Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihm durch einen Verkehrsunfall am 29. August 1985 entstanden ist. An diesem Tag fuhr der Kläger als Beifahrer seines Arbeitskollegen B. in dessen Pkw (Porsche) auf der Autobahn A 352. B. fuhr mit einer Geschwindigkeit von rd. 180 km/h auf der Überholspur. In einer Rechtskurve bremste er stark ab, weil eine - nach den Feststellungen an dieser Stelle aus etwa 300 m Entfernung sichtbare - Absperrtafel (Verkehrszeichen 615), die von einem langsam fahrenden Lkw des beklagten Landes gezogen wurde und Grasmäharbeiten sichern sollte, die freie Durchfahrt auf dieser Spur versperrt. Der Pkw geriet ins Schleudern, drehte sich um die eigene Achse, stieß gegen den die Tafel ziehenden Lkw und kam auf dem Seitenstreifen zum Stehen.
Das Landgericht hat dem Kläger ein Schmerzensgeld von 3.000 DM sowie 4.047 DM Ersatz für materiellen Schaden zugesprochen; im übrigen hat es die Klage, soweit sie nicht zurückgenommen war, abgewiesen. Die Berufung des beklagten Landes ist erfolglos geblieben. Mit der Revision erstrebt das Land weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes führt zur Teilaufhebung des Berufungsurteils und insoweit zur Abweisung der Klage.
I. Soweit das Berufungsgericht dem Kläger Ersatz für seinen materiellen Unfallschaden zugesprochen hat, wird seine Entscheidung durch den Gesichtspunkt getragen, daß das beklagte Land ihm nach § 7 StVG zum Schadensersatz verpflichtet ist.
Der Anspruch nach § 7 StVG steht selbständig neben dem Amtshaftungsanspruch und wird durch § 839 BGB nicht verdrängt (Senatsurteil BGHZ 50, 271, 273).
Der von dem Kläger erlittene Schaden ist "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeuges entstanden, dessen Halter das beklagte Land war. Dieses Haftungsmerkmal ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entsprechend dem Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen (BGHZ 105, 65, 66). Es umfaßt alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflußten Schadensabläufe. Erforderlich ist allerdings, daß ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als einer der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine besteht; eine Haftung nach § 7 StVG entfällt daher, wo die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (BGHZ 71, 212). Eine Verbindung mit dem "Betrieb" als Kraftfahrzeug ist jedoch zu bejahen, wenn eine fahrbare Arbeitsmaschine - wie hier - gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet.
Der Unfall ist auch nicht durch ein unabwendbares Ereignis (§ 7 Abs. 2 Satz 1 StVG) verursacht worden. Der Nachweis der Unabwendbarkeit nach § 7 Abs. 2 StVG knüpft für das Fahrverhalten nicht an den Verschuldensmaßstab des § 276 BGB an, sondern an den auf die Zurechnungsgesichtspunkte der Gefährdungshaftung bezogenen Maßstab des § 7 Abs. 2 StVG, der eine über den gewöhnlichen Durchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln im Augenblick der Gefahr im Rahmen des Menschenmöglichen verlangt (st. Rspr.; vgl. BGH Urteil vom 23. September 1986 - VI ZR 136/85 - BGHR StVG § 7 Abs. 2 Wildunfall 1 m.w.Nachw.). Diesen Anforderungen sind Halter und Führer des Fahrzeugs des beklagten Landes nach den Feststellungen des Berufungsgrichts nicht gerecht geworden. Sie haben nicht jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet (§ 7 Abs. 2 Satz 2 StVG). Der "Idealfahrer", auf den die Rechtsprechung bei der Konkretisierung des im Rahmen des § 7 Abs. 2 StVG anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabes abstellt (vgl. BGH Urteil vom 23. September 1986 - VI ZR 46/85 - VersR 1987, 156 = BGHR StVG § 7 Abs. 2 Idealfahrer 1), hätte bemerkt, daß die Erkennbarkeit der Absperrtafel auf gerade 300 m bei hohen Geschwindigkeiten Gefahren heraufbeschwören konnte. Er hätte dementsprechend für eine zusätzliche Sicherung Sorge getragen.
Soweit das Berufungsgericht dem Kläger auch Ersatz seines immateriellen Schadens zugesprochen hat, hält das angefochtene Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Ein Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens könnte sich nur aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ergeben, da die Unterhaltung öffentlicher Verkehrswege Ausübung eines öffentlichen Amtes ist (Senatsurteil BGHZ 21, 48, 50 f.; Kreft in BGH-RGRK 12. Aufl. § 839 Rn. 103).
Da den Bediensteten des beklagten Landes aber allenfalls Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist, setzt ein Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB weiter voraus, daß der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag ( § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB). Am Fehlen dieser Anspruchsvoraussetzungen muß das Begehren des Klägers auf Ersatz seines immateriellen Schadens scheitern.
