Entscheidungsstichwort (Thema)
Präklusion des Räumungsurteils: Erneute Räumungsklage nach Fortsetzung des vorprozessualen Verhaltens; erneute Kündigung mittels zuvor objektiv vorhandenen, erst nach Verhandlungsschluß bekannt gewordenen Gründen
Leitsatz (amtlich)
a) Die Abweisung einer früheren, auf eine außerordentliche Kündigung gestützten Räumungsklage hindert den Vermieter nicht, eine erneute Kündigung und Räumungsklage darauf zu stützen, daß der Mieter das beanstandete Verhalten nach der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses fortgesetzt habe.
b) Er ist auch nicht gehindert, eine erneute Kündigung nach § 554a BGB auf solche Gründe zu stützen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses zwar schon objektiv vorlagen, ihm aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden sind.
Normenkette
BGB §§ 553, 554a; ZPO § 322 Abs. 1
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 1. August 1995 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von den Beklagten nach einer erfolglosen ersten Klage erneut Räumung und Herausgabe einer rund 340 m² großen Teilfläche ihres Mehrzweckgebäudes in Chemnitz, die sie dem Beklagten zu 1 mit „Nutzungs-/Pachtvertrag” vom B. August 1990 nebst Nachtrag vom 15. August 1990 für zunächst 10 Jahre zu einem monatlichen Entgelt von 16,50 DM/m² zum Betrieb einer Diskothek und Tanzbar überlassen hatte.
Ihre frühere Räumungsklage hatte die Klägerin auf eine zum 30. September 1993 erklärte Kündigung vom 9. März 1993 gestützt und geltend gemacht, der Beklagte zu 1 habe der Beklagten zu 2 und einem weiteren Beklagten jenes Verfahrens unbefugt die Mitbenutzung der Räume überlassen und betreibe darin gemeinsam mit ihnen vertragswidrig eine Nachtbar, deren Werbung mit „Show nonstop” und „Erotik pur” auf Striptease hinweise und erkennen lasse, „daß die Damen auch zum Animieren und mehr beschäftigt” würden. Ein solches Etablissement sei mit dem Ruf der Klägerin nicht vereinbar und rechtfertige die Beendigung des Mietverhältnisses.
Das Landgericht sah die Mitbenutzung durch die Beklagten zu 2 und 3 als von der Klägerin stillschweigend geduldet an und wies die Klage durch Urteil vom 2. August 1994 unter anderem mit folgender Begründung ab:
„Das Mietverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1 ist auch nicht unzumutbar gem. § 554a BGB, da der Betrieb einer Nachtbar nicht gegen den Vertrag vom 08.08.1990 verstößt. Einerseits ist zwischen den Prozeßparteien nicht vereinbart worden, daß der Diskobetrieb zeitlich begrenzt wird, andererseits bedingen die geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse und Bedürfnisse der Bevölkerung, daß eine Diskothek auch als Nachtbar betrieben wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch nicht als sittlich anstößig zu werten, wenn die Beklagten mit „Show nonstop – Erotik pur” werben und entsprechende Showeinlagen in das nächtliche Programm einbringen …. Der Argumentation der Klägerin könnte nur dann gefolgt werden, wenn durch den Betrieb der Nachtbar ordnungsrechtliche oder strafrechtliche Bestimmungen verletzt würden. Diesbezüglich trägt die Klägerin jedoch nichts vor.”
Ihre Berufung gegen dieses Urteil nahm die Klägerin am 20. Oktober 1994 zurück.
Sie stützt ihre erneute Klage auf eine weitere, nach Rechtskraft des ersten Urteils erklärte fristlose Kündigung vom 1. Dezember 1994.
Das Landgericht wies die Klage als unzulässig ab, weil ihr die Rechtskraft des ersten Urteils entgegenstehe. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin wies das Oberlandesgericht als unbegründet zurück. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Räumungs- und Herausgabebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat sich der Auffassung des Landgerichts angeschlossen, Antrag und Klagegrund beider Verfahren seien identisch, so daß der erneuten Klageerhebung gemäß § 322 ZPO die materielle Rechtskraft des früheren klagabweisenden Urteils entgegenstehe.
Daran ändere auch der Umstand nichts, daß die Klägerin sich im vorliegenden Verfahren auf eine erneute Kündigung berufe und diese darauf stütze, am 21. November 1994 erfahren zu haben, daß die Beklagten seit März 1993 in den Mieträumen die Prostitution förderten, indem sie die Barmädchen anhielten, in den mittlerweile erstellten Séparés ihre Kleidung mindestens bis zum Gürtel abzulegen, und auf Wunsch der Gäste mit vom Beklagten zu 1 bestellten Taxen zum „East-Side” führen, um dort in ihren Zimmern den Beischlaf zu vollziehen.
