Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 07.01.1960) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Düsseldorf vom 7. Januar 1960 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Tatbestand
Der am ... 1890 geborene, im Verlaufe des Revisionsrechtszuges verstorbene und von der jetzigen Klägerin beerbte ursprüngliche Kläger Friedrich S. - im folgenden: Kläger - war früher Pflastermeister bei der Firma Wilhelm F., einem Tiefbauunternehmen in D. Er leitete eine im Akkord arbeitende Pflasterergruppe und war darin als erster Arbeiter auch selbst mit tätig. Am 17. April 1953 wurde er während der Arbeit auf der Benrather Schloßallee in Düsseldorf von einem Dienstfahrzeug des Bau- und Störtrupps der Beklagten angefahren und schwer verletzt. Der Fahrer des Dienstfahrzeugs der Beklagten hatte (unstreitig) die alleinige Schuld an dem Unfall. Infolge seiner erheblichen Unfallverletzungen mußte der Kläger seine Tätigkeit bei der Firma F. aufgeben. Er war bis zum 22. Mai 1953 zunächst stationär im Krankenhaus und danach ambulant in ärztlicher Behandlung. Ab 14./16. Februar 1954 wurde er wegen seiner Unfallverletzungen wieder gesund geschrieben, jedoch nur für leichtere Arbeiten für arbeitsfähig erklärt. Der Kläger hat aber weder bei der Firma F. noch zunächst bei einer anderen Firma eine Arbeitsstelle angetreten. Vielmehr stellte er am 12. Oktober 1954 einen Antrag auf Invalidenrente, dem mit Wirkung vom 1. November 1954 von der zuständigen Landesversicherungsanstalt stattgegeben wurde. Am 24. Mai 1956 wurde der Kläger bei der Tiefbauunternehmung Heinrich D. in L. als Schachtmeister eingestellt; er hatte dort - ohne eine eigene tätige Mitarbeit - eine Arbeitskolonne zu beaufsichtigen, die in der Hauptsache bei Industriewerken Ausschachtungs- und Kanalbauarbeiten verrichtete.
Die Beklagte hat eine Schadensersatzpflicht für Unfallschadensfolgen des Klägers dem Grunde nach anerkannt und diesen wegen aller seiner Schadensersatzansprüche aus der Zeit bis zum 15. November 1954 im Wege eines Vergleichs abgefunden.
Mit der jetzigen, im März 1956 erhobenen Klage werden Schadensersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung wegen eines behaupteten weiteren Verdienstausfalls des Klägers als Folge des Unfalls geltend gemacht. Der Kläger hat dazu behauptet, die Unfallfolgen hätten es ihm nicht mehr gestattet, wieder als Pflastermeister im Gruppenakkord tätig zu sein. Bis zu seiner Einstellung bei der Firma D. habe er auch keine leichtere Arbeit finden können. Ohne den Unfall wäre er jedoch bei der Firma F. nicht entlassen worden; er hätte vielmehr, auch in Anbetracht des Mangels an Fachkräften und da er sonst gesund gewesen sei, seine bisherige oder eine andere gut bezahlte Meisterstelle bis zur Vollendung seines 70. Lebensjahres behalten.
Für die Zeit vom 16. November 1954 bis zum 31. Dezember 1955 hat der Kläger unter Zugrundelegung eines monatlich entgangenen Verdienstes von 689,48 DM nach Abzug einer von der Berufsgenossenschaft ihm gezahlten Unfallrente insgesamt die Erstattung eines Verdienstausfalls von 7.687,83 DM nebst Zinsen begehrt. Weiterhin hat er für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 21. Januar 1960 die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Rente von 597,58 DM beantragt, die er jedoch für die Zeit ab 1. Juni 1956 um seine Einkünfte bei der Firma D. in Höhe von monatlich 526,31 DM ermäßigt hat. Der Kläger hat ferner behauptet, daß er ohne den Unfall auch eine um etwa 40 bis 45 DM monatlich höhere Invalidenrente erhalten hätte, weil infolge seines Unfalls für die Dauer von fast zwei Jahren Beiträge für die Rentenversicherung nicht gezahlt worden seien.
