Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerhinterziehung

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 07.07.1986)

 

Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 7. Juli 1986 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Umsatzsteuerund wegen Lohnsteuerhinterziehung in jeweils zwei Fällen sowie wegen Betrugs zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Es handelt sich um Straftaten im Zusammenhang mit unerlaubter gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung aus der Zeit vom 15. Dezember 1975 bis zum 30. April 1979. Nach den Feststellungen entlohnten die Angeklagten die von ihnen eingesetzten Leiharbeitnehmer. Sie führten Umsatzsteuern und Lohnsteuern nicht oder nur unvollständig ab. Entsprechend ihrem vorgefaßten Tatplan meldeten sie nur einzelne Arbeitnehmer zur Sozialversicherung an, ohne die Angestellten der zuständigen Krankenkassen über die tatsächliche Anzahl der Versicherungspflichtigen Arbeitnehmer und die Höhe ihres Bruttolohnes in Kenntnis zu setzen (UA S. 11). Dadurch täuschten sie die Krankenkassen über die Höhe der zu leistenden Beiträge, die infolgedessen nicht geltendgemacht wurden (UA S. 61).

Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts.

I. Während der Angeklagte H. das Urteil unbeschränkt angefochten hat, hat der Angeklagte P. bei der Revisionseinlegung und in der Revisionsrechtfertigung beantragt, es insoweit aufzuheben, als ihm Strafaussetzung zur Bewährung für die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren versagt worden ist. Die Beschränkung ist unwirksam, soweit sie die Schuldsprüche und die Einzelstrafaussprüche wegen Lohnsteuerhinterziehung und Beitragsbetrugs betrifft. Denn aus der Revisionsrechtfertigung ergibt sich, daß der Angeklagte P. den bei diesen Taten angenommenen Schuldumfang angreift, indem er sich gegen die Berechnung und die Höhe der hinterzogenen Lohnsteuern und der nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge wendet.

II. Die Rechtsmittel sind unbegründet.

1. Die Schuldsprüche halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Zur Schätzung hinterzogener Lohnsteuern bei Schwarzarbeit im Zusammenhang mit unerlaubter gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung hat der Senat in zwei Urteilen vom 24. September 1986 – 3 StR 196/86 (wistra 1987, 104 mit Anm. Franzheim S. 105) und 3 StR 336/86 (BGHSt 34, 166) – Stellung genommen. Hierauf wird verwiesen. Die Ausführungen der Revision des Angeklagten P., die diese Entscheidungen noch nicht berücksichtigen, geben zu einer anderen rechtlichen Beurteilung keinen Anlaß. Danach ist hier die Annahme einer Nettolohnvereinbarung nicht zu beanstanden mit der Folge, daß auch die Schätzung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten enthält (vgl. § 14 Abs. 2 SGB IV). Die Entscheidung BGH wistra 1982, 111 steht dieser Auffassung nicht entgegen. Ihr lag ein anderer Sachverhalt insofern zugrunde, als es dort um den Tatbestand der Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ging und keine Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmern einen um den Betrag der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (und die Lohnsteuer) erhöhten Bruttolohn schuldete.

b) Die Schuldsprüche wegen vollendeten Beitragsbetrugs sind auch im übrigen rechtsfehlerfrei. Sie stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, der der erkennende Senat nunmehr folgt.

aa) Der 4. Strafsenat behandelt den illegalen Verleiher, der seine Leiharbeitnehmer entlohnt hat, trotz der Nichtigkeit der Arbeitsverträge mit ihnen und trotz der gesetzlichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nur zwischen ihnen und dem Entleiher (vgl. BGHSt 31, 32) im Rahmen des § 263 StGB wie einen Arbeitgeber, der gesetzlich zur Beitragszahlung verpflichtet ist. Er hat dazu ausgeführt (NStZ 1984,26): Die eindeutige gesetzliche Regelung (des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 7. August 1972, BGBl. I S. 1393) habe zur Folge, daß der unerlaubt handelnde Verleiher wegen seiner Unterlassung, Arbeitnehmerbeitragsanteile an die berechtigte Kasse abzuführen, nicht nach §§ 529, 1428 RVO, § 225 AFG bestraft werden könne (BGHSt 31, 32), auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Annahme eines sogenannten faktischen Arbeitsverhältnisses zwischen Verleiher und Arbeitnehmer. Dies könne jedoch nur für den Fall des Nichtabführens von Beitragsanteilen gelten, denn nur insoweit sei diese Sonderregelung von Bedeutung. Soweit Handlungen zu beurteilen seien, auf die sich diese Regelung nicht erstrecke, weil das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer dies nicht erfordere, bestünden keine Bedenken, aus dem tatsächlichen Bestehen eines einem Arbeitsvertrag entsprechenden Verhältnisses die rechtlichen Folgerungen zu ziehen. Wenn der illegale Verleiher Arbeitskräfte von Fall zu Fall an interessierte Haupt- und Drittunternehmen verleihe, von diesen das Entgelt für die Arbeitskräfte entgegennehme und die Leiharbeitnehmer entlohne, so betätige er sich unbeschadet der Fiktion des Artikel 1 § 10 Abs. 1 AÜG als Arbeitgeber und habe für sein Handeln (unter dem strafrechtlichen Gesichtspunkt des Betrugs) rechtlich einzustehen. Der 4. Strafsenat hat auf Antrage erklärt, daß er an der Annahme vollendeten Betrugs in diesen Fällen ohne Rücksicht darauf festhalte, welche Krankenkasse für das Unternehmen des Entleihers zuständig sei.

