Leitsatz (amtlich)
a) § 19 Abs. 2 BetrVG schützt die freie Wahlentscheidung des einzelnen Betriebsmitglieds nicht nur in dessen eigenem, sondern auch im betrieblichen und öffentlichen Interesse. Der Schutz ist daher unverzichtbar.
b) Es ist nicht der Sinn des § 19 Abs. 2 BetrVG, der Verbandsautonomie überhaupt keinen Raum zu lassen und damit einer Gewerkschaft auch das weitere Verbleiben solcher Mitglieder im Verband aufzuzwingen, die bei einer Betriebsratswahl ihre Gewerkschaft und deren satzungsmäßige Zielsetzungen in einer mit ihrer weiteren Mitgliedschaft nicht zu vereinbarenden Weise offen bekämpfen. Deshalb sind Fälle denkbar, in denen der Ausschluß eines Mitglieds wegen seines Verhaltens bei den Betriebsratswahlen gerechtfertigt sein kann.
c) Verbietet eine Gewerkschaft ihren Mitgliedern unter Ausschlußdrohung, auf anderen als den gewerkschaftlich unterstützten Listen zu kandidieren, so ist das jedenfalls dann eine gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG unzulässige Wahlbeeinflussung, wenn zugleich einer Gruppe ihrer Mitglieder die Möglichkeit vorenthalten wird, ihre betriebsverfassungsrechtlichen Wahlinteressen auf den gewerkschaftlich unterstützten Listen in angemessener Weise wahrzunehmen.
d) Das Recht der Gewerkschaft, in besonderen Fällen ein Mitglied wegen seines Verhaltens bei der Betriebsratswahl auszuschließen, ist eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 19 Abs. 2 BetrVG. Im Streitfalle ist es daher Sache der Gewerkschaft zu beweisen, daß ein Sachvorhalt vorliegt, in dem ausnahmsweise das Verbot des § 19 Abs. 2 BetrVG nicht durchgreift.
e) Wird ein solcher Sachverhalt im verbandsrechtlichen Ausschließungsverfahren nicht festgestellt, so kann das im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden, weil das auf eine nachgeschobene und deshalb unzulässige neue Begründung des Ausschließungsbeschlusses hinausliefe.
Normenkette
BetriebsverfassungsG § 19 Abs. 2; BGB § 25
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 29.04.1964) |
LG Hannover (Urteil vom 11.05.1962) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 29. April 1964 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 11. Mai 1962 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges fallen der Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin zu 1 war Angestellte bei der B. A. und S. AG (…) in L.. Der Kläger zu 2 ist Arbeiter bei der Firma Gebr. G. G. in L. Beide Kläger waren vor Jahren der Beklagten beigetreten. Die Beklagte hat sie am 2. November 1959 durch ihren Hauptvorstand ausgeschlossen. Der Beschwerdeausschuß der Beklagten hat den Ausschließungsbeschluß nach seinen Verhandlungen am 29. Januar und 25. März 1960 als zu Recht bestehend erklärt. Die Frage, ob der Ausschluß rechtswirksam war, ist Gegenstand des Rechtsstreits.
Anlaß für den Beschluß, die Kläger auszuschließen, waren Vorgänge bei den Betriebsratswahlen im Jahre 1959. Seit Jahren hatten bei der Vorbereitung der Betriebsratswahlen der B. und der Firma Gebr. G. die innerhalb dieser Belegschaften bestehenden sozialistischen Betriebsgruppen und christlich-sozialen Werksgemeinschaften zusammengewirkt. Bei diesen Gruppierungen handelt es sich um lose Zusammenschlüsse auf weltanschaulicher Grundlage ohne unmittelbare gewerkschaftliche Bindung. Die christlichsozialen Werksgemeinschaften, zu denen die Kläger gehörten, bestehen aus Mitgliedern der Beklagten, aus Mitgliedern anderer Gewerkschaften und aus gewerkschaftlich nicht organisierten Werksangehörigen. Pur die Betriebsratswahlen des Jahres 1955 hatten sich in beiden Betrieben die sozialistischen Betriebsgruppen und die christlich-sozialen Werksgemeinschaften auf gemeinsame, von der Beklagten unterstützte Wahllisten geeinigt. Bei der B. blieb es auch im Jahre 1957 bei einer gemeinsamen Liste. Bei der Firma Gebr. G. kam es zu getrennten Listen; die Liste für Arbeiter, die neben der Liste der sozialistischen Betriebsgruppe eingereicht wurde, hatte damals der Kläger zu 2 angeführt.
