Leitsatz (amtlich)
Die Werbung für Arzneimittel, die keine Psychopharmaka im pharmakologischen Sinne sind und durch die Werbung auch nicht als dazu bestimmt erscheinen, unterfällt nicht dem Werbeverbot des § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG.
Normenkette
UWG § 1; HWG § 10 Abs. 2 Altern. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 10. Juli 1997 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Schlußurteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 10. Januar 1997 abgeändert und die Klage, soweit ihr nicht durch Anerkenntnisteilurteil vom 29. November 1996 stattgegeben worden ist, abgewiesen.
Die Kosten erster Instanz hat der Kläger zu 8/9, die Beklagte zu 1/9 zu tragen.
Die Kosten der Rechtsmittel werden dem Kläger auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte, ein Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, warb in der Zeitschrift „Bild der Frau” vom 1. Juli 1996 unter der Überschrift „Seelenruhig durch die Wechseljahre” für das von ihr vertriebene, nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtige Arzneimittel B. mit der nachfolgend wiedergegebenen Anzeige:
Der klagende Wettbewerbsverein, der es sich nach seiner Satzung zur Aufgabe gemacht hat, die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs zu überwachen, hat die darin enthaltenen Werbeaussagen „Gegen die seelische Krise gibt es jetzt eine gut verträgliche Hilfe: B.” und „B. bringt die Seele ins Gleichgewicht” wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes i.V. mit § 1 UWG beanstandet und Unterlassung begehrt. Mit den angegriffenen Werbeaussagen verletze die Beklagte § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG, wonach außerhalb der Fachkreise nicht für Arzneimittel geworben werden dürfe, die dazu bestimmt seien, die Stimmungslage zu beeinflussen. Die Angabe, B. bringe „die Seele ins Gleichgewicht”, verstoße zusätzlich gegen § 3 UWG und § 3 Nr. 2 a HWG, weil der Erfolg als sicher dargestellt werde, Beeinträchtigungen des seelischen Gleichgewichts hingegen vielschichtig sein könnten und das beworbene Arzneimittel, das ausweislich der Pflichtangaben in der Werbung bei psychovegetativen Störungen wirke, nur einen kleinen Ausschnitt erfasse. Ausgeschlossen sei, daß das Mittel in jedem denkbaren Fall das seelische Gleichgewicht vollständig wiederherstelle.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat die Prozeßführungsbefugnis des Klägers in Abrede gestellt und geltend gemacht, die Rechtsverfolgung erfolge mißbräuchlich, da der Kläger eine vergleichbare Werbung eines Mitglieds dulde. In der Sache hat sie die Ansicht vertreten, daß das beworbene pflanzliche Beruhigungsmittel nicht in den Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes falle.
Das Landgericht hat die angegriffene Werbung untersagt.
Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist im wesentlichen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat – unter Abweisung der Klage im übrigen – dem Unterlassungsbegehren entsprechend einem Hilfsantrag des Klägers stattgegeben und die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel „B.” außerhalb der Fachkreise (§ 2 HWG) zu werben:
- „Gegen die seelische Krise gibt es jetzt eine gut verträgliche Hilfe: B.”,
- „B. bringt die Seele ins Gleichgewicht”
wie in der angegriffenen Werbeanzeige.
Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat den Kläger als prozeßführungsbefugt angesehen und den Einwand einer mißbräuchlichen Rechtsverfolgung (§ 13 Abs. 5 UWG) als nicht durchgreifend erachtet.
