Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelnde Schriftform einer Telekopie. Fristbeginn des § 12 Abs. 3 S. 1 VVG. Aufklärungspflicht des Tatrichters bei widersprüchlichen Erfahrungssätzen
Leitsatz (amtlich)
a) Eine Telekopie der Erklärung nach § 12 Abs. 3 VVG genügt nicht dem Schriftformerfordernis. Die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung gem. § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG beginnt erst mit dem Zugang des vom Aussteller unterzeichneten Originals zu laufen.
b) Der Tatrichter hat Widersprüche aufzuklären, die sich daraus ergeben, dass sich eine Partei auf andere Erfahrungssätze beruft als sie der Sachverständige seinem Gutachten zugrunde gelegt hat.
Normenkette
VVG § 12 Abs. 3; BGB § 126; ZPO § 286
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 18.12.2001; Aktenzeichen 9 U 24/01) |
LG Hamburg (Entscheidung vom 21.12.2000; Aktenzeichen 302 O 9/00) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Hamburg vom 18.12.2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1]Der Kläger begehrt von den beklagten Versicherungsunternehmen - jeweils als Teilschuldner - die Versicherungsleistung aus einem Yachtkaskoversicherungsvertrag i.H.v. 1.850.000 US-Dollar wegen des Verlustes seines Schiffes.
[2]Den Yachtkaskoversicherungsvertrag schlossen die Parteien mit Versicherungsschein vom 29.5.1998 für den Hochseekatamaran des Klägers. Am 1.11.1998 geriet der Katamaran in Brand und versank im karibischen Meer. Die Beklagten lehnten die Versicherungsleistung per Telefax am 22.6.1999 unter Hinweis darauf ab, dass sie nach § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei würden, wenn der Kläger den Anspruch nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend mache. Das Original des Ablehnungsschreibens erhielt der Anwalt des Klägers am 23.6.1999.
[3]Am 15.12.1999 ging die Klage ohne Unterschrift des damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers beim LG ein. Am 20.12.1999 überwies dieser den vom Gericht unter Mitteilung des Aktenzeichens angeforderten Gerichtskostenvorschuss i.H.v. 42.015 DM. Die Justizkasse verbuchte den Betrag am 23.12.1999. Nach Hinweis wurde die fehlende Unterschrift am 7.1.2000 nachgeholt.
[4]Die Beklagten machen geltend, sie seien wegen der nicht rechtzeitigen Klageerhebung nach § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG sowie wegen der Verletzung von Rettungsobliegenheiten bei der Bekämpfung des Brandes von der Leistung frei.
[5]Das LG hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das OLG zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Der BGH hat mit Urteil vom 3.3.2004 (BGH v. 3.3.2004 - IV ZR 458/02, MDR 2004, 879 = BGHReport 2004, 868 = VersR 2004, 629) das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage wegen Versäumung der sechsmonatigen Klagefrist gem. § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG abgewiesen. Auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers, mit der er u.a. die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG rügte, hat das BVerfG dieses Urteil mit Beschluss vom 22.10.2004 (BVerfG v. 22.10.2004 - 1 BvR 894/04, VersR 2004, 1585) aufgehoben und die Sache an den BGH zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
[6]I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts begann die Frist zur Klageerhebung gem. § 12 Abs. 3 VVG nicht schon mit der Übermittlung des Ablehnungsschreibens per Telefax am 22.6.1999 zu laufen, sondern erst mit dem Zugang des Originalschreibens am 23.6.1999. Die vorherige Übermittlung per Telefax habe die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform nicht erfüllt. Wegen des Unterschrifterfordernisses für eine wirksame Klageerhebung im Anwaltsprozess sei die Einreichung der nicht unterschriebenen Klageschrift als unwirksame Prozesshandlung anzusehen. Allerdings sei der Eingang des Gerichtskostenvorschusses durch die Buchung am 23.12.1999 ein eindeutiges Indiz dafür, dass die nicht unterschriebene Klageschrift mit dem Wissen und Wollen des im Briefkopf genannten Rechtsanwalts und nicht nur versehentlich bei Gericht eingereicht worden sei. Die gerichtliche Geltendmachung sei deshalb noch innerhalb der Sechsmonatsfrist i.S.d. § 12 Abs. 3 VVG erfolgt.
