aaO Anm. 20 m.w.Nachw.; Senatsurteil v. 3. Juli 1984 - IX ZR 82/83, ZIP 1984, 978 = WM 1984, 1103). Die anderen Gläubiger wurden dadurch benachteiligt.
Bei dieser Sachlage kann, ohne daß weitere Feststellungen erforderlich sind, das beklagte Land den ihm obliegenden nach § 30 Nr. 2 KO Beweis, es habe die Zahlungseinstellung der Gemeinschuldnerin nicht gekannt, nicht führen. Auf die Begünstigungsabsicht kommt es nicht mehr an (BGH, Urt. v. 13. November 1961 - VIII ZR 158/60, LM KO § 30 Nr. 12; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck aaO Rdn. 59).
Fundstellen
Haufe-Index 2992765 |
BB 1985, 1295 |
DB 1985, 1468 |
NJW 1985, 1785 |
DRsp IV(438)189a |
WM 1985, 396 |
ZIP 1985, 363 |
JZ 1985, 352 |