Leitsatz (amtlich)
a) Zur Haftung eines Rechtsanwalts, der die im Gläubigerauftrag eingeleitete Zwangsvollstreckung versehentlich nach Tilgung der Schuld weiterbetrieben hat, für daraus dem Schuldner entstandene Schäden (Abgrenzung zu BGHZ 36, 18).
b) Das Verfahren zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung gegen einen Gewerbetreibenden (hier: Versicherungsvertreter) und dessen zeitweilige Eintragung im Schuldnerverzeichnis stellen grundsätzlich noch keinen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.
Normenkette
BGB § 823; ZPO §§ 807, 915
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 28. April 1977 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seines Schmerzensgeldanspruchs zurückgewiesen worden ist.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz wegen eines gegen ihn zu Unrecht eingeleiteten Offenbarungsverfahrens.
Eine von dem Beklagten vertretene Prozeßpartei hatte Ende 1974 gegen den unterlegenen Kläger des jetzigen Rechtsstreits einen Kostentitel über 318,00 DM erlangt.
Der Beklagte forderte den Kläger im Dezember 1974 zur Zahlung dieses Betrages zunächst vergeblich auf. Nachdem der Beklagte Ende Januar den Gerichtsvollzieher mit der Vollstreckung beauftragt hatte, die dann fruchtlos verlief, überwies der Rechtsschutzversicherer des Klägers im Februar in zwei Beträgen die titulierte Summe nebst weiteren Kosten. Diese Zahlungen wurden jedoch durch ein Versehen der Bürovorsteherin des Beklagten nicht notiert. So stellte der Beklagte am 26. August 1975 Antrag auf Einleitung des Offenbarungsverfahrens gemäß § 807 ZPO. Im Termin am 17. September erschien der am 5. September zu Händen seiner Ehefrau geladene Kläger nicht. Daraufhin erließ das Amtsgericht Haftbefehl und verfügte am 24. September die alsbald vollzogene Eintragung des Klägers in das Schuldnerverzeichnis. Der Beklagte beauftragte den Gerichtsvollzieher mit der Verhaftung des Klägers, doch traf dieser ihn am 12. Oktober nicht an. Unter dem 14. Oktober 1975 wandte sich der Rechtsanwalt F. im Auftrag des Klägers an den Beklagten und wies darauf hin, daß die Schuld vom Rechtsschutzversicherer längst beglichen worden sei. Darauf nahm am 20. Oktober 1975 der Beklagte den Antrag auf Vollstreckungsmaßnahmen zurück.
Der Kläger trägt vor, er habe von allem erst anläßlich jenes Versuchs, den Haftbefehl zu vollstrecken, Kenntnis erlangt. Denn seine Ehefrau habe ihn bis dahin wegen seines anfälligen Gesundheitszustandes (schwerer diabetes mellitus) von den Vorgängen nicht unterrichtet. Er habe durch die Eintragung im Schuldnerverzeichnis in seinem Gewerbe als Versicherungsvertreter Einbußen erlitten. Dafür begehrt er Schadensersatz, ferner ein Schmerzensgeld, weil er durch die Aufregung an seiner Gesundheit geschädigt worden sei.
Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Der Kläger verfolgt sie mit seiner – vom Berufungsgericht zugelassenen – Revision weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Oberlandesgericht hat die Klage unter Berufung auf das Senatsurteil vom 3. Oktober 1961 – VI ZR 242/60 = BGHZ 36, 18 abgewiesen, weil, wie es meint, die Grundsätze dieser Entscheidung jedenfalls dann anzuwenden seien, wenn – wie hier – das in Frage stehende gerichtliche Verfahren dem Betroffenen ausreichende Handhaben zur Wahrung seiner Rechte und zur Abwehr eines unbegründeten Antrages gebe, dem Gläubiger hinsichtlich des Fehlers nur Fahrlässigkeit anzulasten sei, und an der von ihm beabsichtigten Rechtsverfolgung aus seiner Sicht ein Rechtsschutzinteresse bestanden habe.
