Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungseigentumssache: Erhöhte Prozessgebühr für den Rechtsanwalt
Leitsatz (amtlich)
Dem Rechtsanwalt, der für eine Mehrheit von Wohnungseigentümern tätig wird, steht die Erhöhung der Prozeßgebühr auch dann zu, wenn die Wohnungseigentümer durch einen Verwalter vertreten werden (Ergänzung zum Senatsurteil vom 6. Oktober 1983 – III ZR 109/82 = LM BRAGebO § 6 Nr. 4).
Normenkette
BRAGO § 6 Abs. 1 S. 2, § 31 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 19.11.1985; Aktenzeichen 12 O 348/85) |
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 19. November 1985 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die beklagten Rechtsanwälte vertraten die Kläger und die weiteren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft in einem Beweissicherungsverfahren und in einem Rechtsstreit, den diese, vertreten durch den Verwalter, gegen ihren Architekten führten.
Die Beklagten berechneten und erhielten hierfür u. a. wegen der Vertretung mehrerer Auftraggeber erhöhte Gebühren, deren Ausgleichung im Kostenfestsetzungsverfahren das Landgericht und das zuständige Oberlandesgericht Köln versagten.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehren die Kläger von den Beklagten die Rückzahlung des rechnerisch unstreitigen Erhöhungsbetrages von 3.266,10 DM nebst Zinsen an die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Dagegen richtet sich die Sprungrevision der Beklagten, die gegen die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienenen Kläger Versäumnisurteil beantragen.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Beklagten, über die angesichts des Ausbleibens der trotz rechtzeitiger Ladung zur Revisionsverhandlung nicht erschienenen Kläger durch Versäumnisurteil sachlich zu entscheiden ist (BGHZ 37, 79), ist begründet.
Die Klage ist abzuweisen. Den beklagten Rechtsanwälten steht die streitige Erhöhung der Prozeßgebühren nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu.
I.
Die Kläger können den Beklagten nicht entgegenhalten, daß ihnen die Ausgleichung der Mehrvertretungskosten im vorprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren versagt worden ist. Dieser Umstand ist für das Rechtsverhältnis der Parteien des vorliegenden Rechtsstreits ohne Bedeutung (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1983 – III ZR 109/82 = LM BRAGebO § 6 Nr. 4 m. w. Nachw.).
II.
Der erkennende Senat hat in dem vorgenannten Urteil vom 6. Oktober 1983 entgegen der vom Oberlandesgericht Köln (vgl. Beschl. vom 6. April 1981 – 17 W 451/80 = JurBüro 1983, 73) in ständiger Praxis vertretenen Meinung entschieden, daß eine Mehrheit von Wohnungseigentümern jedenfalls dann, wenn sie ohne Mitwirkung eines Verwalters klagt, nicht als nurein Auftraggeber, sondern alsmehrere Auftraggeber im Sinne des § 6 Abs. 1 BRAGO anzusehen ist und daß dem für sie tätigen Rechtsanwalt deshalb die in dieser Vorschrift vorgesehene Gebührenerhöhung zusteht.
An dieser Auffassung, die von der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum geteilt wird (vgl. Senatsurteil aaO m. w. Nachw. sowie OVG Lüneburg AnwBl. 1984, 560; OLG Saarbrücken AnwBl. 1985, 391; OLG München JurBüro 1985, 1497 = Rpfl. 1985, 416; OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 53; ferner OLG Bamberg JurBüro 1986, 722 und insoweit auch OLG Koblenz JurBüro 1985, 711), hält der Senat fest, und zwar auch gegenüber der vom Oberlandesgericht Köln in JurBüro 1985, 66 vertretenen Meinung, der sich das Landgericht in dem angefochtenen Urteil angeschlossen hat (vgl. jetzt auch OLG Köln JurBüro 1986, 865).
Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang, bei der Berechnung der Mehrvertretungsgebühren, hervorgehoben, daß Satz 1 und Satz 2 des § 6 Abs. 1 BRAGO nicht isoliert zu sehen sind, sondern sachlich zusammengehören (vgl. Urteil vom 27. November 1980 – III ZR 187/79 = NJW 1981, 1103). Davon geht auch das Senatsurteil vom 6. Oktober 1983 (aaO) aus.
