Leitsatz (amtlich)
›Zur Unterhaltspflicht eines geschiedenen und wiederverheirateten Elternteils, der in der neuen Ehe die Führung des Haushalts und die Betreuung eines Kindes aus dieser Ehe übernommen hat, gegenüber volljährigen Kindern aus der früheren Ehe.‹
Tatbestand
Die am 6. August 1965 geborene Klägerin zu 1) (fortan: Klägerin) und der am 27. Januar 1967 geborene Kläger zu 2) (fortan: Kläger) entstammen der geschiedenen ersten Ehe des Beklagten. Die Klägerin besucht eine Fachschule für Sozialpädagogik. Der Kläger ist vollständig behindert. Er lebt bei seiner Mutter und ist im September 1985 in eine Werkstatt für Behinderte aufgenommen worden. Die Mutter der Kläger erzielt aus einer Erwerbstätigkeit ein Nettoeinkommen von monatlich durchschnittlich 2.000 DM. Bis zur Volljährigkeit der Kläger stand ihr das elterliche Sorgerecht zu. Das staatliche Kindergeld wird an sie ausgezahlt. Der Beklagte hat im Jahre 1982 wieder geheiratet. Aus seiner zweiten Ehe ist ein Sohn hervorgegangen. Diesen Sohn betreut der Beklagte, der beruflich mit einer Schweinezucht gescheitert und nach seiner Angabe aus gesundheitlichen Gründen gehindert ist, einer früher ausgeübten Tätigkeit als Busfahrer nachzugehen. Seine jetzige Ehefrau betrieb bis Ende 1984 eine Grillstube, in der er stundenweise mitarbeitete. Seit Anfang 1985 betreibt die Ehefrau einen Imbißwagen. Darüber, ob der Beklagte auch dort noch tätig ist, gehen die Behauptungen der Parteien auseinander; der Beklagte bestreitet das.
Die Kläger nehmen den Beklagten auf Barunterhalt ab 1. Mai 1984 in Anspruch. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat ihn antragsgemäß verurteilt, für die Zeit von Mai bis September 1984 an sie rückständigen Unterhalt von je 1.250 DM sowie ab Oktober 1984 laufende monatliche Unterhaltsrenten von 305,50 DM an die Klägerin und von 259,50 DM an den Kläger zu zahlen. Die Berufung des Beklagten hatte nur zu einem Teil Erfolg; das Oberlandesgericht verurteilte ihn, an die Klägerin einen Unterhaltsrückstand von 700 DM für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1984 und eine laufende monatliche Unterhaltsrente von 130,50 DM für die Zeit vom 1. Oktober 1984 bis 31. Januar 1985 und von 195 DM ab 1. Februar 1985 sowie an den Kläger einen Unterhaltsrückstand von 1.250 DM für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1984 und eine laufende monatliche Unterhaltsrente von 259,50 DM für die Zeit vom 1. Oktober 1984 bis 31. Januar 1985 und von 195 DM ab 1. Februar 1985 zu zahlen. Das Berufungsurteil ist in FamRZ 1985, 1281 veröffentlicht. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet, soweit sie sich dagegen richtet, daß der Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 1.413 DM zu zahlen. Im übrigen führt das Rechtsmittel zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage.
I. Anspruch der Klägerin:
Soweit das Berufungsurteil den Anspruch der Klägerin betrifft, kann es nicht bestehen bleiben. Ihr steht gegen den Beklagten für die Zeit ab 1. Mai 1984 ein Unterhaltsanspruch, als dessen Rechtsgrundlage allein die §§ 1601 ff., 1610 Abs. 2 BGB in Betracht kommen, nicht zu.
