Leitsatz (amtlich)

Ist die gewollte, von der Tilgungsreihenfolge nach § 366 Abs. 2 BGB abweichende Beziehung einer Geldleistung auf einen bestimmten Teil der Schuld nicht ohne weiteres ersichtlich, so muß der Schuldner die Zuordnung vornehmen und kenntlich machen, wenn er den Erfüllungszweck erreichen will.

Die Aufrechnung gegenüber einen nach § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unpfändbaren Rentenanspruch ist auch dann unzulässig, wenn die zur Aufrechnung gestellte Forderung aus einer für den Unterhalt des Rentenberechtigten bestimmten Leistung entstanden ist.

 

Normenkette

BGB §§ 362, 394

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Celle vom 20. Juli 1961 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision werden dem Beklagten auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin erlitt am 17. Januar 1947 als Insassin eines vom Beklagten gesteuerten Personenkraftwagens erhebliche Verletzungen, als sich das Fahrzeug auf vereister Straße überschlug. Sie trug eine schwere Hirnschädigung davon, die zu epileptischen Anfällen, Dämmerzuständen und schließlich zu einer Wesensveränderung führte. Auf einen im Oktober 1951 gestellten Antrag ihres Sohnes – ihr Ehemann ist seit 1942 vermißt – wurde die Klägerin am 29. November 1951 unter vorläufige Vormundschaft gestellt und am 10. Juni 1952 wegen Geistesschwäche entmündigt.

Zuvor erstritt die Klägerin im vorliegenden Verfahren ein rechtskräftig gewordenes Teil- und Grundurteil des Landgerichts vom 7. Februar 1949, das ihre Ansprüche gegen den Beklagten auf Ersatz von 2.652,92 DM Unfallschaden und Zahlung eines Schmerzensgeldes dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärte und die Verpflichtung des Beklagten zum Ausgleich aller weiteren, unfallbedingten Schäden feststellte. Daraufhin verglich sich der Haftpflichtversicherer des Beklagten am 16. Mai 1950 mit der Klägerin dahin, daß diese sich gegen Zahlung von 20.250 DM hinsichtlich sämtlicher Ansprüche aus dem Unfall für abgefunden erklärte. Die Vergleichssumme wurde entrichtet, die Klage indessen nicht zurückgenommen.

Im März 1957 nahm die nunmehr durch ihren Vormund vertretene Klägerin das ruhende Verfahren auf. Sie wiederholte zunächst ihren ursprünglichen Antrag, den Beklagten zur Zahlung von 2.652,92 DM und Entrichtung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu verurteilen. Im Berufungsrechtszug nahm sie das letztere Begehren zurück, erhöhte jedoch den Zahlungsantrag um 30.000 DM wegen ihres inzwischen eingetretenen, weiteren Verdienstausfalls.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei schon bei Abschluß des Vergleiches dauernd geschäftsunfähig gewesen und habe das empfangene Geld durch unverständige Maßnahmen alsbald verloren. Der Beklagte hat beides bestritten und um Abweisung der Klage gebeten. Er hat sich auch auf die Verjährung der Forderung berufen und hilfsweise mit dem Anspruch auf Rückzahlung der Vergleichssumme aufgerechnet.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Anspruch insoweit dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, als er auf den Ersatz von Verdienstausfall in der Zeit vom 17. Januar 1955 bis zum 16. Juli 1961 gerichtet ist. Die Revision des Beklagten, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, wendet sich nur noch dagegen, daß die empfangenen 20.250 DM nicht auf den der Klägerin zuerkannten Rentenanspruch angerechnet worden sind und daß das Urteil keinen Vorbehalt wegen des Forderungsübergang auf Sozialversicherungsträger ausspricht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Das Berufungsgericht hat mit Recht ein Erlöschen der dem Grunde nach zuerkannten Ansprüche durch die Leistung des Haftpflichtversicherers verneint.

Die Zahlung der 20.250 DM war dazu bestimmt, den Vergleich vom 16. Mai 1950 zu erfüllen. Es kann unterstellt werden, daß dieser keine forderungsumschaffende Wirkung hatte. Er besagte dann, daß die Ansprüche der Klägerin in Höhe von 20.250 DM als bestehend anerkannt wurden, wogegen die Klägerin auf weitergehende Ansprüche verzichtete. Wäre die Klägerin geschäftsfähig gewesen, so hätte es zur Tilgung, da die Parteien sich über den Zweck der Zahlung einig waren, lediglich noch des rechtswirksamen Erfüllungsgeschäfts bedurft, also der Übereignung des Geldes oder, bei der Überweisung auf ein Konto der Klägerin, der Annahme an Erfüllungs Statt.

