Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 10.07.1964) |
Tenor
I.
Auf die Revision des Klägers und die Anschlußrevision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 10. Juli 1964 aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz übertragen wird.
Tatbestand
Der Kläger hat bei einem am 21. Oktober 1956 erlittenen Unfall erhebliche Verletzungen, u.a. einen fünffachen Oberschenkeltrümmerbruch davongetragen. Die Parteien streiten nach Klärung der Haftungsfrage im Verfahren über den Grund des Anspruchs nicht mehr darüber, daß die Beklagte dem Kläger den durch den Unfall entstandenen Schaden zu 3/4 zu ersetzen hat.
Das Landgericht hat in seinem Teilurteil vom 10. Oktober 1962 die Beklagte verurteilt:
a)
dem Kläger für Sachschaden, Heilungsaufwendungen und Verdienstausfall bis zum 30. September 1962 einen Betrag von 4.894,98 DM nebst Zinsen zu erstatten,
b)
ein Schmerzensgeld von 9.000 DM nebst Zinsen zu zahlen,
c)
dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1962 bis zum 30. September 1965 eine monatliche Rente von 390 DM abzüglich der Renten zu zahlen, die der Kläger von öffentlichen Versicherungsträgern erhält.
Ferner hat das Landgericht festgestellt, daß die Beklagte dem Kläger 3/4 allen weiteren nach dem 11. Juli 1962 entstehenden Unfallschadens zu ersetzen hat, soweit nicht ein Übergang der Ansprüche auf Sozialversicherungsträger vorliegt. Einzelne weitergehende Klageanträge hat das Landgericht abgewiesen.
Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte an den Kläger 8.215,74 DM gezahlt und den Standpunkt vertreten, daß weitere Leistungsanträge aus den Positionen a) und b) des landgerichtlichen Urteils abzuweisen seien. Ferner hat die Beklagte gebeten, den monatlichen Rentenbetrag zu c) auf 156,- DM herabzusetzen und die getroffene Feststellung dahin einzuschränken, daß sie sich nur auf den Schaden bezieht, der nicht durch eine unfallunabhängige Krankheit des Klägers, insbesondere dessen Wirbelsäulenerkrankung, entstanden ist und entsteht.
Das Oberlandesgericht hat den Betrag zu a) auf 2.185,87 DM und die monatlichen Renten zu c) auf 195 DM monatlich herabgesetzte Ferner hat es die Feststellung in der von der Beklagten vorgeschlagenen Weise eingeschränkt. Die weitergehende Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Die Kosten der nicht verlesenen Anschlußberufung des Klägers sind diesem auferlegt worden. Das Oberlandesgericht und die Parteien gehen davon aus, daß von den Beträgen, die die Beklagte nach dem Urteil des Oberlandesgerichts zu leisten hat (2.185,87 DM + 9.000 DM nebst Zinsen), die von der Beklagten im Berufungsrechtszug gezahlten 8.215,74 DM abzuziehen sind.
Der Kläger hat mit der Revision gebeten, zu seinen Gunsten das landgerichtliche Urteil wieder herzustellen. Die Beklagte verfolgt mit der Anschlußrevision den im Berufungsrechtszug gestellten Antrag weiter, soweit diesem nicht vom Oberlandesgericht stattgegeben worden ist.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Kläger bei einer von den ärztlichen Gutachten geschätzten abstrakten Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um etwa 70 % praktisch nicht in der Lage ist, eine passende Arbeitsstelle zu finden. Es legt daher seiner Entscheidung zugrunde, daß der Kläger erwerbs- und arbeitsunfähig ist.