Im Streitfall braucht nicht abschließend entschieden zu werden, wann immer eine Beteiligung mehrerer Auftraggeber im Sinne des § 6 Abs. 1 BRAGO anzunehmen ist, die zu einer Gebührenerhöhung nach Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift führt. Ob insoweit Auftraggeber (nur) derjenige ist, der mit dem Rechtsanwalt einen Geschäftsbesorgungsvertrag schließt und damit Schuldner der Anwaltsvergütung wird, ob Auftraggeber (nur) derjenige ist, für den der Rechtsanwalt tätig wird, d. h. den er Vertritt und dessen Interessen er wahrnimmt, oder ob eine Erhöhung der Gebühren nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO im einen wie im anderen Falle in Betracht kommen kann, bedarf nicht der Entscheidung. Die vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil und vom Oberlandesgericht Köln in JurBüro 1985, 66 betonte Unterscheidung des bürgerlichrechtlichen Auftraggebers vom prozessual Vertretenen ist für die Frage des Entstehens einer Erhöhungsgebühr nicht ausschlaggebend. Abzustellen ist vielmehr auf den Sinn und Zweck der durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 1975 eingeführten Neufassung des § 6 BRAGO.
Der Senat hat bereits in dem genannten Urteil vom 6. Oktober 1983 (aaO) anhand der Entstehungsgeschichte der Vorschrift im einzelnen dargelegt, daß nach dem Willen des Gesetzgebers dem mit dem Vorhandensein mehrerer Beteiligter typischerweise verbundenen Mehr an Arbeit und Aufwand, insbesondere durch die laufende Informationsaufnahme und Unterrichtung durch den Rechtsanwalt, in genereller Weise durch eine Erhöhung der in § 6 BRAGO enthaltenen Pauschgebühr Rechnung getragen werden sollte (vgl. BT-Drucks. 7/2016 S. 41, 99; BT-Drucks. 7/3243 S. 7, 76; BR-Drucks. 165/1/75 S. 19/20 und BT-Drucks. 7/3498 S. 12/13; BT-Drucks. 7/3803 S. 6). Dem entspricht es, daß dem Rechtsanwalt, der für eine Mehrheit von Wohnungseigentümern tätig wird, die Mehrvertretungskosten nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ohne Rücksicht darauf zustehen, ob im Einzelfall eine Mehrbelastung des Rechtsanwalts tatsächlich eintritt oder ob bei bestimmten Sachverhalten jedenfalls im Regelfall eine Mehrbelastung angenommen werden kann.
Soweit das Oberlandesgericht Köln (aaO) zu einem anderen Auslegungsergebnis gelangt, beruht dies letztlich auf der Berücksichtigung der schon im Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat gegen die Neuregelung erhobenen Bedenken. Der Bundesrat hatte darauf hingewiesen, daß als Folge der Neuregelung in sämtlichen Fällen, in denen die Auftraggeber gemeinschaftlich berechtigt oder verpflichtet seien, die Gebührenerhöhung schon aufgrund der gemeinschaftlichen Berechtigung oder Verpflichtung ohne Rücksicht auf die Art der Auftragserteilung Platz greife und etwa ein Ehepaar, das eine ihm gemeinschaftlich zustehende Forderung einklagen lasse, oder eine aus fünf Geschwistern bestehende Erbengemeinschaft, die auf Räumung eines Grundstücks klage, eine erhöhte Prozeßgebühr auch dann zu bezahlen habe, wenn der Prozeßauftrag durch sämtliche Berechtigte gleichzeitig erteilt werde, sei es in Person, sei es durch einen Berechtigten, der auch als Bevollmächtigter der anderen handele. Dies vermöge, so hat der Bundesrat ausgeführt, nicht zu befriedigen. Die Gebührenerhöhung lasse sich vielmehr nur rechtfertigen, wenn dem Rechtsanwalt durch die Mehrheit der Auftraggeber ein erheblicher Mehraufwand erwachse, wovon jedoch im Regelfall nur dann ausgegangen werden könne, wenn die Aufträge nicht gleichzeitig erteilt würden (vgl. BR-Drucks. 165/1/75 S. 19/20 und BT-Drucks. 7/3498 S. 12/13). Diese im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken gegen die Neufassung des § 6 BRAGO haben sich indessen im Vermittlungsverfahren nach Art. 77 Abs. 2 GG nicht durchgesetzt. Sie haben insbesondere im Gesetz keinen Niederschlag gefunden (vgl. auch BVerfG JurBüro 1982, 1506, 1507). Ob es sich bei der Neufassung des § 6 BRAGO rechtspolitisch um eine geglückte Regelung handelt, unterliegt nicht der Beurteilung der Gerichte. Der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln kann deshalb nicht gefolgt werden.
