Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsbegründung. Begründungsumfang. Feststellungsklage

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur hinreichenden Begründung einer Berufung gegen eine abgewiesene Feststellungsklage ist es erforderlich, zu jeder Begründung der abweisenden Entscheidung darzulegen, weshalb sie ungerechtfertigt ist. Der isolierte Angriff nur einer von mehreren tragfähigen Begründungen ist insoweit nicht ausreichend.

 

Normenkette

ZPO a.F. § 519 Abs. 3; ZPO § 520

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 13.12.2000)

LG Berlin (Urteil vom 02.09.1998)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das am 13.12.2000 verkündete Urteil des 23. Zivilsenats des KG im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen das am 2.9.1998 verkündete Urteil der Zivilkammer 18 des LG Berlin als unzulässig verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte ist eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft. Sie wurde mit der Prüfung der DM-Eröffnungsbilanz der Klägerin zum 1.7.1990 betraut und zum Abschlussprüfer der Jahresabschlüsse zum 31.12.1990 und zum 31.12.1991 bestellt.

Am 26.6.1991 verkaufte die Treuhandanstalt ihre Geschäftsanteile an der durch Umwandlung eines Betriebsteils eines ehemaligen Kombinats entstandenen Klägerin in unterschiedlicher Stückelung an insgesamt neun Angestellte (sog. Ersterwerber).

1994 beauftragte die Klägerin andere Wirtschaftsprüfer, die DM-Eröffnungsbilanz auf den 1.7.1990 (erneut) zu prüfen. Diese Prüfer kamen u. a. zu dem Ergebnis, dass diese Bilanz sachliche Fehler enthalten habe, dass die Beklagte nicht Abschlussprüfer habe sein können, weil sie an der Aufstellung der Bilanz mitgewirkt habe, und dass deshalb auch die nachfolgenden Abschlüsse zum 31.12.1990 und zum 31.12.1991 nicht wirksam hätten festgestellt werden können.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin das im Hinblick auf die DM-Eröffnungsbilanz und die beiden Jahresabschlüsse an die Beklagte gezahlte Honorar nebst Zinsen zurückverlangt. Dieser Teil der Klage ist beschieden; insoweit hat der Senat die Revision der in den Vorinstanzen unterlegenen Klägerin nicht angenommen.

Die Klägerin hat außerdem zuletzt noch Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche Schäden und Folgeschäden zu ersetzen, die ihr aus Anlass und/oder infolge der von der Beklagten zu vertretenden Aufstellung und/oder Prüfung der DM-Eröffnungsbilanz auf den 1.7.1990 sowie der Schlussbilanz auf den 31.12.1990 und auf den 31.12.1991 entstanden sind. Das LG hat auch diesen Teil der Klage abgewiesen. Das KG hat die den Feststellungsantrag betreffende Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Auch hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

Soweit das Rechtsmittel sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht die den Schadensersatzfeststellungsantrag betreffende Berufung der Klägerin mangels ausreichender Berufungsbegründung als unzulässig verworfen hat, ist die Revision der Klägerin gem. § 547 ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden und hier gem. § 26 Nr. 5 EGZPO maßgeblichen Fassung (a. F.) statthaft. Die in rechter Frist und Form eingelegte und begründete Revision hat insoweit auch Erfolg; sie führt zur Zurückverweisung des Feststellungsbegehrens an das Berufungsgericht und - als Folge davon - auch zur Zurückverweisung der nach §§ 91 ff. ZPO in Abhängigkeit vom Erfolg dieses Begehrens zu beantwortenden Frage, wer in welchem Umfang die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

1. Die Zulässigkeit der im Hinblick auf den Feststellungsantrag erhobenen Revision hat zur Folge, dass der Senat den insoweit für die Zulässigkeit der Berufung maßgeblichen Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht selbständig zu würdigen hat (BGH, Urt. v. 24.4.2001 - VI ZR 258/00, BGHReport 2001, 854 = MDR 2001, 1007 = NJW 2001, 2722 m. w. N.). Diese Prüfung ergibt, dass die Berufungsbegründung der Klägerin den Anforderungen des § 519 Abs. 3 S. 2 ZPO a. F. genügt hat.

a) Das LG hat das zuletzt noch streitige Schadensersatzfeststellungsbegehren abgewiesen, weil nicht einmal ersichtlich sei, wer die Klägerin in welcher Höhe und woraus in Anspruch nehmen solle. Außerdem hat das LG die Klägerin auch in der Lage gesehen, die Höhe ggf. drohender Ansprüche darzulegen.

Mit der zweiten Begründung ist das Feststellungsinteresse, also die gem. § 256 Abs. 1 ZPO bei Feststellungsklagen erforderliche besondere Sachurteilsvoraussetzung, verneint worden, weil die Erhebung einer auf Leistung gerichteten Schadensersatzklage möglich gewesen oder - wie das LG sich ausgedrückt hat - der Vorrang der Leistungsklage nicht beachtet sei. Aber auch die erste Begründung, mit der die Frage negativ beantwortet worden ist, ob ein Schaden der Klägerin wahrscheinlich ist, zielte auf die Zulässigkeit der Feststellungsklage.