Daß der Vergleich die ursprünglichen Ansprüche der Klägerin in Höhe von 20.250 DM bestehen lassen wollte, kann jedoch nach seiner festgestellten Unwirksamkeit nicht dazu führen, der Zahlung der „Vergleichs” summe Tilgungswirkung hinsichtlich eines gleich hohen Teiles der unberührt gebliebenen Gesamtansprüche der Klägerin – überdies nach der nachträglichen Bestimmung des Schuldners – beizumessen. Ein dahingehender Leistungswille hat nicht bestanden, und noch weniger ist er erklärt worden. Beides wäre jedoch erforderlich gewesen, wenn der Haftpflichtversicherer – wie die Revision erstmals behauptet – durch seine Zahlung im Juni 1950 die künftigen Rentenansprüche der Klägerin vom 17. Januar 1955 ab hätte befriedigen wollen. Denn der Zweck der Leistung wäre weder klar gewesen, wie im Falle der Vergleichserfüllung, noch sollte die gesetzliche Tilgungsreihenfolge nach § 366 Abs. 2 BGB gelten. Wenn die Beziehung der Leistung auf einen bestimmten Teil der Schuld nicht ohne weiteres ersichtlich ist, muß der Schuldner die Zuordnung vornehmen und kenntlich machen (vgl. RGRK, 11. Aufl. § 362 BGB Anm. 5), wenn er den Erfüllungszweck erreichen will. Eine solche Zuordnung kann der Haftpflichtversicherer des Beklagten nicht einmal gewollt haben, weil er lediglich die Erfüllung des Vergleichs beabsichtigte, die keine Festlegung auf bestimmte Einzelansprüche der Klägerin erforderte. Überdies stand die Zahlung, weil sie zur Vergleichserfüllung erfolgte, unter dem Vorbehalt des Ausschlusses weiterer Ansprüche der Klägerin, so daß sie die Tilgung der Rentenansprüche vom 17. Januar 1955 ab auch deshalb nicht bewirken konnte, weil sie nicht obligationsgemäß im Sinne von § 362 Abs. 1 BGB gewesen wäre. Unter diesen Umständen kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die Klägerin einen entsprechenden Annahmewillen hätte haben müssen, den sie wegen ihrer Geschäftsunfähigkeit nicht rechtswirksam hätte bilden und betätigen können. Damit entfällt zugleich der von der Revision hervorgehobene Gesichtspunkt einer stillschweigenden Genehmigung der Annahme durch den später bestellten Vormund.

Der Beklagte hat denn auch eine teilweise Tilgung der Klageansprüche durch die „Vergleichs” zahlung niemals behauptet, sondern im Gegenteil stets die Ansicht vertreten, daß sein Haftpflichtversicherer diese Leistung im Falle der Unwirksamkeit des Vergleichs als ungerechtfertigte Bereicherung zurückfordern könne. Er hat sich diesen Anspruch sogar abtreten lassen und damit die Aufrechnung im Prozeß erklärt, und zwar wegen eines Betrages von 46,52 DM mit Erfolg.

2. Im übrigen hat das Berufungsgericht allerdings die Aufrechnung nach § 394 BGB als unzulässig angesehen, weil sie sich gegen unpfändbare (§ 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO) Rentenansprüche der Klägerin richte. Auch das rügt die Revision vergeblich.

Entgegen der Ansicht der Revision ist es ohne Bedeutung, daß die Aufrechnung nur gegenüber dem Anspruch auf rückständige, gegebenenfalls in einer Summe nachzuzahlende Rentenleistungen erklärt worden ist. Auch solche Rückstände werden durch das Pfändungs- und Aufrechnungsverbot geschützt (vg. RG JW 1936, 2403), wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf das Schrifttum zutreffend dargelegt hat.

Die von der Revision hervorgehobene Natur des zur Aufrechnung gestellten Anspruchs, nämlich seine Entstehung aus einer gerade für den Unterhalt des Rentenberechtigten bestimmten Leistung, kann zwar für die ausnahmsweise Zulassung einer Pfändung nach § 850 b Abs. 2 ZPO von Bedeutung sein (vgl. Wieczorek § 850 b ZPO Anm. A III a). Bis zum Erlaß eines solchen, dem Vollstreckungsgericht vorbehaltenen Beschlusses bleibt die Aufrechnung aber gleichwohl unstatthaft (RG DR 1943, 942 Nr. 14)