In der Sache hat es angenommen, daß die beanstandete Werbung zwar nicht irreführend sei, jedoch gegen § 1 UWG i.V. mit § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG verstoße. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:
Primärzweck des beworbenen Arzneimittels B. sei – wie in § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG vorausgesetzt – die Beeinflussung der Stimmungslage. Dies ergebe sich sowohl aus den für den Wirkstoff Johanniskraut angegebenen Indikationen als auch aus dem weiteren Inhalt der angegriffenen Werbeanzeige, insbesondere aus den vom Kläger in seinem Vorbringen in den Vordergrund gerückten Angaben, daß B. bei seelischen Krisen helfe und die Seele ins Gleichgewicht bringe, sowie der Überschrift „Seelenruhig durch die Wechseljahre”. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Verstimmungszustände, für die der Wirkstoff Johanniskraut-Trockenextrakt indiziert und zugelassen sei, oder die Zustände, die in der Werbeanzeige als häufige Erscheinungen des Klimakteriums beschrieben seien, Krankheitscharakter hätten. Während Verstimmungen krankhafter Natur bereits durch den Begriff der psychischen Störungen in der zweiten Tatbestandsalternative des § 10 Abs. 2 HWG erfaßt würden, seien als Gegenstand der hier eingreifenden dritten Tatbestandsalternative pathologisch indifferente Zustände sonst gesunder Menschen von gewisser Dauer anzusehen. Diese Auslegung entspreche der Zielsetzung des Gesetzes, der Gefahr eines Fehlgebrauches von Arzneimitteln entgegenzuwirken, die bei Mitteln zur Stimmungsbeeinflussung wegen einer von ihnen ausgehenden Verlockung besonders naheliege. Eine Beschränkung des dem Wortlaut nach weit gefaßten Publikumswerbeverbots des § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG auf Mittel mit Suchteffekten oder solche, die auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch – hier nicht zu besorgende – gefährliche Nebenwirkungen hätten, sei nicht geboten, da solche Arzneimittel durch Rechtsverordnung nach § 48 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AMG der Verschreibungspflicht unterlägen und demnach dem Verbot der Publikumswerbung nach § 10 Abs. 1 HWG unterworfen seien. Zwar sei seit dem Urteil des Bundesgerichtshofes „Klosterfrau Melissengeist” (v. 21.5.1979 – I ZR 109/77, GRUR 1979, 646) zur ersten Tatbestandsalternative anerkannt, daß als Mittel zur Beseitigung der Schlaflosigkeit i.S. von § 10 Abs. 2 Altern. 1 HWG nur Schlafmittel im pharmakologischen Sinne zu verstehen seien, d.h. solche, die – wie Narkotika und Hypnotika – den Schlaf erzwängen und nicht lediglich die Schlafbereitschaft förderten. Daraus könne aber – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht geschlossen werden, daß als Arzneimittel zur Beeinflussung der Stimmungslage nur Psychopharmaka im pharmakologischen Sinne in Betracht kämen. Anders als bei der Regelung des § 10 Abs. 2 Altern. 1 HWG, die mit Rücksicht auf ihre Entstehungsgeschichte restriktiv zu interpretieren sei, führe die historische Auslegung bei der zweiten und dritten Alternative, mit denen das Publikumswerbeverbot auf Arzneimittel zur Beseitigung psychischer Störungen und zur Beeinflussung der Stimmungslage ausgedehnt worden sei, nicht weiter. Eine gegenüber dem Wortsinn engere Auslegung rechtfertige sich auch nicht aus einer „gleichen Gefahrenlage”, mit der der Erweiterungsvorschlag begründet worden sei. Die von Mitteln zur Beseitigung der Schlaflosigkeit ausgehenden Gefahren seien schon deshalb kaum mit den Gefahren von Mitteln zur Beseitigung psychischer Störungen und zur Beeinflussung der Stimmungslage vergleichbar, weil sie der Bekämpfung einer eindeutigen Symptomatik dienten, während die Symptome einer Verstimmung vielfältig und typischerweise diffus seien. Außerdem berge eine – durch Publikumswerbung geförderte – Selbstmedikation mit einem Mittel zur Beeinflussung der Stimmungslage unabhängig von Nebenwirkungen und einem etwaigen Suchtpotential die Gefahr, daß lediglich auf die Symptome eingewirkt werde, eine Abklärung möglicher Ursachen der Verstimmung jedoch unterbleibe.