1. An der Geltung der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB haben weder Art. 131 WV noch Art. 34 GG etwas geändert. Die nach diesen Vorschriften haftende Körperschaft tritt nur an die Stelle des Amtsträgers; Voraussetzungen und Umfang der Haftung der hinter dem Amtsträger stehenden Körperschaft decken sich mithin mit denen der in § 839 BGB geregelten Haftung des Beamten (Kreft in BGB-RGRK 12. Aufl. § 839 Rn. 488). Die Haftungsbeschränkung gilt daher auch, wenn anstelle des Beamten der Staat oder eine sonstige Körperschaft haftet (Senatsurteil BGHZ 18, 366, 371; st. Rspr.).
2. Die Unmöglichkeit, anderweit Ersatz zu erlangen, bildet einen Teil des Tatbestandes, aus dem der Amtshaftungsanspruch hergeleitet wird. Dementsprechend hat der Verletzte das Vorliegen dieser zur Klagebegründung gehörenden Voraussetzung des Amtshaftungsanspruchs darzulegen und im Streitfall zu beweisen (st. Rspr.; vgl. Kreft aaO. Rn. 506).
3. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ist auch im vorliegenden Fall anwendbar.
Der Senat hat diese Vorschrift allerdings einschränkend dahin ausgelegt, daß die haftende Körperschaft sich darauf nicht berufen kann, wenn ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr - jedenfalls soweit er Sonderrechte nach § 35 StVO nicht in Anspruch nimmt - (BGHZ 68, 217) oder durch eine Verletzung der ihm als hoheitliche Aufgabe obliegenden Verkehrssicherungspflicht (BGHZ 75, 134) schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht. Die letztere Entscheidung hat der Senat mit der Erwägung begründet, die öffentlich-rechtlich gestaltete Verkehrssicherungspflicht entspreche inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht und stehe zudem in engem Zusammenhang mit den Pflichten, die einem Amtsträger als Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr obliegen (BGHZ 75, 138).
Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, daß die Bediensteten des beklagten Landes, die die Grasmäharbeiten durchführten, in Erfüllung aus der Straßenbaulast sich ergebender Verpflichtungen zugleich am allgemeinen Verkehr teilnahmen und Sonderrechte nach § 35 Abs. 6 StVO in Anspruch nahmen.
Die Unanwendbarkeit des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB bei dienstlicher Teilnahme am Straßenverkehr beruht auf dem Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer, der durch die Gleichheit der Rechte und Pflichten im Straßenverkehr für alle Verkehrsteilnehmer gerechtfertigt ist (Senatsurteil BGHZ 68, 217, 220 f.). Sie erstreckt sich daher nicht auf eine dienstliche Teilnahme am Straßenverkehr, bei der der Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten durch Sonderrechte aufgehoben ist. Jedenfalls wenn gerade der Gebrauch von Sonderrechten eine besondere Gefahrenlage schafft, kann der amtspflichtwidrig handelnde Amtsträger nicht jedem anderen Verkehrsteilnehmer gleichgestellt werden.
Der Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer kann nicht nur bei Inanspruchnahme von Sonderrechten nach § 35 Abs. 1 StVO keine Geltung beanspruchen; er schließt auch dann die Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht aus, wenn ein Amtsträger Sonderrechte nach § 35 Abs. 6 StVO in Anspruch genommen hat. Denn in beiden Fällen hat der Amtsträger Befugnisse, die nicht jedem Verkehrsteilnehmer zustehen; in beiden Fällen können durch die Inanspruchnahme dieser Befugnisse Gefahren entstehen, die für den allgemeinen Verkehr nicht typisch sind.
Dies zeigt gerade der vorliegende Fall. Für die Benutzung der Autobahnen gilt zwar keine Mindestgeschwindigkeit. Aus der Vorschrift, daß sie nur von Kraftfahrzeugen benutzt werden dürfen, deren durch die Bauart bedingte Höchstgeschwindigkeit mehr als 60 km/h beträgt (§ 18 Abs. 1 StVO) ist aber zu ersehen, daß sie zuvörderst für den Schnellverkehr bestimmt sind. Wenn es schon generell unzulässig ist, mit einem Kraftfahrzeug ohne triftigen Grund so langsam zu fahren, daß der Verkehrsfluß behindert wird (§ 3 Abs. 2 StVO), wäre es grob verkehrswidrig, wenn ein "normaler" Verkehrsteilnehmer auf der Überholspur einer Autobahn mit weniger als 20 km/h Geschwindigkeit fahren würde. Das Halten auf der Autobahn ist überhaupt nicht zulässig (§ 18 Abs. 8 StVO). Dadurch daß Fahrzeuge, die (u.a.) der Unterhaltung der Straße dienen, "auf allen Straßen und Straßenteilen und auf jeder Straßenseite in jeder Richtung zu allen Zeiten fahren und halten (dürfen), soweit ihr Einsatz dies erfordert," (§ 35 Abs. 6 Satz 1 StVO) wird im öffentlichen Interesse der Straßenunterhaltung eine besondere Gefahr zugelassen, die im vorliegenden Fall zu dem Unfall geführt hat.