[7]Im Übrigen sei eine objektive Verletzung der Rettungspflicht des Klägers bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht festzustellen. Jedenfalls treffe diesen nicht der Vorwurf eines groben Verschuldens. Die von der Beklagten in ihrem Ablehnungsschreiben vom 22.6.1999 zunächst geltend gemachten Gründe, der Kläger habe es unterlassen, unverzüglich das gesamte elektrische Bordnetz stillzulegen und einen Löschangriff unter der Heckkabine des Steuerbordrumpfes zu unternehmen, hätten sich durch die Beweisaufnahme nicht erhärtet. Soweit der gerichtliche Sachverständige noch in seinem schriftlichen Gutachten es als seemännischen Fehler angesehen habe, dass der Kläger erst nach 15 Minuten eine weitere Luftzufuhr durch Ausschalten der Klimaanlage verhindert habe, mit dem Schiff nicht sofort "vor den Wind" gegangen sei, nicht unverzüglich alle Generatoren und Verbraucher vom Netz getrennt und den Seenotalarm verspätet ausgelöst habe, habe der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung vor dem LG seine Angaben dahingehend relativiert, dass den Kläger jedenfalls kein grobes Verschulden treffe. Die von den Beklagten in der Berufung aufrechterhaltenen Vorwürfe, der Kläger hätte das Schiff unverzüglich "in den Wind" legen müssen, um "den Wind tot zu laufen", er habe nicht erst 20 Minuten nach der Entdeckung des Rauches die Maschinen stoppen und nach einer Stunde die Fahrt aus dem Wind nehmen dürfen, reichten für eine objektive Pflichtverletzung nicht aus. Dagegen habe der Kläger unwidersprochen eingewendet, dass das Schiff nicht "im Wind" stehen geblieben wäre, da es die Neigung gehabt habe, sich "vor den Wind" zu legen. Der Wind hätte dann außerdem von hinten direkt in die offene Tür geweht. Es sei nicht ersichtlich, dass bei einem der Auffassung des Sachverständigen entsprechenden Verhalten der Schadensverlauf ein anderer gewesen wäre, da der Wind schwach gewesen sei, sich die Tür der Plicht direkt nach hinten geöffnet habe und sich trotz geöffneter Bodenluken keine direkte Luftzufuhr zu der vermuteten Quelle des Rauches habe entwickeln können.
[8]II.
Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
[9]1. Auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 22.10.2004 (BVerfG v. 22.10.2004 - 1 BvR 894/04, VersR 2004, 1585 ff.) begegnet allerdings keinen rechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht die Klagefrist gem. § 12 Abs. 3 VVG für gewahrt hält.
[10]a) Entgegen der Auffassung der Revision war die Klagefrist nicht bereits vor Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses abgelaufen. Die Frist zur Klageerhebung gem. § 12 Abs. 3 VVG wurde nämlich nicht schon mit der Übermittlung des Ablehnungsschreibens der Beklagten am 22.6.1999 per Telefax, sondern erst mit dem Zugang des Originals am 23.6.1999 in Lauf gesetzt.