Diese Auslegung stehe auch in Einklang mit der Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992, die in Art. 3 Abs. 1 eine Öffentlichkeitswerbung u.a. für Arzneimittel, die „psychotrope Substanzen” enthielten, untersage. Johanniskraut-Präparate seien nach der „Roten Liste 1992” als (pflanzliche) Psychopharmaka einzuordnen und stünden daher psychotropen Substanzen gleich.
II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
1. Die Revision stellt die Prozeßführungsbefugnis des Klägers nicht in Frage. Bedenken sind insoweit nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch für den hier maßgeblichen Pharmabereich nicht gegeben (vgl. BGH, Urt. v. 18.3.1999 – I ZR 33/97, WRP 1999, 918, 919 – Hypotonietee).
Die Revision nimmt ferner rügelos hin, daß das Berufungsgericht den die Zulässigkeit der Klage betreffenden Einwand einer mißbräuchlichen Rechtsverfolgung (§ 13 Abs. 5 UWG) nicht für durchgreifend erachtet hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, sachfremde Erwägungen, die das gerichtliche Vorgehen gegen die Beklagte mit Blick auf das mangelnde Einschreiten des Klägers gegen die Werbung eines Mitglieds für ein Johanniskraut-Präparat als mißbräuchlich erscheinen ließen, seien vorliegend nicht ersichtlich, begegnet ebenfalls revisionsrechtlich keinen Bedenken (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.1996 – I ZR 7/94, GRUR 1997, 537 = WRP 1997, 721 – Lifting-Creme).
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts verstoßen die angegriffenen Werbeaussagen nicht gegen das in § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG geregelte Verbot, außerhalb der Fachkreise für Arzneimittel zu werben, die dazu bestimmt sind, die Stimmungslage zu beeinflussen.
Die Revision macht mit Recht geltend, daß in den Anwendungsbereich dieser Regelung – anders als es das Berufungsgericht gesehen hat – nur Psychopharmaka im pharmakologischen Sinne fallen, d.h. Arzneimittel, die vor allem die Aktivität des zentralen Nervensystems beeinflussen und eine Wirkung auf psychische Funktionen haben (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl. 1998, S. 1315).
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß B. nicht zu den Psychopharmaka im pharmakologischen Sinne gehört. Das haben auch die Parteien nicht anders gesehen; auch die Revisionserwiderung enthält insoweit keine Angriffe. Nach der als Anlage B 4 vorgelegten Monografie des Bundesgesundheitsamtes vom 1. November 1984 wird der in dem Mittel B. enthaltene Wirkstoff Johanniskraut-Trockenextrakt bei psychovegetativen Störungen, depressiven Verstimmungszuständen, Angst und/oder nervöser Unruhe angewandt, wobei nach den ärztlichen Erfahrungsberichten Johanniskraut eine milde antidepressive Wirkung hat. Danach greift B. nicht nachhaltig in das zentrale Nervensystem ein. Das Berufungsgericht hat zu Recht dem Umstand, daß Johanniskraut-Präparate in der „Roten Liste 1992” unter der Gruppe der (pflanzlichen) Psychopharmaka aufgeführt sind, keine gegenteilige Bedeutung beigemessen. Diese Eingruppierung besagt noch nichts über die pharmakologische Wirksamkeit des Mittels. Auch Sedativa und Hypnotika auf pflanzlicher Basis sind in der „Roten Liste” erfaßt (vgl. Doepner, WRP 1978, 611, 615), ohne daß sie – wie das Sedativ Klosterfrau Melissengeist – als Schlafmittel im pharmakologischen Sinne anzusehen wären (vgl. BGH, Urt. v. 21.5.1979 – I ZR 109/77, GRUR 1979, 646 – Klosterfrau Melissengeist).