1. Das Berufungsgericht hat die Klägerin für unterhaltsbedürftig gehalten (§ 1602 BGB), weil sie sich einer ihren Begabungen und Fähigkeiten entsprechenden Berufsausbildung unterziehe, weder staatliche Unterhaltsbeihilfen noch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalte und einen ihr im Mai 1984 zugeflossenen Betrag von 10.000 DM allenfalls mit monatlich 100 DM für ihren Lebensunterhalt einzusetzen brauche. Ob diese Beurteilung den Angriffen der Revision standhielte, braucht nicht entschieden zu werden.
2. Der Anspruch der Klägerin scheitert jedenfalls daran, daß der Beklagte außerstande ist, den Unterhalt ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts zu gewähren ( § 1603 Abs. 1 BGB).
a) Nach der tatrichterlichen Feststellung im Berufungsurteil ist davon auszugehen, daß dem Beklagten weder Vermögenseinkünfte noch Vermögen, die er für den geforderten Unterhalt einsetzen könnte, zur Verfügung stehen. Das Berufungsgericht hat weiterhin festgestellt, daß er sich in seiner zweiten Ehe für die Rolle des Hausmanns und die Betreuung des - zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im August 1985 zweieinhalbjährigen - Sohnes aus der neuen Ehe entschieden hat und Einkünfte allein in Höhe von monatlich 390 DM aus seiner Tätigkeit im Imbißbetrieb seiner Ehefrau erzielt.
b) Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, der Beklagte brauche sich - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - auch kein fiktives Einkommen aus einer tatsächlich nicht ausgeübten, unterhaltsrechtlich aber gebotenen Erwerbstätigkeit zurechnen zu lassen. Die Berufung auf seine gegenwärtige Rolle als Hausmann und die damit verbundene Minderung seiner Leistungsfähigkeit wäre ihm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann verwehrt, wenn die Unterhaltsansprüche der Kläger denjenigen seines Kindes aus zweiter Ehe gleichrangig wären. Das sei aber hinsichtlich der Unterhaltsansprüche der Klägerin nicht - und hinsichtlich der Ansprüche des Klägers nur bis zu dessen Volljährigkeit - der Fall. Im übrigen seien die Kläger wegen ihrer Volljährigkeit als nachrangig zu behandeln (§ 1609 Abs. 1 BGB) und müßten deshalb die vom Beklagten in der zweiten Ehe gewählte Rollenverteilung hinnehmen.
Diese Beurteilung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Nach § 1356 Abs. 1 BGB können Ehegatten die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen regeln und dabei einem von ihnen - auch dem Ehemann - die Haushaltsführung allein überlassen. Unterhaltsrechtlich entlastet die Führung des Haushalts den betreffenden Ehegatten jedoch nur gegenüber den Mitgliedern der durch die neue Ehe begründeten Familie. Minderjährigen unverheirateten Kindern aus einer früheren Ehe, die nicht innerhalb der neuen Familie leben, kommt sie nicht zugute. Da diese Kinder den Mitgliedern der neuen Familie unterhaltsrechtlich nicht nachstehen (§ 1609 BGB), darf sich der Unterhaltspflichtige nicht ohne weiteres auf die Sorge für die Mitglieder seiner neuen Familie beschränken. Er ist hierzu auch seinem Ehegatten gegenüber nicht verpflichtet, darf vielmehr gerade im Hinblick auf Unterhaltspflichten gegenüber den mit den Mitgliedern seiner neuen Familie gleichrangig Berechtigten grundsätzlich von seinem auch dem Ehegatten gegenüber bestehenden Recht auf Erwerbstätigkeit Gebrauch machen. Dieser hat auf die Unterhaltsverpflichtungen seines Partners nach § 1356 Abs. 