Als die Betriebsratswahlen des Jahres 1959 herannahten, verbot die Beklagte auf Grund eines Beschlusses ihres Beirats vom 26./27. Februar 1959 allen Mitgliedern, auf einer anderen als der gewerkschaftlich unterstützten Liste zu kandidieren; für diesen Fall drohte sie den Ausschluß an.
Für die beiden Betriebe, denen die Kläger angehörten, sprachen sich im März 1959 die Vertrauensmänner der Beklagten ebenfalls für gemeinsame Wahlvorschläge aus. Die beauftragten Vertreter der sozialistischen Betriebsgruppen und der christlich-sozialen Werksgemeinschaften verhandelten daraufhin über die Aufstellung solcher Listen. In beiden Betrieben scheiterten jedoch die Vorhandlungen aus Gründen, über die die Parteien streiten. Daraufhin reichten beide Gruppen getrennte Wahlvorschläge ein. Die Beklagte unterstützte die von den sozialistischen Betriebsgruppen eingereichten Listen, die in beiden Betrieben mit „Nr. 1” bezeichnet wurden. Auf der Liste 2 der B., die das Kennwort „christlich-soziale Arbeitnehmer der B. erhalten hatte, kandidierte die Klägerin zu 1. Die bei der Firma Gebr. G. von der dortigen christlichen Werksgemeinschaft eingereichte Liste Nr. 2 wurde von dem Kläger zu 2 angeführt. Bei den Wahlen, die Mitte April 1959 stattfanden, entfielen bei der B. 27 Sitze auf die Liste Nr. 1 und 8 Sitze auf die Liste Nr. 2, bei der Firma Gebr. G. 12 Sitze auf die Liste Nr. 1 und 5 Sitze auf die Liste Nr. 2.
Nach den Wahlen schloß die Beklagte die Kläger mit der Begründung aus der Gewerkschaft aus, sie hätten mit ihrer Kandidatur auf den nicht von der Beklagten unterstützten Listen gegen das Verbot des Beirats verstoßen, damit die Einheit der Gewerkschaft aufs schwerste gefährdet und sich gewerkschaftsschädigend vorhalten.
Die Kläger halten den Ausschluß für unwirksam. Sie vertreten den Standpunkt, die Beklagte habe mit ihrem Verbot, andere Wahllisten zu unterstützen, und ihrer Androhung, Mitglieder auszuschließen, die auf den von ihr nicht unterstützten Listen kandidieren, die Betriebsratswahlen in einer nach § 19 BetrVG unzulässigen Weise behindert und beeinflußt; der Ausschluß sei daher unwirksam. Im übrigen sei der Ausschluß eine grob unbillige und daher auch aus diesem Grunde rechtswidrige Maßnahme. Denn es falle ausschließlich den örtlichen Beauftragten der Beklagten zur Last, daß keine gemeinsamen Listen zustande gekommen seien.
Diese Behauptungen hat die Beklagte bestritten. Sie behauptet ihrerseits, die christlich-sozialen Werksgemeinschaften hätten gar kein wirkliches Interesse am Zustandekommen des gemeinsamen Wahl Vorschlages gehabt. Schon seit Januar 1959 hätten sie beabsichtigt, eigene Listen aufzustellen.
Der Klage auf Feststellung, daß der Ausschluß der Klüger aus der Gewerkschaft unwirksam sei, hat das Landgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision, die die Beklagte zurückzuweisen beantragt, verfolgen die Kläger ihren Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Nach den rechtlich zutreffenden und von der Revision auch nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte die Kläger in einem Verfahren ausgeschlossen, das den satzungsmäßigen Bestimmungen entsprach. Damit konnte das Berufungsgericht zu Recht davon ausgehen, daß es im weiteren nur zu prüfen hatte, ob der Strafbeschluß in der Satzung eine Stütze findet und ob er eine gesetzwidrige, sittenwidrige oder offenbar unbillige Maßnahme war. Aus keinem dieser Gründe bestehen nach seiner Ansicht gegen die Rechtswirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses Bedenken. Dem kann jedoch nicht beigetreten werden.
