Entscheidungsstichwort (Thema)
Bodensonderungsverfahren. Bodenneuordnung. Komplexe Wohnbebauung. Grundstückeigentümer. Nutzungsentgelt. Anspruch bei Verfahrenseinleitung. Notarielles Vermittlungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
a) Im Falle der komplexen Bodenneuordnung entsteht der Anspruch des Grundstückseigentümers auf Nutzungsentgelt mit der Einleitung des Verfahrens.
b) Im Falle des komplexen Wohnungsbaus kann der Grundstückseigentümer ein notarielles Vermittlungsverfahren beantragen und dadurch den Anspruch auf Nutzungsentgelt zur Entstehung bringen.
Normenkette
EGBGB Art. 233 § 2a Abs. 1 S. 8; SachenRBerG § 2 Abs. 1 Nr. 4, §§ 85, 87, 94-95; BoSoG § 1 Nr. 4, § 6
Verfahrensgang
OLG Dresden (Urteil vom 25.04.2002) |
LG Leipzig (Teilurteil vom 18.10.2000) |
Tenor
Unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Kläger wird auf die Revision der Beklagten das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 25. April 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte über das Teilurteil des Landgerichts Leipzig, 13. Zivilkammer, vom 18. Oktober 2000 hinaus zur Zahlung von mehr als 6.360,40 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger waren bis zum Entzug im Bodensonderungsverfahren am 20. Dezember 1999 Eigentümer des Grundstücks Flurstück 541 in L. -G. das sie am 27. August 1996 erworben hatten. Das 69.740 qm große Grundstück war in der Zeit der DDR für die komplexe Wohnbebauung (Wohnkomplex VIII) in Anspruch genommen worden. Nach dem Beitritt wurde es von verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften, der Stadt L. und der Beklagten genutzt. Während eines Zuordnungsverfahrens über die benachbarten, in Volkseigentum überführten Flächen leitete das Vermessungsamt der Stadt L. als Sonderungsbehörde die ergänzende Bodenneuordnung ein. Die von der Beklagten für Gleisanlagen genutzte Fläche wurde dieser als Grundstück Flurstück 541/10 aus der Sonderungsmasse zugewiesen.
Die Kläger fordern Entgelt für die Nutzung der Fläche. Das Landgericht hat die Beklagte, unter Abweisung des weitergehenden Anspruchs, zur Zahlung von 68.280,66 DM für die Zeit vom 22. Februar 1992 bis 20. Dezember 1999, abzüglich eines durch Teilurteil bereits zuerkannten Betrags von 22.761,73 DM, verurteilt. Das Oberlandesgericht hat eine Anschlußberufung der Kläger zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Verurteilung auf 21.938,47 EUR (42.903,22 DM) für die Zeit vom 22. Juli 1992 bis 31. Mai 1995 und vom 29. Juni 1995 bis 20. Dezember 1999, abzüglich des bereits zugesprochenen, zwischenzeitlich gezahlten Betrags, reduziert; hierbei hat es eine Aufrechnung in Höhe von 19.968,30 DM berücksichtigt.
Hiergegen wenden sich die zugelassenen Revisionen der Parteien. Der Kläger beantragt die Zahlung weiterer 3.366,62 EUR (6.583,36 DM) für die Zeit vom 1. Januar 1995 bis 29. Juni 1995. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie, über das Teilurteil hinausgehend, zur Zahlung von mehr als 6.360,40 EUR (12.439,86 DM) verurteilt worden ist. Die Parteien beantragen jeweils die Zurückweisung des Rechtsmittels der Gegenseite.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger bleibt ohne Erfolg, die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung der Sache.
A. Revision der Kläger
Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Klägerin auf Nutzungsentgelt nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 8 EGBGB bereits ab 1. Januar 1995, spricht den Klägern allerdings den dahinter zurückbleibenden Anspruch aus Satz 4 der Vorschrift über den 31. Dezember 1994 hinaus bis 31. März 1995 zu. Dies hat rechtlich Bestand.