[11]aa) Gemäß § 12 Abs. 3 VVG beginnt die Frist zur Klageerhebung mit der schriftlichen Ablehnung des vom Versicherungsnehmer erhobenen Anspruchs durch den Versicherer. Hierfür ist eine die Anforderungen der gesetzlichen Schriftform (§ 126 BGB) erfüllende Mitteilung erforderlich, denn die Ablehnung eines Anspruchs auf Versicherungsschutz nach § 12 Abs. 3 VVG ist eine rechtsgeschäftsähnliche Willensäußerung, für die die Vorschriften über das Wirksamwerden von Willenserklärungen entsprechend gelten (BGH, Urt. v. 9.2.1977 - IV ZR 25/75, VersR 1977, 442 [443]; a.A. wegen des bloßen Klarstellungszweckes des Verweigerungsschreibens des Betriebsrats bei einer geplanten Einstellung nach § 99 Abs. 3 BetrVG BAG v. 11.6.2002 - 1 ABR 43/01, BAGReport 2003, 78 = NJW 2003, 843 [844]). Demnach ist auch § 126 BGB entsprechend anzuwenden (OLG Koblenz v. 20.10.2000 - 10 U 1711/99, VersR 2002, 175; Bruck/Möller, VVG, 8. Aufl., § 12 Anm. 26 f.; Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 12 Rz. 31, § 34a Rz. 5; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 12, Rz. 49; Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl., S. 232, Rz. 388). Das Schriftformerfordernis erfüllt sowohl für den Erklärenden als auch für den Erklärungsempfänger Klarstellungs- und Beweisfunktion (BGHZ 24, 308 [316 f.]). Das Ablehnungsschreiben darf beim Versicherungsnehmer keine Zweifel darüber aufkommen lassen, was ihm droht, wenn er seinen Anspruch nicht innerhalb von sechs Monaten geltend macht. Dieser ist deshalb über die Folgen der nicht rechtzeitigen Klageerhebung im Ablehnungsschreiben gem. § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG klar und deutlich zu belehren (BGH, Urt. v. 19.9.2001 - IV ZR 224/00, BGHReport 2002, 100 = VersR 2001, 1497 [1498]). Da der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung ohne weiteres einbüßt, wenn er ihn nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist gerichtlich geltend macht, sollen Zweifel und Unklarheiten auch hinsichtlich der Frage, ob das Schreiben der Form nach den gesetzlichen Anforderungen genügt, nicht entstehen können.
[12]bb) Erfolglos sucht die Revision ihre abweichende Auffassung auf die Rechtsprechung zur Wahrung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen durch Einsatz fernmeldetechnischer Übertragungsmittel - u.a. Telekopien (BGH v. 28.1.1993 - IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224 [230] = MDR 1993, 532 = CR 1994, 29, m.w.N.) - zu stützen. Diese soll den Rechtsuchenden zur Wahrung ihrer Rechte die volle Ausnutzung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auch unter Zuhilfenahme der modernen Nachrichtenübermittlungstechnik ermöglichen. Hieraus kann jedoch nichts hergeleitet werden, was den oben erörterten Schutzzweck der Schriftform nach § 12 Abs. 3 VVG wegen der materiellrechtlichen Folgen des Ablehnungsschreibens betrifft.
[13]cc) Demzufolge muss die Erklärung nach § 12 Abs. 3 VVG, die dem Versicherungsnehmer zugeht, gem. § 126 Abs. 1 BGB eigenhändig vom Aussteller durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sein. Eine Telekopie enthält keine eigenhändige Unterzeichnung. Die Unterschrift ist nur vom Original übernommen. Dieses bleibt beim Absender. Eine Telekopie genügt deshalb nicht dem Schriftformerfordernis (BGH v. 28.1.1993 - IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224 [228 ff.] = MDR 1993, 532 = CR 1994, 29).
[14]Genügte demnach das Telefax der Beklagten vom 22.6.1999 dem Schriftformerfordernis nicht, so begann die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung gem. § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG erst mit dem Zugang des Originals am 23.6.1999 zu laufen.