II.
Das angefochtene Urteil kann nicht in vollem Umfang bestätigt werden.
1. Außerdeliktische Anspruchsgrundlagen, etwa aus Vertrag ges. Schuldverhältnis oder einer anderen rechtlichen Sonderverbindung, als welche möglicherweise auch das Prozeßrechtsverhältnis in Frage kommen könnte (vgl. etwa BGHZ 58, 207, 212), scheiden deshalb aus, weil der Beklagte als für seinen Mandanten handelnder Rechtsanwalt (vgl. den durch Senatsurteil vom 24. Oktober 1961 – VI ZR 89/59 – VersR 1962, 62 beschiedenen Fall) weder Prozeßpartei noch selbst Gläubiger ist. Ob der Kläger deshalb jedenfalls seine vermögensrechtlichen Ansprüche zweckmäßiger gegenüber dem Gläubiger selbst geltend gemacht hätte, ist hier nicht zu prüfen.
Eine Haftung des Beklagten aus unerlaubter Handlung könnte sich nur durch Vermittlung der Vorschrift des § 831 BGB ergeben. Denn obwohl der Kläger im Rechtsstreit die Meinung vertreten hat, daß der Beklagte aus eigenem Tun hafte, weil er es gewesen sei, der das unbegründet gewordene Vollstreckungsverfahren weiterbetrieben habe, hat er nichts vorgetragen, was für ein persönliches Verschulden des Beklagten sprechen könnte. Vielmehr ist unstreitig, daß der Zahlungseingang durch ein Versehen der Bürovorsteherin nicht verbucht worden ist. Daß aber der Beklagte die Überwachung solcher Zahlungseingänge jedenfalls einer zuverlässigen Bürovorsteherin zur eigenen Verantwortung überlassen durfte, steht außer Zweifel und wird auch vom Kläger nicht in Frage gestellt.
Der Kläger hat ferner behauptet und unter Beweis gestellt: Nach seiner Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung habe, veranlaßt durch seine Ehefrau und seinen von dieser benachrichtigten Rechtsanwalt F., im Namen des Rechtsschutzversicherers des Klägers der Rechtsanwalt H. im Büro des Beklagten angerufen. Der sich meldenden Bürovorsteherin habe dieser mitgeteilt, daß die Forderung längst bezahlt sei; darauf habe die Bürovorsteherin angekündigt, daß der Beklagte davon sofort das Amtsgericht unterrichten werde (GA Bl. 78 f.). Soweit ersichtlich nicht behauptet, jedenfalls nicht unter Beweis gestellt, ist wiederum, daß der Beklagte persönlich von diesem Anruf Kenntnis erlangt hätte. Diesen Vortrag des Klägers hat das Berufungsgericht nicht etwa – wie die Revision meint – übersehen. Es ist vielmehr der Auffassung, am Ergebnis ändere sich nichts, falls die Bürovorsteherin den Anruf mißverstanden oder seine Weitergabe an den Beklagten versäumt haben sollte. Indessen ist für die Revisionsinstanz von diesem Verlauf, insbesondere von der für die Beklagtenseite belastenderen versäumten Weitergabe der Nachricht, auszugehen.
Der Beklagte hat bezüglich seiner Bürovorsteherin den Entlastungsbeweis gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB angetreten. Das Berufungsgericht hat diesen Beweis nicht erhoben. Damit ist für die Prüfung durch das Revisionsgericht zu unterstellen, daß dieser Beweis nicht gelungen ist.
a) Wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, wird durch die Klage insgesamt das Problem angeschnitten, inwieweit durch Ingangsetzen und Betreiben eines gesetzlich geregelten Verfahrens der Rechtspflege eine unerlaubte Handlung begangen werden kann. Daß dies möglich ist, soweit eine Schädigung vorsätzlich und sittenwidrig begangen wurde (§ 826 BGB), entspricht gesicherter Rechtsprechung; indessen ist im vorliegenden Fall unstreitig ein solcher Sachverhalt nicht gegeben, vielmehr kommt nur fahrlässiges (achtloses) Handeln der Bürovorsteherin, für deren Verhalten der beklagte Rechtsanwalt möglicherweise einzustehen hat, in Frage.