1. Zutreffend, und von der Revision als ihr günstig hingenommen, hat das Berufungsgericht, unbeschadet des Umstands, daß das Gelände für öffentliche Zwecke (Verkehrszwecke) genutzt wird, dem Anspruch der Kläger die Nutzungsersatztatbestände des Art. 233 § 2 a Abs. 1, nicht denjenigen des eigenständigen Moratoriums für Verkehrsflächen, Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB (Senatsurt. v. 24. Mai 1996, V ZR 148/94, WM 1996, 1860), zugrunde gelegt. Die Frage, welche Tatbestände auf die Nutzung öffentlicher Flächen im komplexen Wohnungsbau anzuwenden sind, hat der Senat inzwischen im Sinne des Berufungsgerichts, das die Revision aus diesem Grunde zugelassen hat, entschieden (Urt. v. 14. Juni 2002, V ZR 126/01, VIZ 2002, 580). Der zu verzinsende Bodenwert bemißt sich danach für alle Grundstücke, unabhängig von ihrer Bebauung oder Verwendung, grundsätzlich nach dem gleichen Maßstab; ein Abschlag von 1/3 ist für den fiktiven Flächenverlust vorzunehmen, zu dem es bei einer Anwendung des Baugesetzbuchs gekommen wäre (§§ 19, 20 SachenRBerG). Dem entsprechen die Feststellungen des Berufungsurteils im Ergebnis.
2. Mit dem Berufungsgericht, das die Revision auch aus diesem Grunde zugelassen hat, stimmt der Senat insoweit überein, als ein Verfahren zur Bodenneuordnung den Entgeltsanspruch nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 8 EGBGB in dem Falle, daß es eine komplexe Bebauung zum Gegenstand hat, erst ab dem Zeitpunkt seiner Einleitung, nicht bereits ab 1. Januar 1995 begründet. Die von der Revision unter Bezugnahme auf Wötzel/Schwarze, NJ 1998, 629 geltend gemachten Bedenken, der Grundstückseigentümer dürfe nicht bis zu der – für ihn zufälligen – Einleitung des Bodensonderungsverfahrens rechtlos gestellt werden, treffen für diesen Fall nicht zu. Zwar kann das Verfahren der komplexen Bodenneuordnung (§ 1 Nr. 4 BoSoG) nur von Amts wegen eingeleitet werden (§ 6 Abs. 1 Satz 2 BoSoG); auch mögen die Zweifel, ob der Grundstückseigentümer zu den Antragsberechtigten bei der ergänzenden Bodenneuordnung (§ 1 Nr. 3 BoSoG) zählt (Wötzel/Schwarze aaO), nicht von der Hand zu weisen sein (§ 6 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 4 BoSoG). Das Verfahren der komplexen Bodenneuordnung schließt aber den Antrag des Grundstückseigentümers auf Einleitung des notariellen Vermittlungsverfahrens nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz (§§ 87 bis 102 SachenRBerG) nicht aus. Dasselbe gilt, wenn, wie hier, Gegenstand der ergänzenden Bodenneuordnung ein komplex überbautes Grundstück ist. Das Bereinigungsverfahren ist für den komplexen Wohnungs- und Siedlungsbau nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, 2. Halbs. SachenRBerG eigens vorbehalten. Zwar wird der Grundstückseigentümer, der, um die Befugnis, den Antrag nach § 87 Abs. 1 und 2 SachenRBerG stellen zu können, das Wahlrecht nach § 16 SachenRBerG auf sich überleiten muß, regelmäßig nicht in der Lage zu sein, den Nutzern vermessene Flurstücke zum Ankauf und zur Bestellung eines Erbbaurechts anzubieten. Dies steht der Wirksamkeit des Vermittlungsantrags im Sinne des Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 8 EGBGB aber nicht entgegen. Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz hat für diesen Fall Vorsorge getroffen. Es verweist die Beteiligten auf die Einigung über den Verlauf der Nutzungsrechtsgrenzen (§ 85 Abs. 2 SachenRBerG), die zu vermitteln Aufgabe des Notars ist. Scheitert dies, bleibt die Möglichkeit, im Rahmen des Bereinigungsverfahrens, mithin ohne hoheitliche Zuweisung des Eigentums, die Bestimmung der Teilflächen, die Gegenstand des künftigen Bereinigungsvertrags sind, nach den Vorschriften des Bodensonderungsgesetzes vornehmen zu lassen (§ 85 Abs. 1 SachenRBerG, § 4 BoSoG; vgl. Schmidt-Räntsch/Marx in Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, § 4 BoSoG Rdn. 3 f.). Daß das notarielle Vermittlungsverfahren, je nach den Zwecken der Bodensonderung, bis zur Bestimmung der Grundstücksgrenzen durch Sonderungsbescheid auszusetzen (§ 94 Abs. 2 Nr. 1 SachenRBerG) oder, wenn das Sonderungsverfahren auch die dinglichen Erklärungen ersetzen soll, endgültig einzustellen ist (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 SachenRBerG), läßt den Entgeltsanspruch des Grundstückseigentümers unberührt, denn er hat durch aktive Mitwirkung in einem rechtlich vorgesehenen Verfahren zur Bereinigung der dinglichen Lage beigetragen. Bei komplexer Überbauung ist die Einleitung des Bodensonderungsverfahrens mithin nur eine zusätzliche Alternative zur Antragstellung nach § 87 SachenRBerG. Macht der Grundstückseigentümer von dem Vermittlungsverfahren keinen Gebrauch, wird ihm eine weitere Möglichkeit geboten, den Moratoriumszins zu erlangen.
Die Überlegung der Revision, wenn es schon für die Zeit vom 22. Juli 1992 bis 31. Dezember 1994 verfassungsrechtlich geboten gewesen sei, den Grundstückseigentümer nicht ohne Entgelt zu lassen (BVerfGE 98, 17), so müsse das erst recht ab 1. Januar 1995 gelten, ist nicht stichhaltig. Nach der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung bestand für den Grundstückseigentümer keine Möglichkeit, ohne Vereinbarung mit dem Nutzer zu einem Entgelt zu gelangen. Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 8 EGBGB eröffnet dem Eigentümer dagegen von Gesetzes wegen die Möglichkeit, aus seinem Grundstück Nutzen zu ziehen.
B. Revision der Beklagten
Da die Kläger das Eigentum erst am 27. August 1996 erworben haben, steht ihnen ein Anspruch auf Nutzungsentgelt nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 EGBGB aus eigenem Recht für die davor liegende Zeit nicht zu. Die in den Tatsacheninstanzen vorgelegte Abtretungserklärung der Voreigentümerin hat nur Ansprüche zum Gegenstand, die ab 1. Januar 1995 entstanden sind. Die fehlende Aktivlegitimation der Kläger für den Zeitraum vom 22. Juli 1992 bis 31. Dezember 1994 ist von den Parteien übersehen worden. Wie im Parallelverfahren (Urt. v. 14. Juni 2002 aaO) verweist der Senat den Rechtsstreit zur Klärung der Sachbefugnis der Kläger an das Berufungsgericht zurück. Die im Verhandlungstermin vorgelegte Abtretungsurkunde, die das seit 1992 entstandene Nutzungsentgelt zum Gegenstand hat, konnte der Senat bereits
deshalb nicht berücksichtigen, weil die Abtretung schon am 15. November 2000, also vor Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, erfolgt ist (BGHZ 85, 288,290; 104, 215, 220 f.)
Unterschriften
Wenzel, Tropf, Klein, Lemke, Schmidt-Räntsch
Fundstellen
Haufe-Index 1115557 |
BGHR 2003, 855 |
BGHR |
NZM 2003, 572 |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2003, 443 |
WM 2003, 1916 |
ZfIR 2004, 171 |
MDR 2003, 924 |
NJ 2003, 594 |