Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung „neu für alt” bei Aufwendungsersatzanspruch
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Ersatz der zu einer Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen kann durch einen Abzug "neu für alt" gemindert sein.
Normenkette
BGB §§ 683, 677, 670
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Aachen vom 3.5.2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in E. Vor dem Grundstück steht ein von der beklagten Stadt gepflanzter und unterhaltener Baum. Dessen Wurzeln waren in den Hausanschlusskanal der Klägerin eingewachsen und hatten diesen beschädigt. Die Klägerin ließ die erforderlichen Reparaturarbeiten durchführen und erhielt dafür von der Versicherung der Beklagten einen Ausgleichsbetrag. Mit ihrer Klage hat sie einen weiteren Betrag von zuletzt 2.971,49 EUR nebst Zinsen verlangt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das LG hat der Klägerin 119,52 EUR nebst Zinsen zugesprochen. Mit der von dem LG zugelassenen Revision möchte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von insgesamt 2.011,06 EUR nebst Zinsen erreichen. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 670, 683 BGB. Die Beklagte sei aus § 1004 Abs. 1 BGB zur Beseitigung der eingewachsenen Wurzeln und zur Reparatur des Kanals verpflichtet gewesen. Von dieser Verpflichtung sei sie durch das Tätigwerden der Klägerin befreit worden. Grundsätzlich erstattungsfähig sei von den Werklohnkosten des Bauunternehmers, der den Schaden unter Verlegung eines neuen Kanals beseitigt habe, ein Betrag von 2.071,67 EUR. Hiervon sei allerdings unter Berücksichtigung des Alters und der Lebensdauer des ersetzten Kanals ein Abzug "neu für alt" zu machen, so dass nur ein Betrag von 215,13 EUR zu erstatten sei. Hinzu komme ein nach § 287 ZPO geschätzter Betrag von 1.014,59 EUR für eigene Aufwendungen der Klägerin und ihres Ehemannes sowie Kosten für einen Container i.H.v. 226,10 EUR. Von dem sich daraus ergebenden Gesamtbetrag von 1.455,82 EUR bleibe unter Berücksichtigung der erhaltenen Versicherungsleistung nur der zugesprochene Betrag von 119,52 EUR von der Beklagten zu erstatten.
II.
Rz. 3
Das hält einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.
Rz. 4
1. Die Berufung ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig. Es ist zwar richtig, dass sich die Berechnung des mit dem Berufungsantrag weiterhin verfolgten Zahlungsantrags nicht erschließt. Das ändert aber nichts daran, dass Antrag und Begründung den Umfang und die Zielrichtung des Rechtsmittels klar erkennen lassen. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin ihre erstinstanzlich gestellten Anträge mit Ausnahme einer Position weiterverfolgt. Ob sie dafür einen schlüssigen, insb. auch rechnerisch nachvollziehbaren Vortrag gehalten hat, ist keine Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels, sondern der Begründetheit. Damit erledigt sich zugleich der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobene Einwand der Revision, das angefochtene Urteil lasse mangels Mitteilung der Anträge nicht den Gegenstand des Berufungsverfahrens erkennen.
Rz. 5
2. Zutreffend - und von der Revision nicht angegriffen - ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
Rz. 6
Der Klägerin stand nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen die Beklagte ein Anspruch auf Beseitigung der durch die Wurzeln eingetretenen Beeinträchtigung zu. Der Anspruch umfasste die Wiederherstellung des beschädigten Kanals, da die Entfernung der Wurzeln zu dessen Zerstörung geführt hatte (st. Senatsrspr., s. nur Urt. v. 4.2.2005 - V ZR 142/04, NJW 2005, 1366, 1368 m.w.N.). Der Eigentümer, der eine solche Beeinträchtigung selbst beseitigt, kann von dem nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich hierzu verpflichteten Störer Ersatz der zu der Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen verlangen, und zwar - soweit sich die Voraussetzungen feststellen lassen - aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 677, 670 BGB), im Übrigen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (st.Rspr., s. nur BGH, Urt. v. 4.2.2005 - V ZR 142/04, NJW 2005, 1366 f. m.w.N.).
Rz. 7
3. Der sich danach ergebende Zahlungsanspruch ist durch einen Abzug unter dem Gesichtspunkt "neu für alt" gemindert.
Rz. 8
a) Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB durch ein Mitverschulden des Eigentümers entsprechend § 254 BGB beschränkt sein kann (BGH, Urt. v. 18.4.1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 239; v. 21.10.1994 - V ZR 12/94, NJW 1995, 395 f. m.w.N.). Der Senat hat dies damit begründet, dass der auf lediglich objektiver Rechtswidrigkeit beruhende Beseitigungsanspruch nicht weiter gehen kann als ein auf schuldhaftem Handeln beruhender Schadensersatzanspruch (vgl. zu § 251 BGB BGH, Urt. v. 21.12.1973 - V ZR 107/72, WM 1974, 572 f.) und dass bei dem in der Rechtsprechung des Senats angenommenen weiten Umfang des Beseitigungsanspruchs ein Bedürfnis zur entsprechenden Anwendung schadensersatzrechtlicher Anspruchsbeschränkungen besteht (BGH, Urt. v. 18.4.1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 239). Rechtstechnisch erfolgt die Berücksichtigung des Mitverschuldens in der Weise, dass der Beseitigungsanspruch durch eine Feststellung zur Kostenbeteiligung des Anspruchsberechtigten i.H.v. dessen Haftungsquote eingeschränkt wird (BGH, Urt. v. 18.4.1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 239 f.).