1. Soweit die Revision geltend macht, der Ausschließungsbeschluß habe keine satzungsmäßige Grundlage. ist ihr allerdings schon deshalb nicht zu folgen, weil die Beklagte die Kläger mit der Begründung ausgeschlossen hat, sie hätten mit ihrer Kandidatur auf gewerkschaftsfremden Listen die Beklagte und die Interessen ihrer Mitglieder gröblich geschädigt. Die gröbliche Schädigung der Gewerkschaft und der Interessen ihrer Mitglieder ist ein Ausschließungsgrund, den § 7 Nr. 1 a der Satzung der Beklagten ausdrücklich vorsieht. Damit ist diesem Revisionsangriff ohne weiteres der Boden entzogen.
Die Revision hat allerdings die Vorschrift des § 7 Nr. 1 a der Satzung nicht übersehen. Sie meint aber, das Berufungsgericht sei der Frage der satzungsmäßigen Grundlage insofern nicht ausreichend nachgegangen, als es nicht geprüft habe, ob der Ausschließungsbeschluß auf einer gesicherten tatsächlichen Grundlage und auf einer zutreffenden Beurteilung des Begriffs des „gewerkschaftsschädigenden Verhaltens” beruhe. Insofern habe es wesentliche Behauptungen der Kläger über das Zustandekommen ihrer Kandidatur übergangen, die Prüfung unterlassen, ob das Verhalten der Kläger gegen § 7 Nr. 1 a der Satzung verstoßen habe, und zu Unrecht die Frage nicht erörtert, ob nicht der Beklagten unter den gegebenen Umständen eine weitere Mitgliedschaft der Kläger habe zugemutet werden können.
Mit diesen Ausführungen verkennt die Revision die Grenzen, die der gerichtlichen Nachprüfung vereinsrechtlicher Ausschließungsbeschlüsse gesetzt sind. Aus dem Rechtssatz, daß das Gericht nur zu prüfen hat, ob sich der Beschluß auf eine Vorschrift der Satzung „stützt”, ergibt sich umgekehrt, daß die Feststellung des zu beurteilenden Sachverhalts und die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die herangezogene Vorschrift zu den Maßnahmen gehört, die ein Verein in Ausübung seiner Verbandsgewalt eigenverantwortlich zu treffen hat und die grundsätzlich gerichtlich nicht nachgeprüft werden können. Ob es Sonderfälle gibt, in denen – etwa bei willkürlicher Tatsachenfeststellung oder Subsumtion – auf eine gerichtliche Nachprüfung nicht verzichtet werden darf, kann dahingestellt bleiben, da ein solcher Fall nicht in Frage steht. Im vorliegenden Rechtsstreit war es daher richtig, daß das Berufungsgericht den Ausschließungsbeschluß in materieller Einsicht nicht in dem von der Revision geforderten Umfange nachgeprüft, sondern sich auf die Feststellung beschränkt hat, daß in § 7 Nr. 1 a eine satzungsmäßige Grundlage vorhanden ist, auf Grund deren die Beklagte an sich befugt war, über den Ausschluß der Kläger zu entscheiden.
2. Dem Berufungsgericht kann aber nicht darin zugestimmt werden, daß die Ausschließung der Kläger nicht gegen § 19 Abs. 2 BetrVG verstoße.
Nach dieser Vorschrift darf die Wahl des Betriebsrats nicht durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen beeinflußt werden. Mit dem Verbot, auf anderen als gewerkschaftlich unterstützten Listen zu kandidieren, hat die Beklagte die Betriebsratswahlen in den Betrieben der Kläger zu beeinflussen versucht. Der angedrohte und später vollzogene Ausschluß aus der Gewerkschaft war für die Kläger ein wesentlicher Nachteil. Sie wurden hierdurch, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, ideell betroffen und wirtschaftlich durch den Verlust erworbener Anwartschaften und sozialer Schutzrechte wesentlich beeinträchtigt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift fielen daher die Androhung und der Ausschluß der Kläger unter das Verbot des § 19 Abs. 2 BetrVG. Der Ausschluß wäre daher nur dann nicht rechtswidrig, wenn nach dem Sinn der Vorschrift den Gewerkschaften im Einzelfalle nicht verboten sein sollte, von ihren Mitgliedern ein bestimmtes Wahlverhalten zu fordern und diese Forderung mit der Androhung und dem Vollzug von Verbandsstrafen Nachdruck zu verleihen.