Mit solchen Fällen hat sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verschiedentlich befaßt. Dies gilt vor allem für das vom Berufungsgericht herangezogene Senatsurteil vom 3. Oktober 1961 (BGHZ 36, 18). Daneben zu erwähnen sind die früheren Urteile vom 14. April 1954 (VI ZR 107/52 – LM BGB § 823 [Da] Nr. 4) und vom 7. März 1956 (V ZR 242/60 = BGHZ 20, 169), ferner – für die deliktische Bewertung schriftsätzlichen Vortrags eines Anwalts im Prozeß – das bald darauf ergangene Senatsurteil vom 14. November 1961 (VI ZR 89/59 = VersR 1962, 62 = NJW 1962, 243; vgl. auch BGHZ 38, 200, 208).
Das vorgenannte Urteil vom 3. Oktober 1961 hat im Zusammenhang mit einem später als unbegründet erwiesenen Konkursantrag den Satz aufgestellt (a.a.O. S. 20 f.), wer sich zum Vorgehen gegen seinen Schuldner eines staatlichen, gesetzlich geregelten Verfahren bediene, greife auch dann nicht unmittelbar und rechtswidrig in den geschützten Rechtskreis des Schuldners ein, wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt sei und dem anderen Teil aus dem Verfahren Nachteile erwüchsen; anders sei es nur bei vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB). Diese Entscheidung, die sich allerdings nur mit der Frage des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Schuldners zu befassen hatte, hat neben Zustimmung (etwa Schönke/Baur, Zwangsvollstreckungsrecht 9. Aufl. 1978 § 1 VI 5 b S. 6; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts 2. Aufl. 1974, § 4 V 6; KG NJW 1973, 860) vielfach auch Ablehnung erfahren (Baur JZ 1962, 95; Zeiß NJW 1967, 703, 704; JZ 1970, 198; Weitnauer AcP 170, 437 f.; am ausführlichsten Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung 1968 S. 165 ff.; ferner Schultz/Süchting, Dogmatische Untersuchungen zur Frage des Schadensersatzes bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme eines gerichtlichen Verfahrens, jur. Diss. Hamburg 1972, insbes. S. 56 und 106 ff.; u.a.m.).
b) Beschränkt man sich zunächst auf die Tatsache, daß das Vollstreckungsverfahren deshalb weitergeführt worden ist, weil die Bürovorsteherin des Beklagten den Eingang der Zahlungen des Rechtsschutzversicherers nicht verbucht hatte, dann haben in dem so eingeschränkten Umfang die Grundsätze des umstrittenen Urteils in BGHZ 36, 18 sinngemäß Bestand. Es kommt nicht darauf an, ob die Einleitung (und Durchführung) eines gesetzlich geregelten staatlichen Verfahrens der Rechtspflege schlechthin den Vorwurf der Rechtswidrigkeit ausschließt. Das hat indessen jenes Senatsurteil auch nicht sagen wollen (vgl. dazu Hauß, Anm. zu LM BGB § 823 [Ai] Nr. 18). Eine seit langem anerkannte Ausnahme gilt vielmehr nicht nur für die Tatbestände des § 826 BGB, sondern vor allem auch für den Bereich der – schon außergerichtlichen – gewerblichen Schutzrechtsverwarnung (vgl. etwa BGHZ 62, 29 m. Nachw.), wo ein strenger Haftungsmaßstab angelegt zu werden pflegt (der von manchen schon als einer Gefährdungshaftung angenähert bezeichnet wurde; vgl. Hopt a.a.O. S. 240 f.).
