Leitsatz (amtlich)
›Steht fest, daß ein objektiver Mangel eines Produkts zu einer Eigentumsverletzung geführt hat, ist der Geschädigte nicht nur von dem Beweis des Verschuldens, sondern auch von dem Beweis der objektiven Pflichtwidrigkeit des Herstellers entlastet.‹
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main |
LG Darmstadt |
Tatbestand
Die Klägerin, die einen Auftrag der W. GmbH & Co KG über die Ausstattung eines Chefbüros und zweier Besprechungsräume mit Einbaumöbeln und Paneelen in Aussicht hatte, übersandte der Beklagten eine Probe nach den Wünschen des Kunden ("Eiche gekalkt"). Die Beklagte, welche eine Lack- und Farbenfabrik betreibt, empfahl der Klägerin nach Untersuchung der Probe schriftlich eine bestimmte Anwendungsweise im einzelnen naher bezeichneter Lacke und Pasten aus ihrer Herstellung und übersandte der Klägerin ein von ihr erstelltes Gegenmuster. Die Klägerin bestellte nach Erhalt des Auftrags bei einem Händler die in der Arbeitsanweisung der Beklagten angegebenen Erzeugnisse, fertigte die bestellten Möbel und lieferte diese aus. Etwa zwei Jahre später rügte der Kunde Anfang 1988 gegenüber der Klägerin Mangel in der Oberflächenerscheinung des Holzes, das Holz vergilbe, der optische Effekt des Kalkeichenfurniers fehle, die Lackoberfläche verspröde, der Lack platze ab. Nachdem die Klägerin zwei Gutachten des von ihr beauftragten Sachverständigen O. vorgelegt hatte, der nicht mehr dem Stand der Technik entsprechende Bestandteile des Lackes annahm, lehnte die Beklagte eine Haftung ab und bestritt die Verwendung solcher Bestandteile. Der Kunde trat an die Klägerin mögliche Ansprüche gegen die Beklagte ab. Nachdem der Sachverständige Dr. B. in einem von der Klägerin beantragten Beweissicherungsverfahren ein Gutachten erstattet hatte, baute die Klägerin die gelieferten Möbel aus und eine neue Einrichtung ein, die sie durch einen Subunternehmer anfertigen ließ.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin Erstattung der ihr durch den Austausch der Einrichtung sowie die Beauftragung des Sachverständigen O. entstandenen Kosten im Gesamtbetrag von 301.033, 55 DM netto nebst 10 % Zinsen ab Rechtshängigkeit sowie die Feststellung, daß die Beklagte der Klägerin auch für alle weiteren Schäden hafte. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagziel weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, die Parteien hatten zwar stillschweigend einen Beratungsvertrag geschlossen, auch habe die Beweisaufnahme vor dem Landgericht ergeben, daß der Schaden der Klägerin auf einen Fehler in einem der von der Beklagten hergestellten Erzeugnisse zurückzuführen sei. Die Klägerin habe aber den für eine Haftung aus Verletzung des Beratungsvertrages erforderlichen Nachweis einer Pflichtverletzung seitens der Beklagten nicht geführt. Auch ein Anspruch aus abgetretenem Recht des Kunden der Klägerin gegen den Beklagten bestehe aus demselben Grund nicht. Voraussetzung einer Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB sei ebenfalls, daß der Geschädigte eine objektive Pflichtverletzung des Herstellers beweise. Da die eigentliche Schadensursache nicht feststellbar sei, komme mangels eines typischen Geschehensablaufes auch kein Beweis des ersten Anscheins in Betracht.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in jeder Hinsicht stand.
II. 1. Die Revision rügt mit Erfolg, daß das angegriffene Urteil rechtsfehlerhaft die Beweislastverteilung bei Ansprüchen aus Produkthaftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB verkennt.
Der Vortrag der Klägerin in den Tatsacheninstanzen ist dahin zu verstehen, daß sie Ansprüche aus Produkthaftung aus abgetretenem Recht, aber auch aus eigenem Recht geltend macht. Es braucht deshalb hier nicht entschieden zu werden, wessen Eigentum verletzt worden ist, das des Zedenten oder das der Klägerin. Denn in beiden Fällen können der Klägerin nach den bisher getroffenen Feststellungen die geltend gemachten Ansprüche zustehen.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die aufgetretenen Schäden auf einen Fehler in einem der von der Beklagten hergestellten Erzeugnisse zurückzuführen sind. Das greift die Revision als ihr günstig nicht an, Rechtsfehler hierzu sind nicht ersichtlich. Andere Ursachen, insbesondere Verarbeitungsfehler hat das Berufungsgericht ausgeschlossen. Hiernach stehen sowohl der Fehler eines Erzeugnisses der Beklagten wie auch dessen Ursächlichkeit für den Schaden in revisionsrechtlich bindender Weise fest.
