Leitsatz (amtlich)
a) Die Grundsätze des Eigengrenzüberbaus können auch dazu führen, daß eines von mehreren Geschossen eines Hauses als übergebauter Gebäudeteil anzusehen ist, der dem Gebäude und der darunter liegenden Grundstücksfläche zugehörig ist, von der aus übergebaut ist.
b) Veräußert in einem solchen Fall der Eigentümer des übergebauten Gebäudeteils das darunter liegende Grundstück, so kann im Regelfall nicht angenommen werden, daß sich die Übertragung auch auf den übergebauten Teil erstreckt; anderenfalls wäre die Übertragung insgesamt unwirksam.
Normenkette
BGB §§ 93, 94 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 15. Juni 2000 aufgehoben, soweit es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist, und das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 27. August 1999 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte war Eigentümerin eines Grundstücks, das mit einer Gaststätte und angebautem Wohnbereich bebaut ist. Sie wollte die Gaststätte verkaufen und den Wohngebäudeteil behalten. Daher ließ sie das Grundstück an der Stelle, wo Gaststätte und Anbau zusammenstoßen, teilen, bedachte aber nicht, daß die Nutzung im Inneren der Gebäude zum Teil anders verläuft. Im Erdgeschoß ragen die Toiletten der Gaststätte in den Wohnbereich hinein, im ersten Obergeschoß ragen Wohn- und Schlafzimmer der Beklagten in einer Größe von rund 40 Quadratmetern in den Gaststättenbereich hinein.
Mit notariellem Vertrag vom 1. Juni 1993 erwarb die Klägerin den nach Durchführung der Teilung entstandenen Grundstücksteil mit der Gaststätte für 310.000 DM von der Beklagten. Sie verlangt nun – soweit im Revisionsverfahren noch im Streit – Herausgabe der von der Beklagten genutzten Räume, soweit sie über der Grundstücksfläche liegen, die sie, die Klägerin, erworben hat. Ferner beansprucht sie eine Nutzungsentschädigung für diese Räume seit dem 1. August 1993 bis zum 31. März 1999 in Höhe von 32.640 DM nebst Zinsen und begehrt die Feststellung, daß die Beklagte zum Ersatz weiterer Schäden verpflichtet sei, der durch die Vorenthaltung der herausverlangten Räume entstehen werde.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat den Zahlungsanspruch auf 26.856 DM nebst gestaffelter Zinsen reduziert und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht nimmt an, die Klägerin sei Eigentümerin der über dem von ihr erworbenen Grundstücksteil liegenden Räume, die von der Beklagten genutzt werden. Das folge aus dem klaren Wortlaut des Grundstücksübereignungsvertrages, wonach die Vertragsparteien die Vorstellung einer vertikalen Grundstücksteilung und nicht einer wabenförmigen Verschachtelung gehabt hätten. Infolge dessen sei die Beklagte zur Herausgabe der Räume (§ 985 BGB) und – in dem zugesprochenen Umfang – zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung (§ 988 BGB) verpflichtet; wegen künftiger Vorenthaltungsschäden sei die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung gerechtfertigt.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Zutreffend ist allerdings, daß sich die Eigentumsübertragung allein auf die Grundstücksfläche bezieht, die durch die in dem Vertrag genannten Flurstücke bestimmt wird, also auf das durch Teilung entstandene Grundstück, das mit der Gaststätte bebaut ist. Das hat aber nicht zur Folge, daß die Klägerin die in ihr Grundstück hineinragenden Räume im ersten Obergeschoß zu Eigentum erworben hat, die von der Beklagten genutzt werden. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht nämlich an, die durch die Grundstücksteilung entstandene Grenze verlaufe vertikal durch das auf beiden Teilen errichtete Gebäude, so daß sich die Eigentumsübertragung auf den übergebauten Gebäudeteil im ersten Obergeschoß erstreckt habe. Das wäre zwar richtig, wenn sich das Gebäude seiner wirtschaftlichen Funktion entsprechend auf der Grundstücksgrenze teilen ließe in den Gaststättenbereich einerseits und den Wohnbereich andererseits, kann aber nicht im vorliegenden Fall ohne Einschränkung gelten, der durch eine den Charakter eines Überbaus tragenden Nutzung im Erd- und im ersten Obergeschoß gekennzeichnet ist. Vielmehr ist anzunehmen, daß die über die Grenze hinausragenden Räume im ersten Obergeschoß, die die Beklagte als Wohn- und Schlafzimmer nutzt, im Eigentum der Beklagten verblieben sind, und daß umgekehrt die zur Gaststätte gehörenden Toilettenräume im Erdgeschoß auch insoweit in das Eigentum der Klägerin gelangt sind, als sie auf dem der Beklagten verbliebenen Grundstück liegen. Das ergibt sich aus folgendem.