Die Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Sie hat zwar "den Anspruch des Klägers dem Grunde nach anerkannt", aber bestritten, daß der Kläger über den 15. November 1954 hinaus Unfallschäden gehabt habe und in Zukunft noch habe. Nach dem 16. Februar 1954 hätte der Kläger wieder eine Arbeit aufnehmen und insbesondere bei der Firma F. seine alte, besser bezahlte Tätigkeit als Pflasterermeister ausüben können. Sollte er hierzu nicht in der Lage gewesen sein, so sei das nicht auf den Unfall, sondern auf sonstige altersbedingte Krankheitserscheinungen zurückzuführen, wie sich insbesondere aus seiner vorzeitigen Invalidisierung und aus den hierzu erstatteten ärztlichen Gutachten ergebe. Auch wenn der Kläger den Unfall nicht erlitten hätte, wäre er spätestens zum 15. November 1954 von der Firma F. entlassen worden, weil diese eine Verwendung für ihn wegen seiner Alterserscheinungen nicht mehr gehabt hätte. Die Beklagte hat im übrigen die Klageansprüche auch der Höhe nach bestritten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und, nachdem seine Tätigkeit bei der Firma D. am 19. Februar 1958 ihr Ende gefunden hatte, in der Berufungsinstanz unter Einbeziehung der bis zum 31. Mai 1956 beanspruchten Rentenbeträge in seine Kapitalforderung zuletzt den Antrag gestellt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn
a)
10.675,73 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1956,
b)
für die Zeit vom 1. Juni 1956 bis 19. Februar 1958 eine im voraus zahlbare monatliche Rente von 80 DM,
c)
für die Zeit vom 19. Februar 1958 bis 31. Januar 1960 eine der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellte monatliche Rente im voraus zu zahlen.
Das Oberlandesgericht hat in Abänderung des landgerichtlichen Urteils zur Hauptsache gegenüber der Beklagten erkannt:
"Der Klageanspruch gegen die Beklagte ist dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit der Kläger Erstattung seines Verdienstausfalls bis zum 30. Juni 1959 verlangt.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Zur Entscheidung über den Betrag des dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärten Anspruchs wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen."
Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf völlige Klageabweisung weiter. Die jetzige Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
1.)
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Bau- und Störtrupps der Beklagten, die sich mit dem Bau und der Instandsetzung von Fernsprechleitungen befassen, hoheitliche Tätigkeit ausüben, und damit auch die Fahrten der Dienstfahrzeuge der Beklagten im Rahmen dieser Verrichtung hoheitlicher Art seien, so daß sich die Haftung der Beklagten wegen des von ihrem Fahrer schuldhaft verursachten Unfalls des Klägers aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ergebe. Das ist frei von Rechtsirrtum (BGB-RGRK 11. Aufl. § 839 Anm. 53).
2.)
