Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerhinterziehung

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 14.02.1986)

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 14. Februar 1986 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen und wegen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es handelt sich um Straftaten im Zusammenhang mit unerlaubter gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung, die von Januar 1978 bis August 1984, d.h. in der Zeit vor dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität – 2. WiKG – vom 15. Mai 1986 (BGBl. 1 S. 721) begangen worden sind. Nach den Feststellungen führte die Krause GmbH, an der der Angeklagte als wirtschaftlicher Mitinhaber und während der meisten Zeit auch als Geschäftsführer beteiligt war, bei der für ihren Betrieb zuständigen AOK Recklinghausen (UA S. 18, 46) Beitragsnachweise nur für einen Teil der von ihr beschäftigten Arbeitnehmer, während sie den überwiegenden Teil, der „ohne Papiere” arbeitete, nicht angab. Durch die unvollständige Meldung wurde der Sachbearbeiter der AOK in der Tatzeit darüber getäuscht, daß außer den gemeldeten noch weitere Versicherungspflichtige Arbeitnehmer bei der GmbH beschäftigt waren. Infolge des dadurch hervorgerufenen Irrtums unterließ er es, die für die nicht gemeldeten Arbeitnehmer angefallenen Sozialversicherungsbeiträge anzufordern, wodurch „die AOK” geschädigt wurde und die GmbH entsprechende Vermögensvorteile erlangte (UA S. 18 f., 65).

Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Es ist weitgehend im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet; dies gilt insbesondere für die Verfahrensrügen, soweit sie nicht schon wegen unzureichenden Vertrags unzulässig sind (§ 344 Abs. 2 StPO). Näher auszuführen ist auf die Sachrüge nur folgendes:

1. Zur Schätzung hinterzogener Lohnsteuer bei Schwarzarbeit im Zusammenhang mit unerlaubter gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung hat der Senat in zwei Urteilen vom 24. September 1986 – 3 StR 196/86 (wistra 1987, 104 mit Anm. Franzheim S. 105) und 3 StR 336/86 (BGHSt 34, 166) – Stellung genommen. Hierauf wird verwiesen. Die Ausführungen der Revision, die diese Entscheidungen noch nicht berücksichtigen, geben zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts keinen Anlaß. Danach ist hier die Annahme einer Nettolohnabrede nicht zu beanstanden mit der Folge, daß auch die Schätzung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält (vgl. § 14 Abs. 2 SGB IV). Die Entscheidung BGH wistra 1982, 111 steht dieser Auffassung nicht entgegen. Ihr lag ein anderer Sachverhalt insofern zugrunde, als es dort um den Tatbestand der Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ging und keine Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmern einen um den Betrag der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (und die Lohnsteuer) erhöhten Bruttolohn schuldete.

2. Der Schuldspruch wegen vollendeten Beitragsbetrugs ist auch im übrigen rechtsfehlerfrei. Er steht, wie vom Landgericht dargelegt, im Einklang mit der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, der der erkennende Senat nunmehr folgt.

a) Der 4. Strafsenat behandelt den illegalen Verleiher, der die Leiharbeitnehmer entlohnt hat, trotz der Nichtigkeit der Arbeitsvertrage mit ihnen und trotz der gesetzlichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nur zwischen ihnen und dem Entleiher (vgl. BGHSt 31, 32 ff.) im Rahmen des § 263 StGB wie einen Arbeitgeber, der gesetzlich zur Beitragszahlung verpflichtet ist. Er hat dazu ausgeführt (NStZ 1984, 26): Die eindeutige gesetzliche Regelung (des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 7. August 1972, BGBl. I S. 1393) habe zur Folge, daß der unerlaubt handelnde Verleiher wegen seiner Unterlassung, Arbeitnehmerbeitragsanteile an die berechtigte Kasse abzuführen, nicht nach §§ 529, 1428 RVO, § 225 AFG bestraft werden könne (BGHSt 31, 32), auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Annahme eines sogenannten faktischen Arbeitsverhältnisses zwischen Verleiher und Arbeitnehmer. Dies könne jedoch nur für den Fall des Nichtabführens von Beitragsanteilen gelten, denn nur insoweit sei diese Sonderregelung von Bedeutung. Soweit Handlungen zu beurteilen seien, auf die sich diese Regelung nicht erstrecke, weil das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer dies nicht erfordere, bestünden keine Bedenken, aus dem tatsächlichen Bestehen eines einem Arbeitsvertrag entsprechenden Verhältnisses die rechtlichen Folgerungen zu ziehen. Wenn der illegale Verleiher Arbeitskräfte von Fall zu Fall an interessierte Haupt- und Drittunternehmen verleihe, von diesen das Entgelt für die Arbeitskräfte entgegennehme und die Leiharbeitnehmer entlohne, so betätige er sich unbeschadet der Fiktion des Artikels 1 § 10 Abs. 1 AÜG als Arbeitgeber und habe für sein Handeln (unter dem strafrechtlichen Gesichtspunkt des Betrugs) rechtlich einzustehen. Der 4. Strafsenat hat auf Antrage erklärt, daß er an der Annahme vollendeten Betrugs in diesen Fällen ohne Rücksicht darauf festhalte, welche Krankenkasse für das Unternehmen des Entleihers zuständig sei.