Der Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB im Bereich der Sonderrechte nach § 35 Abs. 6 Satz 1 StVO steht nicht entgegen, daß diese Befugnisse auch Verkehrsteilnehmern zustehen können, die nicht hoheitlich handeln und daher keine Haftung nach § 839 BGB begründen können. Dies ist keine Besonderheit des § 35 Abs. 6 gegenüber § 35 Abs. 1 StVO. So kann Sonderrechte nach § 35 Abs. 1 StVO auch die Feuerwehr in Anspruch nehmen. Feuerwehr im Sinne dieser Vorschrift sind aber nicht nur öffentliche, sondern auch Werksfeuerwehren, die kein öffentliches Amt i.S. von § 839 BGB ausüben.
4. Der Kläger hat nicht dargelegt, daß er von dem Fahrer des Unfallwagens keinen Ersatz zu erlangen vermag. Ein Schadensersatzanspruch gegen den Fahrer nach § 18 i.V.m. § 7 StVG - wenn der Fahrer zugleich Halter war, unmittelbar aus § 7 StVG - dürfte freilich durch § 8 a Abs. 1 StVG ausgeschlossen sein, da nichts dafür spricht, daß der Kläger entgeltlich und geschäftsmäßig befördert wurde. Der Haftungsausschluß nach § 8 a StvG läßt jedoch Schadensersatzansprüche gegen den Fahrer nach § 823 BGB unberührt; denn er bezieht sich nur auf die Haftung nach § 7 StVG. Für das Bestehen eines solchen Schadensersatzanspruchs spricht hier vieles; denn der Fahrer ist mit einer Geschwindigkeit von 180 km/h nicht auf Sicht gefahren (zum Sichtfahrgebot vgl. u.a. BGH Urteil vom 23. Juni 1987 - VI ZR 188/86 - BGHR StVO (1970) § 3 Abs. 1 Hindernis 1 m.w.Nachw.).
Dafür, daß von dem Fahrer die Erfüllung eines Schadensersatzanspruchs nicht zu erlangen wäre, hat der Kläger nichts vorgetragen. Dagegen spricht vor allem, daß der Halter des von dem Kläger mitbenutzten Kraftfahrzeugs nach § 1 PflVG verpflichtet war, für den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden abzuschließen.
III. Auf die Berechtigung der von der Revision erhobenen weiteren Rügen kommt es hiernach nicht an. Dies gilt für das Vorbringen der Revision, das Berufungsgericht habe irrig angenommen, das beklagte Land hafte auch für die Personen, die die Richtlinien des Bundesministers für Verkehr für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA; hier: Ausgabe 1980, VerkBl 1980, 276) ausgearbeitet haben; das Berufungsgericht habe nicht ohne Einholung des von dem beklagten Land insoweit beantragten Sachverständigengutachtens feststellen dürfen, daß der Pkw des Arbeitskollegen nicht vor dem Hindernis habe zum Stehen gebracht werden können; im übrigen habe der festgestellte Sichtabstand ausgereicht, auch einen schnellfahrenden Pkw wie den Porsche des Arbeitskollegen des Klägers so weit abzubremsen, daß er das Hindernis auf der nicht blockierten rechten Fahrspur gefahrlos hätte umfahren können.
IV. Das Berufungsurteil kann daher mit der gegebenen Begründung nicht in vollem Umfang bestehenbleiben. Eine Teilzurückverweisung ist nicht erforderlich; denn der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind. Dem Kläger wird dadurch, daß der Senat die Teilabweisung der Klage auf einen Gesichtspunkt stützt, den Land- und Oberlandesgericht anders beurteilt haben, auch nicht das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verkürzt. Die Vorinstanzen sind zwar davon ausgegangen, daß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Das beklagte Land hat sich aber auf die Subsidiaritätsklausel berufen; der Kläger selbst ist davon ausgegangen, daß das beklagte Land und der Fahrer Gesamtschuldner seien. Unter diesen Umständen war es Sache des Klägers, zumindest vorsorglich darzulegen und Beweis dafür anzutreten, daß von dem Fahrer oder seiner Haftpflichtversicherung Ersatz nicht zu erlangen sei. Es besteht daher kein Anlaß, ihm dazu durch eine Zurückverweisung nochmals Gelegenheit zu geben.
Fundstellen
Haufe-Index 2993668 |
BGHZ 113, 164 |
BGHZ, 164 |
NJW 1991, 1171 |
LM § 839 [E] BGB Nr. 50 |
BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 2 Straßenverkehr 1 |
BGHR BGB § 839 Konkurrenzen 4 |
BGHR StVG § 7 Abs. 1 Betrieb 6 |
NJW-RR 1991, 669 |
NVwZ 1991, 709 |
DAR 1991, 139 |
NZV 1991, 185 |
VRS 1991, 4 |
VerkMitt 1991, 49 |
VersR 1991, 925 |
UPR 1991, 318 |