III.
Der Senat hat bislang nicht entschieden, ob der Rechtsanwalt, der für eine Mehrheit von Wohnungseigentümern tätig wird, die erhöhten Gebühren nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO auch dann verdient, wenn die Wohnungseigentümer, wie es hier im Vorprozeß der Fall war, durch einen Verwalter vertreten werden.
Die Frage ist dahin zu entscheiden, daß dem Rechtsanwalt die Mehrvertretungskosten auch in diesem Falle zustehen.
Auftraggeber des Rechtsanwalts sind auch in einem solchen Fall die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft, der Rechtsanwalt wird deshalb für mehrere Auftraggeber im Sinne des § 6 Abs. 1 BRAGO tätig. Der im Namen und Auftrag der Wohnungseigentümer handelnde Verwalter ist lediglich deren Vertreter. Berechtigt und verpflichtet wird nicht er, sondern die Gesamtheit der Wohnungseigentümer. Für diese und nicht für den Verwalter wird der Rechtsanwalt – mit möglicherweise entsprechend erhöhtem Haftungsrisiko – tätig. Ihre Interessen nimmt er auch dann wahr, wenn er seine Informationen allein von dem Verwalter erhält und nur ihn über den Verlauf der Sache unterrichtet. Insoweit liegt es anders als in den Fällen, in denen der Verwalter im eigenen Namen, als Prozeßstandschafter der Wohnungseigentümer, klagt und deshalb nur alsein Auftraggeber im Sinne des § 6 Abs. 1 BRAGO anzusehen ist (vgl. OLG Hamm JurBüro 1983, 856 = MDR 1983, 501; OLG Stuttgart Justiz 1983, 78 = JurBüro 1983, 381; Göttlich/Mümmler BRAGO 15. Aufl., Mehrere Auftraggeber, Anm. 6.3; Riedel/Sußbauer BRAGO 5. Aufl. § 6 Rn. 10 Abs. 3; Gerold/Schmidt BRAGO 8. Aufl. § 6 Rn. 13 bei e).
Für die Frage der Gebührenerhöhung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ist nicht entscheidend, ob die mehreren Auftraggeber an den Rechtsanwalt aufgrund einheitlicher Willensbildung herantreten oder im Prozeß als Einheit auftreten (Senatsurteil vom 6. Oktober 1983 aaO). Angesichts der typisierenden und generalisierenden gesetzlichen Regelung kommt es allein darauf an, ob an der betreffenden Angelegenheit, in der der Rechtsanwalt tätig wird, mehrere rechtsfähige oder doch im Rechtsverkehr so behandelte natürliche oder juristische Personen beteiligt sind. Das ist bei der Klage einer Mehrheit von Wohnungseigentümern auch dann der Fall, wenn dabei ein Verwalter mitwirkt.
Den Beklagten sind deshalb für die Vertretung der Kläger und der anderen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft im Vorprozeß entgegen der Auffassung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts Köln die erhöhten Prozeßgebühren nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO erwachsen, wie es der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum entspricht (vgl. OLG Hamm JurBüro 1980, 379 = MDR 1980, 239 = Rpfl. 1980, 76; auch JurBüro 1983, 856/857; OLG Bamberg JurBüro 1978, 1016; OLG München JurBüro 1985, 1497 = Rpfl. 1985, 416 = MDR 1985, 857; OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 53; Göttlich/Mümmler aaO Anm. 6.2; Schumann/Geißinger BRAGebO 2. Aufl. Nachtr. zu § 6 Rn. 9; a. A. – außer dem OLG Köln aaO – OLG Koblenz JurBüro 1985, 711 = MDR 1985, 857 = Rpfl. 1985, 416).
IV.
Die Sprungrevision der Beklagten führt nach allem zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die auf Rückzahlung der Mehrvertretungskosten gerichtete Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 2 ZPO.
Unterschriften
K, B, H, W, Richter Dr. R hat Urlaub und kann daher nicht unterschreiben. K
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.02.1987 durch F, Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 513499 |
NJW 1987, 2240 |
Nachschlagewerk BGH |