Entscheidungsstichwort (Thema)
schwere räuberische Erpressung
Leitsatz (amtlich)
Macht der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, dürfen Angaben, die er zuvor bei einer „Vernehmung” durch den Verteidiger gemacht hat, nicht verwertet werden.
Normenkette
StPO §§ 52, 252
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 24. August 1999 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO), mit der die Revision geltend macht, das Landgericht hätte, da die Verlobte des Angeklagten, S., in der Hauptverhandlung gemäß § 52 StPO das Zeugnis verweigert hatte, deren „ausführliche Einlassung” in das Verfahren einführen müssen, die sie in der Kanzlei des Verteidigers des Angeklagten gegenüber dem Verteidiger und dessen Ehefrau abgegeben habe („Protokoll vom 04.06.1999 in Sachen B.”).
1. Dieser Verfahrensrüge liegt folgendes zugrunde:
a) Nach den Feststellungen fand der Angeklagte an dem Plan seiner damals 17 Jahre alten Verlobten S., eine Spielhalle zu überfallen, zwar Gefallen, wollte den Überfall „aber nicht persönlich ausführen, weil er unter Bewährung stand.” Am 12. April 1999 gelang es dem Angeklagten und S., deren 15 Jahre alten Halbbruder Sch. und dessen 14 Jahre alten Freund W. für ihr Vorhaben zu gewinnen. Nachdem sie festgestellt hatten, daß sich in der „Spielstation” nur die Kassiererin aufhielt, entfernten sich der Angeklagte und S. und gingen zu dem Keller, in dem sie sich mit Sch. und W. zur Aufteilung der Beute treffen wollten. Sch. und W. stürmten – wie zuvor abgesprochen – maskiert und mit gezückten Messern in die Spielhalle und zwangen die Kassiererin, ihnen das vorhandene Bargeld (1.666 DM) zu übergeben.
b) Am 25. Mai 1999 wurde gegen den Angeklagten, S., Sch. und W. Anklage zum Amtsgericht – Jugendschöffengericht – erhoben. Nach dem Vorbringen der Revision suchte S., die am 5. und 6. Mai 1999 polizeilich als Beschuldigte vernommen worden war, am 4. Juni 1999 den Verteidiger des Angeklagten auf, der über deren den Angeklagten entlastenden Angaben eine Niederschrift fertigte. In dem Haftprüfungstermin am 7. Juni 1999, zu dem der Angeklagte aus der Untersuchungshaft vorgeführt worden war, wurde eine – nicht beglaubigte – Abschrift des „Protokolls vom 04.06.1999 in Sachen B.” als Anlage zu dem Terminsprotokoll genommen (Bd. I Bl. 213 ff. d.A.). Der Eingang dieses Schriftstücks lautet:
„Auf eigene Veranlassung erscheint heute in der o.g. Sache die Mitbeschuldigte, Frau S., in meiner Kanzlei. Bei der Unterredung waren zugegen der Unterzeichner, Frau Ass. Br. sowie die Mitbeschuldigte S..
Die Beschuldigte S. wurde eingehend darüber belehrt, daß sie als Beschuldigte in einem Strafverfahren keine Aussage machen müsse. Sie wurde auch darauf hingewiesen, daß sie sich, sobald sie Aussagen macht, die darauf hinzielen, den Beschuldigten B. wahrheitswidrig zu entlasten, der Gefahr einer versuchten Strafvereitelung aussetzt.
Dies vorausgeschickt erklärte die Beschuldigte, sie möchte hier gegenüber dem Unterzeichner als Verteidiger von Herrn B. die folgenden Angaben machen:” …
S., Sch. und W. wurden vom Jugendschöffengericht aufgrund der Hauptverhandlung am 9. Juli 1999 jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verurteilt. Das Verfahren gegen den Angeklagten wurde abgetrennt und die Sache gemäß § 270 StPO an das Landgericht verwiesen.
