Leitsatz (amtlich)
Zur Bemessung der Entschädigung für einen rechtswidrigen Eingriff in das Waldeigentum durch Festsetzung zu niedriger Rotwildabschußpläne.
Normenkette
GG Art. 14; BJagdG § 31 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. September 1993 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht einen dem Grunde nach bejahten Entschädigungsanspruch wegen zu niedriger Festsetzung der Rotwildabschußpläne für das Revier A.-K. in den Jagdjahren 1976/77 und 1977/78 sowie für den Jagdbezirk A./O./S. im Jagdjahr 1978/79 lediglich festgestellt hat. Im Umfang dieser Feststellung ist der Klageanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt.
Zur Entscheidung über den Betrag dieses Anspruchs und über die Kosten des Rechtsstreits wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin größerer Waldgebiete in dem beklagten Land. Sie nimmt das beklagte Land – im Wege teils einer Zahlungs- und teils einer Feststellungsklage auf Schadensersatz bzw. Entschädigung für Vermögensnachteile in Anspruch, die ihr dadurch entstanden sind, daß nach ihrer Auffassung in ihren Wäldern zuviel Schalenwild vorhanden ist und die zuständige Jagdbehörde zu niedrige Abschußzahlen festgesetzt hat. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom 15. Dezember 1982 der Klage in weitem Umfang stattgegeben und dabei eine zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung von Amtsträgern des beklagten Landes in der Erhöhung der zulässigen Wilddichte durch den Ministerialerlaß vom 23. April 1974 gesehen. Dieses Urteil hat der Senat durch Urteil vom 22. Mai 1984 (BGHZ 91, 243) aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hat nunmehr festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet sei, der Klägerin Entschädigung dafür zu leisten, daß die Jagdbehörden ihr in bestimmten einzelnen Jagdjahren für bestimmte einzelne Jagdbezirke Rotwild in zu geringem Umfang zum Abschuß freigegeben hätten. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision der Klägerin hat der Senat durch Beschluß vom 30. November 1995 angenommen, soweit sie sich dagegen richtet, daß das Oberlandesgericht den von ihm dem Grunde nach bejahten Entschädigungsanspruch der Klägerin lediglich festgestellt hat; im übrigen hat er die Revisionen der Parteien nicht angenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt, soweit der Senat sie durch Beschluß vom 30. November 1995 angenommen hat, zur Aufhebung des Berufungsurteils, zum Erlaß eines Grundurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur Entscheidung über den Betrag des zuerkannten Anspruchs.
I.
Das Berufungsgericht hält einen Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs durch zu niedrige Festsetzung der Rotwildabschußpläne für das Revier A.-K. in den Jagdjahren 1976/77 und 1977/78 sowie für den Jagdbezirk A./O./S. in den Jagdjahren 1978/79 und 1980/81 für gegeben. Die Revision wendet sich insoweit dagegen, daß das Oberlandesgericht auch hinsichtlich der in den Jagdjahren 1976/77, 1977/78 und 1978/79 entstandenen Beeinträchtigungen – hinsichtlich der im Jagdjahr 1980/81 entstandenen hat die Klägerin selbst nur Feststellung beantragt – lediglich eine Feststellung der Entschädigungspflicht für möglich gehalten hat, weil eine Entscheidung über die Höhe der Entschädigung noch nicht in Betracht komme. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung damit begründet, die Höhe der Entschädigung sei nach den Mindereinnahmen zu bemessen, die die Klägerin beim Verkauf des Holzes erleiden werde; diese seien aber im Hinblick auf die Ungewißheit der Entwicklung der Holzpreise noch nicht berechenbar.
II.