2 BGB Rücksicht zu nehmen. Eine unterhaltsrechtliche Obliegenheit, von der Wahl der Hausmann-(Hausfrauen-)Rolle abzusehen und statt dessen (voll-)erwerbstätig zu sein, besteht im Rahmen des Zumutbaren. Die Übernahme der Betreuung des Kindes aus der neuen Ehe muß jedenfalls dann hingenommen werden, wenn sich der Familienunterhalt in der neuen Ehe dadurch, daß der andere Ehegatte voll erwerbstätig ist, wesentlich günstiger gestaltet als es der Fall wäre, wenn dieser die Kindesbetreuung übernähme und der unterhaltspflichtige Elternteil voll erwerbstätig wäre. Muß der Unterhaltsberechtigte es hiernach hinnehmen, daß der Unterhaltspflichtige in seiner neuen Ehe die Rolle des Hausmanns (der Hausfrau) gewählt hat, so trifft diesen eine Obliegenheit zu einem Nebenerwerb, um daraus zum Unterhalt des Kindes aus der früheren Ehe beizutragen (BGHZ 75, 272, 275 bis 278). All dies gilt jedoch nur, wenn das unterhaltsberechtigte Kind aus der früheren Ehe den ebenfalls unterhaltsberechtigten Angehörigen der neuen Familie, die der Unterhaltspflichtige durch seine Hausarbeits- und Betreuungsleistungen versorgt, unterhaltsrechtlich im Range gleichsteht (BGHZ aaO.; Senatsurteile vom 7. Oktober 1981 - IVb ZR 610/80 - FamRZ 1982, 25, 26; vom 31. März 1982 - IVb ZR 667/80 - FamRZ 1982, 590, 591; vom 11. Januar 1984 - IVb ZR 10/82 - FamRZ 1984, 374, 377; vom 10. Dezember 1986 - IVb ZR 63/85, zur Veröffentlichung bestimmt). Das ist nach § 1609 BGB nur dann der Fall, wenn es sich um ein unverheiratetes minderjähriges Kind handelt. Die Klägerin ist bereits seit dem 6. August 1983 volljährig. Deshalb muß sie es sich für den Anspruchszeitraum entgegenhalten lassen, wenn der Beklagte wegen der Übernahme der häuslichen Aufgaben in seiner zweiten Ehe außerstande ist, ihr ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1 BGB).
c) Das Berufungsgericht hat diese rechtliche Beurteilung nicht verkannt. Es hat jedoch gemeint, obwohl seine Wahl der Hausmannsrolle hinzunehmen sei, müsse der Beklagte - außer dem Kläger (vgl. dazu unter II.) auch - der Klägerin die Einkünfte von monatlich 390 DM aus seiner Nebentätigkeit zu Unterhaltszwecken zur Verfügung stellen. Ihn treffe noch eine Mitverantwortung für die aus erster Ehe stammenden Kinder. Ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen, gehöre nach wie vor zu seinen Pflichten, soweit er dazu finanziell in der Lage sei und sein eigener Unterhalt dadurch nicht gefährdet werde. Es erscheine nicht unbillig, wenn sich der Beklagte mit den ihm monatlich zufließenden 390 DM am Unterhalt der volljährigen Kläger beteilige. Wegen seines eigenen Lebensbedarfs könne und müsse er seine zweite Ehefrau in Anspruch nehmen, mit deren Zustimmung er die Rolle des Hausmanns übernommen habe.
Diese Ausführungen bekämpft die Revision zu Recht. Die Einkünfte von monatlich 390 DM sind nach tatrichterlicher Feststellung das einzige Erwerbseinkommen des Beklagten. Dieses Einkommen benötigt er zur (Teil-)Deckung seines eigenen Unterhalts; mit monatlich 390 DM liegt der ihm insoweit zur Verfügung stehende Betrag erheblich unter jedem in Betracht kommenden Satz für den sogenannten Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen. Der Auffassung, der Beklagte habe dieses Einkommen zur Zahlung von Unterhalt an die Klägerin zu verwenden und müsse wegen seines eigenen Lebensbedarfs seine zweite Ehefrau in Anspruch nehmen, vermag der Senat nicht zu folgen.