Mit diesem Vorbringen sei die Klägerin nämlich auch dann, wenn sie hiervon erst im November 1994 erfahren haben sollte, durch die Rechtskraft des früheren Urteils präkludiert. Die nunmehr behaupteten Tatsachen stellten nämlich lediglich eine Ergänzung des im Vorprozeß vorgetragenen Tatsachenstoffs dar; die im Vorprozeß unterlegene Partei könne sich darauf nicht mehr berufen, wenn diese Tatsachen bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses vorgelegen hätten und bei natürlicher Anschauung zu dem bis dahin vorgetragenen Lebenssachverhalt gehörten. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben, weil die Klägerin schon im Vorprozeß vorgetragen habe, daß „die Damen zum Animieren und mehr” beschäftigt würden.
2. Das hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Daß die im Vorprozeß und hier gestellten Klageanträge einander inhaltlich entsprechen, ist für die Zulässigkeit der erneuten Klage ohne Bedeutung. Nach rechtskräftiger Abweisung der Räumungsklage steht für die Parteien lediglich fest, daß im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ein Anspruch auf Räumung nicht bestand. Einer neuen Klage, mit der geltend gemacht wird, das Mietverhältnis sei durch erneute Kündigung nunmehr beendet, steht dies grundsätzlich nicht entgegen (vgl. RG WarnRspr 1926 Nr. 182).
b) Soweit ersichtlich, ist höchstrichterlich allerdings noch nicht entschieden, ob der mit seiner Räumungsklage rechtskräftig abgewiesene Vermieter mit gleicher Begründung erneut kündigen und Räumung verlangen kann (vgl. Stadie MDR 1978, 798 ff.; für den Fall der arbeitsrechtlichen Kündigung offen gelassen von BAG AP § 626 BGB Nr. 11 S. 3).
Der vorliegende Fall gibt indes keinen Anlaß, diese Rechtsfragen zu entscheiden. Denn die zweite fristlose Kündigung der Klägerin ist darauf gestützt, daß im Betrieb der Beklagten „seit der Wiedereröffnung des Betriebes nach dem 17.03.1993 in massiver Weise die Prostitution gefördert werde”.
Selbst wenn der Auffassung des Berufungsgerichts zu folgen wäre, dieser Klagegrund sei mit jenem des Vorprozesses inhaltlich identisch, ist zu berücksichtigen, daß die zweite Kündigung sich auch auf die Förderung der Prostitution nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses stützt. Mit dem Kündigungsgrund der Fortsetzung eines solchen Verhaltens kann die Klägerin allein wegen der zeitlichen Grenze der Rechtskraft nicht ausgeschlossen sein.
Eine wie auch immer geartete Präklusion ist auch nicht damit zu begründen, der nunmehr vorgetragene Kündigungsgrund erschöpfe sich bei „natürlicher Betrachtungsweise” in der Fortsetzung eines bereits im Vorprozeß beanstandeten Verhaltens. Nach dem maßgeblichen Zeitpunkt eingetretene Tatsachen sind auch dann nicht präkludiert, wenn sie mit im Vorprozeß vorgetragenen Tatsachen in einem Fortsetzungszusammenhang stehen (vgl. Wieczorek, ZPO 2. Aufl. § 322 Anm. E IVa 5; vgl. auch Senatsurteil vom 30. Mai 1990 – XII ZR 57/89 – FamRZ 1990 1095, 1096; RG JW 1915, 784 ff.).
Dies gilt jedenfalls für den Fall der Kündigung nach §§ 553, 554a BGB, weil die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses auch von der Nachhaltigkeit des beanstandeten Verhaltens abhängig sein kann.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geht der nunmehr geltend gemachte Kündigungsgrund zudem deutlich über das hinaus, was die Klägerin im Vorprozeß zur Rechtfertigung ihres Räumungsbegehrens vorgetragen hatte.
Dort hatte sie den Beklagten nur vorgeworfen, die vereinbarungsgemäß als Diskothek genutzten Räume in eine Nachtbar umgewandelt zu haben, wenn auch mit der im Berufungsurteil zitierten Andeutung in der damaligen Klageschrift, daß „die Damen auch zum Animieren und mehr beschäftigt” würden.
Im vorliegenden Verfahren stützt die Klägerin ihre erneute Kündigung vom 1. Dezember 1994 auf weit massivere, erstmals auch strafrechtlich relevante Vorwürfe. Mit Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe angesichts der unter Beweis gestellten Behauptung der Klägerin, die Beklagten hätten die bei ihnen angestellten Frauen zur Prostitution angehalten und diese gefördert, nicht von einem bei natürlicher Anschauung bereits im Vorprozeß unterbreiteten Lebenssachverhalt ausgehen dürfen. Insbesondere kann der im Vorprozeß vorgebrachten Andeutung, die Frauen würden zum „Animieren und mehr” beschäftigt, nicht schon die Behauptung entnommen werden, den Gästen werde regelmäßig auch Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr geboten.
