Verfahrensgang
LG Waldshut-Tiengen (Urteil vom 17.05.2002) |
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut – Tiengen vom 17. Mai 2002 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Revisionen.
Gründe
Der Angeklagte und sein Bruder, der frühere Mitangeklagte M. … G., wurden vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger richten sich gegen den Freispruch des Angeklagten, hinsichtlich M. … G. wurden sie wieder zurückgenommen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auf eine Verfahrensrüge und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt, die Revisionen der Nebenkläger auf die Sachrüge, wobei die Ausführungen hierzu im wesentlichen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft entsprechen.
Die im Ergebnis auch vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen bleiben erfolglos.
1. Die Strafkammer hat festgestellt:
Die Angeklagten hatten Auseinandersetzungen mit … Ak., der im Zusammenhang mit der Anpachtung eines Lokals durch die Angeklagten Geldforderungen gegen sie erhob. Sollten die Angeklagten bis 9. November 1998 nicht zahlen, so stand zumindest im Raum, sollte das Lokal Ak. übertragen werden. Am späten Abend des 8. November wurde Ak. telefonisch vom Angeklagten A. G. in das Lokal bestellt; er glaubte, er bekomme sein Geld und fuhr hin, obwohl er stark erkältet war. Seither wurde er nicht mehr lebend gesehen. Am 5. April 1999 wurde die Leiche des erschossenen Ak. etwa acht km von dem Lokal entfernt an einsamer Stelle aufgefunden. Sie war in Tischtücher gewickelt, die aus dem Lokal stammten. Der PKW Ak. s, der am späten Abend des 8. November 1998 noch vor dem Lokal gestanden hatte, war bereits am 10. November 1998 in der Nähe des Lokals auf einem Parkplatz gefunden worden.
2. Den Angeklagten war vorgeworfen worden, daß entweder in dem Lokal oder in dessen Nähe einer von ihnen im Einverständnis und im Beisein des anderen Ak. erschossen habe; möglicherweise habe aber auch eine dritte Person ihn auf Veranlassung der Angeklagten und in deren Anwesenheit erschossen.
Nach umfangreicher Beweisaufnahme bejaht die Strafkammer einen erheblichen („gesteigerten”) Verdacht gegen beide Angeklagte, insbesondere aber gegen den Angeklagten A. G., daß sie den Tod Ak. s zu verantworten haben. Es bleibe aber völlig unklar, wer geschossen habe und ob dies auf Grund eines gemeinsamen Tatplans geschehen sei. Es sei möglich, daß Ak. nur zum Zweck der Einschüchterung in das Lokal einbestellt worden sei. Immerhin habe der Angeklagte A. G. durch die Einbestellung Ak. s mittels eines zunächst von einer Tochter Ak. s angenommenen Telefonanrufs „fast automatisch” einen Tatverdacht auf sich gelenkt, was gegen eine geplante Tötung sprechen könne. Auf der Grundlage der Annahme einer Einbestellung nur zur Einschüchterung sei nicht auszuschließen, daß sich Ak., wofür angefallene Erkenntnisse zu seiner Persönlichkeit („uneinsichtig, widerspenstig”) sprechen könnten, bei dieser Besprechung nicht habe beeindrucken lassen. Dann könne das Treffen auch eskaliert sein, wobei einer der Anwesenden Ak. erschossen habe. Bei solchem Geschehensablauf könne dies dann aber nur dem Schützen selbst – gewissermaßen nach den Grundsätzen des „Exzesses” – zugerechnet werden. Wer der Schütze aber sei, sei nicht festzustellen. Da die Angeklagten Brüder seien, könne gemäß § 258 Abs. 4 StGB keine Bestrafung wegen einer Strafvereitelung durch Beseitigung der Leiche erfolgen.