Der erkennende Senat ist grundsätzlich gleichfalls davon ausgegangen, daß Täter eines Betrugs gegenüber den Sozialversicherungsträgern in Fällen der hier in Rede stehenden Art auch der unerlaubt tätige Verleiher sein kann. Im Hinblick auf die durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geschaffene besondere sozialversicherungsrechtliche Lage, wonach allein der Entleiher Arbeitgeber im Sinne des § 529 Abs. 1, § 1428 Abs. 1 RVO, § 225 Abs. 1 AFG ist (BGHSt 31, 32), hat er aber bisher angenommen, der Betrug sei lediglich versucht, wenn für den Verleiher und den Entleiher verschiedene Einzugsstellen zuständig seien und der illegale Verleiher nur die für ihn, nicht aber die für den Entleiher (als Arbeitgeber) zuständige Einzugsstelle täusche (BGHSt 32, 236, 241 ff.; wistra 1987, 99 und 104 mit Anmerkung Franzheim S. 105).

An dieser abweichenden Rechtsansicht hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest. Er schließt sich vielmehr im Ergebnis der Auffassung des 4. Strafsenats an. Er hat dabei erwogen, daß Artikel 1 § 10 Abs. 3 AÜG n.F., eingefügt durch Artikel 7 des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721), nunmehr mit Wirkung ab 1. August 1986 ausdrücklich vorschreibt, daß der unerlaubt tätige Verleiher die Beiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit an die Einzugsstelle zu zahlen hat, wenn er das vereinbarte Entgelt ganz oder zum Teil an die Leiharbeitnehmer zahlt. Hinzu kommt, daß das Bundessozialgericht im Vorgriff auf diese gesetzliche Neuregelung und in „spezifisch sozialversicherungsrechtlicher Betrachtungsweise” auch bei „Altfällen” im Sinne der Neuregelung entscheidet und insbesondere der Einzugsstelle am Sitz des Verleihers einen Anspruch gegen ihn auf Zahlung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge zuerkennt, indem es insoweit, als er die Leiharbeitnehmer entlohnt, eine planwidrige Unvollständigkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Wege der Lükkenausfüllung behoben hat (BSG USK 1984 Nr. 8495). Bei dieser Handhabung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erledigen sich die strafrechtlichen Fragen, die sich bei einer anderen Auffassung im Rahmen des Betrugstatbestandes insbesondere zur Vermögensverfügung aus der Täuschung einer unzuständigen Einzugsstelle ergeben können (vgl. Senat wistra 1987, 99).