In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht hat sich der Angeklagte dahin eingelassen, er habe „von dem Tatplan nur am Rande etwas mitbekommen, habe sich aber dagegen ausgesprochen und sich an der Tat selbst nicht beteiligt.” Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Beteiligung des Angeklagten an dem Überfall auf die Bekundungen von Sch. und W. gestützt.
c) Die Revision macht geltend, das Verwertungsverbot nach § 252 StGB erstrecke sich nur auf die Aussagen von S. bei den polizeilichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht, nicht aber auf deren den Angeklagten entlastenden Angaben, die sie am 4. Juni 1999 gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten und damit „bei einer anderen Gelegenheit als bei einer früheren Vernehmung” gemacht habe. Dem Landgericht habe sich deshalb „die Verwendung dieses Beweismittels” aufdrängen müssen.
2. Die (noch zulässig erhobene) Verfahrensrüge dringt nicht durch.
Das Landgericht hat zu Recht davon abgesehen, die von dem Verteidiger des Angeklagten in dem „Protokoll” vom 4. Juni 1999 niedergelegte Aussage von S. in die Hauptverhandlung einzuführen. Die Beweiserhebung über diese Aussage ist unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO), weil aus dem Rechtsgedanken des § 252 StPO folgt, daß eine Verwertung dieser Angaben verboten ist.
a) Die Vorschrift des § 252 StPO enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht nur ein Verlesungsverbot, sondern – über ihren Wortlaut hinaus – auch ein Verwertungsverbot. Dieses schließt auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage aus; insbesondere ist die Vernehmung von Verhörspersonen nicht gestattet (BGHSt 2, 99, 102; 36, 384, 387; 42, 391, 397; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 252 Rdn. 12 f.; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 252 Rdn. 3, jew. m. N.). Damit sind die Ergebnisse einer früheren Vernehmung des nunmehr die Aussage befugt nach § 52 StPO verweigernden Zeugen unverwertbar, wobei es unerheblich ist, ob er damals als Zeuge oder als Beschuldigter vernommen wurde (BGHSt 20, 384; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 252 Rdn. 11 m.w.N.); im letzteren Fall dürfte im übrigen nicht einmal der vernehmende Richter als Zeuge gehört werden (BGHSt 42, 391, 398 m.w.N.).
b) Allerdings betrifft § 252 StPO nur vorangegangene amtliche Vernehmungen; denn zum Begriff der Vernehmung gehört es, daß der Vernehmende dem Beschuldigten oder Zeugen in amtlicher Funktion gegenübertritt (vgl. BGHSt 40, 211, 213). Die in die Form einer Vernehmung gekleidete Anhörung durch den Verteidiger fällt nicht hierunter. Zwar ist es dem Verteidiger nicht verwehrt, eigene Ermittlungen zu führen, insbesondere Zeugen oder Mitbeschuldigte vor und außerhalb der Hauptverhandlung zu befragen (BGH AnwBl 1981, 115, 116; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 5. Aufl. Rdn. 166 f.; Laufhütte in KK-StPO 4. Aufl. vor § 137 Rdn. 3, jeweils m.N.). Die Befugnis, Zeugen oder Beschuldigte „amtlich” zu vernehmen (vgl. §§ 161 a, 163 a, 168, 168 a bis c StPO), gibt ihm das Gesetz, auch soweit es in verschiedenen Bestimmungen Nachforschungen des Verteidigers zuläßt (vgl. etwa §§ 246 Abs. 2, 364 b Abs. 1 Nr. 1 StPO), aber gerade nicht.
Auch wenn der Verteidiger bei der Befragung von Zeugen oder Beschuldigten keine amtliche Funktion wahrnimmt, muß ein Verwertungsverbot entsprechend dem Rechtsgedanken des § 252 StPO für eine vor dem verfahrensbeteiligten Verteidiger des Angeklagten gemachte Aussage angenommen werden, wenn sie zur Verwendung durch den Verteidiger des Angeklagten in dem gegen diesen und – wie hier – zu diesem Zeitpunkt auch gegen den Zeugen gerichteten Verfahren bestimmt war. Wenn § 252 StPO es schon untersagt, eine unter den Strafdrohungen der §§ 145 d und 164 StGB vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft gemachte Aussage als Zeuge oder eine sogar vor dem Richter als Beschuldigter abgegebene Einlassung nach anschließender berechtigter Zeugnisverweigerung zu verwerten, muß dies erst recht der Verwertung einer Aussage bei einer anwaltlichen „Beschuldigtenvernehmung” entgegen stehen (vgl. BGHSt 20, 384, 385 a.E.; 29, 230, 232), zumal der Verteidiger bei einer solchen Anhörung einseitig die Interessen des Beschuldigten wahrzunehmen hat (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 336; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO vor § 137 Rdn. 1 a. E.), während die Strafverfolgungsorgane nach § 160 Abs. 2 StPO sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu ermitteln haben.
