Leitsatz (amtlich)
Der Kunde, der in der Reparaturwerkstatt durch das Starten des Motors seines Fahrzeugs den Reparaturvorgang fördert, ist in der Regel nicht Betriebsangehöriger des Unfallbetriebes.
Normenkette
RVO § 637
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 21.09.1981) |
LG Münster |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. September 1981 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, ein gelernter Kraftfahrzeugmechaniker, erlitt am 18. April 1980 einen Arbeitsunfall. Er verlor die Endglieder von Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, als er in der Reparaturwerkstatt seines damaligen Arbeitgebers mit der Reparatur eines dem Erstbeklagten gehörenden und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw beschäftigt war. Zu dem Unfall kam es, weil der Erstbeklagte – ohne den in der Grube unter dem Wagen arbeitenden Kläger wahrzunehmen – den Motor des Fahrzeugs startete. Der Kläger mußte wegen dieser Verletzung und ihrer Folgen vom Kraftfahrzeugmechaniker zum Schlosserberuf, den er jetzt bei einem anderen Arbeitgeber ausübt, umschulen. Der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger hat von den Beklagten ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt. Die Beklagten haben sich auf den grundsätzlichen Haftungsausschluß des § 637 RVO berufen. Sie haben vorgetragen, der Erstbeklagte habe den Motor des Wagens auf Weisung des Meisters U. gestartet und sei damit als Betriebsangehöriger des Unfallbetriebes tätig geworden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, dem Klageanspruch stehe die Haftungsbeschränkung aus §§ 636, 637 RVO entgegen. Der Entscheidung des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung liege die Annahme zugrunde, daß der Erstbeklagte durch seine Tätigkeit in der Reparaturwerkstatt Betriebsangehöriger des Unfallbetriebes geworden sei; an diese Entscheidung sei das Gericht gemäß § 638 Abs. 1 Ziff. 1 RVO gebunden. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung des Klägers hat das. Berufungsgericht zurückgewiesen.
Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint die vom Landgericht angenommene Bindungswirkung der Entscheidung des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung aus § 638 Abs. 1 RVO, gelangt aber gleichwohl zu der Auffassung, daß die Haftung des Erstbeklagten ausgeschlossen sei. Zwar lasse sich – so führt das Berufungsgericht aus – nach der Vernehmung des Meisters U. als Zeuge nicht feststellen, daß U. den Erstbeklagten aufgefordert habe, das über der Grube stehende Fahrzeug in Betrieb zu setzen. Jedoch rechtfertige schon die Tatsache, daß der Erstbeklagte in der Werkstatt den Motor angelassen habe, den Schluß auf die Eingliederung des Erstbeklagten in den Unfallbetrieb. Das Starten des Motors sei nicht zur Demonstration von Mängeln am Fahrzeug, sondern in Abstimmung mit U. im Zuge der schon begonnenen Reparaturarbeiten erfolgt. Die Tätigkeit des Erstbeklagten habe damit betriebsfördernd gewirkt. Dies bedeute, daß der Erstbeklagte – wenn auch nur flüchtig und vorübergehend – in den Unfallbetrieb eingegliedert gewesen sei, woraus nach §§ 637 Abs. 1, 636 RVO der Ausschluß seiner Haftung folge.
II.
Das hält den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Zunächst geht das Berufungsgericht zwar zutreffend davon aus, daß die Entscheidung des Versicherungsträgers für die im vorliegenden Rechtsstreit zu entscheidende Frage, ob der Erstbeklagte ein Betriebsangehöriger des Unfallbetriebes ist, ohne Relevanz ist. Die in § 638 Abs. 1 RVO umschriebene Bindungswirkung der Entscheidung des Versicherungsträgers erstreckt sich nicht auf diese Frage.
2. Die Revision rügt aber mit Recht, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses aus §§ 637 Abs. 1, 636 Abs. 1 RVO bejaht hat. Der Erstbeklagte müßte, um unter dieses Haftungsprivileg zu fallen, „Betriebsangehöriger” des Unfallbetriebes gewesen sein; er müßte in den Betrieb „eingegliedert” gewesen sein. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben.