Sie träfe zu, wenn die - unverheiratete - Klägerin noch minder jährig wäre und dem Beklagten deshalb nach der bereits genannten Rechtsprechung des Senats im Rahmen des Zumutbaren neben der Hausmannsarbeit eine Nebentätigkeit abverlangt würde. Dann käme in der Tat für den Beklagten bei hinreichender Leistungsfähigkeit seiner zweiten Ehefrau die Inanspruchnahme eines Selbstbehalts nicht in Frage. Denn dann würde seine Obliegenheit zur Nebentätigkeit bestehen, damit er trotz seines häuslichen Aufgabenbereichs in der neuen Ehe jedenfalls ein geringes Einkommen erzielen und mit diesem Betrag zum Unterhalt der Tochter aus erster Ehe beitragen könnte. Die Erwerbsobliegenheit gegenüber dem gleichrangig unterhaltsberechtigten Kind aus der ersten Ehe würde an der Verpflichtung seiner erwerbstätigen zweiten Ehefrau, ihn im Rahmen der zwischen den Eheleuten getroffenen Aufgabenverteilung zu unterhalten (§§ 1360, 1360a BGB), nichts ändern, so daß der Beklagte die aus dem Nebenerwerb erzielten Einkünfte ohne den Einbehalt eines für seinen eigenen Lebensunterhalt erforderlichen Betrages für den Unterhalt des Kindes aufwenden müßte (vgl. Senatsurteil vom 31. März 1982 aaO. S. 592). So liegt der Streitfall jedoch nicht.
Den Ertrag von monatlich 390 DM aus der Tätigkeit, die dem Beklagten zwar unter dem besonderen rechtlichen Aspekt der sogenannten Hausmannrechtsprechung nicht abverlangt wird, die er jedoch tatsächlich ausübt, braucht er für den Unterhalt der volljährigen Klägerin nicht heranzuziehen. Das gilt unabhängig davon, ob - was der tatrichterlichen Beurteilung nicht deutlich zu entnehmen ist - die Belastung mit der Tätigkeit im Betrieb der Ehefrau neben Hausarbeit und Kindesbetreuung dem Beklagten unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der unterhaltsrechtlich geschuldeten Ausnutzung der Arbeitskraft zuzumuten ist oder insoweit als überobligationsmäßig gelten muß. Es bedarf deshalb keiner Erwägungen dazu, welche rechtlichen Folgerungen für den Anspruch der Klägerin als eines volljährigen Kindes zu ziehen wären, wenn die Tätigkeit des Beklagten im Betrieb seiner Ehefrau als überobligationsmäßig qualifiziert werden müßte (vgl. zur Berücksichtigung der Einkünfte aus überobligationsmäßiger Arbeit des Unterhaltspflichtigen nach Maßgabe von Treu und Glauben im Recht des Ehegattenunterhalts: Senatsurteile vom 19. Mai 1982 - IVb ZR 702/80 - FamRZ 1982, 779, 780; vom 24. November 1982 - IVb ZR 310/81 - FamRZ 1983, 146, 147 f. und vom 26. Januar 1983 - IVb ZR 344/81 - FamRZ 1983, 569, 570). Denn selbst in dem für den Beklagten ungünstigen Fall, daß seine Arbeit in Familie und Betrieb nicht überobligationsmäßig ist, schuldet er der Klägerin aus der Vergütung von monatlich 390 DM, die er für seine Erwerbstätigkeit erhält, keinen Unterhalt. Seine Unterhaltspflicht setzt, wie dargelegt, nach § 1603 Abs. 1 BGB erst ein, wenn der eigene angemessene Unterhalt nicht gefährdet wird, regelmäßig also erst bei Einkünften oberhalb des sogenannten Selbstbehalts. Bis zu dieser Höhe benötigt der Unterhaltsschuldner die Einkünfte zur Deckung des eigenen Lebensbedarfs. Ein rechtlicher Ansatzpunkt, seinen Ehegatten für seinen Unterhalt auch insoweit heranzuziehen, als er selbst verdient, damit er sein Einkommen an das - unterhaltsrechtlich nachgeordnete - volljährige Kind aus der früheren Ehe weitergeben kann, besteht nicht. Er ist durch eine Billigkeitserwägung nicht zu ersetzen.