[15]b) Diese Frist wurde dadurch gewahrt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 15.12.1999 eine - wenn auch nicht unterschriebene - Klageschrift einreichte und nach telefonischer Anforderung den Gerichtskostenvorschuss i.H.v. 42.015 DM am 20.12.1999 an die Gerichtskasse überwies. Der Betrag wurde am 23.12.1999 gutgeschrieben, so dass vor Ablauf der Sechsmonatsfrist jedenfalls hinreichend sicher zu erkennen war, dass mit der eingereichten Klageschrift gegen die Beklagten Klage erhoben werden sollte und nicht nur versehentlich ein Entwurf zu Gericht gelangt war. Dagegen spricht vor allem auch die Höhe des erbrachten Vorschusses. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung genügte jedenfalls diese Klageerhebung dem Zweck des § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG, möglichst schnell eine zuverlässige Feststellung der für den Versicherungsfall maßgeblichen Tatsachen zu sichern und auf diese Weise die Klärung zu ermöglichen, ob die Deckungsablehnung des Versicherers rechtens ist (BVerfG v. 22.10.2004 - 1 BvR 894/04, VersR 2004, 1585 [1586], m.w.N.). Für die Wahrung der materiellen Frist des § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG kommt es deshalb nicht mehr darauf an, dass die Klageschrift am 7.1.2000 nachträglich vom Prozessbevollmächtigten unterschrieben worden ist und erst damit die Erfordernisse für eine ordnungsgemäße Klageschrift nach dem Prozessrecht erfüllt worden sind (st.Rspr., so BGHZ 22, 254 [256, 257]; BGH v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83, BGHZ 92, 251 [254 ff.] = MDR 1985, 222; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 253 Rz. 143; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 130 Rz. 58; Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 253 Rz. 22 und 164 f.).
[16]2. Hingegen rügt die Revision mit Erfolg, die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagten seien nicht wegen einer (grob fahrlässigen) Verletzung von Rettungspflichten gem. § 62 Abs. 2 VVG von der Leistung frei geworden, beruhe auf unzureichender Sachaufklärung.
[17]a) Gemäß § 62 Abs. 1 VVG und dem insoweit inhaltsgleichen § 13 Nr. 3 der Pantaenius-Yacht-Kasko-Bedingungen (= PYKB 98) war der Kläger verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen. Hiermit traf ihn die Obliegenheit, die in der jeweiligen Situation sich anbietenden und zumutbaren Rettungsmaßnahmen unverzüglich und mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu ergreifen, als ob er nicht versichert gewesen wäre (BGH, Urt. v. 12.7.1972 - IV ZR 23/71, NJW 1972, 1809; v. 6.5.1985 - II ZR 162/84, VersR 1985, 730 [731]). Die Verletzung solcher Rettungspflichten kann allerdings nur dann zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen, wenn der Versicherungsnehmer hierbei vorsätzlich oder grob fahrlässig handelte (§ 62 Abs. 2 Satz 1 VVG). Die Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Verstoß gegen die sich aus § 62 Abs. 1 VVG ergebenden Rettungspflichten liegt beim Versicherer. Die Umstände für das Fehlen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit hat hingegen der Versicherungsnehmer darzulegen und zu beweisen (BGH, Urt. v. 12.7.1972 - IV ZR 23/71, NJW 1972, 1809; v. 6.5.1985 - II ZR 162/84, VersR 1985, 730 [731]).
[18]b) Jedenfalls ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass die Beklagten nicht deshalb von ihrer Leistungspflicht frei geworden sind, weil der Kläger bei Erkennen der Rauchbildung die Hauptschalter an den Batterien nicht unverzüglich abgeschaltet hat. Entgegen der Ansicht der Revision hat der Kläger nach den Umständen des Streitfalles insoweit keine objektiv ihm zumutbaren Rettungspflichten verletzt.