aa) Für den vorliegenden Fall genügt es, davon auszugehen, daß ein subjektiv redliches Verhalten in einem gesetzlich geregelten Rechtspflegeverfahren jedenfalls nicht schon durch die Beeinträchtigung von in § 823 BGB geschützten Rechtsgütern gleichzeitig seine Rechtswidrigkeit indiziert, wie dies für den für den Regelfall in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen zunehmenden Bedenken des Schrifttums angenommen wird (vgl. GSZ BGHZ 24, 21). Dieser Grundsatz erfährt schon heute eine wichtige Ausnahme im Bereich der sogenannten offenen Verletzungstatbestände, zu denen vor allem der „Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb” und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts gehören. Hier kommt es nach gefestigter Rechtsprechung für das Urteil der Rechtswidrigkeit nur auf die gegebenenfalls zur Beweislast des Klägers stehende Frage an, ob das schadensursächliche Verhalten als solches gegen Gebote der gesellschaftlichen Rücksichtnahme verstieß (BGHZ 45, 296, 307; 59, 30, 34). In diesem Bereich besteht also zwischen der die Rechtsprechung noch beherrschenden Vorstellung des Erfolgsunrechts und der in der Wissenschaft heute überwiegend vertretenen Meinung, daß sich das Unrechtsurteil auf die Wertung des Verhaltens stützen müsse, kein Widerspruch.
bb) Nichts anderes kann aber in den hier in Frage stehenden Fällen gelten, wo eine Rechtsgutverletzung durch das zunächst formal von der Rechtsordnung erlaubte und gebilligte Betreiben eines gesetzlich geregelten Streitverfahrens eintritt (Zeiß NJW 1967, 703; JZ 70, 199; Weitnauer AcP 170, 446; vgl. dazu auch Hopt a.a.O., insbes. S. 228 ff.). Allerdings verbietet sich hier die Vorstellung von der bereits durch die Verletzung indizierten Rechtswidrigkeit nicht wegen der Natur des nur relativ geschützten Rechtsgutes. Eine entsprechende Betrachtungsweise ist aber deshalb geboten, weil das schadensursächliche Verhalten angesichts seiner verfahrensrechtlichen Legalität zunächst die Vermutung der Rechtmäßigkeit genießt. Diese Vermutung muß schon deshalb bestehen, weil auch die nicht nur formal, sondern auch materiell berechtigte Einleitung und Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens sogar typischerweise Schadensfolgen haben kann, die über die mit der Rechtsverfolgung erstrebte Anspruchsdurchsetzung oder Sanktion hinausgehen und die der Gegner ersatzlos hinnehmen muß. Die Schäden können sich u.a. in einer psychisch vermittelten Beeinträchtigung der Gesundheit des Verfahrensgegners oder In einer Gefährdung seines Kredits (vgl. § 824 BGB) auswirken, ohne daß deshalb das schadenstiftende Verhalten schon gleich als rechtswidrig bezeichnet werden könnte. Ausnahmen, die indessen gerade die Regel bestätigen, sind freilich selbst hier denkbar; so könnte es wohl einem Gläubiger verwehrt sein, eine geringfügige Forderung alsbald durchzusetzen, wenn er positive Kenntnis davon hat, daß der Schuldner infolge einer gesundheitlichen Krisenlage dabei sehr schweren Schaden zu nehmen droht. In solchen Fällen zeigen sich die Grenzen, die der Grundsatz von Treu und Glauben auch prozessualer Befugnisse setzen kann.
cc) Abgesehen von solchen Ausnahmefällen und dem Sonderbereich der gewerblichen Schutzrechtsverwarnung muß aber bei der wertenden Abgrenzung des einem Verfahrensbeteiligten Erlaubten an den im Senatsurteil BGHZ 36, 18 (insbes. S. 22) aufgestellten Grundsätzen festgehalten werden, wonach der Rechtsschutz Begehrende seinem Gegner nicht außerhalb der schon im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen nach dem sachlichen Recht der unerlaubten Handlung für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage haftet. Eine andere Beurteilung müßte die freie Zugängigkeit der staatlichen Rechtspflegeverfahren, an der auch ein erhebliches öffentliches Interesse besteht (unrichtig Hopt a.a.O. S. 195 ff. und sonst.), in bedenklicher Weise einengen. Daß dieser Freiraum nicht nur für die Partei, sondern ebenso für den sie vertretenden Anwalt gelten muß, liegt auf der Hand.