b) Welche Mittel vom Verbot des § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG erfaßt werden, ergibt sich allerdings nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes. Der Begriff „Stimmungslage” ist weder im juristischen noch im medizinischen Sprachgebrauch klar umgrenzt. Dementsprechend besteht auch im Schrifttum über die Auslegung dieser Vorschrift keine Einigkeit (vgl. Doepner, WRP 1979, 279, 285; Ring in Bülow/Ring, HWG, 1996, § 10 Rdn. 24 f; Gröning, Heilmittelwerberecht, Bd. 1, Stand: August 1998, § 10 Rdn. 56; Hoffmann in Kleist/Hess/Hoffmann, HWG, 2. Aufl., Stand: Sept. 1998, § 10 Rdn. 36 ff.). Dem Wortlaut der Vorschrift ist jedenfalls nur zu entnehmen, daß die drei Tatbestandsalternativen des § 10 Abs. 2 HWG grundsätzlich gleichwertig nebeneinanderstehen, wobei – wie die nachfolgend dargestellte Entstehungsgeschichte zeigt – die zweite und die dritte Tatbestandsalternative eng miteinander verknüpft sind (vgl. Ring in Bülow/Ring aaO § 10 Rdn. 10; Hoffmann in Kleist/Hess/Hoffmann aaO § 10 Rdn. 36).
c) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes spricht dafür, daß von dem Werbeverbot nur Psychopharmaka im pharmakologischen Sinne erfaßt sein sollten. Anders als bei der ersten Tatbestandsalternative (vgl. dazu BGH GRUR 1979, 646, 647 – Klosterfrau Melissengeist) kann bei der Auslegung der hier in Betracht kommenden dritten – ebenso wie bei der zweiten – Tatbestandsalternative nicht auf eine längere, in mehreren Schritten vollzogene Gesetzesentwicklung zurückgeblickt werden. Durch das am 1. Januar 1978 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976 (BGBl. I, 2445) ist – auf Vorschlag des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (BT-Drucks. 7/5025 v. 12.4.1976, S. 86) – das Werbeverbot auf solche Arzneimittel ausgedehnt worden, die dazu bestimmt sind, psychische Störungen zu beseitigen (Altern. 2) oder die Stimmungslage zu beeinflussen (Altern. 3). Diese im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung nicht vorgesehene Erweiterung hat der Ausschuß damit begründet, daß die Werbung für solche Mittel wegen der gleichen Gefahrenlage den gleichen Einschränkungen unterworfen werden solle wie eine Werbung für Schlafmittel (BT-Drucks. 7/5091 v. 28.4.1976, S. 23). Für diese Erweiterung hatte sich insbesondere das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg eingesetzt, nachdem im Rahmen der Drogenberatung das Angebot von verschreibungsfreien Arzneimitteln auf dem Markt aufgefallen war, die unter der Bezeichnung „X-Psychodragées” als Medikamente beworben wurden, die unter anderem den Gemütszustand beeinflußten, Angst und Spannungen vertrieben, Hemmungen lösten und gedrückte Stimmung in freundliche umwandelten, gegen Erregungszustände wirkten, seelische Verkrampfungen lösten und zu einer positiven Lebenseinstellung verhülfen (vgl. – auch zum genauen Wortlaut der Werbeangebote, die Anlaß für die Gesetzesinitiative waren – Jägerhuber, DAZ 1978, 1963; abgedruckt auch bei Kleist/Hess/Hoffmann aaO § 10 Rdn. 34). Dem sollte mit dem Publikumswerbeverbot für Mittel zur Beseitigung psychischer Störungen und zur Beeinflussung der Stimmungslage begegnet werden, weil für solche Mittel eine gleiche Gefahrenlage erkannt wurde, wie bei Schlafmitteln im Sinne der ersten Alternative. Durch die Einführung der zweiten und dritten Alternative sollte verhindert werden, daß Menschen – beeinflußt durch die Werbung – leichtfertig zu Arzneimitteln greifen, um ihre psychischen Probleme zu lösen oder einen angenehmen Gemütszustand zu erreichen, und hierdurch in die Gefahr einer physischen oder auch nur psychischen Arzneimittelabhängigkeit geraten. In der Gesetzesbegründung, die an eine dem Gefährdungspotential von Schlafmitteln im Sinne der ersten Alternative vergleichbare Gefahrenlage anknüpft, kommt zum Ausdruck, daß es sich nicht nur bei dieser (vgl. dazu BGH GRUR 1979, 646 – Klosterfrau Melissengeist), sondern auch bei der hier einschlägigen dritten Alternative um Psychopharmaka im pharmakologischen Sinne handeln sollte (zur restriktiven Auslegung der dritten Tatbestandsalternative vgl. Ring in Bülow/Ring aaO § 10 Rdn. 25; Hoffmann in Kleist/Hess/Hoffmann aaO § 10 Rdn. 39; Forstmann, WRP 1977, 691, 695; Gröning aaO § 10 Rdn. 67; Hoffmann, Urteilsanm. zu Klosterfrau Melissengeist, PharmaR 1979, Jahrgang 2, Ausgabe 4, 16, 17). Das bedeutet, daß unter das Werbeverbot auch nur solche Mittel zur Beeinflussung der Stimmungslage fallen, die wegen ihrer Ungeeignetheit zur Selbstmedikation ein ähnliches Gefahrenpotential aufweisen wie Schlafmittel im pharmakologischen Sinn.
d) Das aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nahegelegte Ergebnis wird bestätigt durch den Systemzusammenhang der drei Tatbestandsalternativen des § 10 Abs. 2 HWG, die – wie oben ausgeführt – grundsätzlich gleichwertig nebeneinander stehen. Die in dieser Vorschrift genannten Mittel zur Beseitigung der Schlaflosigkeit, zur Beseitigung psychischer Störungen und zur Beeinflussung der Stimmungslage haben gemeinsam, daß sie in der Hauptsache auf eine Behebung von Syndromen oder einzelnen Symptomen abzielen und nicht die eigentlichen Ursachen bekämpfen (vgl. Doepner, Heilmittelwerbegesetz, § 10 Rdn. 7 und Rdn. 25; Gröning aaO § 10 Rdn. 13). Ist ihre Anwendung – wie bei der Selbstmedikation – nicht Teil eines medizinischen Gesamtbehandlungsplanes, so besteht die Gefahr, daß ein erforderlicher Arztbesuch und eine Erforschung und Behandlung der Ursachen wegen dauerhafter Unterdrückung der unerwünschten Symptome, die auch Warnzeichen für ernsthafte Erkrankungen sein können, unterbleibt. Daneben besteht bei den in § 10 Abs. 2 HWG genannten Arzneimitteln die Gefahr einer Gewöhnung, die zu einer psychischen oder physischen Abhängigkeit führen kann (Doepner aaO § 10 Rdn. 7; Gröning aaO § 10 Rdn. 10, Rdn. 44).
Diese Gefahrenlage läßt Arzneimittel zur Beeinflussung der Stimmungslage für eine medikamentöse Selbstbehandlung ebenso ungeeignet erscheinen wie Mittel zur Beseitigung der Schlaflosigkeit. Dies trifft aber nur auf solche Arzneimittel zur Beseitigung psychischer Störungen und zur Beeinflussung der Stimmungslage zu, die ebenso wie Schlafmittel im pharmakologischen Sinn (Altern. 1) einen gewissen toxikologischen bzw. pharmakologischen Wirkungsgrad aufweisen (vgl. Gröning aaO § 10 Rdn. 50). Zu diesen Arzneimitteln gehört grundsätzlich die Gruppe der Psychopharmaka, d.h. Arzneimittel, die vor allem die Aktivität des zentralen Nervensystems beeinflussen und eine Wirkung auf psychische Funktionen haben (vgl. oben unter II 2). Hiervon auszunehmen sind jedoch rein pflanzliche Mittel, die keine Abhängigkeit erzeugen und lediglich dazu bestimmt sind, vorübergehende oder situationsbedingte Spannungszustände, Unruhe und Nervosität zu lindern, ohne nachhaltig in das zentrale Nervensystem einzugreifen (vgl. LG Berlin PharmaR 1995, 28, 29; Forstmann, WRP 1977, 691, 695; Gröning aaO § 10 Rdn. 47, 50; Doepner, WRP 1979, 279, 287). Eine dem substanzbezogenen Gefahrenpotential von Schlafmitteln im pharmakologischen Sinn (Altern. 1) vergleichbare Gefährlichkeit ist bei diesen Mitteln nicht gegeben. Fallen nämlich Beruhigungsmittel (Sedativa) aus Baldrian, Hopfen oder Melisse oder wie hier Johanniskraut nicht unter die erste Tatbestandsalternative, weil sie den Schlaf nicht erzwingen, sondern lediglich die Schlafbereitschaft fördern, so können diese Mittel aufgrund ihrer beruhigenden Wirkung auch nicht unter Hinweis auf eine „gleiche Gefahrenlage” als Mittel zur Beeinflussung der Stimmungslage angesehen werden.
e) Auch der anläßlich der Gesetzesänderung zutage getretene Zweck des Gesetzes, einen Fehl- oder Zuvielgebrauch von Psychopharmaka (im pharmakologischen Sinne), die für Zwecke der Selbstmedikation als ungeeignet angesehen wurden, zu verhindern, gibt keinen Anlaß, das Werbeverbot zu begründen. Denn das in Rede stehende Mittel B. hat nach den Erkenntnissen des Bundesgesundheitsamtes lediglich eine milde antidepressive Wirkung. Die Erwägung der Revisionserwiderung, es bestehe beim Kauf des Mittels die Gefahr, daß notwendige ärztliche Hilfe nicht in Anspruch genommen werde, weil nicht erkannt werde, daß die Stimmungslage in Wahrheit krankhafter Natur sei, kann ein Werbeverbot nicht rechtfertigen. Denn das Mittel als solches greift nicht in erheblicher Weise in die körperlichen Funktionen ein, und eine solche Wirkung wird auch nicht in Aussicht gestellt (vgl. dazu nachfolgend unter II 3), so daß der Blick auf notwendige ärztliche Behandlungen nicht verstellt wird. Durch die Werbeaussagen wird das Erzeugnis der Beklagten vielmehr in die Nähe von Hausmitteln gerückt, bei deren Anwendung auch dem Verbraucher geläufig ist, daß er ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen muß, wenn die gewünschten Wirkungen nicht eintreten (vgl. Bürglen, GRUR 1979, 648 f.).
f) Unterfällt das beworbene Mittel schon deshalb nicht dem Werbeverbot des § 10 Abs. 2 Altern. 3 HWG, weil es sich nicht um ein Psychopharmakon im pharmakologischen Sinne handelt, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die vom Berufungsgericht behandelte und von der Revision zur Nachprüfung gestellte Frage nicht mehr an, ob das beworbene Mittel einen anderen Primärzweck als die Beeinflussung der Stimmungslage habe oder ob das Mittel zur Anwendung an kranken oder gesunden Menschen bestimmt sei.
3. Handelt es sich nach alledem bei dem beworbenen Mittel nicht um ein Psychopharmakon im pharmakologischen Sinne, so schließt das nicht aus, daß eine Werbung, die dieses Mittel als ein zur Beeinflussung der Stimmungslage bestimmtes Arzneimittel mit pharmakologischen Wirkungen anpreist, gleichwohl gegen das Verbot verstößt (vgl. BGH GRUR 1979, 646, 647 – Klosterfrau Melissengeist; Forstmann, PharmaR 1979, Jahrgang 2, Ausgabe 6, 47, 48; Ring in Bülow/Ring aaO § 10 Rdn. 13). Eine solche spezifische Wirkungsaussage enthält die angegriffene Werbeaussage, wie der Senat ohne Zurückverweisung der Sache auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts selbst beurteilen kann, jedoch nicht. Die Überschrift „Seelenruhig durch die Wechseljahre” sowie die weiteren Werbeaussagen „Gegen die seelische Krise …”, „B. bringt die Seele ins Gleichgewicht” und „… läßt Sie wieder positiv denken” stehen für den angesprochenen Verkehr klar erkennbar in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Werbeaussage, bei B. handele es sich um ein Mittel mit den natürlichen Wirkstoffen des Johanniskrauts, das gut verträglich sei und die während der Wechseljahre auftretenden, im einzelnen genannten Beschwerden – ohne Nebenwirkungen – sanft reguliere. Durch eine derartige Werbung für ein pflanzliches Mittel zur Beseitigung psychovegetativer Störungen wird dem Mittel keine Wirkung eines Psychopharmakons im pharmakologischen Sinne, das in das zentrale Nervensystem eingreifen könnte, beigelegt.