[19]aa) Die Revision zieht die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Schilderung der örtlichen Gegebenheiten auf dem Schiff durch den Kläger nicht in einer den revisionsrechtlichen Erfordernissen entsprechenden Weise in Zweifel. Danach hätte er die beiden unmittelbar bei den Batterien befindlichen Hauptschalter betätigen müssen, um die Stromzufuhr abzuschalten. Ein Ausschalten nur des Hauptschalters im Backbordrumpf hätte die Stromversorgung durch die Batterien nicht unterbrochen, da beide Batterien mittels einer Hauptleitung miteinander verbunden waren. Zu den Hauptschaltern habe der Kläger nur durch die Kabinen im Steuerbordrumpf gelangen können. Diese seien indessen komplett mit Rauch gefüllt gewesen, so dass er dort nicht habe atmen können und um sein Leben gefürchtet habe.
[20]bb) Es liegt auf der Hand, dass bei einer solchen Gefahrensituation für Leib und Leben dem Kläger nicht zuzumuten war, den jeweiligen Hauptschalter in dem von Rauch gefüllten Schiffsrumpf auszuschalten. Die Grenze für zumutbare Rettungsmaßnahmen ergibt sich aus Treu und Glauben; der Versicherungsnehmer braucht sich insb. keiner Gefahr für Leib und Leben auszusetzen (OLG Karlsruhe v. 16.9.1993 - 4 U 324/92, VersR 1994, 468 [469]; Prölss/Martin/Voit/Knappmann, VVG, 27. Aufl., § 62 Rz. 13; BK/Beckmann, § 62 VVG Rz. 25; Beckmann in Versicherungsrechts-Handbuch, § 15 Rz. 43; Siebeck, Die Schadensabwendungs- und -minderungspflicht des Versicherungsnehmers, S. 75).
[21]cc) Soweit mit der Revision nunmehr vorgetragen wird, der Technikraum sei rauchfrei gewesen, so dass der Kläger zumindest noch in den ersten 20 Minuten den Hauptschalter hätte ausschalten können und müssen, kann dies als neuer Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden. Im Übrigen wendet dagegen die Revisionserwiderung ein, dass sich weder die Batterien noch die zugehörigen Hauptschalter im Technikraum befanden.
[22]c) Die Revision rügt aber mit Recht, dass das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 286 ZPO und ohne den Nachweis hinreichender eigener Sachkunde eine objektive Verletzung der Rettungspflichten seitens des Klägers durch das zu späte Abschalten der Klimaanlage und der Antriebsmotoren sowie durch das Unterlassen einer Kursänderung des Schiffes verneint hat.
[23]aa) Bei der Frage, ob der Kläger die Klimaanlage sofort abstellen und das Schiff "vor den Wind" hätte legen müssen, durfte das Berufungsgericht nicht ohne weiteres annehmen, dass der Sachverständige, nachdem er in seinem schriftlichen Gutachten insoweit ein seemännisches Fehlverhalten angenommen hatte, in seiner Anhörung vor dem LG seine Auffassung dahingehend relativiert habe, dass den Kläger jedenfalls kein grobes Verschulden treffe. Die entsprechenden Punkte sind, wie die Revision rügt, während der Anhörung mit dem Sachverständigen überhaupt nicht erörtert worden. Jedenfalls findet sich im Protokoll über die Anhörung des Sachverständigen durch das LG dazu nichts. Eine Änderung der Auffassung des Sachverständigen hätte aber gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO in das Protokoll aufgenommen werden müssen, um die rechtliche Nachprüfung zu ermöglichen, ob das Berufungsgericht den Sachverständigen richtig verstanden hat (BGH v. 27.9.1994 - VI ZR 284/93, MDR 1995, 199 = VersR 1995, 195 [196]; v. 24.2.1987 - VI ZR 295/85, MDR 1987, 751 = VersR 1988, 290 [291]; BGHZ 40, 84 [86]). Denn gem. §§ 128 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO darf der Tatrichter nur solche Umstände zur Grundlage seiner Entscheidung machen, die - zumindest konkludent - Gegenstand der mündlichen Verhandlung oder einer Beweisaufnahme waren, sofern sie nicht offenkundig i.S.d. § 291 ZPO sind (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 286 Rz. 2 und 14; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl., § 286 Rz. 2).