Das unerläßliche Korrelat zu diesem Recht des Betreibenden auch auf Irrtum stellt freilich die Sicherung dar, die das Verfahren selbst dem Gegner bietet. Das ergibt sich schon daraus, daß bereits das Verfahrensrecht in Fällen, in denen der Gegner unter Umständen einer nur vorläufigen, summarischen Beurteilung der sachlichen Rechtslage ausgesetzt wird, selbst Korrektive kennt, die eine Haftung auch ohne Verschulden vorsehen (vgl. §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO). Diese Vorschriften lassen sich indessen nicht (zu Unrecht anders Baur JZ 1962, 95) auf Verfahren entsprechend ausdehnen, in denen wie im üblichen Vollstreckungsverfahren dem in Anspruch Genommenen einfache und sichere Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Auf das hier in Frage stehende Vollstreckungsverfahren trifft dies aber zu. Damit entfallen die meisten Einwendungen, die gegen das Senatsurteil BGHZ 36, 18 vorgebracht worden sind. Abgesehen davon, daß in dem damals entschiedenen Fall gerade ein Konkursantrag auch aus der subjektiven Sicht des Gläubigers nicht zweifelsfrei geboten schien (insoweit richtig Baur a.a.O.), begnügt sich das Prüfungsverfahren des Konkursgerichts nach § 105 KO jedenfalls für die oft auch schon belastende Zulassung des Konkursantrags mit bloßer Glaubhaftmachung unter Verzicht auf eine erschöpfende tatsächliche Klärung.
dd) Das hier allein zu beurteilende Vollstreckungs- und Offenbarungsverfahren ist kontradiktorisch gestaltet und bietet dem Schuldner, gegen den zu Unrecht vollstreckt wird, im Regelfall sichere Verteidigungsmöglichkeiten. Insbesondere kann er in jedem Stadium des Verfahrens durch Vorlage einer Quittung, auf die er bei Leistung Anspruch hat (§ 368 BGB) die Einstellung der Vollstreckung erreichen (vgl. § 775 Nr. 4 sowie 5 ZPO).
Angesichts dessen sind an die Sorgfaltspflicht des Gläubigers hier im Grundsatz keine größeren Anforderungen zu stellen als an diejenige des Klägers im bürgerlich-rechtlichen Streitverfahren. Eine Verpflichtung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, zu prüfen, ob die Schuld tatsächlich noch offensteht, kann weder bei Einleitung noch im Verlauf des Vollstreckungsverfahrens uneingeschränkt bejaht werden. Ob sich insoweit für den Gläubiger selbst, um den es hier nicht geht, aus dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung anderes ergeben könnte, kann, wie oben bemerkt, dahinstehen.
ee) Dem vorstehend entwickelten „Recht auf Irrtum” bei Inanspruchnahme eines gesetzlich geregelten Verfahrens der Rechtspflege entspricht es nicht nur, daß bei Einleitung des Verfahrens – hier des ersten Vollstreckungsauftrags – dem Schuldner, der seine Rechte selbst wahrnehmen mag, grundsätzlich keine sorgfältige Prüfung der Berechtigung geschuldet wird. Das gleiche muß auch insoweit gelten, als – wie hier – späterhin und vor Einleitung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen – hier des Offenbarungsverfahrens – die zwischenzeitliche Tilgung der Schuld fahrlässig übersehen wird.