Das schließt freilich nicht aus, daß der Unterhaltsschuldner die ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel zum Unterhalt einzusetzen hat, wenn und soweit er sie zur Bestreitung des eigenen angemessenen Lebensunterhalts nicht benötigt. Derartiges kommt in Betracht, wenn der von dem erwerbstätigen neuen Ehegatten nach §§ 1360, 1360a BGB zu leistende Familienunterhalt so auskömmlich ist, daß der gegenüber den Kindern aus der früheren Ehe barunterhaltspflichtige Elternteil daraus im Sinne des § 1603 Abs. 1 BGB angemessen unterhalten wird. Soweit er des Ertrages seiner Nebentätigkeit zum angemessenen Unterhalt in der neuen Familie nicht bedarf, steht dieser - sowie unter Umständen ein Teil solcher Barmittel, die ihm von seinem neuen Ehegatten im Rahmen des Familienunterhalts zur Erfüllung von persönlichen Bedürfnissen zufließen (vgl. Senatsurteil vom 19. März 1986 - IVb ZR 18/85 - FamRZ 1986, 668, 669) - für Unterhaltszwecke zur Verfügung. Im vorliegenden Fall hat die Ehefrau des Beklagten jedoch Familienunterhalt in solcher Höhe aufzubringen, daß dadurch nicht nur ihr eigener und der Bedarf des Beklagten, sondern auch derjenige des Kindes aus der Ehe gedeckt wird. Angesichts der vorgetragenen Einkommensverhältnisse deutet nichts darauf, daß der Beklagte aus diesem Familienunterhalt auch ohne den Einsatz des eigenen Arbeitsverdienstes bereits angemessen i.S. des § 1603 Abs. 1 BGB unterhalten wird.
II. Anspruch des Klägers:
1. Aus den genannten Gründen hat auch der Kläger für die Zeit seiner Volljährigkeit keinen Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten. Er ist zwar vollständig behindert, so daß an seiner Unterhaltsbedürftigkeit nicht zu zweifeln ist. Der Kläger steht aber trotz seiner Behinderung seit dem Erreichen des Volljährigkeitsalters mit dem minderjährigen Kind des Beklagten aus dessen zweiter Ehe unterhaltsrechtlich nicht im Range gleich, sondern er geht diesem nach. Nach der Regelung in § 1609 BGB sind volljährige Kinder, die infolge einer körperlichen oder geistigen Behinderung nicht erwerbsfähig sind, gleichwohl unterhaltsrechtlich nicht den minderjährigen (unverheirateten) Kindern gleichgestellt. Maßstab der gesetzlich bestimmten Rangordnung ist insoweit nicht die Unterhaltsbedürftigkeit, sondern das Lebensalter (Senatsurteil vom 18. April 1984 - IVb ZR 49/82 - FamRZ 1984, 683, 685). Die abweichende Auffassung des Amtsgerichts Altena (FamRZ 1985, 196, 197) ist mit der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 1609 BGB nicht zu vereinbaren (ebenso Bosch FamRZ 1985, 198 und 852, 863). Deshalb kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben, soweit dem Kläger, der am 27. Januar 1985 volljährig geworden ist, für die folgende Zeit Unterhalt zugesprochen worden ist. Insoweit muß die Klage wegen Leistungsunfähigkeit des Beklagten (§ 1603 Abs. 1 BGB) abgewiesen werden.