Nachdem der Senat die Revision der Klägerin nur angenommen hat, soweit sie sich dagegen richtet, daß das Berufungsgericht das Bestehen eines Entschädigungsanspruchs lediglich festgestellt hat, kann die Beklagte den Grund des Anspruchs nicht mehr in Frage stellen. Zu entscheiden ist danach nur noch über den Betrag des von der Vorinstanz in dem vorbezeichneten Umfang zutreffend bejahten Entschädigungsanspruchs für Beeinträchtigungen bis zum Jagdjahr 1978/79. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Höhe dieses Anspruchs hänge von den Einnahmeverlusten ab, die die Klägerin beim Verkauf des geschädigten Holzes erleiden werde, und könne deshalb gegenwärtig noch nicht bestimmt werden, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Höhe der Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs richtet sich nach den Grundsätzen, die für die Bemessung der Enteignungsentschädigung gelten (Senatsurteil vom 23. Juni 1975 – III ZR 55/73 – NJW 1975, 1880, 1881; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., § 26 Rn. 100); denn anders als bei der verschuldensabhängigen Amtshaftung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG führt das richterrechtlich entwickelte Institut des enteignungsgleichen Eingriffs nicht zu einem Schadensersatz-, sondern zu einem Entschädigungsanspruch, dessen Ausgestaltung sich an das Enteignungsrecht anlehnt.
2. Aufgabe der Enteignungsentschädigung ist es, das dem Enteigneten auferlegte Sonderopfer und die in diesem liegende Vermögenseinbuße auszugleichen. Das bedeutet – abgesehen von der Entschädigung für sog. Folgekosten, die hier nicht in Betracht kommt – einen angemessenen Ausgleich für den erlittenen Substanzverlust als Ausdruck der Vermögenswerten Rechtsposition (vgl. z.B. Senatsurteil vom 19. Januar 1989 – III ZR 6/87 – WM 1989, 1154; Krohn, Enteignung Entschädigung Staatshaftung, 1993, Rn. 135). Anders als die Schadensersatzleistung – die dem Geschädigten die Stellung verschaffen soll, wie er sie ohne das schädigende Ereignis hätte dient die Enteignungsentschädigung dazu, den durch die Enteignung herbeigeführten Vermögensverlust auszugleichen; sie ist nicht wie die Schadensersatzleistung an einer fiktiven Vermögenslage – die sich möglicherweise erst in der Zukunft verwirklichen wird – ausgerichtet, sondern allein am – gegenwärtigen – Wert des durch die Enteignung dem Betroffenen genommenen Rechts (BGHZ 59, 250; Senatsurteil vom 2. April 1981 – III ZR 186/79 – VersR 1981, 655; Krohn, a.a.O. Rn. 138). So erstreckt die geschützte Rechtsposition des Inhabers eines Gewerbebetriebes sich nicht auf künftige Chancen und Erwerbsmöglichkeiten (BGHZ 92, 34, 46; Krohn, a.a.O. Rn. 139).
Wird in einen – gewerblichen, land- oder forstwirtschaftlichen – Betrieb eingegriffen, dann umfaßt das Vermögenswerte Recht, an dessen Beeinträchtigung die Entschädigung sich nach Grund und Höhe auszurichten hat, grundsätzlich alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des konkreten Betriebes ausmacht (Senatsurteil BGHZ 55, 261, 263), und zwar des gegenwärtigen Betriebes, in den von hoher Hand eingegriffen worden ist.
3. Grundsätzlich ist der Entschädigungsbemessung der gemeine Wert zugrunde zu legen, d.h. praktisch der Verkehrswert des dem Betroffenen Genommenen, der durch den Preis bestimmt wird, der im maßgebenden Zeitpunkt im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Objekts zu erzielen wäre (Senatsurteil vom 1. Juli 1982 – III ZR 10/81 – WM 1982, 988; Kreft, WM Sonderbeil. 7/1982 S. 7). Maßgeblicher Zeitpunkt ist, da die Entschädigung die Einbuße ausgleichen soll, die der Eigentümer durch den Eingriff erlitten hat, der Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs (Senatsurteil vom 5. Juli 1979 – III ZR 64/78 – LM WHG § 31 Nr. 3; Kreft a.a.O. S. 12). Bei der Feststellung der Wertminderung ist § 287 ZPO anzuwenden (vgl. Senatsurteile vom 7. Februar 1980 – III ZR 44/78 – WM 1980, 652, 655 – und vom 1. Februar 1982 – III ZR 93/80 – BGHZ 83, 61, 69 f.; Kreft, a.a.O. S. 18).
Wird der Gegenstand des Eigentumsrechts dem Betroffenen nicht genommen, sondern (nur) durch den hoheitlichen Eingriff in die Rechtsposition in seinem Wert beeinträchtigt, dann muß die Entschädigung den Verlust ausgleichen, den der Eigentümer bei einem – fiktiven – Verkauf des beeinträchtigten Eigentumsobjekts gegenüber einer Veräußerung des unversehrten Objekts dadurch erleiden würde, daß der Erwerber im Hinblick auf die Beeinträchtigung nur einen geminderten Preis zu zahlen bereit wäre.
4. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht sich durch den Hinweis des Senats im ersten Revisionsurteil auf § 31 Abs. 2 BJagdG gehindert gesehen, eine auf den Eingriffszeitpunkt bezogene Schätzung des Substanzverlustes vorzunehmen. Der Rückgriff auf den Rechtsgedanken dieser Vorschrift bedeutet im vorliegenden Zusammenhang nur, daß die Prognose, welcher Absatzverlust im Zeitpunkt der „Ernte” voraussichtlich entstehen wird, ein bei der auf den Eingriffszeitpunkt bezogenen Schätzung zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, der entschädigungsfähige Nachteil lasse sich überhaupt erst im Zeitpunkt der „Ernte”, bei Gehölzschäden also vielfach erst nach Jahrzehnten, mit einer die Zubilligung einer Entschädigung rechtfertigenden Gewißheit ermitteln. Eine solche Betrachtungsweise würde vor allem der Bedeutung der Eigentumsgarantie nicht gerecht werden.
5. Die zukünftige Entwicklung der Holzpreise und damit die Möglichkeit, in Zukunft aus dem betroffenen Wald hervorgehendes Holz mit Gewinn zu verkaufen, hat als solche für die Bemessung des zu entschädigenden Substanzwertes keine unmittelbare Bedeutung. Sie kann nur mittelbar von Einfluß sein, soweit ein geschädigter Eigentümer sich die (gegenwärtigen) Vorstellungen von dieser Entwicklung bei der Bemessung des Preises entgegenhalten lassen muß, den er bei einer fiktiven Veräußerung in dem für die Entschädigungsbemessung nach allgemeinen Grundsätzen maßgeblichen Zeitpunkt erzielen könnte. Diese Vorstellungen sind indes unabhängig davon, wie die zukünftigen Absatzmöglichkeiten sich – auch unter dem Einfluß noch nicht im einzelnen absehbarer Umstände – tatsächlich entwickeln. Maßgeblich sind vielmehr die gegenwärtigen Vorstellungen eines (fiktiven) Erwerbers, der sich ebenso irren kann wie ein Sachverständiger und der die Unsicherheit seiner Prognose bei seiner Willensbildung berücksichtigen wird.
Auf dieser Grundlage ist die Bewertung des Substanzverlustes notwendigerweise mit Unsicherheiten belastet, die eine Schätzung nach § 287 ZPO – nach sachverständiger Beratung – jedoch nicht unmöglich machen. Der geschätzte Gewinnverlust bei Veräußerung des Holzes im voraussichtlichen Zeitpunkt des Fällens – durch angemessene Abschläge zurückgerechnet auf den Zeitpunkt des Eingriffs – wird dabei eine maßgebliche Rolle spielen.
III.
Erweist sich danach die Auffassung des Berufungsgerichts, eine auf den Eingriffszeitpunkt bezogene Schätzung des Substanzverlustes komme hier nicht in Betracht, als rechtsfehlerhaft, so kann es – auch bei Berücksichtigung des dem Tatrichter insoweit eingeräumten Ermessensspielraums nicht bei einer Feststellung des Entschädigungsanspruchs sein Bewenden haben. Da der Klageanspruch in dem angegebenen Umfang dem Grunde nach gerechtfertigt ist, hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, selbst ein Grundurteil zu erlassen. Das Berufungsgericht hat nach Zurückverweisung der Sache Gelegenheit, im Betragsverfahren die für die Bewertung des von der Klägerin nach den ausgeführten Grundsätzen erlittenen Substanzverlustes notwendigen Feststellungen zu treffen. Dabei wird es mit sachverständiger Hilfe in Anwendung der einschlägigen Schätzmethoden und – soweit erforderlich – unter Heranziehung von § 287 ZPO alle Möglichkeiten einer zeitnahen Schadensbewertung auszuschöpfen haben.
Unterschriften
Rinne, Engelhardt, Werp, Wurm, Richterin Dr. Deppert hat Urlaub und kann deshalb nicht unterschreiben. Rinne
Fundstellen
Haufe-Index 1675287 |
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