2. Nicht dasselbe könnte freilich gelten, soweit davon auszugehen ist, daß die Bürovorsteherin des Beklagten einen Anruf des für die Rechtsschutzversicherung tätigen Rechtsanwalts mit dem Hinweis, daß die Schuld längst bezahlt sei, zwar zur Kenntnis, aber nicht zum Anlaß weiterer Tätigkeit, insbesondere einer Unterrichtung des Beklagten, genommen hat.
a) Das Recht des Verfahrensbetreibenden zum Irrtum bedarf einer wertenden Begrenzung. Es muß dort aufhören, wo seine prozessuale Entschluß- und Handlungsfreiheit durch ein Haftungsrisiko nicht zumutbar beeinträchtigt wird. Hier wäre diese Grenze überschritten. Denn durch das Ansinnen, einen leicht zu überprüfenden Hinweis auf die inzwischen eingetretene Unberechtigtheit seiner Rechtsverfolgung zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln, wird er nicht in einer die Zugänglichkeit der Rechtspflege beeinträchtigenden Weise behindert. Daß der Beklagte nicht selbst Partei, sondern deren Verfahrensbevollmächtigter war, kann daran nichts ändern. Es stellt keine Überziehung seiner deliktischen Sorgfaltspflicht dar (wie sie wohl beispielsweise bei Hopt a.a.O. S. 280 ff. gesehen werden muß), wenn man ihm insoweit keine weitergehenden Privilegien einräumt als der von ihm vertretenen Partei. Soweit es sich dabei um das Verhalten von Personen handelt, für die er gemäß § 831 BGB einzustehen hat, gilt Entsprechendes.
b) Der Senat sieht sich aus diesem Grunde nicht in der Lage, das angefochtene Urteil voll zu bestätigen.
aa) Ein Anspruch auf Ersatz reinen Vermögensschadens aus § 824 BGB besteht selbst dann nicht, wenn man in dem Vollstreckungsantrag gleichzeitig die kreditschädigende Behauptung der Unfähigkeit, eine geringe Geldschuld zu bezahlen, erblicken wollte (vgl. Weitnauer AcP 170, 449). Denn der nicht bewußt wahrheitswidrige Vortrag in einem gerichtlichen Verfahren nach den oben dargelegten Grundsätzen wird immer durch ein berechtigtes Interesse gedeckt, auch wenn er sich später als unwahr erweist (§ 824 Abs. 2 BGB); nur an einer als unwahr erkannten Behauptung kann ein rechtliches Interesse aus der hier maßgeblichen Sicht des Behauptenden nicht bestehen. Gleichermaßen müßte ein auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB gestützter Anspruch an § 193 StGB scheitern.
Auch für den „Auffangtatbestand” des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als ein „sonstiges Recht” i.S. des § 823 Abs. 1 BGB (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 21. Juni 1977 – VI ZR 58/76 – VersR 1977, 965, 967) ist bei der Durchsetzung des Offenbarungsverfahrens gem. § 807 ZPO gegenüber dem Inhaber eines Gewerbebetriebs mangels Betriebsbezogenheit kein Raum. Ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist zwar in der Entscheidung BGHZ 36, 18 wohl eher deshalb verneint worden, weil es unter den konkreten Umständen nach der Ansicht des Senats an der Rechtswidrigkeit des Eingriffs fehlte (vgl. Hauß a.a.O.). Weitnauer (Betrieb 1962, 461) will aber mit beachtlichen Gründen schon die Betriebsbezogenheit des Konkursantrags verneinen. Eine solche Beurteilung liegt im vorliegenden Fall, in dem es um das Offenbarungsverfahren gegen einen selbständigen Versicherungsvertreter geht, noch erheblich näher, zumal ein solcher Gewerbebetrieb kaum kapitalintensiv ist. Wenn auch gleichwohl nachteilige Auswirkungen des Eintrags in das Schuldnerverzeichnis auf den wirtschaftlichen Erfolg der gewerblichen Betätigung nicht ferne liegen mögen, ist hier kein innerer Grund ersichtlich, einem Gewerbetreibenden einen Anspruch auf Ersatz reinen Vermögensschadens zuzubilligen, den ein anderer ersatzlos hinnehmen müßte, obwohl seine berufliche Entwicklung (etwa im Falle eines leitenden Bankangestellten oder Rechtsanwalts bzw. Notars) ebenfalls schwersten Schaden nehmen kann.