2. Für den voraufgegangenen Anspruchszeitraum hat das Berufungsgericht - abgesehen von der unzutreffenden Annahme, der Beklagte habe sich bereits seit Mai 1984 im Verzug befunden (dazu unter 3.) - ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten einen Unterhaltsanspruch des Klägers in der zugesprochenen Höhe angenommen. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts wurde der Unterhaltsbedarf des Klägers durch die zugesprochenen Leistungen nicht annähernd gedeckt, so daß er auf (weitere) Barunterhaltszahlungen seiner Mutter angewiesen blieb, die zudem wegen seiner schweren Behinderung noch umfangreiche zusätzliche Naturalleistungen für ihn erbrachte. In der Zeit vor der Volljährigkeit des Klägers hatten seine Unterhaltsansprüche und diejenigen des ebenfalls minderjährigen Kindes aus der zweiten Ehe des Beklagten gleichen Rang. Damit bestand für den Beklagten die oben bereits erörterte Obliegenheit zu einem Nebenerwerb, um aus deren Ertrag - ohne vorherigen Abzug eines Selbstbehalts - zum Barunterhalt des bei seiner Mutter lebenden Klägers beizutragen.
a) Die Revision wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht entgegen der Behauptung des Beklagten und der Aussage seiner als Zeugin vernommenen Ehefrau, er sei nur bis Ende 1984 in dem Betrieb seiner Ehefrau tätig gewesen, zu der Feststellung gelangt ist, er habe auch später noch in deren Imbißwagen mitgearbeitet. Diese Rüge hat die Revision damit begründet, daß die Zeugin K., auf deren Aussage sich das Berufungsgericht gestützt hat, derartiges nur für die ersten drei bis vier Monate des Jahres 1985 geschildert habe. Die Rüge betrifft damit nur die Zeit ab April oder Mai 1985; sie ist ungeeignet, den ohnehin nur bis Ende Januar 1985 bestehenden Unterhaltsanspruch des Klägers zu Fall zu bringen.
b) Unter Hinweis auf zwei Senatsurteile vom 6. November 1985 (IVb ZR 45/84 und IVb ZR 69/84 - FamRZ 1986, 151 und 153) beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe es unterlassen, zur Ermittlung der Haftungsanteile des Beklagten und der Mutter des Klägers anteilige Haftungsquoten nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB zu bilden. Damit kann die Revision nicht durchdringen. Der Beklagte schuldete Unterhalt aus dem Ertrag der ihm eben dieserhalb obliegenden Nebentätigkeit, ohne daß zuvor dieser Ertrag, den er nicht zur Deckung seines eigenen Unterhaltsbedarfs verwenden durfte, zur Feststellung anteiliger Haftungsquoten in ein Verhältnis zu den Erwerbseinkünften der Mutter der Kläger hätte gebracht werden müssen. Die Mutter des Klägers erfüllte ihre Unterhaltspflicht durch die Pflege und Erziehung des Kindes (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB).
c) Die Obliegenheit des wiederverheirateten Unterhaltsschuldners zu einem Nebenerwerb kann nur so weit reichen, daß die unterhaltsberechtigten Kinder aus der früheren Ehe nicht schlechter gestellt werden, als sie ständen, wenn der ihnen Unterhaltspflichtige sich in seiner neuen Ehe nicht auf die Rolle des Hausmannes (der Hausfrau) zurückgezogen hätte, sondern erwerbstätig geblieben wäre. Für diesen - gedachten - Fall wird im allgemeinen nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden können, daß auch der jetzige Ehegatte des Unterhaltsschuldners dann in der Lage gewesen wäre, erwerbstätig zu bleiben und so zum Unterhalt der neuen Familie beizutragen. Der den Kindern aus der früheren Ehe Unterhaltspflichtige wäre also bei Fortführung seiner Vollerwerbstätigkeit nicht nur zur Aufbringung des Barunterhalts für diese Kinder verpflichtet, sondern er müßte - jedenfalls in der Regel - aus dem dann von ihm allein erzielten Einkommen auch seine neue Familie unterhalten; vor einer dadurch bedingten Schmälerung ihres Barunterhalts wären die Kinder aus der früheren Ehe nicht geschützt (Senatsurteil vom 31. März 1982 - IVb ZR 667/80 - FamRZ 1982, 590, 592). Die insoweit aufgrund von Annäherungswerten anzustellende - fiktive - Bestimmung der Höchstgrenze der Nebenerwerbsobliegenheit müßte nach dem weiteren Senatsurteil vom 26. September 1984 (IVb ZR 32/83 - NJW 1985, 318 f.) auch den in dem gedachten Fall der Fortführung der Vollerwerbstätigkeit in Betracht kommenden, gegebenenfalls nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB verringerten ("notwendigen") Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen in die Berechnung einbeziehen.