Schließlich läßt sich aus der Natur des zur Aufrechnung gestellten Anspruchs auch nicht herleiten, daß abweichend von dem in RGZ 160, 148, 152 entschiedenen Fall – die Arglisteinrede gegenüber der Berufung auf die Schutzbestimmungen durchgreifen müßte. Der angezogenen Entscheidung liegt der Gedanke zugrunde, daß die Verteidigung mit dem Pfändungs- und Aufrechnungsverbot niemals arglistig sein könne, weil es gerade der Zweck der Bestimmungen sei, die Durchsetzung der bevorrechtigten Forderungen ohne Rücksicht auf etwa vorhandene Gegenansprüche zu gewährleisten. Zwar war derzeit der Arglist nur darin erblickt worden, daß der Gläubiger eine Leistung verlangte, die er dem Schuldner alsbald zurückgewähren mußte. Vorliegend kann die Revision zusätzlich darauf verweisen, daß die Klägerin sich die Aufrechnung nur insoweit gefallen lassen soll, als die erbrachten Leistungen den Zweck der Bevorrechtigung ihrer Ansprüche, nämlich die Unterhaltssicherung, schon erfüllt haben. Indessen vermag auch dieser Gesichtspunkt keine Durchbrechung des allgemeinen gesetzlichen Verbots zu rechtfertigen. Wie die Revision nicht verkennt, ist es unter den Parteien streitig, ob und inwieweit die Klägerin durch den Empfang der „Vergleichs” summe noch bereichert ist, insbesondere ob sie tatsächlich aus ihr einen Teil des Unterhalts bestritten hat. Vor Klärung diese Frage könnte keinesfalls sachlich über die Aufrechnung entschieden werden, so daß die Klägerin bis dahin mit der Durchsetzung ihrer Rentenanspüche zuwarten müßte. Zweck des gesetzlichen Aufrechnungsverbots ist es jedoch nicht zuletzt, eine solche Verquickung und Verzögerung abzuschneiden. Den bevorrechtigten Ansprüchen kann deshalb auch im vorliegenden Fall nicht mit der Arglisteinrede begegnet werden.

3. Daß es – wie die Revision in ihrer mündlichen Begründung geltend gemacht hat – nicht einmal der Aufrechnung bedürfe, sondern an einem Schaden fehlen würde, soweit die Klägerin das empfangene Geld zur Bestreitung ihres Unterhalts verwandt haben sollte, ist freilich möglich. Das hätte der Entscheidung, daß der Ersatz von Verdienstausfall für die Zeit vom 17. Januar 1955 bis 16. Juli 1961 dem Grunde nach gerechtfertigt ist, jedoch nur dann entgegenstehen können, wenn die Klägerin in diesem Zeitraum den schon im Juni 1950 erhaltenen Betrag anstelle des entzogenen Einkommens verlebt hätte. Eine tatsächliche Behauptung diesen Inhalts hatte der Beklagte indessen nicht aufgestellt.

4. Schließlich kann die Revision nicht mit Erfolg rügen, daß das Berufungsgericht fehlsam den Übergang eine Teils der Klageansprüche auf Sozialversicherungsträger unberücksichtigt gelassen habe. Denn ihre Begründung stellt neues tatsächliches Vorbringen dar. Der Beklagte hat nämlich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung im Berufungsrechtszug weder geltend gemacht, daß die unfallunabhängige Witwenrente der Klägerin wegen der Unfallfolgen erhöht worden sei, noch daß die Klägerin Angestelltenrente aus Anlaß des Unfalls beziehe. Wenn auch die Einwendung mangelnder Sachbefugnis von Amts wegen zu berücksichtigen ist, so müssen sich doch die Tatsachen, die sie begründen könnten, aus dem unterbreiteten Sachverhalt ergeben. Das war weder wegen der Versorgungs- noch wegen der Angestelltenrente der Fall, weil nichts auf einen Zusammenhang mit dem Unfall hinwies. Selbst wenn ein solcher bestehen sollte wie die Revision nunmehr behauptet, wäre die Nichtberücksichtigung deshalb kein Mangel des Berufungsurteils, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führen könnte; denn das Berufungsgericht hatte keine Amtsermittlungen hinsichtlich der Sachbefugnis anzustellen. Eine tatsächliche Aufklärung in der Revisionsinstanz kommt ebenfalls nicht in Betracht. Ohne eine solche läßt sich aber nicht sagen, ob tatsächlich Forderungsübergänge nach § 1542 RVO stattgefunden haben, so daß das Revisionsgericht die gewünschte Einschränkung der Verurteilung nicht etwa schon aus Rechtsgründen vornehmen kann.

5. Die Revision erweist sich damit als unbegründet. Sie mußte mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609597

JR 1962, 428

JR 1962, 464

MDR 1962, 1001

MDR 1962, 977

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