Die Ansicht, der satzungsgemäße Ausschluß eines Gewerkschaftsmitglieds sei in jedem Falle auch betriebsverfassungsrechtlich rechtmäßig, kann nicht mit der Erwägung des Beschwerdeausschusses der Beklagten begründet werden, das Gewerkschaftsmitglied habe durch seinen Eintritt Satzung und. Ziele der Gewerkschaft als für sich verbindlich anerkannt und daher für den Fall, daß sein Wahlverhalten mit den Weisungen der Gewerkschaft nicht übereinstimme, auf den Schutz des § 19 Abs. 2 BetrVG verzichtet. Die Vorschrift schützt die freie Wahlentscheidung des einzelnen Betriebsmitglieds nicht nur in dessen eigenem, sondern auch im betrieblichen und öffentlichen Interesse. Der Schutz ist daher unverzichtbar. Umgekehrt läßt sich die Rechtswidrigkeit einer zum Zwecke der Wahlbeeinflussung eingesetzten Verbandsstrafe nicht ohne weiteres mit der Annahme begründen, daß sich das Verbot des § 19 Abs. 2 BetrVG – wie gegen jedermann – so auch gegen die Gewerkschaften richte.
Das ist zwar grundsätzlich der Fall, beantwortet aber nicht ohne weiteres die Frage, ob dieses Verbot in jedem Falle den Vorrang vor den gleichfalls von der Rechtsordnung gebilligten Grundsatz hat, daß eine Gewerkschaft als nicht rechtsfähiger Verein und auf Grund ihrer besonderen Rechtstellung im sozialen Gefüge zur Aufrechterhaltung der Verbandsdisziplin kraft ihrer autonomen Verbandsgewalt die satzungsmäßig vorgesehenen Strafmaßnahmen anwenden darf. Es kann insbesondere nicht der Sinn des § 19 Abs. 2 BetrVG sein, der Verbandsautonomie überhaupt keinen Raum zu lassen und damit der Gewerkschaft auch das weitere Verbleiben solcher Mitglieder im Verband aufzuzwingen, die ihre Gewerkschaft und deren satzungsmäßige Zielsetzungen in einer mit der weiteren Mitgliedschaft schlechterdings nicht zu Vereinbarenden Weise offen bekämpfen. Deshalb sind Fälle denkbar, in denen die Verbandssatzung trotz des Verbots des § 19 Abs. 2 BetrVG den Ausschluß eines Mitglieds wegen eines für den Verband unerträglich gewerkschaftsfeindlichen Verhaltens bei den Betriebsratswahlen rechtfertigen kann und in denen der Ausschluß als ein sozialadäquater Nachteil für das betreffende Mitglied anzusehen ist, den anzudrohen und zu vollziehen nicht gegen Sinn und Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Normen verstößt.
Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kann es offen bleiben, wo die Grenzen des verbotsfreien Raumes liegen, innerhalb deren der Verbandsautonomie ein durch § 19 Abs. 2 BetrVG nicht angetasteter Wirkungskreis verbleibt und die Verbandssatzung den „Nachteil” des Ausschlusses aus der Gewerkschaft rechtfertigt. Die Gewerkschaft würde jedenfalls dann in unzulässiger Weise gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl verstoßen, wenn sie einerseits ihren Mitgliedern unter Ausschlußandrohung verbietet, auf einer anderen als der gewerkschaftlich unterstützten Liste zu kandidieren, andererseits aber einer Gruppe ihrer Mitglieder die Möglichkeit vorenthält, ihre betriebsverfassungsrechtlichen Wahlinteressen auf der gewerkschaftlich unterstützten Liste in angemessener Weise wahrzunehmen.