Wäre dies anders, würde es darüber hinaus – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – „die Möglichkeit eröffnen, daß wesentliche Teile der Verhandlungsführung dem Verantwortungsbereich des Vorsitzenden und des Gerichts entzogen und in die Hände eines anderen Verfahrensbeteiligten gelegt würden, der es dann seinerseits in der Hand hätte, zunächst eine Zeugenaussage zu ‚protokollieren’ und den Zeugen dann auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen, von dem dieser dann in der Hauptverhandlung Gebrauch macht”.
c) Allerdings werden frühere Äußerungen eines Zeugen außerhalb einer Vernehmung von § 252 StPO nicht erfaßt, wie auch Spontanäußerungen trotz eines später ausgeübten Zeugnisverweigerungsrechts verwertbar bleiben (BGHSt 36, 384, 387, 389; BayObLG StV 1983, 452; Diemer in KK-StPO 4. Aufl. Rdn. 20 und Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Rdn. 8, 9, jeweils zu § 252). Hier war die Aussage der Zeugin aber gezielt für das Strafverfahren herbeigeführt worden; es handelte sich somit gerade nicht um derartige Angaben, die „aus freien Stücken” erfolgen (vgl. BGHSt 29, 230, 232; 36, 384, 389; BGH NStZ 1992, 247) und nicht im Bewußtsein ihrer späteren Verwendungsmöglichkeit im Verfahren abgegeben werden.
d) Selbst wenn – was der Beschwerdeführer nicht behauptet hat – die Zeugin mit der Verwertung ihrer dem Verteidiger gegenüber gemachten Angaben trotz Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts einverstanden gewesen wäre, hätten die Angaben nicht verwertet werden dürfen. Aus der Entscheidung des BGH vom 23. September 1999 (4 StR 189/99 = StraFo 2000, 17, zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmt) ergibt sich nichts anderes. Soweit der Senat nämlich dort die Verwertung von früheren Aussagen eines Zeugen gestattet hat, der im übrigen von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, kann sich dies nur auf nach gesetzlicher Vorschrift ordnungsgemäß zustandegekommene polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Vernehmungen oder – wie in dem entschiedenen Fall – auf nach amtlicher Anordnung durchgeführte Sachverständigenuntersuchungen beziehen. Im übrigen gelten insoweit die unter b) dargelegten Bedenken hier in gleicher Weise: Die Vernehmung des Zeugen oder früheren Beschuldigten in der Hauptverhandlung darf nicht durch die Verwertung einer unter keinerlei formellen Vorschriften stehenden „Verteidigervernehmung” ersetzt werden.
e) Der Ausschluß der Verwertbarkeit erstreckt sich auch auf die zu der Anhörung hinzugezogenen Personen (vgl. auch BGHSt 13, 394, 396; BGH NStZ 1993, 294, 295). Deshalb war das Landgericht hier auch gehindert, die Ehefrau des Verteidigers als Zeugin zu vernehmen.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen
Haufe-Index 540859 |
BGHSt |
NJW 2000, 1277 |
EBE/BGH 2000, 90 |
NStZ 2001, 49 |
Nachschlagewerk BGH |
wistra 2000, 229 |
JA 2000, 833 |
NJ 2000, 264 |
Rpfleger 2000, 350 |
Kriminalistik 2000, 335 |
StV 2003, 602 |
StraFo 2000, 159 |
LL 2000, 566 |