[24]bb) Auch durfte das Berufungsgericht die von den Beklagten dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen nicht mit der Begründung verneinen, dass sie durch unstreitigen Vortrag des Klägers ausgeräumt seien, zumal auch insoweit hinreichende eigene Sachkunde des Berufungsgerichts nicht nachgewiesen ist.
[25]Die Beklagten haben gestützt durch die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen dem Kläger angelastet, dass es falsch gewesen sei, die Maschinen erst 20 Minuten nach Entdeckung des Rauches abzuschalten. Dieser hätte das Schiff unverzüglich "in den Wind" legen müssen, um "den Wind tot zu laufen". Er habe auch nicht erst nach einer Stunde die Fahrt "aus dem Wind" nehmen dürfen. Dagegen hat der Kläger eingewandt, das das Schiff nicht "im Wind stehen geblieben" wäre, wenn man versucht hätte, es "in den Wind" zu legen, denn sein Schiff hätte - wie bei Katamaranen üblich - die Neigung gehabt, sich "vor den Wind zu legen", im Übrigen hätte der Wind bei einem Kurs, bei dem er von hinten gekommen wäre, direkt in die offene Tür geweht. Er hat sich damit ggü. den vom Sachverständigen zugrunde gelegten Erfahrungssätzen auf andere Erfahrungssätze berufen, deren Richtigkeit die Beklagten ersichtlich nicht gelten lassen wollten, so dass das Berufungsgericht gehalten war, sie mit Hilfe des gerichtlichen Sachverständigen nachzuprüfen. Es wird auch zu klären sein, ob für den Kläger und das Berufungsgericht die Begriffe "in den Wind" legen und "vor den Wind" dasselbe aussagen wie für den Sachverständigen und die Beklagten. Diesbezüglich wird von der Revision ein erheblicher Unterschied im Verständnis beanstandet.
[26]cc) Soweit das Berufungsgericht aus dem Umstand, dass sich die Tür zur Plicht direkt nach hinten geöffnet habe, folgert, mit der Beibehaltung des Kurses habe sich bei der bestehenden Windrichtung kein direkter Luftzutritt zu der vermuteten Quelle des Rauchs entwickeln können, hätte es diese Erwägung ebenfalls zusammen mit dem Sachverständigen erörtern müssen. Es ist auch insoweit nicht erkennbar, dass das Berufungsgericht hierzu die erforderliche Sachkunde zur Würdigung aller Umstände in ihrem Gesamtzusammenhang selbst besessen und in das Verfahren ordnungsgemäß eingebracht hätte (BGH v. 21.3.2000 - VI ZR 158/99, MDR 2000, 884 = VersR 2000, 984 [985]; Urt. v. 20.2.1997 - VII ZR 231/95, NJW-RR 1997, 1108).
[27]d) Hinsichtlich der Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe jedenfalls nicht grob fahrlässig gehandelt, indem er erst 70 Minuten nach Entdeckung des Rauches einen Notruf abgab, hat der Senat die hiergegen erhobenen Revisionsrügen, die Ausführungen des Sachverständigen würden eine solche Feststellung nicht stützen, das LG habe die Beweislast für den Erfolg eines früheren Notrufs verkannt und die besseren Möglichkeiten eines Rettungshubschraubers zur Brandbekämpfung übersehen, geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer weiteren Begründung hierzu wird abgesehen (§ 546 ZPO).
[28]III.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu weiterer Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1508417 |
DB 2006, 1156 |
NJW 2006, 2482 |
BGHR 2006, 960 |
NJW-RR 2006, 1296 |
AnwBl 2006, 147 |
DAR 2006, 502 |
MDR 2006, 1285 |
NZV 2006, 536 |
VersR 2006, 821 |
VuR 2006, 287 |
VK 2006, 131 |
r+s 2006, 230 |