Wie der Revision zuzugeben ist, sind Erwägungen dieser Art dem Urteil des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen. Das ist jedoch unter den besonderen Umständen des Falles unschädlich. Die Beträge von zunächst 250 DM und ab 1. Oktober 1984 259,50 DM, die der Beklagte dem Kläger nach dem Berufungsurteil aus dem Erlös seiner monatlich 390 DM abwerfenden Nebentätigkeit schuldet, sind verhältnismäßig niedrig. Der im Jahre 1945 geborene Beklagte ist nach seinem eigenen Vorbringen aus gesundheitlichen Gründen nur an einer Tätigkeit als Busfahrer und an schwerer körperlicher Arbeit gehindert. Ohne entsprechenden Sachvortrag kann nicht davon ausgegangen werden, daß er eine durchschnittlich bezahlte andere Arbeit nicht zu finden vermöchte. In seiner neuen Familie hätte der Beklagte im gedachten Falle seiner Vollerwerbstätigkeit außer seiner Ehefrau und sich selbst nur das noch kleine Kind aus dieser Ehe zu unterhalten. Bei dieser Sachlage ist es nicht rechtsfehlerhaft, daß das Berufungsgericht den Kläger für verpflichtet gehalten hat, 250 DM bzw. 259,50 DM (297 DM als Mindestunterhalt gemäß § 1610 Abs. 3 Satz 1 i.V. mit § 1615f BGB und § 1 der Regelunterhaltsverordnung abzüglich des hälftigen Kindergeldes von 37,50 DM) aus seinem Nebenerwerb als Unterhalt an den Kläger zu leisten.
3. Die Verurteilung bleibt jedoch nicht bei Bestand, soweit sie den Unterhalt des Klägers für die Zeit vor dem 15. August 1984 betrifft.
Für die Vergangenheit kann der Unterhaltsberechtigte Erfüllung nur von der Zeit an fordern, zu welcher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist ( § 1613 Abs. 1 BGB).
a) Die vorliegende Klage ist am 27. September 1984 bei Gericht eingereicht, dem Beklagten wenig später formlos zugeleitet und ihm am 31. Oktober 1984 förmlich zugestellt worden. Damit ist Rechtshängigkeit erst am 31. Oktober 1984 eingetreten (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO). Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers ist der Beklagte durch Anwaltsbrief vom 10. August 1984 zur Zahlung der mit der Klage geltend gemachten Beträge für die Zeit ab Mai 1984 aufgefordert worden. Dadurch ist bezüglich dieser Beträge von monatlich 250 DM Verzug eingetreten (§ 284 Abs. 1 BGB). Hinsichtlich der weitergehenden Klageforderung von monatlich 259,50 DM ab Oktober 1984 hat die formlose Mitteilung der Klageschrift kurz nach ihrer Einreichung, die im September 1984 stattfand, den Verzug herbeigeführt (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1985 - IVb ZR 67/83 - FamRZ 1985, 371, 374). Daher liegen die Voraussetzungen, unter denen nach § 1613 Abs. 1 BGB Unterhalt für die Vergangenheit gefordert werden kann, für den Anspruch des Klägers auf Zahlung von monatlich 250 DM seit der Mahnung durch den Anwaltsbrief vom 10. August 1984 und für den Anspruch auf Zahlung von monatlich 259,50 DM ab 1. Oktober 1984 vor.
b) Der Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei bereits dadurch in Verzug geraten, daß gegen ihn auf Anzeige der Kläger ein Strafverfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht durchgeführt worden ist (Strafanzeige am 18. Februar 1982, Verurteilung am 15. Juni 1983) und er anschließend - unter dem Druck einer Bewährungsauflage - "mehrfach Unterhaltsleistungen in Höhe von 500 DM/monatlich erbracht, diese Zahlungen aber im April 1984 grundlos eingestellt habe", vermag der Senat nicht beizutreten.