Der erkennende Senat ist grundsätzlich gleichfalls davon ausgegangen, daß Täter eines Betrugs gegenüber den Sozialversicherungsträgern in Fällen der hier in Rede stehenden Art auch der unerlaubt tätige Verleiher sein kann. Im Hinblick auf die durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geschaffene besondere sozialversicherungsrechtliche Lage, wonach allein der Entleiher Arbeitgeber im Sinne des § 529 Abs. 1, § 1428 Abs. 1 RVO, § 225 Abs. 1 AFG ist (BGHSt 31, 32), hat er aber bisher angenommen, der Betrug sei lediglich versucht, wenn für den Verleiher und den Entleiher verschiedene Einzugsstellen zuständig seien und der illegale Verleiher nur die für ihn, nicht aber die für den Entleiher (als Arbeitgeber) zuständige Einzugsstelle täusche (BGHSt 32, 236, 241 ff.; BGH wistra 1987, 99 und 104 mit Anm. Franzheim S. 105).

An dieser abweichenden Rechtsansicht hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest. Er schließt sich vielmehr im Ergebnis der Auffassung des 4. Strafsenats an. Er hat dabei erwogen, daß Artikel 1 § 10 Abs. 3 AÜG n.F., eingefügt durch Artikel 7 des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721), nunmehr mit Wirkung ab 1. August 1986 ausdrücklich vorschreibt, daß der unerlaubt tätige Verleiher die Beiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit an die Einzugsstelle zu zahlen hat, wenn er das vereinbarte Entgelt ganz oder zum Teil an die Leiharbeitnehmer zahlt. Hinzu kommt, daß das Bundessozialgericht im Vorgriff auf diese gesetzliche Neuregelung und in „spezifisch sozialversicherungsrechtlicher Betrachtungsweise” auch bei „Altfällen” im Sinne der Neuregelung entscheidet und insbesondere der Einzugsstelle am Sitz des Verleihers einen Anspruch gegen ihn auf Zahlung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge zuerkennt, indem es insoweit, als er die Leiharbeitnehmer entlohnt, eine planwidrige Unvollständigkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Wege der Lückenausfüllung behoben hat (BSG USK 1984 Nr. 8495). Bei dieser Handhabung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erledigen sich die strafrechtlichen Fragen, die sich bei einer anderen Auffassung im Rahmen des Betrugstatbestandes insbesondere zur Vermögensverfügung aus der Täuschung einer unzuständigen Einzugsstelle ergeben können (vgl. Senat wistra 1987, 99).

Entscheidend ist, daß danach der illegale Verleiher im Sinne des § 263 StGB durch täuschendes Verhalten bei der für seinen Betrieb zuständigen Krankenkasse einen Irrtum erregt, der bei ihr zu einer vermögensschädigenden Verfügung führt. Sie ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Einzugsstelle für alle hier in Rede stehenden Forderungen einzugsberechtigt und deshalb auch in der Lage, darüber zu verfügen. Zwar wird der illegale Verleiher bei Annahme eines vollendeten Betruges in dem dargelegten Umfang für die Zeit vor dem 1. August 1986 entgegen Artikel 1 § 10 Abs. 1 AÜG wie ein beitragspflichtiger Arbeitgeber behandelt. Die Arbeitgebereigenschaft, welche die Beitragspflicht begründet, ist aber bei § 263 StGB – anders als bei den genannten Strafvorschriften der Reichsversicherungsordnung und des Arbeitsförderungsgesetzes – nicht Tatbestandsmerkmal oder sonstiger Inhalt der Strafbestimmung. Das Verbot strafbegründender und strafschärfender Analogie wird deshalb nicht dadurch berührt, daß das Verhalten des illegalen Verleihers als vollendeter Betrug gewertet wird.

bb) Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung tragen die Feststellungen die Schuldsprüche wegen vollendeten Betrugs. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Einzugsstellen in den Fällen, in denen ihnen ein Teil der Arbeitnehmer gemeldet worden ist (III, V und VI), bei vollständiger Meldung wegen vermeintlicher eigener Unzuständigkeit von der Einziehung der weiteren Beitragsforderungen abgesehen hätten oder sie nicht hätten durchsetzen können. Die Feststellungen ergeben jedenfalls, daß die Realisierung der Forderungen in einem Maße gefährdet wurde, das einem Schaden gleichzuachten ist.

2. Die Angriffe des Angeklagten P. gegen den ihn betreffenden Strafausspruch gehen fehl. Sie entfernen sich zum Teil von den Feststellungen des Urteils; zum Teil ersetzen sie die dem Tatrichter vorbehaltene Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters durch eine eigene Würdigung. Der Senat kann ausschließen, daß das Landgericht bei der Annahme, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB lägen nicht vor (UA S. 69), die bei der Bemessung der Strafe berücksichtigten strafmildernden Faktoren aus den Augen verloren hätte.

 

Unterschriften

Ruß, Krauth, Gribbohm, Zschockelt, Kutzer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1502328

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