Damit erweist sich die Revision insoweit als im Ergebnis unbegründet, als das Berufungsgericht Ansprüche des Klägers auf Ersatz von angeblich in seinem Gewerbebetrieb verursachten Vermögensschäden abgewiesen hat.
bb) Nicht dasselbe kann aber gelten, soweit der Kläger ein Schmerzensgeld begehrt mit der Begründung, daß er durch die Erregung über das unberechtigt eingeleitete Offenbarungsverfahren, insbesondere seine Eintragung im Schuldnerverzeichnis, an seiner Gesundheit geschädigt worden sei. Auf den zunächst angekündigten Anspruch auf Geldentschädigung wegen Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit ist der Kläger offenbar nicht zurückgekommen. Ein solcher Anspruch müßte auch mindestens daran scheitern, daß sich der Beklagte nach Aufdeckung des Mißverständnisses alsbald förmlich entschuldigt hat.
Dagegen kann der Anspruch auf Schmerzensgeld im gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht als unschlüssig beurteilt werden, soweit er sich darauf stützt, der angebliche Gesundheitsschaden des Klägers sei dadurch verursacht worden, daß im Büro des Beklagten auch der ausdrückliche Hinweis auf die bereits erfolgte Zahlung unbeachtet geblieben sein soll. Denn insoweit könnte, wie oben dargelegt, das möglicherweise vom Beklagten nach § 831 BGB zu vertretende Verhalten seiner Bürovorsteherin nicht mehr als durch die Betreibung eines gesetzlich geregelten Verfahrens der Rechtspflege gerechtfertigt angesehen werden.
Es kann auch nicht als ganz ungewöhnlich und daher rechtlich nicht mehr zurechenbar angesehen werden, daß insbesondere die Erregung über die kreditschädigende Eintragung im Schuldnerverzeichnis beim Schuldner gesundheitliche Schäden verursacht, die er allerdings, solange das Vollstreckungsverfahren rechtmäßig betrieben wurde, ersatzlos hätte hinnehmen müssen. Ob es sehr wahrscheinlich ist, daß sich solche gesundheitlichen Folgen gerade in der vom Kläger behaupteten Weise, nämlich als Zustandsverschlimmerung bei der bestehenden Zuckerkrankheit, ausgewirkt haben, ist eine Tatfrage, mit der sich das Revisionsgericht nicht befassen kann. Sie wird nunmehr vom Berufungsgericht zu prüfen sein.
III.
Bei der anderweiten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht, sofern sich unter den aufgezeigten Gesichtspunkten eine Haftung des Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes dem Grunde nach ergeben sollte, überdies zu prüfen haben, inwieweit diesem Anspruch ein vom Kläger zu vertretendes Mitverschulden gegenübersteht. Insoweit könnte allerdings – worauf das Berufungsurteil wohl in seinen Schlußbemerkungen hinweisen will – ein persönliches Mitverschulden des Klägers dann ausscheiden, wenn seine Darstellung zutrifft, daß er hinsichtlich des Vollstreckungsverfahrens von seiner Ehefrau weitgehend im Dunkel gehalten worden ist. Indessen bleibt dann zu prüfen, inwieweit der Kläger seiner Ehefrau allgemein die Besorgung seiner geschäftlichen und finanziellen Angelegenheiten überlassen hatte, so daß er vorbehaltlich eines von ihm zu führenden Entlastungsbeweises im Rahmen des § 254 BGB in entsprechender Anwendung von § 831 BGB für etwaige Fehler von ihr einzustehen hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 609593 |
BGHZ, 9 |