An dieser Beweiswürdigung könne insbesondere auch die Aussage des Zeugen D. nichts ändern. Dieser war lange V-Mann für die Polizeidirektion H. und andere Behörden und im Bereich Rauschgift- und Falschgeldkriminalität erfolgreich tätig. Er wurde am 6. April 1999 wegen eigener Rauschgiftgeschäfte verhaftet – inzwischen ist er deshalb rechtskräftig zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt – und alsbald aus Sicherheitsgründen aus dem Raum H. nach W. verlegt. Er war ab 9. April 1999 für neun Wochen Zellengenosse des an diesem Tag verhafteten Angeklagten M. … G.. Im Juni 1999 meldete sich D. bei den Behörden und schilderte im einzelnen, daß sein Zellengenosse ihm gegenüber eingeräumt habe, Ak. sei von zwei zu diesem Zwecke gedungenen Mördern, Kurden aus Italien, erschossen worden, weil er wegen seiner Geldforderungen lästig geworden sei; er, M. … G., sei aber unschuldig.
Die Strafkammer konnte aber, auch nach Anhörung des gemäß § 220 StPO in die Sitzung gestellten aussagepsychologischen Sachverständigen Prof. Köhnken (Kiel) nicht ausschließen, daß D. absichtlich falsche Angaben gemacht habe, um sich eigene Vorteile im Zusammenhang mit dem damals gegen ihn anhängigen Verfahren zu verschaffen.
3. Mit ihrer Verfahrensrüge macht die Staatsanwaltschaft geltend, die Strafkammer habe einen Beweisantrag auf Vernehmung eines weiteren Sachverständigen zu Unrecht zurückgewiesen. Gestützt war der Antrag auf das Vorbringen, das Gutachten von Prof. Köhnken weise methodische Mängel auf.
Ohne daß es auf weiteres ankäme, ist die Rüge entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht zulässig erhoben:
Das Gutachten ist in nicht unerheblichen Teilen durch Bezugnahmen, z.B. auf Seitenzahlen oder Abschnitte oder durch Zusammenfassungen (z.B. „einige Realitätskriterien”) wiedergegeben. Dies war im Rahmen des Beweisantrags gegenüber dem Landgericht unbedenklich, da diesem das Gutachten bekannt war und vorlag. Das Revisionsgericht prüft dagegen die Schlüssigkeit von Verfahrensrügen nur anhand des Revisionsvorbringens. Angesichts der dargelegten Art der Schilderung vermittelt die Revisionsbegründung nicht die umfassende Kenntnis des Gutachtens, die erforderlich wäre, um in eine Prüfung darüber einzutreten, ob das Gutachten von Prof. Köhnken, dessen generelle „Sachkunde und … wissenschaftliche Reputation” die Strafkammer zutreffend („einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Glaubwürdigkeitsbegutachtung”) bewertet und belegt hat, Methodenfehler enthalten könnte. Der Senat bemerkt jedoch, daß auch im übrigen das Revisionsvorbringen die Möglichkeit methodischer Mängel nicht naheliegend erscheinen läßt. Insoweit verweist er auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts im Anschreiben vom 12. Mai 2003.
4. Das Vorbringen der Revision zur Begründung der Sachrüge richtet sich gegen die Beweiswürdigung.
a) Kann der Tatrichter nicht die erforderliche Gewißheit gewinnen und spricht den Angeklagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02; vgl. auch zusammenfassend Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 5 m.N.). Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung „lebensfremd erscheinen” mag (BGH NStZ 1984, 180). Es gibt nämlich im Strafprozeß keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf Gewißheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (vgl. BGH aaO, Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 4. Aufl. Rdn. 104 m.N.).
Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. BGH aaO; NJW 2002, 2188, 2189 jew.m.N.). Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlußfolgerung nicht gezogen ist, ohne daß konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 47). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (BGH aaO m.N.).
b) Soweit sich die Revision mit Einzelausführungen gegen die Beweiswürdigung wendet, stützt sie sich in weiten Teilen auf urteilsfremde Tatsachen. So wird etwa die Aussage des Zeugen D. eingehend dargelegt und ein Rechtsfehler darin gesehen, daß das Urteil nicht „überprüft” werden könne, weil die Urteilsfeststellungen zu den Aussagen dieses Zeugen nicht deckungsgleich mit der genannten Schilderung seien. Ähnlich heißt es in anderem Zusammenhang, die Strafkammer habe bestimmte „in den Urteilsgründen nicht wiedergegebene Angaben” eines Zeugen nicht in ihre Erwägungen einbezogen.