b) Da beide Begründungen des LG die Abweisung der Feststellungsklage als unzulässig gleichermaßen und unabhängig voneinander rechtfertigen sollten, war die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung hinreichend begründet, wenn die Klägerin als Rechtsmittelführerin für jede Begründung dargelegt hatte, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen sich nach ihrer Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht rechtfertige. Denn die Rechtsmittelbegründung muss - im Falle ihrer Berechtigung - geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Hierzu reicht ein Angriff gegen eine von mehreren selbständigen Urteilsbegründungen nicht aus (st. Rspr., z. B. BGH, Beschl. v. 25.1.1989 - IX ZB 89/89, MDR 1990, 712 = NJW 1990, 1184; Urt. v. 20.3.2001 - XI ZR 260/00, BGHReport 2001, 525).

c) Gegen die Annahme des LG, im vorliegenden Fall habe der Vorrang der bezifferten Leistungsklage beachtet werden können, hat die Klägerin in ihrer Berufungsbegründungsschrift angeführt (dort S. 68), solange die tatsächliche Inanspruchnahme der Klägerin durch die Rechtsnachfolgerin der Treuhandanstalt möglich und in der Höhe noch nicht festgestellt sei, müsse eine Feststellungsklage zulässig sein. Außerdem hat sie sich unter Angabe des/der Aktenzeichen auf eine Nichtigkeitsklage von Gesellschaftern bezogen (S. 7) und darauf abgestellt, dass sich nach der Entscheidung des BGH über die Nichtigkeitsklage Rückschlüsse ergäben, die im vollem Umfange derzeit noch nicht erfasst werden könnten (S. 68). Das war eine auf den konkreten Fall bezogene Darlegung und ließ erkennen, dass und warum die Klägerin die Verneinung eines Feststellungsinteresses durch das LG nicht für tragfähig hielt und mit der Berufung bekämpfte. Das genügte dem Begründungserfordernis. Denn nach ständiger Rechtsprechung zu dem bis zum 31.12.geltenden Prozessrecht muss die Berufungsbegründung nur auf den Streitfall zugeschnitten sein und deutlich machen, auf welche Punkte tatsächlicher oder rechtlicher Art sich die Angriffe erstrecken sollen (BGH, Urt. v. 11.7.2002 - VII ZR 261/00, MDR 2002, 1329 = NJW-RR 2002, 1499 m. w. N.). Darauf, ob die gemachten Ausführungen schlüssig, hinreichend substanziiert oder rechtlich haltbar sind, kommt es in diesem Zusammenhang hingegen nicht an (BGH, Urt. v. 4.10.1999 - II ZR 361/98, MDR 1999, 1521 = NJW 1999, 3784 m. w. N.). Es kann deshalb in diesem Zusammenhang auch dahinstehen, ob und ggf. wie die Darlegungen der Klägerin zur Zulässigkeit der Schadensersatzfeststellungsklage mit den nachfolgend unter d) behandelten Ausführungen der Berufungsbegründungsschrift in Einklang zu bringen sind.

d) Zu Recht macht die Revision ferner geltend, dass die Klägerin sich in der Berufungsbegründungsschrift auch mit der Frage der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts befasst hat und dass der insoweit gemachten Darlegung zu entnehmen war, warum die Klägerin sich geschädigt fühlt und dass sie aus diesem Grund die Abweisung des Feststellungsantrags nicht hinzunehmen bereit ist. Nach diesen Darlegungen ist der Feststellungsantrag nicht - wie vom LG angenommen - wegen einer durch die Erstellung und/oder Prüfung der streitigen Bilanzen möglicherweise verursachten Inanspruchnahme der Klägerin durch Dritte gestellt, sondern weil die Beklagte mit den Ersterwerbern kollusiv zusammengewirkt haben soll, damit die Ersterwerber die von ihnen nach der Behauptung der Klägerin dann auch genutzte Möglichkeit hätten, sich Werte der unterbewerteten Gesellschaft anzueignen, um hiermit das für den Kaufpreis aufgenommene Darlehen alsbald tilgen zu können. So heißt es in der Berufungsbegründungsschrift (auf S. 19), dass "das bei Management-by-out-Privatisierung gebräuchliche Modell hier manipulativ so verbessert" worden sei, dass eine fast volle Abdeckung des Kaufpreises aus zukünftigen Erträgen und Darlehen der Klägerin als gesichert erschienen sei. Außerdem behandelt die Berufungsbegründung (auf S. 60 ff.) ausdrücklich verdeckte Gewinnausschüttungen, Darlehen und eine Vorabausschüttung von 2 Mio. DM an die Ersterwerber. Das genügte im Hinblick auf das vom LG vermisste Eingehen auf eine mögliche Schädigung der Klägerin, die dadurch geschehen sein soll, dass die Beklagte die Bilanzen geprüft hat. Auch insoweit ist ohne Belang, ob diese oder andere in der Berufungsbegründung hierzu gemachten Ausführungen schlüssig, hinreichend substanziiert oder rechtlich haltbar sind.

2. Das Berufungsgericht, das - wie die Nichtannahme der Revision im Übrigen zeigt - Ansprüche wegen Schlechterfüllung ohne Rechtsfehler verneint hat, wird deshalb nunmehr über das auf Grund des zusätzlichen Vortrags der Klägerin möglicherweise berechtigte Schadensersatzfeststellungsbegehren sachlich zu entscheiden und die Kostenentscheidung neu zu treffen haben. Dabei werden das gesamte insoweit einschlägige Vorbringen der Parteien hierzu einschließlich etwaiger geltend gemachter Einreden und das - ggf. nach prozessfördernder gerichtlicher Anleitung - insoweit ergänzend Vorgebrachte zu berücksichtigen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 962607

BGHR 2003, 1236

NJOZ 2003, 3002

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