In einer sehr ausführlichen tatrichterlichen Beweiswürdigung kommt das Oberlandesgericht zu folgenden Feststellungen:
Zwar hätte der Kläger auch ohne seinen Unfall am 17. April 1953 in der Zeit nach dem 15. November 1954 seine frühere Tätigkeit als Pflasterermeister unter persönlicher Mitarbeit in einer Akkordgruppe beim Straßen- und Gleisbau wegen unfallunabhängiger, gesundheitlicher Veränderungen und Beschwerden nicht mehr ausüben können, und diese nichtunfallbedingten Umstände hätten bereits am 15. November 1954 zur Invalidität des Klägers im Sinne des Sozialversicherungsrechts geführt. Gleichwohl wäre der Kläger zu diesem Zeitpunkt ohne den Unfall bei seiner Arbeitgeberin, der Firma F. nicht entlassen worden, vielmehr hatte er über den 15. November 1954 hinaus noch lange Zeit hindurch bei ihr eine Tätigkeit als Aufsichtsperson für Arbeiten außerhalb des Straßenverkehrs ausgeübt, wie sie der Kläger später bei der Firma D. tatsächlich wahrgenommen habe und wozu er auch gesundheitlich ohne weiteres noch in der Lage gewesen sei. Hierbei läßt sich das Berufungsgericht in eingehender Würdigung der Beweisaufnahme und des sonstigen sachvortrages insbesondere von den Erwägungen leiten, daß der Kläger eine außerordentlich tüchtige und erfahrene Fachkraft und schon viele Jahre bei der Firma F. tätig gewesen sei, daß diese Firma auch nach dem 15. November 1954 genügend Aufträge und Arbeiten, die nicht Straßen- oder Gleisbauarbeiten wären und bei denen der Kläger hätte verwendet werden können, gehabt hätte oder hätte haben können, da die Firma F. ausreichende Aufträge auf allen Gebieten hätte erhalten können, für sie das Problem aber nur die Beschaffung von Fachkräften gewesen sei; außerdem würden in einem Falle wie dem des Klägers erfahrungsgemäß Erwägungen sozialer Art eine Rolle gespielt haben, die ebenfalls die Annahme stützten, daß der Kläger ohne den Unfall in der Zeit ab 15. November 1954 von der Firma F. nicht entlassen worden wäre, daß er vielmehr seine Arbeit bei dieser Firma - wenn auch in veränderter Form und vielleicht in geringerem Umfang - laufend hätte fortführen können.
Das Berufungsgericht kommt sodann, in erster Linie in Würdigung der eingeholten ärztlichen Gutachten und des vom Kläger bei seiner zweimaligen Anhörung durch den Tatrichter persönlich gewonnenen Eindrucks, zu der Feststellung, daß in zeitlicher Hinsicht der Kläger ohne den Unfall jedenfalls bis zum 30. Juni 1959 bei der Firma F. weiter tätig gewesen sein würde. Aus all diesen Umständen und aus der Höhe des Verdienstes der bei der Firma F. beschäftigten Meister folgert das Oberlandesgericht, daß der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt auch einen durch die Unfallrente niemals gedeckten Verdienstausfall gehabt habe der ihm deshalb von der Beklagten zu ersetzen sei, über dessen Höhe im einzelnen aber noch weitere Feststellungen getroffen werden müßten.
3.)
Die Revision der Beklagten erschöpft sich darin, diese tatsächlichen Feststellungen anzugreifen. Sie meint, das Berufungsurteil leide an inneren Widersprüchen, beruhe auf Verfahrensmängeln sowie auf Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze.
Was die Revision hierzu vorbringt, läuft aber im wesentlichen auf in der Revisionsinstanz unzulässige Angriffe gegen die tatrichterliche Würdigung hinaus, wobei auch die vom Oberlandesgericht bejahte und ausführlich begründete Glaubwürdigkeit des als Zeugen eidlich vernommenen Mitinhabers der Firma F., Josef F., angegriffen wird. Außerdem scheint die Revision zu verkennen, daß insbesondere die entscheidungserhebliche Feststellung des Tatrichters darüber, ob der Kläger ohne den Unfall auch noch nach dem 15. November 1954 bei der Firma F. tätig gewesen wäre, auf der das Gericht freier stellenden Vorschrift des § 287 ZPO beruht, da die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfall und Schaden ebenfalls unter § 287 ZPO fällt (LM § 287 ZPO Nr. 3). Das Revisionsgericht kann aber im Rahmen des § 287 ZPO nur nachprüfen, ob die Schadensermittlung des Tatrichters auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht, ob wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer acht gelassen worden sind, und ob der Tatrichter die tatsächlichen Grundlagen seiner Schätzung und ihre Auswertung in den Urteilsgründen ausreichend dargelegt hat (LM § 287 ZPO Nr. 4 und 7; § 249 (Bb) BGB Nr. 7).