Diese Arbeitsunfähigkeit führt das Berufungsgericht für die Zeit ab 1. Juli 1958 bis zum 30. September 1965 auf zwei selbständige Ursachen zurück, nämlich einmal auf die Unfallfolge (nach dem Gutachten Dr. Franckson: Verkürzung des rechten Beins und Verschmächtigung seiner Muskulatur, Versteifung des rechten Kniegelenks und Teilversteifung im rechten Hüftgelenk) und zum anderen auf ein unfallunabhängiges Wirbelsäulenleiden (konstitutionelle Minderwertigkeit des Stützsystems mit anlagebedingten Verschleißerscheinungen). Dabei schließt das Berufungsgericht die Möglichkeit aus, daß der Unfall das anlagebedingte Wirbelsäulenleiden ausgelöst oder verschlimmert hat. Nach Ansicht des Berufungsgerichts läßt sich die Einwirkung der beiden selbständigen Ursachen auf die Einschränkung der Bewegungsfähigkeit des Klägers und damit auf seine Erwerbsunfähigkeit nur schwer voneinander trennen. Aufgrund des § 287 ZPO schätzt das Berufungsgericht, daß beide Ursachen etwa gleichwirkend seien, und billigt daher dem Kläger nur Ersatz von 50 % seines Erwerbsschadens zu. Ob dieser Prozentsatz von 50 % auch für die Zeit nach dem 1. Oktober 1965 gilt, läßt das Berufungsgericht unentschieden. Es hat aber durch die Fassung des Feststellungsurteils zum Ausdruck gebracht, daß auch in Zukunft nur insoweit Schadensersatz wegen Erwerbseinbuße zu leisten ist, als der Schaden nicht auf dem Wirbelsäulenleiden des Klägers beruht.
II.
Diese Betrachtungsweise des Berufungsgerichts entspricht nicht der Rechtslage, wie die Revision zutreffend rügt.
Die Ursächlichkeit der Unfalleinwirkung für die Erwerbsunfähigkeit des Klägers wird nicht schon dadurch beseitigt oder eingeschränkt, daß es erst durch Zusammenwirken mit einer anderen Ursache zu dem konkreten Schaden gekommen ist. Wer einen gesundheitlich anfälligen Menschen verletzt hat, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als häbe er einen gesunden Menschen verletzt (BGHZ 20, 137; VI ZR 26/58 vom 5. Mai 1959 = VersR 1959, 752). Die Haftung des Schädigers gegenüber einem kranken oder geschwächten Betroffenen darf daher nicht deshalb herabgemindert werden, weil die Einwirkung bei einem gesunden Menschen gar keine oder nur geringere schädigende Auswirkungen gehabt hätte. Indem das Berufungsgericht den Ursachenbegriff der medizinischen Gutachten unkritisch auf die rechtliche Beurteilung übernimmt und die Ursacheneinwirkung nach abstrakt errechneten Prozentzahlen aufteilt, verfehlt es die rechtlich entscheidenden Zurechnungsgesichtspunkte. Auch wenn der Schaden erst durch das Zusammenwirken der vom Schädiger ausgelösten Ursache und der Entwicklung eines in der Anlage vorhandenen Wirbelsäulenleidens entstanden ist, trifft die Beklagte grundsätzlich die volle Haftung, wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hatte (vgl. RG LZ 1917, 861; JW 1934, 1562; RGZ 169, 117; BGH LM BGB § 276 Ca Nr. 11 = NJW 1959, 2299, LM ZPO § 287 Nr. 10 = VersR 1958, 547). Nur wenn der Tatrichter gemäß § 287 ZPO die Überzeugung gewinnt, die Krankheit würde auch unabhängig von der Unfalleinwirkung in einem bestimmten, zu schätzenden Zeitpunkt voraussichtlich zu einer Erwerbsunfähigkeit oder einer Minderung des Erwerbseinkommens geführt haben, sind den Ansprüchen auf Ersatz des Erwerbsschadens Grenzen gesetzt. Dieser Schaden ist dann nur insoweit vom Schädiger verursacht worden, als die von diesem zu vertretende Körperverletzung zu einem schnelleren Eintreten oder einer schwereren Auswirkung der aufgrund der krankhaften Anlage unvermeidlichen Erwerbseinbuße geführt hat (vgl. die angeführten Entscheidungen). In dieser Richtung fehlt es aber im Berufungsurteil an einer tatrichterlichen Prüfung der konkreten Gegebenheiten. Wenn in dem Gutachten der Chirurgischen Universitätsklinik K. geschätzt ist, das Wirbelsäulenleiden würde ohne den Unfall (also bei einer hypothetischen Ausklammerung des Unfalls) zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers um 30 % geführt haben, so ist mit einer solchen abstrakten Einschätzung noch nichts darüber gesagt, ob der Kläger nicht unbeschadet dieser Beschränkung in der Lage gewesen wäre, die Beträge zu verdienen, von denen er bei der Berechnung seines Erwerbsschadens ausgeht (520 DM monatlich). Darauf kommt es an. Wäre der Kläger infolge seines Wirbelsäulenleidens nicht in der Lage gewesen, seinen Beruf als Hilfsschreiner auszuüben, so stellt sich die Frage, ob er nicht bei einer 30 %-igen abstrakten Minderung seiner Erwerbsfähigkeit ein Einkommen von 520 DM monatlich in einem anderen Berufe hätte finden können.