Die Einleitung des Strafverfahrens wegen einer Verletzung der Unterhaltspflicht ist keine Mahnung (§ 284 Abs. 1 BGB), weil es sich nicht um eine Erklärung der Gläubiger gegenüber dem Schuldner handelt. Daß ein Unterhaltsschuldner, der seine Zahlungen ohne berechtigenden Grund von sich aus einstellt, vom Zeitpunkt der Einstellung an in Höhe der bisherigen Unterhaltsleistungen auch ohne Mahnung in Verzug gerät, entspricht allerdings einer verbreiteten Auffassung (OLG Celle FamRZ 1979, 1058; OLG Oldenburg FamRZ 1982, 731, 732; BGB-RGRK/Mutschler 12. Aufl. § 1613 Rdn. 5; Palandt/Diederichsen BGB 46. Aufl. § 1613 Anm. 2 a; Soergel/Lange BGB 11. Aufl. § 1613 Rdn. 4). Ihr mag im allgemeinen gefolgt werden können, sofern sich aus den früher geleisteten Zahlungen ergibt, daß der Schuldner Grund und Höhe des gegen ihn erhobenen Anspruchs kannte. Unter dieser Voraussetzung mag bei Einstellung bisher geleisteter Zahlungen eine Mahnung für den Eintritt des Verzuges entbehrlich sein (vgl. zum Erfordernis der genauen Bezeichnung der geschuldeten Leistung bei der Anmahnung einer Unterhaltsschuld als Voraussetzung des Verzuges: Senatsurteil vom 30. November 1983 - IVb ZR 31/82 - FamRZ 1984, 163). Der Streitfall veranlaßt insoweit keine weiteren Erwägungen. Denn der Beklagte hat nicht regelmäßig bis April 1984 monatlich Unterhaltsleistungen in einer von dem Kläger geforderten Höhe erbracht, sondern, wie sich aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ergibt, im Anschluß an seine Verurteilung vom 14. Juni 1983 in der Zeit bis Mai 1984 nur insgesamt fünf Zahlungen von je 500 DM (für beide Kläger) geleistet und damit die gerichtliche Bewährungsauflage zu einem Teil erfüllt. Ausweislich der im Berufungsurteil in Bezug genommenen Anlagen zu dem Schriftsatz der Kläger vom 8. August 1985 erfolgten Zahlungen nur in den Monaten Juli, August und September 1983 sowie Januar und März 1984. Von einer Verzugsbegründung ohne Mahnung allein durch das Einstellen bisher regelmäßig monatlich geleisteter Unterhaltszahlungen kann deshalb nicht ausgegangen werden.
4. Bei einem Unterhaltsanspruch des Klägers in Höhe von monatlich 250 DM für eineinhalb und einem solchen von monatlich 259,50 DM für vier Monate ergibt sich ein Gesamtanspruch von (375 DM + 1.038 DM =) 1.413 DM. In dieser Höhe bleibt das Berufungsurteil bestehen; im übrigen war die Klage unter Aufhebung des Berufungsurteils abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2992890 |
NJW 1987, 1549 |
BGHR BGB § 1603 Abs. 1 Hausmann(-frau) 1 |
BGHR BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1 Hausmann(-frau) 2 |
BGHR BGB § 1609 Abs. 1 Volljähriges Kind 1 |
BGHR BGB § 1613 Abs. 1 Verzug 1 |
DRsp I(167)347a-c |
FamRZ 1987, 472 |
MDR 1987, 652 |