In diesen Richtungen hält aber das Berufungsurteil der rechtlichen Nachprüfung stand. Insbesondere hat das Tatsachengericht alle Umstände, die Grundlage seiner gewonnenen Überzeugung gewesen sind, in sehr ausführlicher Weise dargelegt, ohne daß es dabei wesentliche Tatsachen außer acht gelassen hätte.
Wenn die Revision entscheidendes Gewicht auf das Schreiben der Firma F. an den Kläger vom 16. Februar 1954 - mit dem dem Kläger mitgeteilt wurde, daß er zur Zeit auch nicht mit leichteren Arbeiten wieder beschäftigt werden könne - legt und hieraus andere Folgerungen als das Berufungsgericht ziehen will, so übersieht sie, daß der Tatrichter sich mit diesem Schreiben und seiner Bedeutung eingehend auseinandergesetzt hat (BU S. 12). Darüber hinaus hat er aber auch mit Recht in diesem Zusammenhang darauf abgehoben, daß hier nicht die Frage einer "Wiedereinstellung" des Klägers "nach dem erlittenen Unfall" entscheidungserheblich ist, worauf die Revision irrigerweise stets abstellt, sondern ob der Kläger ohne den Unfall von der Firma F. zum 15. November 1954 entlassen worden wäre, und ob somit der Kläger ohne seinen Unfall eine Arbeitsstelle als Meister bei dieser Firma laufend beibehalten hätte.
Damit erledigen sich zum Teil auch schon die weiteren Angriffe der Revision, mit denen sie - unter Erhebung von Verfahrensrügen nach §§ 286, 139 ZPO - nachzuweisen sucht, daß die Firma F. nach dem 15. April 1954 weder Arbeiten außerhalb des Straßen- und Gleisbaues, für die sie den Kläger hätte verwenden können, noch Aufträge dafür gehabt hätten Abgesehen davon, daß der Tatrichter im Rahmen des § 287 ZPO nicht gehalten ist, allen zur Bemessung des Schadens angebotenen Beweisanträgen nachzugehen, und daß er Umstände berücksichtigen kann, die - wie hier die sozialen Erwägungen auf Seiten des langjährigen Arbeitgebers - von den Parteien nicht vorgetragen worden sind (BGHZ 3, 162; LM § 287 ZPO Nr. 3), hat das Berufungsgericht auch diese Fragen in seinen Urteilsgründen ausführlich erörtert (BU S. 11, 14); insoweit hat es ohne Verstoß gegen Erfahrungssätze - den die Revision in diesem Zusammenhang irrigerweise rügt - angenommen, daß die Firma F., um sich die erstklassige Fachkraft des Klägers besonders als Aufsichtsperson zu erhalten, in vermehrtem Umfang Arbeiten außerhalb des Straßenverkehrs ausgeführt hätte und auch hätte ausführen können. Alles, was die Revision hiergegen vorträgt, berücksichtigt im wesentlichen nur Umstände, wie sie sich bei der Firma F. nach dem unfallbedingten Ausscheiden des Klägers bei dieser Firma tatsächlich entwickelt haben mögen, während der Tatrichter mit Recht darauf abgestellt hat, wie sich die betrieblichen Verhältnisse bei dieser Firma ohne den Unfall des Klägers und ohne dessen Ausscheiden, also bei dessen fortlaufender Weiterbeschäftigung, entwickelt hätten.
Da das Berufungsurteil auch im übrigen, insbesondere zu den Fragen eines etwaigen Mitverschuldens des Klägers an der Höhe seines Schadens sowie der Wahrscheinlichkeit eines von der Beklagten zu ersetzenden Verdienstausfalls des Klägers bis zum 30. Juni 1959, einen in der Revisionsinstanz beachtlichen Rechtsfehler nicht erkennen läßt, ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen