Leitsatz (amtlich)
Bei der Prüfung, ob bei einem Immobilienkaufvertrag ein auffälliges bzw. besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, sind die von dem Verkäufer übernommenen, üblicherweise von dem Käufer zu tragenden Erwerbsnebenkosten von dessen Leistung abzuziehen (Anschluss an BGH, Urt. v. 18.4.2000 - XI ZR 193/99, NJW 2000, 2352, 2353; Urt. v. 26.2.2008 - XI ZR 74/06, NJW 2008, 1585 Rz. 38; Urt. v. 10.12.2013 - XI ZR 508/12, NJW-RR 2014, 653 Rz. 24).
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 13.11.2014; Aktenzeichen I-22 U 81/13) |
LG Essen (Entscheidung vom 02.05.2013; Aktenzeichen 2 O 227/12) |
Tenor
Auf die Revision wird das Urteil des 22. Zivilsenats des OLG Hamm vom 13.11.2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Am 22.11.2011 gaben die Klägerin und ihr Ehemann ein notarielles Angebot zum Kauf der Eigentumswohnung Nr. 7 des Aufteilungsplans einer in Essen belegenen Wohnungseigentumsanlage zu einem Kaufpreis von 88.000 EUR ab, das die Beklagte am 6.12.2011 annahm. Von dem auf ein Anderkonto des Notars eingezahlten Kaufpreis wurden auf Veranlassung der Beklagten, die sich in dem notariellen Vertrag verpflichtet hatte, die Erwerbsnebenkosten zu tragen, 4.400 EUR zur Begleichung der Grunderwerbssteuer verwendet. Die Beklagte zahlte auch die Beurkundungskosten i.H.v. 862,22 EUR sowie die Kosten für die Grundbuchumschreibung i.H.v. 316 EUR. Die Klägerin und ihr Ehemann wurden als Eigentümer eines 95,74/1000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum Nr. 7 des Aufteilungsplans im Grundbuch eingetragen. Besitz wurde ihnen an der mit der Wohnung Nr. 7 im Wesentlichen baugleichen Wohnung Nr. 8 des Aufteilungsplans eingeräumt.
Rz. 2
Die Klägerin hält den Vertrag wegen überhöhten Kaufpreises für sittenwidrig. Sie verlangt von der Beklagten aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückübertragung des Eigentums an der Wohnung Nr. 7 und beantragt zusätzlich festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme der Wohnung im Annahmeverzug befindet. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat ihr im Wesentlichen stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Nach Meinung des Berufungsgerichts kann die Klägerin Rückabwicklung des Kaufvertrages gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen, weil der Vertrag als wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit nichtig sei. Bei einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90 % liege ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, das eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung begründe. Dies sei hier der Fall, weil einem Verkehrswert von 46.000 EUR ein Kaufpreis von 88.000 EUR gegenüberstehe, so dass sich eine Verkehrswertüberschreitung von 91,3 % zugunsten der Beklagten als Verkäuferin ergebe. Da der Sachverständige sowohl für die Wohnung Nr. 7 als auch für die Wohnung Nr. 8 einen Verkehrswert von 46.000 EUR ermittelt habe, komme es im Ergebnis nicht darauf an, welche Wohnung verkauft worden sei.
Rz. 4
Bei der Gegenüberstellung des Werts der Hauptleistungen seien die von der Beklagten getragenen Erwerbsnebenkosten nicht ganz oder teilweise vom Kaufpreis abzuziehen. Diese stellten keinen Gegenleistung für die erworbene Immobilie dar, sondern fielen zusätzlich an. Wer diese Kosten trage, sei zwischen den Parteien eines Grundstückskaufvertrages frei verhandelbar. Dass die Übernahme der Erwerbsnebenkosten durch die Beklagte im Zusammenhang mit dem ausgehandelten Kaufpreis gestanden habe, die Beklagte etwa die Nebenkosten übernommen habe, um nicht beim Kaufpreis nachgeben zu müssen, habe sie nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Es stehe nicht einmal fest, dass die Parteien überhaupt über die Höhe der Erwerbsnebenkosten und die gesetzliche Kostentragungsregelung gesprochen hätten. Die Beklagte habe keine entlastenden Umstände vorgetragen, die geeignet wären, die tatsächliche Vermutung für das Bestehen einer verwerflichen Gesinnung zu erschüttern.
II.
Rz. 5
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Rz. 6
1. Seine Annahme, die Klägerin habe nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des an die Beklagte geleisteten Kaufpreises i.H.v. 88.000 EUR, weil der Kaufvertrag gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei, ist rechtsfehlerhaft.
Rz. 7
a) Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insb. der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (BGH, Urt. v. 19.1.2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 301 ff.; Urt. v. 24.1.2014 - V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rz. 5). Ausgehend von dem für die Annahme eines besonders groben Äquivalenzmissverhältnisses bestehenden Erfordernis, dass der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, ist diese Voraussetzung grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90 % erfüllt (BGH, Urt. v. 24.1.2014 - V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rz. 8).
Rz. 8
b) Dies legt zwar im Ausgangspunkt auch das Berufungsgericht zugrunde. Es gelangt aber auf der Grundlage des von ihm alternativ für die Wohnungen Nr. 7 und 8 ermittelten Verkehrswerts i.H.v. jeweils 46.000 EUR nur deshalb zu einer Verkehrswertüberschreitung von 91,3 %, weil es die Leistung der Klägerin mit dem Kaufpreis von 88.000 EUR gleichsetzt. Bei der Prüfung, ob bei einem Immobilienkaufvertrag ein auffälliges bzw. besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, sind jedoch nach ständiger Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH die - wie hier - in dem Kaufpreis enthaltenen und daher nicht zusätzlich von dem Käufer zu zahlenden Erwerbsnebenkosten von dessen Leistung abzuziehen (vgl. BGH, Urt. v. 18.4.2000 - XI ZR 193/99, NJW 2000, 2352, 2353; Urt. v. 26.2.2008 - XI ZR 74/06, NJW 2008, 1585 Rz. 38; Urt. v. 10.12.2013 - XI ZR 508/12, NJW-RR 2014, 653 Rz. 24). Die Leistung der Klägerin beträgt deshalb lediglich 82.421,78 EUR (88.000 EUR Kaufpreis - 4.400 EUR Grunderwerbssteuer - 862,22 EUR Beurkundungskosten - 316 EUR Kosten der Grundbuchumschreibung), so dass sich die Verkehrswertüberschreitung auf 79,18 % beläuft. Eine tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten besteht deshalb entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht.
Rz. 9
c) Anlass, von der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats, die auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung Zustimmung erfahren hat (OLG Brandenburg, Urt. v. 9.5.2012 - 4 U 92/10, juris Rz. 51; iE ebenso OLG Hamm, Urt. v. 22.3.2007 - 22 U 183/04, juris Rz. 51) abzuweichen, besteht nicht. Vielmehr schließt sich der Senat ihr an, weil sie richtig ist.
Rz. 10
aa) Bei der Frage, ob zwischen Leistung und Gegenleistung ein besonders grobes Missverhältnis besteht, das die Vermutung einer verwerflichen Gesinnung i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB begründet, ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise angezeigt. Wenn der Verkäufer zusätzliche Leistungen übernimmt, muss dies auch im Rahmen des Wertevergleichs von Leistung und Gegenleistung berücksichtigt werden. Liegt beispielsweise der zwischen den Parteien vereinbarte Kaufpreis mehr als 90 % über dem Verkehrswert der Immobilie, verpflichtet sich der Verkäufer aber, anderweitige Verbindlichkeiten des Käufers zu tilgen, reduziert sich - wirtschaftlich gesehen - der Aufwand des Käufers entsprechend. Ist dies in einem Umfang der Fall, dass die 90-Prozentgrenze unterschritten wird, ist es nicht mehr gerechtfertigt, von einer verwerflichen Gesinnung des Verkäufers auszugehen.
Rz. 11
bb) Nicht anders ist es, wenn der Verkäufer die Erwerbsnebenkosten - hierzu gehört auch die Grunderwerbssteuer (BGH, Urteil vom 11.6.2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rz. 21) - trägt. Fehlt es an einer Vereinbarung der Kaufvertragsparteien, sind diese Kosten gem. § 448 Abs. 2 BGB im Innenverhältnis von dem Käufer zu tragen. Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung ist es auch in der Praxis üblich, in notariellen Grundstückskaufverträgen eine - deklaratorische - Klausel des Inhalts aufzunehmen, dass der Käufer die mit dem Vertrag und dessen Ausführung verbundenen Kosten und Abgaben (Grunderwerbsteuer sowie Notar und Gerichtskosten) allein trägt (vgl. Beck'sches Notar-Handbuch/Krauß, 6. Aufl., A I.IX.1., S. 119 f.; Würzburger Notarhandbuch/Hertel, 4. Aufl., Teil 2 Kap. 2, 4. Rz. 484 ff.). Verpflichtet sich abweichend von dieser üblichen Kostentragungsregel der Verkäufer zur Zahlung der Erwerbsnebenkosten, reduziert sich der Aufwand des Käufers entsprechend. Deshalb sind bei der Prüfung, ob bei einem Immobilienkaufvertrag ein auffälliges bzw. besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, die von dem Verkäufer übernommenen, üblicherweise von dem Käufer zu tragenden Erwerbsnebenkosten von dessen Leistung abzuziehen (vgl. zu den Auswirkungen auf die Berechnung der Grunderwerbssteuer in diesem Fall BFH, ZNotP 2013, 436 Rz. 16).
Rz. 12
cc) Ob der Kaufpreis tatsächlich in Höhe der Erwerbsnebenkosten geringer ausgefallen wäre, wenn der Käufer diese Kosten getragen hätte, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts rechtlich unerheblich. Auch wenn sich dies nicht feststellen lässt, führt die Kostenübernahme durch den Verkäufer zu einer Änderung des Werteverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung.
Rz. 13
2. Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht aus sonstigen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
Rz. 14
a) Besteht - wie hier bei einer Verkehrswertüberschreitung von 79,18 % - zwar kein besonders grobes, aber jedenfalls ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, kommt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zwar in Betracht, wenn weitere Umstände hinzutreten, die in Verbindung mit einem auffälligen Missverhältnis den Vorwurf der sittenwidrigen Übervorteilung begründen (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2014 - V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rz. 10; BGH, Urt. v. 10.12.2013 - XI ZR 508/12, NJW-RR 2014, 653 Rz. 16). Dies verhilft der Klage aber nicht zum Erfolg, weil es an entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt.
Rz. 15
b) Es steht auch nicht fest, dass die Klägerin Rückabwicklung des Kaufvertrags aufgrund des von ihr erklärten Widerrufs (§ 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB) bzw. aufgrund der von ihr wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) erklärten Anfechtung des Kaufvertrages verlangen kann. Das Berufungsgericht hat dies - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt folgerichtig - offen gelassen und hierzu keine Feststellungen getroffen.
III.
Rz. 16
1. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Rz. 17
2. Sollte das Berufungsgericht nach der neuen Verhandlung wiederum einen Rückgewähranspruch der Klägerin bejahen, wird es zu klären haben, auf welche Gegenleistung (Zug um Zug) sich ihre Rückgewährpflicht bezieht. Zur Rückübereignung der Wohnung Nr. 7 wäre die Klägerin nur dann verpflichtet, wenn sie und ihr Ehemann das Eigentum an dieser Wohnung und nicht an der Wohnung Nr. 8 erworben hätten. Dies hängt entscheidend von der zwischen den Parteien streitigen und von dem Berufungsgericht bislang nicht aufgeklärten Frage ab, ob die Käufer die Wohnung Nr. 8 vor Vertragsschluss besichtigt haben und es sich möglicherweise bei der Angabe von Nr. 7 in dem notariellen Kaufvertrag um eine unschädliche Falschbezeichnung handelt (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2001 - V ZR 65/01, NJW 2002, 1038, 1039; v. 18.7.2008 - V ZR 97/07, BGHZ 177, 338 Rz. 18).
Fundstellen
Haufe-Index 9176856 |
BB 2016, 706 |