Entscheidend ist, daß danach der illegale Verleiher im Sinne des § 263 StGB durch täuschendes Verhalten bei der für seinen Betrieb zuständigen Krankenkasse einen Irrtum erregt, der bei ihr zu einer vermögensschädigenden Verfügung führt. Sie ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Einzugsstelle für alle hier in Rede stehenden Forderungen einzugsberechtigt und deshalb auch in der Lage, darüber zu verfügen. Zwar wird der illegale Verleiher bei Annahme eines vollendeten Betrugs in dem dargelegten Umfang für die Zeit vor dem 1. August 1986 entgegen Artikel 1 § 10 Abs. 1 AÜG wie ein beitragspflichtiger Arbeitgeber behandelt. Die Arbeitgebereigenschaft, welche die Beitragspflicht begründet, ist aber bei § 263 StGB – anders als bei den genannten Strafvorschriften der Reichsversicherungsordnung und des Arbeitsförderungsgesetzes – nicht Tatbestandsmerkmal oder sonstiger Inhalt der Strafbestimmung. Das Verbot strafbegründender und strafschärfender Analogie wird deshalb nicht dadurch berührt, daß das Verhalten des illegalen Verleihers als vollendeter Betrug gewertet wird.

b) Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung tragen die Feststellungen den Schuldspruch wegen vollendeten Betrugs. Die Revision geht bei ihrer Auffassung, es komme allenfalls ein Betrugsversuch in Betracht, von der – wie dargelegt – unzutreffenden Annahme aus, der illegale Verleiher habe die Leiharbeitnehmer der für ihn zuständigen Einzugsstelle der Sozialversicherung weder zu melden noch die Beiträge für sie zu leisten. War die GmbH Arbeitgeberin jedenfalls, soweit sie die Arbeiter tatsächlich entlohnte, so war sie insoweit auch zur Meldung und Beitragszahlung an die AOK Recklinghausen verpflichtet (vgl. § 317 Abs. 1, § 393 Abs. 1 RVO). In der pflichtwidrigen Nichtanmeldung der Schwarzarbeiter und der Einreichung der wegen pflichtwidriger Unvollständigkeit falschen Beitragsnachweisungen lag dann bei natürlicher Betrachtung eine Täuschung der AOK, die die nach der Überzeugung des Landgerichts den festgestellten Beitragsschaden zur Folge hatte. Die Ursächlichkeit der Täuschung und der auf ihr beruhenden Unterlassung für den Schaden liegt danach auf der Hand. Dem Urteil lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß die AOK bei pflichtgemäß vollständiger Beitragsnachweisung von der Einziehung der weiteren Beitragsforderungen (etwa wegen vermeintlicher eigener Unzuständigkeit) abgesehen hätte oder daß ihr die vollständige Durchsetzung ihrer Forderungen nicht möglich gewesen wäre. Für die rechtliche Würdigung unerheblich ist die nach den Umständen naheliegende Möglichkeit, daß die GmbH bei pflichtgemäßem Verhalten des Angeklagten ihr Gewerbe nicht solange, wie geschehen, hätte ausüben können, sondern den Betrieb bei zu niedriger Kalkulation wegen Unwirtschaftlichkeit alsbald hätte einstellen müssen. Für die strafrechtliche Beurteilung, insbesondere bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, ist an die tatsächlichen Vorgänge anzuknüpfen, nicht aber ein nur hypothetischer, gänzlich anderer Geschehensablauf (hier: vorzeitige Einstellung des Unternehmens) zugrundezulegen.

3. Die Einzelstrafaussprüche und der Ausspruch über die Gesamtstrafe sind nicht zu beanstanden. Das Landgericht ist ersichtlich von den Regelstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO und des § 263 Abs. 1 StGB ausgegangen. Die Zumessung der Einzelstrafen innerhalb dieser Strafrahmen ist rechtsfehlerfrei. Daß das Landgericht besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung und des Betrugs nicht angenommen hat, beschwert den Angeklagten nicht. Das gleiche gilt von der Möglichkeit, daß als Einsatzstrafe bei der Gesamtstrafenbildung sowohl die Einzelstrafe wegen Lohnsteuerhinterziehung als auch die wegen Betrugs in Betracht kommt, die beide drei Jahre betragen. Die knappe Begründung der Gesamtstrafe reicht hier bei der Höhe der in sie einzubeziehenden Einzelstrafen aus. Entgegen der Auffassung der Revision ist sie auch nicht unverhältnismäßig.

 

Unterschriften

Ruß, Krauth, Gribbohm, Zschockelt, Kutzer

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502327

NStZ 1987, 454

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