Mit der Behauptung, ein solcher Sachverhalt habe vorgelegen, hatten sich die Kläger im Ausschließungsverfahren ausdrücklich verteidigt. Die Klägerin zu 1 hatte vorgetragen, bei der B. sei der Betriebsratsvorsitzende L. als Beauftragter der Beklagten nicht bereit gewesen, auf der gewerkschaftlich unterstützten Einheitsliste mehr als vier Kandidaten der christlich-sozialen Werksgemeinschaft aufzustellen. Da die Werksgemeinschaft bei der vorausgegangenen Wahl im Jahre 1957 zehn Betriebsratsmandate erlangt habe, sei dies eine entscheidende Benachteiligung gewesen. Damit hätten sich die Mitglieder der Werksgemeinschaft nicht abfinden können. Bei der Firma G., so hatte der Kläger zu 2 behauptet, habe der Sprecher der sozialistischen Betriebsgruppe S. ebenfalls klar und deutlich zu erkennen gegeben, daß an eine zufriedenstellende Plazierung der Angehörigen der dortigen christlichen Werksgemeinschaft auf der gewerkschaftlich unterstützten Liste nicht gedacht sei.
Träfen diese Behauptungen zu, dann wäre der Ausschluß der Kläger mit der Vorschrift des § 19 Abs. 2 BetrVG nicht zu vereinbaren. Mit der unter Ausschlußandrohung ausgesprochenen Weisung an die Mitglieder, auf keinen anderen als den von ihr unterstützten Listen zu kandidieren, hat die Beklagte den von ihr vertretenen Gedanken der Einheitsgewerkschaft verfolgt und gegen Angriffe absichern wollen, die sie im Zusammenhang mit den Betriebsratswahlen des Jahres 1959 von anderer Seite befürchtete. Zum notwendigen Bestandteil des Einheitsgedankens gehört es, daß die Einheitsgewerkschaft auch die Interessenvertretung der in ihr vereinigten kleineren Sondergruppen in angemessener und sachgemäßer Weise wahrnimmt. Gegen diesen – auch bei den Betriebsratswahlen gültigen – Grundsatz hätten die örtlichen Vertreter der Beklagten verstoßen, wenn sie den Mitgliedern der christlichen Werksgemeinschaften in der von den Klägern behaupteten Weise die Möglichkeit verschlossen haben sollten, bei den Betriebsratswahlen auf den Einheitslisten so vertreten zu sein, wie es ihrer zahlenmäßigen Stärke und den bisherigen Wahlerfolgen entsprochen hätte. Unter diesen Umständen kann die Verbandssatzung kein Rechtfertigungsgrund für den Ausschluß der Kläger sein. Das allgemeine Verbot der Beklagten, andere Listen zu unterstützen, und die damit verbundene Strafandrohung hätten darüber hinaus den Angehörigen der christlichen Werksgemeinschaften nur noch die Wahl gelassen, auf eigener Liste zu kandidieren und den Ausschluß in Kauf zu nehmen oder überhaupt auf ihre passiven Wahlrechte zu verzichten. Es liegt auf der Hand, daß mit einer solchen Einschränkung der Wahlfreiheit die Grenzen überschritten wären, innerhalb deren einem Verband das Recht eingeräumt sein könnte, ein Mitglied wegen seines Verhaltens bei der Wahl auszuschließen. Androhung und Ausschluß wären unter diesen Umständen eine nach § 19 Abs. 2 BetrVG unzulässige Wahlbeeinflussung gewesen; der Ausschluß wäre kein Nachteil, der noch als sozialadäquat hätte angesehen werden können. Daran könnte auch der vom Beschwerdeausschuß und dem Berufungsgericht in anderem Zusammenhang erörterte Umstand nichts ändern, daß den christlichen Werksgemeinschaften möglicherweise noch der Weg offengestanden hätte, die Verbandsleitung anzurufen und gegen die ihnen angesonnene Benachteiligung zu protestieren. Der Vorwurf, diesen Weg nicht beschritten zu haben, ist schon deshalb fragwürdig, weil der Termin zur Einreichung von Wahlvorschlägen unmittelbar bevorstand. Außerdem wird hierdurch die betriebsverfassungsrechtlich entscheidende Behauptung der Kläger nicht ausgeräumt, ihre Kandidatur außerhalb der Einheitsliste habe tatsächlich nur darauf beruht, daß man die Interessen ihrer Gruppe nicht in angemessener Weise berücksichtigt habe.
Der von den Klägern vorgetragene Sachverhalt ist allerdings streitig geblieben. Behauptet aber ein Vorbandsmitglied Tatsachen, bei deren Vorliegen es gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG unzulässig wäre, ein Mitglied auszuschließen, dann muß der Ausschluß als gesetzwidrig angesehen werden, sofern nicht im Ausschließungsverfahren bewiesen und festgestellt wird, daß in Wahrheit kein solcher Sachverhalt vorlag.