Rz. 9
b) Nichts anderes gilt für die Berücksichtigung eines Abzugs "neu für alt".
Rz. 10
aa) In der Rechtsprechung finden sich Judikate, die bei dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Berücksichtigung eines Abzugs "neu für alt" für möglich erachten (LG Düsseldorf, ZMR 2009, 140 f.; vgl. auch [jeweils zu § 812 BGB] BayObLGZ 1968, 76, 84 f. und - die Frage offen lassend - OLG Zweibrücken, NVwZ-RR 2004, 11 f.). In der Literatur wird die Möglichkeit eines Abzugs "neu für alt" teilweise als konsequente Fortführung der Rechtsprechung des Senats zur Anwendbarkeit des § 254 BGB im Rahmen von § 1004 BGB angesehen (Wenzel, NJW 2005, 241, 243; Wolf, LM BGB § 254 [Bb], Nr. 13, Bl. 5).
Rz. 11
bb) Dem ist zuzustimmen. Soweit diese Rechtsfortbildung von der Literatur vereinzelt abgelehnt wird (Dickersbach, DWW 2009, 215, 217 f., s. auch Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 1004 Rz. 154 ff., insb. Rz. 162 und Gursky, JZ 1992, 312, 315 Fn. 28), beruhen die Argumente auf einem engeren von der Rechtsprechung des Senats nicht zugrunde gelegten Begriff der Beeinträchtigung und ihrer Beseitigung. Zwar trifft es zu, dass der Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB eine andere Funktion hat als Schadensersatzansprüche (Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 1004 Rz. 156 f.;) Dickersbach, DWW 2009, 215, 218). Das ändert aber nichts daran, dass er, so wie er von dem Senat verstanden und gehandhabt wird, teilweise schadensersetzende Wirkung hat (Urt. v. 18.4.1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 239; s. auch zum Beseitigungsanspruch als Schadensersatzanspruch im Sinne der Haftpflichtversicherung BGH, Urt. v. 8.12.1999 - IV ZR 40/99, NJW 2000, 1194, 1196 f.). Es ist daher folgerichtig, die Grundsätze über den Abzug "neu für alt" darauf anzuwenden. So wie der Geschädigte durch eine Schadensersatzleistung nicht besser gestellt werden soll, als wenn das zum Ersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre, so soll auch derjenige, dessen Eigentum (nur) beeinträchtigt wird, durch die Beseitigung der Störung keinen Vorteil erlangen. Dies ginge über das Pflichtenprogramm der Störungsbeseitigung hinaus, und zwar gerade dann, wenn - und weil - ihr eine schadensersatzrechtliche Komponente zukommt.
Rz. 12
c) Ist schon der Beseitigungsanspruch durch einen Abzug "neu für alt" beschränkt, so versteht es sich von selbst, dass dies auch für Ansprüche gilt, die dem Beeinträchtigten zustehen, wenn er die Störung und ihre Folgen selbst beseitigt. Der Folgeanspruch kann nicht weiter reichen als der primäre Störungsbeseitigungsanspruch.
Rz. 13
4. Die Ermittlung der Höhe des Abzugs ist Aufgabe des Tatrichters. Das Berufungsgericht hat, sachverständig beraten, auf Grundlage der hypothetischen Lebensdauer des alten Kanals ohne Eintritt der Wurzelschäden und der Lebensdauer des nun neu errichteten Kanals eine Schätzung durchgeführt. Dieses Vorgehen ist entgegen der Auffassung der Revision nicht zu beanstanden.
III.
Rz. 14
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2906825 |
NJW 2012, 1080 |
NJW 2012, 6 |
BauR 2012, 844 |
DWW 2012, 138 |
EBE/BGH 2012, 60 |
NZM 2012, 651 |
WM 2012, 1837 |
ZMR 2012, 999 |
ZfIR 2012, 142 |
DVP 2012, 526 |
MDR 2012, 275 |
VersR 2012, 622 |
ZfS 2012, 316 |
GV/RP 2012, 648 |
GuT 2014, 220 |
Info M 2012, 182 |
NJW-Spezial 2012, 259 |
RdW 2012, 382 |
FSt 2012, 813 |
FuBW 2012, 730 |
FuHe 2012, 568 |
FuNds 2012, 756 |
LL 2012, 453 |
NRÜ 2012, 148 |
ZJS 2012, 268 |