Das Berufungsgericht führt sodann aus, der Geschädigte müsse für einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB neben der Fehlerhaftigkeit des Produkts und der hierdurch bedingten Schädigung auch die (objektive) Pflichtverletzung des Herstellers beweisen. Dem Verwender kamen bei der Produkthaftung nach BGB zwar Beweiserleichterungen beim Nachweis einer objektiven Pflichtverletzung des Herstellers zugute, jedoch nur, wenn feststehe, daß die Ursachen für die aufgetretenen Schaden im Betrieb und Verantwortungsbereich des Herstellers zu suchen seien. Diesen Nachweis habe die Klägerin nicht geführt. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Berufungsgericht verkennt, daß der Geschädigte nicht nur von dem Beweis des Verschuldens, sondern auch von dem Beweis der objektiven Pflichtwidrigkeit des Herstellers entlastet ist, wenn er nachgewiesen hat, daß sein Schaden durch einen objektiven Mangel des Produkts ausgelöst worden ist. Wenn der Geschädigte diesen Beweis geführt hat, ist der Produzent "näher daran", den Sachverhalt aufzuklären und die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen, weil er die Produktionssphäre überblickt und den Herstellungsprozeß organisiert. Der Geschädigte, der in diese Vorgänge in der Regel keinen Einblick hat, vermag dagegen dem Gericht den Sachverhalt nicht in solcher Weise darzulegen, daß dieses zuverlässig beurteilen kann, ob der Betriebsleitung ein Versäumnis vorzuwerfen ist, ob es sich um einen von einem Arbeiter verschuldeten Fabrikationsfehler handelt oder ob es sich um einen "Ausreißer" oder um einen nach dem Stand der Technik nicht vorhersehbaren "Entwicklungsfehler" handelt (vgl. BGHZ 80, 186, 196 f.). Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, daß der Schaden durch ein Erzeugnis der Beklagten verursacht worden ist und daß fremde Einflüsse ausscheiden. Hiernach steht fest, daß die Beklagte Lacke hergestellt und in den Verkehr gebracht hat, die Fehler aufgewiesen und die als Folgeschäden der Eigentumsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB; vgl. BGHZ 117, 183, 189 - Kondensatoren, Senat, Nichtannahmebeschluß vom 26. Februar 1991 - VI ZR 226/90, NJW-RR 1992, 283 - Möbellack; Urteile vom 7. Dezember 1993 - VI ZR 74/93, VersR 1994, 319, 320 und vom 6. Dezember 1994 - VI ZR 229/93, VersR 1995, 348 f. - Gewindeschneidemittel) geltend gemachten Schäden verursacht haben.
2. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus einem anderen Grund als richtig (§ 563 ZPO). Die Beklagte hat sich in den Tatsacheninstanzen auf Verjährung ausdrücklich nur hinsichtlich der von der Klägerin gleichfalls geltend gemachten vertraglichen Ansprüche berufen, wie das Berufungsgericht naheliegend und ohne Fehler ausgeführt hat (§ 314 ZPO).
Das Berufungsurteil ist nach allem aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO), die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO), das auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu treffen haben wird. Eine eigene Entscheidung des Senats (§ 565 Abs. 3 ZPO) kommt nicht in Betracht. Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist die Ansicht des Berufungsgerichts, eine Verletzung der Beklagten obliegender Vertragspflichten sei nicht bewiesen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Es ist nunmehr Sache der Beklagten zu beweisen, daß der geltend gemachte Schaden nicht auf einer ihr anzurechnenden Pflichtwidrigkeit beruht. Die Beklagte wird nach Aufhebung und Zurückverweisung Gelegenheit haben, hierfür erforderlichen Vortrag zu halten und Beweis anzutreten.
Fundstellen
Haufe-Index 2993418 |
BB 1996, 1796 |
DB 1996, 2541 |
NJW 1996, 2507 |
DRsp I(145)445c |
DRsp IV(413)240NR. 10d |
WM 1996, 1638 |
ZIP 1996, 1436 |
MDR 1996, 909 |
VersR 1996, 1116 |
r s 1996, 400 |