Dies gilt um so mehr, als das Urteil im Vorprozeß die ausdrückliche Feststellung enthält, die Klägerin habe nichts vorgetragen, was auf eine Verletzung ordnungs- oder strafrechtlicher Bestimmungen hinweise, wohingegen der Vortrag der Klägerin im vorliegenden Verfahren die objektiven Tatbestandsmerkmale der Förderung der Prostitution, § 180a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 StGB, enthält.
Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, daß § 180a Abs. 1 StGB zwar voraussetzt, daß der Prostitution „in” dem Betrieb nachgegangen wird, dies aber nicht ausschließt, daß sich Prostituierte dort lediglich anbieten und der eigentliche Sexualkontakt in anderen Räumlichkeiten stattfindet (vgl. Schönke/Schröder/Lenckner, StGB 25. Aufl. § 180a Rdn. 4).
Zum anderen hat die Klägerin in der Klageschrift des vorliegenden Verfahrens, deren unzureichende Berücksichtigung die Revision rügt, unter Beweisantritt auch behauptet, der Beklagte zu 1 habe das Quartier, in dem die Frauen mit den Gästen geschlechtlich verkehrten, für sie angemietet. Im Zusammenhang mit dem übrigen Vorbringen, insbesondere auch im Hinblick auf die weitere Angabe in dem in der Klageschrift in Bezug genommenen und ihr als Anlage beigefügten Kündigungsschreiben vom 1. Dezember 1994, die „eigens hierfür engagierten Mitarbeiterinnen” seien dort „auch zum Beischlaf untergebracht” worden und dürften sich „dem Wunsch der Gäste nach Geschlechtsverkehr … nicht entziehen”, schließt dies die Behauptung der Wohnungsgewährung „zur Ausübung der Prostitution” (§ 180 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) ein.
d) Nach alledem kann der Auffassung des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden, daß der Vermieter einer Diskothek, der sich der Umwandlung in eine Erotik-Nachtbar ohne Erfolg mit einer Räumungsklage widersetzt hat, das Mietverhältnis selbst dann nicht vorzeitig beenden könne, wenn er – wie hier revisionsrechtlich zu unterstellen ist – nachträglich erfährt, daß sein Mieter dort in Wirklichkeit einen bordellähnlichen Betrieb unterhält und sich nach § 180a StGB strafbar macht.
Dem steht der Grundsatz, daß bereits die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses gegebene objektive Möglichkeit der Ausübung eines Gestaltungsrechts dessen spätere Ausübung ausschließt (vgl. BGHZ 42, 37, 40 m.N.), nicht entgegen. Insoweit kann dahinstehen, ob für die Kündigung nach §§ 553, 554 a BGB eine Ausnahme schon deshalb zu machen ist, weil die Kündigung – im Gegensatz etwa zur Aufrechnung oder Anfechtung – nicht zurückwirkt und dem zur Kündigung Berechtigten die Wahl des Zeitpunkts bis zur Grenze der Verwirkung seines Gestaltungsrechts freistehen soll (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO 20. Aufl. vor § 322 Rdn. 67; für die Ausübung einer Verlängerungsoption BGHZ 94, 29, 34 f.). Jedenfalls für die Präklusion der Kündigungsgründe des § 554a BGB kommt es nämlich auch auf den Zeitpunkt der Kenntnis von dem pflichtwidrigen Verhalten des anderen Vertragsteils an, weil erst die endgültige Zerstörung der gegenseitigen Vertrauensgrundlage eine solche Kündigung rechtfertigt und das Vertrauen des Vertragspartners erst durch die Kenntnis des pflichtwidrigen Verhaltens des anderen Vertragsteils erschüttert wird (im Ergebnis ebenso für den Fall der arbeitsrechtlichen Kündigung BAG AP § 626 BGB Nr. 11 S. 3; vgl. auch zur Geltendmachung im Vorprozeß noch nicht bekannter Scheidungsgründe BGHZ 4.5, 329, 332).
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, weil eine Sachentscheidung erforderlich ist und tatsächliche Feststellungen zur Berechtigung der zweiten Kündigung fehlen.
Fundstellen
Haufe-Index 640472 |
NJW 1998, 374 |
NZM 1998, 33 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1998, 607 |
ZIP 1997, 2010 |
ZMR 1998, 77 |
JA 1998, 533 |
MDR 1998, 148 |
WuM 1998, 97 |
IPuR 1998, 50 |
www.judicialis.de 1997 |