Der Senat gibt für den Fall des sogenannten Eigengrenzüberbaus in ständiger Rechtsprechung dem in § 93 BGB geregelten Grundsatz des einheitlichen Eigentums an einer Sache den Vorzug gegenüber der in § 94 Abs. 1 BGB vorgesehenen Bindung des Eigentums an einem Gebäude an das Eigentum am Grundstück. Das bedeutet: Überschreitet der Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke mit dem Bau auf einem dieser Grundstücke die Grenze des anderen, so wird der hinübergebaute Gebäudeteil nicht Bestandteil des überbauten Grundstücks (was dem Gedanken des § 94 Abs. 1 BGB entspräche), sondern das Gebäude bildet als einheitliches Ganzes (§ 93 BGB) einen wesentlichen Bestandteil desjenigen Grundstücks, von dem aus übergebaut worden ist (Urteil vom 26. April 1961 – V ZR 203/59, LM BGB § 912 Nr. 9; BGHZ 102, 311, 314).
Dasselbe gilt für den hier vorliegenden Fall, daß ein Grundstück in der Weise aufgeteilt wird, daß ein aufstehendes Gebäude von der Grenze der beiden neu gebildeten Grundstücke durchschnitten wird. Gelangen dann diese Grundstücke in das Eigentum verschiedener Personen, so soll das Eigentum an dem Gebäude als Ganzem (§ 93 BGB), wenn sich der nach Umfang, Lage und wirtschaftlicher Bedeutung eindeutig maßgebende Teil auf einem der Grundstücke befindet, mit dem Eigentum an diesem Grundstück verbunden sein (BGHZ 64, 333).
Das heißt für den vorliegenden Fall nicht, daß etwa der auf dem Grundstück der Beklagten stehende Anbau insgesamt der Gaststätte zuzuordnen und als einheitliches Gebäude mit dem Grundstück der Klägerin zu verbinden wäre. Der Senat hat vielmehr auch entschieden, daß bei einer Trennung eines Gebäudes, die zu zwei wirtschaftlich selbständigen Einheiten führt, jeder Gebäudeteil dem Grundstück zugeordnet werden kann, auf dem er steht (Grundsatz der vertikalen Teilung entsprechend dem Gedanken des § 94 Abs. 1 BGB, vgl. BGHZ 102, 311, 315). Ragt jedoch in einem solchen Fall ein Teil des einen Gebäudes in das Nachbargrundstück hinein, so findet auf diesen hineinragenden Teil, auch wenn er nur eines von mehreren Geschossen betrifft, der in § 93 BGB zum Ausdruck gekommene Gedanke, wirtschaftliche Werte möglichst zu erhalten, Anwendung (BGHZ 102, 311). Das heißt für den vorliegenden Fall, die Räume, die im ersten Obergeschoß von der Lage, baulichen Eigenart und wirtschaftlichen Nutzung dem Anbau zugehörig sind, sind auch eigentumsrechtlich diesem (selbständigen) Gebäude zuzuordnen und werden mit dem Eigentum an dem Grundstück verbunden, auf dem der Anbau steht. Umgekehrt – worauf es hier aber nicht ankommt – gilt dasselbe für die Besonderheiten des Erdgeschosses. Der Teil der Toiletten, der in das Grundstück der Beklagten hineinragt, nach Lage, baulicher Eigenart und Nutzung aber zu dem Gaststättengebäude gehört, ist eigentumsrechtlich der Gaststätte und damit dem Grundstück der Klägerin zuzuordnen.
Vor dem Hintergrund dieser sachenrechtlichen Lage konnte die Klägerin nicht das Eigentum an den von ihr herausverlangten Räumen erwerben. Es kann daher bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) nicht angenommen werden, daß sich die dingliche Einigung auf diese Räume bezog. Aber selbst wenn die Parteien den Willen gehabt hätten, den übergebauten Gebäudeteil in das Eigentum der Klägerin zu übertragen, wäre dies erfolglos geblieben, da die Einigung dann der sachenrechtlichen Rechtslage widersprochen hätte. Die Grundstücksübertragung wäre dann insgesamt unwirksam. Die auf das Eigentum gestützte Klage ist daher unbegründet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Tropf, Lambert-Lang, Krüger, Klein, Bauner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.10.2001 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 651635 |
DB 2002, 476 |
NJW 2002, 54 |
BGHR 2002, 49 |
BGHR |
BauR 2002, 318 |
DNotI-Report 2001, 197 |
IBR 2001, 698 |
NZM 2002, 43 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 603 |
ZfIR 2001, 997 |
DNotZ 2002, 290 |
JuS 2002, 290 |
MDR 2002, 22 |
Rpfleger 2002, 71 |
NZBau 2002, 27 |
NotBZ 2002, 28 |
ZNotP 2002, 70 |
GuG 2004, 383 |
JURAtelegramm 2002, 69 |
LL 2002, 158 |