Bei der Frage, welche Anforderungen §§ 636 Abs. 1, 637 Abs. 1 RVO an das Erfordernis der „Eingliederung” in den Unfallbetrieb stellen, ist – was das Berufungsgericht offenbar nicht gesehen hat – danach zu unterscheiden, ob es um die „Eingliederung” des Geschädigten oder – wie hier – des Schädigers geht. Eine „Eingliederung” des Geschädigten in den Unfallbetrieb kann schon angenommen werden, wenn er für diesen Betrieb ähnlich wie ein Arbeitnehmer tätig geworden ist und diese Tätigkeit in die betriebliche Sphäre des Unfallbetriebes fiel; eine Beziehung des Geschädigten zum Unfallbetrieb, die arbeitsrechtlich als die eines Arbeitnehmers zu qualifizieren ist, ist für die Annahme einer solchen Zuordnung nicht erforderlich, insbesondere muß auch kein Abhängigkeitsverhältnis wirtschaftlicher oder gar persönlicher Art zum Unfallbetrieb vorliegen (vgl. Senatsurteil vom 16. November 1982 – VI ZR 78/81 – VersR 1983, 156 m.w.Nachw.). Demgegenüber sind die Anforderungen an die Eingliederung des Schädigers in den Unfallbetrieb strenger (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 1982 – VI ZR 240/79 – VersR 1983, 31 m.w.Nachw.). Eine solche Eingliederung setzt u.a. voraus, daß der Schädiger der Weisungs- und Direktionsbefugnis des Inhabers des Unfallbetriebes bzw. seiner Bevollmächtigten unterworfen ist (vgl. Senatsurteile vom 10. November 1970 – VI ZR 104/69 – VersR 1971, 223, 224; 16. Dezember 1975 – VI ZR 182/74 – VersR 1976, 473, 474; 6. Dezember 1977 – VI ZR 79/76 – VersR 1978, 150 ff.; 3. Juli 1979 – VI ZR 51/77 – VersR 1979, 934, 935, jeweils m.w.Nachw.). Diese Unterschiedlichkeit der Anforderungen folgt aus dem Gesetzestext. Während § 636 Abs. 1 RVO nur verlangt, daß der Geschädigte ein im Unfallbetrieb „tätiger” Versicherter ist, macht § 637 Abs. 1 RVO für den Schädiger die Haftungsprivilegierung davon abhängig, daß er „Betriebsangehöriger” des Unfallbetriebes ist.
Der Erstbeklagte war danach nicht „Betriebsangehöriger” des Unfallbetriebes. Dabei kann auf sich beruhen, ob er den Motor nur gestartet hat, um dem Meister U. den Mangel an seinem Fahrzeug zu zeigen oder ob er – wie das Berufungsgericht annimmt – hiermit schon einen betriebsfördernden Beitrag zur Reparatur des Wagens leistete. Denn in der Regel unterwirft sich ein Kunde und Auftraggeber, auch wenn er den Reparaturvorgang durch das Starten des Motors seines Fahrzeugs fördert, nicht den Weisungen und der Direktionsbefugnis des Inhabers der Reparaturwerkstätte oder dessen Beauftragten. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine von dieser Regel abweichende Fallgestaltung angenommen werden kann, bedarf im Streitfall nicht der Entscheidung. Denn der festgestellte Sachverhalt gibt für die Annahme einer Unterwerfung des Erstbeklagten unter die Weisungs- und Direktionsbefugnis des Betriebsinhabers keine weiteren Anhaltspunkte; das Berufungsgericht hat insbesondere nicht festzustellen vermocht, ob der einzige betriebsfördernde Beitrag des Erstbeklagten – das Starten des Motors – überhaupt auf einer Aufforderung des Meisters U. beruhte.
III.
Die Sache mußte mithin zurückverwiesen werden, um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, die Voraussetzungen des Schmerzensgeldanspruches zu prüfen. Das Berufungsgericht wird insbesondere zu prüfen haben, ob der Erstbeklagte angesichts des Umstandes, daß er das Fahrzeug in Einklang mit dem Meister U. in Betrieb gesetzt hat, schuldhaft gehandelt hat.
Unterschriften
Dunz, Scheffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Lepa
Fundstellen
Haufe-Index 1372870 |
NJW 1983, 2883 |
Nachschlagewerk BGH |