4. Diese Auslegung steht auch in Einklang mit der Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel (ABl. L 113 v. 30.4.1992, S. 13). In Art. 3 Abs. 1, zweiter Spiegelstrich der Richtlinie ist geregelt, daß die Mitgliedstaaten die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel, die psychotrope Substanzen oder Suchtstoffe im Sinne der internationalen Übereinkommen enthalten, zu untersagen haben. Psychotrope Substanzen im Sinne dieser Bestimmung sind – wie sich Art. 3 Abs. 2, erster Spiegelstrich der Richtlinie 92/26/EWG des Rates vom selben Tag zur Einstufung bei der Abgabe von Humanarzneimitteln (ABl. L 113 v. 30.4.1992, S. 5) entnehmen läßt (vgl. Gröning aaO § 10 Rdn. 46; ders., Heilmittelwerberecht, Bd. 2, Stand: August 1998, RL 92/28/EWG, Art. 3 Rdn. 5; zust. Ring in Bülow/Ring aaO § 10 Rdn. 2) – solche im Sinne des mit Zustimmungsgesetz vom 30. August 1976 ratifizierten Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 21. Februar 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II, S. 1477). Darunter fallen die in den als Anhang I bis IV dem Übereinkommen beigefügten Listen aufgeführten Substanzen, nicht aber der in B. enthaltene rein pflanzliche Wirkstoff Johanniskraut-Trockenextrakt, der im übrigen auch nicht als Suchtstoff im Sinne des Einheits-Übereinkommens vom 30. März 1961 (Single Convention on Narcotic Drugs, BGBl. 1973 II, S. 1353) in Betracht kommt.
5. Die Entscheidung kann auch nicht mit anderer Begründung aufrechterhalten bleiben.
a) Die angegriffene Werbung kann nicht unter dem Gesichtspunkt einer Irreführung nach § 3 UWG oder § 3 HWG untersagt werden. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erweckt die Werbeanzeige weder den unzutreffenden Eindruck, ein Erfolg könne mit Sicherheit erwartet werden, noch hat die Beklagte dem Mittel eine therapeutische Wirksamkeit beigelegt, die das Arzneimittel B. nicht hat.
b) Das Berufungsgericht hat auch zu Recht und von der Revisionserwiderung unbeanstandet angenommen, daß es sich vorliegend nicht um die Werbung für ein Arzneimittel handelt, das dazu bestimmt wäre, die Schlaflosigkeit oder psychische Störungen zu beseitigen (§ 10 Abs. 2 Altern. 1 und 2 HWG). Schon der Umstand, daß es sich bei B. nicht um ein Psychopharmakon im pharmakologischen Sinne handelt, was, wie ausgeführt, Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift wäre, belegt, daß die in diesen Alternativen enthaltenen Werbeverbote nicht eingreifen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 und § 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, Mees, Starck, Bornkamm, Büscher
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 10.11.1999 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556176 |
NJW 2000, 2742 |
BGHR |
EWiR 2000, 549 |
GRUR 2000, 546 |
Nachschlagewerk BGH |
WRP 2000, 502 |
PharmaR 2000, 179 |