Das ergibt sich aus der Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes. § 19 Abs. 2 BetrVG stellt allgemein den Grundsatz auf, daß die Wahlentscheidung der Arbeitnehmer durch Androhung von Nachteilen nicht beeinflußt werden darf. Dementsprechend ist es grundsätzlich ebenso rechtswidrig, wenn der angedrohte Nachteil nach der Wahl dem Arbeitnehmer tatsächlich angefügt wird, weil er sich der Drohung nicht gebeugt hat. Ein Sachverhalt, bei dem zwar ein Nachteil angedroht und vollzogen wird, bei dem aber dennoch der allgemeine Verbotsgrundsatz des § 19 Abs. 2 BetrVG nicht durchgreift und der Einsatz der Verbandsstrafgewalt zulässig ist, ist daher ein Ausnahmetatbestand. Ausnahmetatbestände hat nach allgemeinen Beweisregeln derjenige zu beweisen, der sich im Streitfall darauf beruft. Das war hier die Beklagte. Diese hätte daher im Ausschließungsverfahren (zumindest) beweisen und feststellen müssen, daß der von den Klägern behauptete Sachverhalt als widerlegt anzusehen ist.
Die Möglichkeit, daß die Behauptungen der Kläger zutrafen, hat die Beklagte aber nicht ausgeschlossen. Pur die von der Klägerin zu 1 behaupteten Vorgänge bei der B. war der Inhalt der Besprechung von entscheidender Bedeutung, die zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden I. und den Sprechern der christlich-sozialen Werksgemeinschaft F., W. und M. am 23. März 1959 geführt worden ist. Hierzu hat der Beschwerdeausschuß der Beklagten in den Gründen seines Beschlusses ausgeführt, der Lauf dieser Verhandlungen habe nicht eindeutig festgestellt werden können. Über die maßgeblichen Besprechungen bei der Firma G. stellt der Beschwerdeausschuß lediglich fest, die Verhandlungen hätten zu keinem Ergebnis geführt. Danach ist in beiden Fällen das Vorbringen der Kläger unwiderlegt und die Möglichkeit offengeblieben, daß der von ihnen behauptete Sachverhalt tatsächlich zutraf; die Beklagte hat den ihr obliegenden Beweis nicht erbracht, daß dem Ausschließungsbeschluß ein Tatbestand zugrunde lag, der ihr ohne Verletzung des § 19 Abs. 2 BetrVG erlaubte, von ihrer Verbandsstrafgewalt Gebrauch zu machen.
Nach den dargelegten Beweisgrundsätzen hat das zur Folge, daß die Ausschließung der Kläger als eine gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG unzulässige Maßnahme anzusehen ist. Der Ausschließungsbeschluß ist daher unwirksam. Eine nachträgliche Klärung des Sachverhalts im Zivilprozeß kommt aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt der Ausschließungsbeschluß mit dem Inhalt und der Begründung, wie er im verbandsrechtlichen Ausschließungsverfahren zustande gekommen ist. Die im vorliegenden Rechtsstreit vorgetragene und unter Beweis gestellte Behauptung der Beklagten, jenes Vorbringen der Kläger sei unrichtig, läuft daher auf eine nachgeschobene neue Begründung des Ausschließungsbeschlusses hinaus, auf der dieser Beschluß nicht beruht und die deshalb unzulässig ist. Der Beschluß der Beklagten, die Kläger aus ihrem Verbande auszuschließen, kann nach alledem keinen Bestand haben. Auf die weitere Frage, ob der Ausschluß mit der Vorschrift des § 19 Abs. 2 BetrVG vereinbar gewesen wäre, falls die Beklagte den Vortrag der Kläger im Ausschließungsverfahren widerlegt hätte, kommt es nicht an; sie kann daher offenbleiben.
III. Die Revision der Kläger muß daher zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
Unterschriften
Dr. Fischer, Dr. Nörr, Bundesrichter Dr. Bukow ist beurlaubt und deshalb nicht in der Lage zu unterschreiben Dr. Fischer, Dr. Schulze, Stimpel
Fundstellen
Haufe-Index 662679 |
BGHZ, 314 |
NJW 1966, 1751 |
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