Da eine erneute tatrichterliche Prüfung erforderlich ist, war die Sache an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird dabei auch die Fassung des Festetellungsurteils zu überprüfen haben. Die gegenwärtige Fassung führt, wenn man sie gemäß den Erläuterungen der Urteilsgründe versteht, zu einer der Rechtslage nicht entsprechenden Einschränkung der künftigen Ansprüche des Klägers.
III.
Die Aufhebung des Urteils mußte auch aufgrund der Anschlußrevision der Beklagten in dem von ihr angestrebten Umfang erfolgen. Zwar kann der Anschlußrevision nicht zugegeben werden, es ergebe sich schon aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Gutachten, daß die Arbeitsunfähigkeit des Klägers nur auf das Wirbelsäulenleiden zurückzuführen und daher nicht Folge des Unfalls sei. Die Frage, ob die Unfalldauerfolgen für sich allein die Erwerbsfähigkeit des Klägers ausschließen würden, ist falsch gestellt, da die Einwirkung auf den konkreten Menschen zu beurteilen ist. Nicht ganz ausgeschlossen ist es aber, daß eine Überprüfung des Sachverhalts unter den zu I. angeführten rechtlichen Gesichtspunkten zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis führt. Die Beklagte hat ebenfalls ein Anrecht darauf, daß ihre Haftung erst dann festgestellt wird, wenn die Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen Unfall und Schaden nach rechtlich zutreffenden Gesichtspunkten vom Tatrichter festgestellt worden ist. Bei der erneuten tatrichterlichen Prüfung kann auch auf die Revisionsrüge der Beklagten eingegangen werden, die geltend macht, das Gutachten der Chirurgischen Universitätsklinik K. in den Beiakten habe Anlaß geben müssen, auf den von dem Gutachter geäußerten Verdacht eines unfallunabhängigen zehrenden bzw. bösartigen Krankheitsprozesses näher einzugehen (vgl. Bl. 196 Beiakten). Sollte aufgrund ärztlicher Begutachtung die Feststellung möglich sein, ein solcher Prozeß hätte auch ohne den Unfall in einem zu schätzenden Zeitpunkte zu einer Erwerbsunfähigkeit des Klägers geführt, so müßte das zu einer Einschränkung der Ansprüche des Klägers führen. Ferner kann nach dem Verhandlungsergebnis möglicherweise der Gesichtspunkt des § 254 Abs. 2 BGB Bedeutung gewinnen.
IV.
Für die erneute Verhandlung erscheinen folgende Hinweise als angebracht:
1)
Ist unstreitig eine Zahlung erfolgt, so muß sie von dem ermittelten Ersatzbetrag abgesetzt werden. Die von der Beklagten zu erbringende Leistung muß bei einer Leistungsverurteilung aus dem Tenor hervorgehen.
2)
Ist die Beklagte für den vollen Erwerbsschaden des Klägers haftpflichtig, so müssen auch die Leistungen der öffentlichen Versicherungsträger unter Berücksichtigung ihres Quotenvorrechts voll abgezogen werden. Soweit diese Leistungen feststellbar sind, sollte der Abzug nicht einer späteren Verrechnung der Beteiligten vorbehalten werden.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision war dem Berufungsgericht vorzubehalten.
Fundstellen