Bei alledem ist verkannt, daß das Revisionsgericht weder den Gang und das Ergebnis der Beweisaufnahme rekonstruiert, noch den Akteninhalt mit den Urteilsgründen abgleicht (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Wahl in NJW – Sonderheft für G. Schäfer 2002, 73 m.N.).
c) Auch im übrigen ist ein Rechtsfehler in der Beweiswürdigung weder von der Revision aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Die zentralen Erwägungen der Strafkammer, die Art der Einbestellung Ak. s könne gegen eine geplante Tötung sprechen und die Möglichkeit einer Eskalation ergebe sich aus den zur Persönlichkeit Ak. s angefallenen Erkenntnissen, knüpfen an konkrete Anhaltspunkte an und überschreiten auch sonst die aufgezeigten Grenzen tatrichterlicher Beweiswürdigung nicht, selbst wenn eine geplante Tat wahrscheinlicher erscheinen mag, als die „Exzesshypothese”. Das Revisionsvorbringen – soweit es nicht, wie dargelegt, an urteilsfremde Feststellungen anknüpft – beschränkt sich trotz seiner Ausführlichkeit letztlich insgesamt darauf, aufzuzeigen, daß auch eine solche Beweiswürdigung möglich wäre. An Formulierungen, wonach etwa bestimmte Überlegungen „nicht überzeugen”, weil anderen Gesichtspunkten nicht das „angemessene Gewicht” eingeräumt sei, wird deutlich, daß die Revision ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Tatrichters setzen will, ohne dabei jedoch Rechtsfehler aufzuzeigen.
d) Auch die Ausführungen des Generalbundesanwalts führen letztlich zu keinem anderen Ergebnis. So setzt er etwa den Erwägungen der Strafkammer, die Beseitigung der Leiche spreche nicht gegen eine nicht geplante Tötung, da eine solche Beseitigung auch improvisiert sein könne, die Erwägung entgegen, das Nachtatverhalten spreche dafür, daß eine Tötung Ak. s „zumindest bedingt eingeplant” gewesen sei. Auch insoweit ist lediglich eine andere Gewichtung der angefallenen Erkenntnisse vorgenommen. Ähnliches gilt für die Erwägungen, die daran anknüpfen, daß Ak. damit rechnete, daß sein Aufenthalt in dem Lokal nicht von langer Dauer sein werde oder zu den Ausführungen zu den festgestellten Aussagen eines Zeugen Ü. gegenüber der Polizei.
Die Urteilsgründe ergeben, daß die Strafkammer aus den Aussagen dieses Zeugen keine für den Angeklagten nachteiligen Schlüsse zieht: Ü., der sich im Ermittlungsverfahren „von Vernehmung zu Vernehmung genauer und besser erinnert habe”, sei „intellektuell und psychisch” überfordert gewesen; seine Aussagen seien widersprüchlich, wobei der Zeuge P., ein Vernehmungsbeamter, „offen und ehrlich eingeräumt habe, daß er eben den Zeugen habe reden lassen” ohne den Widersprüchen in der Aussage nachzugehen.
Mit Erwägungen, wonach etwa die Aussagen Ü. s auch anders erklärbar seien und „keine essentiellen, unauflösbaren … Widersprüche” aufwiesen, wird zwar die Möglichkeit einer anderen Beweiswürdigung, nicht aber ein Rechtsfehler im dargelegten Sinne aufgezeigt.
Angesichts der umfangreichen, wenn auch letztlich vergeblichen, wie sie es ausdrückt, „Anstrengungen” der Strafkammer, ihre Zweifel zu überwinden, in deren Rahmen sie eingehend auf die von ihr vorgenommene Gesamtwürdigung aller Indizien verweist, kann der Senat schließlich auch nicht die Sorge teilen, die Strafkammer könnte gegen den Angeklagten sprechende Indizien aus dem Blick verloren oder nur isoliert gewürdigt haben.
Unterschriften
Nack, Wahl, Schluckebier, Kolz, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2558476 |
NStZ-RR 2003, 371 |