Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Kindern
Leitsatz (amtlich)
Die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts hindert den Zeugen nicht, nach ordnungsgemäßer Belehrung die Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage zu gestatten.
Normenkette
StPO 1975 § 252
Verfahrensgang
LG Stendal (Aktenzeichen Js 7130/98 501 KLs 29/98) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stendal vom 3. Dezember 1998 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 9 Fällen” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur die Rüge der Verletzung des § 252 StPO, mit der sich der Beschwerdeführer gegen seine Verurteilung in den Fällen II 7 bis 9 der Urteilsgründe wendet.
1. Dieser Verfahrensrüge liegt folgendes zugrunde:
Der Angeklagte hat nach den Feststellungen in drei Fällen seine zur Tatzeit elfjährige Nichte Nicole P. sexuell mißbraucht (II 7 bis 9 der Urteilsgründe). Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten, der nur den im Fall II 9 erhobenen Tatvorwurf „teilweise eingeräumt” hat, im wesentlichen auf die Aussage der in der Hauptverhandlung hierzu als Zeugin vernommenen Sachverständigen Pi. gestützt, Nicole P. „habe ihr die Sachverhalte – so wie festgestellt – im Explorationsgespräch geschildert”. Das Landgericht hat zu der Verwertung dieser das Tatgeschehen betreffenden Angaben des Kindes, das in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht hat, u. a. ausgeführt:
„Nach den Feststellungen der Kammer wurde die Zeugin vor der Einholung des Glaubwürdigkeitsgutachtens nicht über ihr Recht der Verweigerung der Mitwirkung an der Begutachtung richterlich belehrt, was grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach §§ 252, 81c StPO nach sich zieht. Da die Zeugin, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, nach eingehender Belehrung einer Verwertung ihrer Angaben vor der Sachverständigen ausdrücklich zustimmte, ist das Verwertungsverbot indes ausnahmsweise entfallen …. Die Kammer hegt auch keine Bedenken dagegen, daß die Zeugin Nicole P. den Sinn und die Konsequenzen der Belehrung verstanden hat. Die Belehrung erfolgte in kindgerechter Form. Die Zeugin wurde dabei deutlich darauf hingewiesen, daß eine Verwertung zu einer Bestrafung des Angeklagten führen könnte. Der Zeugin kam es ersichtlich nur darauf an, nicht noch einmal über die in Rede stehenden Vorfälle berichten zu müssen.”
Aus der Sitzungsniederschrift ergibt sich, daß die damals zwölf Jahre alte Nicole P. im Termin vom 16. November 1998 gemäß § 52 StPO belehrt wurde. Die Vorsitzende bat die Sachverständige Pi., der Zeugin, die zum Ausdruck gebracht hatte, sie habe die Belehrung „nicht richtig” verstanden, die Belehrung „in kindlicher Form zu erklären”. Hierzu wurde die Sitzung von 11.12 bis 11.45 Uhr unterbrochen. Danach wurde die Zeugin „nochmals auf die Belehrung gemäß § 52 StPO hingewiesen”. Sie erklärte: „Ich möchte nicht aussagen”.
Über die nochmalige Belehrung und Befragung der Zeugin im Termin vom 24. November 1998, die an diesem Tage nach Fortsetzung der Sitzung um 11.45 Uhr aufgerufen und um 11.50 Uhr entlassen wurde, enthält die Sitzungsniederschrift folgende Eintragungen:
„Die Zeugin machte nach Belehrung wie in den vorherigen Sitzungen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, worauf sie auch weiterhin beharrt. Die Zeugin wurde weiter belehrt, daß sie berechtigt war, eine Mitwirkung bei der Begutachtung durch die Sachverständige Pi. zu verweigern. Die Zeugin wird befragt, ob die Sachverständige darüber berichten darf, was die Zeugin in ihrer Exploration der Sachverständigen anvertraute. Sie wird darauf hingewiesen, daß dies ohne ihre Zustimmung nicht erfolgen darf und die Verwertung zu einer Bestrafung des Angeklagten führen könnte. Die Zeugin gab zu verstehen, daß sie dies verstanden habe.
Die Zeugin erklärte: ‚Ich bin damit einverstanden, daß diese Angaben hier verwertet werden’.
L.d.u.g.”
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben worden.
Zwar kommen nach den zur Rüge der Verletzung des § 252 StPO vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel, u. a. ein Verstoß gegen § 81 c StPO, in Betracht. Aus seinen Ausführungen zur „rechtlichen Würdigung” ergibt sich aber, daß der Beschwerdeführer jedenfalls auch die Verwertung der durch die Aussage der Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben der Zeugin Nicole P. zum Tatgeschehen beanstandet. Er macht insoweit geltend, die „persönliche Genehmigung” der Verwertung dieser Angaben sei unwirksam, weil die Zeugin, die „eigenständig von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht” habe, in unzulässiger Weise „durch das Gericht und die Sachverständige” beeinflußt worden sei, und führt dies im einzelnen aus. Damit hat der Beschwerdeführer in der Revisionsbegründung die Angriffsrichtung der Rüge hinreichend deutlich bezeichnet und dargetan, welcher der nach den hierzu vorgetragenen Tatsachen in Betracht kommenden Verfahrensmängel geltend gemacht wird (vgl. BGH NStZ 1998, 636; 1999, 94).
Soweit hiermit die Verletzung des § 252 StPO gerügt wird, genügt das Revisionsvorbringen den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar werden die der Rüge zugrundeliegenden Verfahrensvorgänge nicht vollständig mitgeteilt. Insoweit kann aber aufgrund der umfassend erhobenen Sachrüge der Inhalt des Urteils, das sich zu diesen Vorgängen verhält, ergänzend berücksichtigt werden (vgl. BGHSt 36, 384, 385; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 344 Rdn. 20; Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 39 jew. m. N.).
Der Zulässigkeit der Rüge steht auch nicht entgegen, daß sich die Revisionsbegründung nicht dazu verhält, ob der Angeklagte oder sein Verteidiger die Verwertung der früheren Angaben der Zeugin und die ihr zugrundeliegenden Verfahrensvorgänge in der Hauptverhandlung beanstandet haben. Einen Verstoß gegen § 252 StPO darf der Angeklagte auch dann rügen, wenn er oder sein Verteidiger der Verwertung nicht widersprochen haben, da im Rahmen des § 252 StPO eine etwaige Einwilligung der Verfahrensbeteiligten unbeachtlich ist (BGHSt 10, 77, 78; BGH StV 1998, 470). Auch eine Präklusion der Rüge wegen Verzichts auf den in § 238 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwischenrechtsbehelf scheidet bei Eingriffen in die Entschließungsfreiheit eines Zeugen, dem der Gesetzgeber zu seinem Schutz ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt hat, aus (BGHSt 42, 73, 77 f.).
3. Die Verfahrensrüge dringt jedoch in der Sache nicht durch.
Die Verwertung der durch Vernehmung der Sachverständigen als Zeugin in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Kindes verstößt wegen dessen Einverständnisses nicht gegen § 252 StPO:
a) Diese Vorschrift ist – über ihren Wortlaut hinaus – nicht nur als Verlesungs-, sondern als Verwertungsverbot aufzufassen, das auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen, ausschließt (BGHSt 2, 99, 102; 36, 384, 387; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 252 Rdn. 12 f.; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 252 Rdn. 4, jew. m.N.). Mitteilungen eines gemäß § 52 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen gegenüber einem Sachverständigen über Zusatztatsachen (vgl. BGHSt 18, 107, 108), zu denen regelmäßig auch die Tatschilderung eines auf seine Glaubwürdigkeit zu begutachtenden Zeugen gehört (BGH NStZ 1997, 95), stehen einer Aussage im Sinne des § 252 StPO gleich. Soweit die Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen für richterliche Vernehmungen Ausnahmen von dem Vernehmungsverbot macht und die Vernehmung der Richter zuläßt, die an der früheren Vernehmung mitgewirkt haben (vgl. BGHSt 2, 99; 27, 231; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Rdn. 13 f.; Gollwitzer aaO Rdn. 6 ff.), können diese Grundsätze auf Befragung durch den Sachverständigen (vgl. §§ 78, 80 Abs. 1 StPO), die einer richterlichen Vernehmung nicht gleichgesetzt werden kann, keine Anwendung finden (BGHSt 13, 1, 4). Macht der Zeuge später sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend, dürfen seine Mitteilungen über Zusatztatsachen daher weder durch das Sachverständigengutachten noch durch die Vernehmung des Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt und bei der richterlichen Überzeugungsbildung verwertet werden (BGHSt 13, 1, 3; 36, 217, 219; BGH NStZ 1997, 95; vgl. Diemer in KK-StPO 4. Aufl. § 252 Rdn. 18; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 252 Rdn. 10, jew. m w. N.). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Zeuge der Verwertung seiner Angaben wirksam zugestimmt hat.
b) Die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts hindert den Zeugen nämlich grundsätzlich nicht, die Verwertung seiner bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage zu gestatten und damit auf das in § 252 StPO enthaltene Verwertungsverbot zu verzichten (Schlüchter in SK-StPO § 252 Rdn. 22; vgl. auch Gollwitzer aaO § 252 Rdn. 20):
aa) Ein solcher Verzicht ist mit der gleichzeitigen Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts vereinbar. Ein Zeuge, der seine Aussage verweigert hat, ist verfahrensrechtlich nicht an diese Erklärung gebunden. Er kann sie vielmehr jederzeit widerrufen (BGH NJW 1961, 1484, m. N.; vgl. Dahs in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 52 Rdn. 38), mit der Folge, daß Beweiserhebungen über frühere Aussagen zulässig sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 252 Rdn. 16; Schlüchter aaO). Verweigert der Zeuge unter Berufung auf § 52 StPO die Aussage, schließt dies nicht aus, daß er in anderer Weise zur Sachaufklärung beiträgt; so kann er etwa durch seine bloße Anwesenheit bei der Vernehmung anderer Zeugen mitwirken (vgl. BGH NJW 1960, 2156; vgl. Dahs aaO § 52 Rdn. 25; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 52 Rdn. 23). Erklärt er sich hierzu nach entsprechender Belehrung über sein nach § 52 StPO auch insoweit gegebenes Weigerungsrecht bereit, setzt er sich damit nicht ohne weiteres in Widerspruch zu seiner Weigerung, in der Hauptverhandlung auszusagen. Vielmehr ist denkbar, daß ein Zeuge zwar seine Vernehmung in der Hauptverhandlung vermeiden möchte, aber doch bereit ist, sich für die Ermittlung der Wahrheit in anderer Weise zur Verfügung zu stellen. Verhält es sich so, ist seine Mitwirkung verfahrensrechtlich zulässig (vgl. BGH aaO), und zwar grundsätzlich auch durch Gestattung der – sonst unzulässigen – Verwertung einer Aussage bei einer nichtrichterlichen Vernehmung.
bb) Dem steht § 252 StPO nicht entgegen. Vielmehr sprechen Sinn und Zweck dieser Vorschrift und des damit im Zusammenhang stehenden Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 StPO entscheidend für die Zulässigkeit eines solchen Verzichts auf das Verwertungsverbot nach § 252 StPO.
Das in § 52 StPO eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht soll den Zeugen vor Konflikten schützen, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGHSt 22, 35, 36; 27, 231, 232; 40, 211, 214; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 52 Rdn. 1; Senge in KK-StPO 4. Aufl. § 52 Rdn. 1). Es ist aber nicht im Interesse der Wahrheitsfindung geschaffen und bezweckt auch nicht den Schutz des Angeklagten vor der Verwertung eines konfliktbeladenen und daher in seinem Wert vielleicht fragwürdigen Beweismittels (BGHSt 11, 213, 215, Dahs aaO § 52 Rdn. 1; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 3. Aufl. Rdn. 1241; Senge aaO), sondern es dient nur den persönlichen Belangen des Zeugen (vgl. BGHSt 22, 35, 27; 27, 139, 142). Demgemäß hat kein Verfahrensbeteiligter eine prozessuale Möglichkeit, von dem Zeugen zu verlangen, von seinem Recht in bestimmter Weise Gebrauch zu machen (vgl. Rogall in SK-StPO vor § 48 Rdn. 140; Senge aaO § 52 Rdn. 2). Insbesondere ist der Zeuge nicht gehindert, Verstöße gegen Belehrungspflichten, die ihn in der Ausübung seiner Rechte schützen (vgl. § 52 Abs. 3 Satz 1, § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO) und die ein Verwertungsverbot begründen können (vgl. Kleinknecht/Meyer - Goßner aaO § 52 Rdn. 34, § 81 c Rdn. 32 m.N.), dadurch zu heilen, daß er der Verwertung seiner Aussage nachträglich ausdrücklich zustimmt (vgl. BGHSt 12, 235, 242; 20, 234; Dahs aaO § 52 Rdn. 53) oder sich in der Hauptverhandlung nach ordnungsgemäßer Belehrung als Beweismittel zur Verfügung stellt und dadurch seine Zustimmung zur Verwertung seiner früheren Aussage erkennen läßt (vgl. BGHSt 20, 234 in Ergänzung zu BGHSt 13, 194; BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 6).
Das in § 252 StPO enthaltene Beweisverwertungsverbot dient allein der Sicherung des mit der Gewährung des Rechts zur Zeugnisverweigerung verfolgten Zwecks. Es soll gewährleisten, daß der zur Zeugnisverweigerung Berechtigte bis zur Hauptverhandlung frei entscheiden kann, ob seine frühere, vielleicht voreilige oder unbedachte Aussage verwertet werden darf (BGHSt 10, 77; BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Belehrung 4).
Macht ein Zeuge sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend, bedarf er des daran anknüpfenden Schutzes des § 252 StPO nicht, wenn er sich nach Belehrung über die Folgen des Verzichts auf das sonst bestehende Verwertungsverbot entschieden hat, die Verwertung seiner bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage zu gestatten. Es ist daher mit dem Zweck des in § 252 StPO enthaltenen Verwertungsverbotes vereinbar und im Hinblick auf den Grundsatz der Wahrheitsforschung auch sachgerecht, einen solchen isolierten Verzicht auf das Beweisverwertungsverbot zuzulassen.
Freilich wird das Tatgericht bei der Würdigung des so erhobenen Beweises zu beachten haben, daß der Beweiswert der Aussage wegen der erheblich eingeschränkten Möglichkeiten zur Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage wesentlich geringer ist als bei einer unmittelbaren Aussage des Zeugen.
cc) An diesem Ergebnis ändert sich nichts, wenn der Zeuge – wie hier – rechtsfehlerhaft vor der Untersuchung durch den Sachverständigen nicht über sein Mitwirkungs- und Aussageverweigerungsrecht belehrt worden ist. Auch dieser Fehler, der an sich zur Unverwertbarkeit der Aussage führt, wird dadurch geheilt, daß der Zeuge nach Belehrung in Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Untersuchung der Verwertung zugestimmt hat (vgl. BGHSt 20, 234).
c) Dieser grundsätzlichen Zulässigkeit der Verwertung bei dem Sachverständigen gemachter Angaben, stehen auch in dem hier zu entscheidenden Fall keine durchgreifenden Bedenken entgegen.
aa) Die Zeugin hat, wie der Sitzungsniederschrift zu entnehmen ist, nicht jede Mitwirkung bei der Beweisaufnahme verweigert, sondern an beiden Sitzungstagen lediglich zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht „aussagen” wolle. Dabei kam es ihr, wie den Urteilsgründen zu entnehmen ist, aber nur darauf an, „nicht noch einmal über die in Rede stehenden Vorfälle berichten zu müssen.” Die Zeugin hat sich mit der Verwertung nach ordnungsgemäßer Belehrung, insbesondere auch über die mögliche Verurteilung des Angeklagten im Falle ihrer Zustimmung, bewußt und freiwillig einverstanden erklärt.
bb) Die Rüge, die Zeugin sei in der Sitzung am 24. November 1998 „durch das Gericht und die Sachverständige” in unzulässiger Weise dahin beeinflußt worden, der Verwertung der „Sachverständigenfeststellungen” zuzustimmen, ist nicht erwiesen.
Zwar hat sich das Gericht im Zusammenhang mit der Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO jeder Einwirkung auf die Entschließungsfreiheit eines Zeugen zu enthalten. Insbesondere hat es jede tendenziöse Einflußnahme in dem Sinne, daß er von seinem Schweigerecht Gebrauch machen solle oder nicht, zu unterlassen (BGHSt 9, 34, 37; BGH NStZ 1988, 561; 1889, 440). Das Recht des Zeugen auf freie und unbefangene Entscheidung schließt es jedoch nicht aus, daß das Gericht ihn im Rahmen der Belehrung über Umstände unterrichten darf, die als Grundlage der von ihm zu treffenden Entscheidung von Bedeutung sein können (BGHSt 21, 12, 13; BGH NStZ 1988, 561; 1999, 94). Um eine solche zulässige – und nach den gegebenen Umständen auch erforderliche – Unterrichtung handelt es sich hier.
Da die Zeugin an beiden Verhandlungstagen lediglich die Aussage verweigert hatte, und zwar deshalb, weil sie „nicht noch einmal” aussagen wollte, war sie aus den oben genannten Gründen nicht gehindert, die Verwertung ihrer Angaben bei der Befragung durch die Sachverständige zu gestatten und durch ihre nachträgliche Zustimmung zugleich den Verstoß gegen § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO zu heilen. Die mit den gebotenen Belehrungen verbundene Unterrichtung über die Möglichkeit, auf diese Weise bei der Sachaufklärung mitzuwirken, war zulässig, weil die Zeugin bis dahin nur die Aussage, nicht aber jede Mitwirkung bei der Beweisaufnahme verweigert und damit insoweit über die Ausübung der Rechte nach §§ 52, 81 c StPO noch nicht entschieden hatte. Die Unterrichtung der Zeugin war hier, da in Betracht kam, daß die Zeugin die Verwertung gestatten würde, unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht auch geboten (BGH NJW 1960, 2156; vgl. BGH NStZ 1999, 94).
Soweit die Revision geltend macht, die Zeugin sei durch das Gericht, u. a. durch langatmige Belehrungen und die Aufforderung, ihre Entscheidung zu überdenken, sowie durch die Sachverständige „bearbeitet” und in ihrer Entscheidung beeinflußt worden, wird ihr Vorbringen durch die Sitzungsniederschrift nicht bestätigt. Daß die Sachverständige sich am 24. November 1998 während einer Sitzungsunterbrechung „allein und intensiv” mit der Zeugin beschäftigt und ihr die Entscheidung suggeriert hat, entspricht nicht dem durch die Sitzungsniederschrift bewiesenen Ablauf der Belehrung der Zeugin. Danach wurde die Zeugin nach Fortsetzung der Sitzung um 11.45 Uhr aufgerufen und, nachdem ihre Zustimmung protokolliert worden war, bereits um 11.50 Uhr entlassen. In diesem Zeitraum ist die Sitzung nicht unterbrochen worden. Ein erneutes Gespräch zwischen der Sachverständigen und dem Kind hat in dieser Zeit ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht stattgefunden.
cc) Des eingeschränkten Beweiswerts der mittelbar erlangten Aussage des Kindes war sich das Landgericht bewußt, wie sich aus der eingehenden Würdigung der Aussage der Sachverständigen ergibt (vgl. UA 23 ff.)
Unterschriften
Meyer-Goßner, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540740 |
BGHSt |
BGHSt, 203 |
NJW 2000, 596 |
EBE/BGH 1999, 356 |
JR 2000, 339 |
NStZ 2000, 160 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1999, 1190 |
wistra 2000, 100 |
JA 2000, 275 |
StV 2003, 596 |
StraFo 2000, 124 |
StraFo 2000, 17 |