Leitsatz (amtlich)
Zum Umfang der Begründungspflicht bei mehreren Klagegründen (Ergänzung zu LM zu ZPO § 519 Nr. 58).
Normenkette
ZPO § 519
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 28.09.1967) |
LG Paderborn |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. September 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte ist der Bruder des am … 1963 in kinderloser Ehe ohne letztwillige Verfügung verstorbenen Bauern Josef D. (Erblasser). Dieser hatte mit Vertrag vom 13. April 1961 dem Beklagten seinen Hof übertragen, um ihn in der Familie zu erhalten. Der Erblasser hatte bei der klagenden Spar- und Darlehenskasse ein Kontokorrentkonto, aus dem er an seinem Todestage der Klägerin 13.435,50 DM schuldete. Die Schuld verringerte sich später auf 6.622,42 DM. Nachdem die Klägerin durch ihren Rechtsanwalt am 20. November 1964 den Beklagten zur Zahlung aufgefordert hatte, schlug der Beklagte durch Erklärung gegenüber dem Amtsgericht – dort eingegangen am 22. Dezember 1964 – die Erbschaft aus.
Die Klägerin hält die Ausschlagung der Erbschaft für verspätet; sie ist der Ansicht, der Beklagte habe als Erbe für die hinterlassene Schuld des Erblassers einzustehen, und stützt ihren Anspruch weiter darauf, daß der Beklagte für die Schuld hafte, weil er die Schuld sowie das Vermögen und den Hof seines Bruders übernommen habe. Mit ihrem – im Berufungsrechtszug ermäßigten – Antrag hat die Klägerin gebeten, den Beklagten zur Zahlung von 6.622,42 DM nebst Zinsen zu verurteilen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte weiter die Abweisung der Klage. Die Klägerin bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin für begründet erachtet und der Klage stattgegeben; denn – so führt das Berufungsurteil aus – der Beklagte habe als Erbe seines verstorbenen Bruders für dessen Schuld gegenüber der Klägerin einzustehen (§§ 1967, 2058, 1925, 1931 BGB), weil er die Erbschaft verspätet (§ 1944 Abs. 1 BGB) und deshalb nicht wirksam ausgesohlagen habe. Die Revision rügt demgegenüber mit Recht, daß das Berufungsgericht seiner Entscheidung den Haftungsgrund der Erbenhaftung, der nicht in zulässiger Weise in den Berufungsrechtszug gelangt ist, nicht hätte zugrunde legen dürfen.
Die Klägerin hatte im ersten Rechtszug ihrem Anspruch mehrere Begründungen gegeben, nämlich der Beklagte habe die Schuld des Erblassers übernommen, er hafte weiter als gesetzlicher Erbe, weil er die Erbschaft verspätet ausgesohlagen habe, und er habe schließlich mit dem Hof das Vermögen des Erblassers und damit auch dessen Verbindlichkeiten übernommen. Damit hat die Klägerin ihre einheitliche Sachbitte, den Klageanspruch, aus mehreren Klagegründen, verschiedenen rechtlichen Verhältnissen hergeleitet, die auf unterschiedlichen tatsächlichen und rechtlichen Ausgangslagen beruhen. Einheitlich und gemeinsam ist die Entstehung der Schuld als ein Darlehen der Klägerin an den Erblasser, unterschiedlich aber sind die Sach- und Rechtsverhältnisse, aus denen die Klägerin den Beklagten für verpflichtet hält, für die Schuld des Erblassers einzustehen.
Das Landgericht hat den Klageanspruch nach Prüfung aller angeführten Gesichtspunkte verneint. Die Klägerin hat hiergegen vollen Umfanges Berufung eingelegt; sie hat in der Berufungsbegründung zunächst auf ihre „gesamten erstinstanzlichen Darlegungen” Bezug genommen, sich jedoch im einzelnen „ergänzend” nur zu den Klagegründen der Vermögensübernahme und einer Schuldübernahme geäußert. Von einer Haftung des Beklagten als Erbe ist in der Berufungsbegründung – sieht man von der allgemeinen Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag ab – nicht die Rede.
Die Berufung als solche ist – darin sind die Parteien einig – zulässig; ihre Begründung reichte jedoch nicht aus, auch den Klagegrund der Erbenhaftung zur Entscheidung des Berufungsgerichts zu stellen. Die Berufungsbegründung muß die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden, die der Berufungskläger etwa zur Rechtfertigung seiner Berufung anzuführen hat (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Dem wird die Berufungsbegründung hinsichtlich der Klagegründe der Vermögens- und der Schuldübernahme gerecht, nicht aber hinsichtlich des Klagegrundes der Erbenhaftung. Denn die bloße Bezugnahme auf sämtliche im ersten Rechtszuge vorgetragenen Tatsachen und rechtlichen Schlußfolgerungen reicht zur Begründung einer Berufung nicht aus (LM zu ZPO § 519 Nr. 31 und 38). Wer ein Urteil anficht, das für einen und denselben Anspruch die mehreren hierfür vorgetragenen Anspruchsgrundlagen verneint, muß in der Berufungsbegründung bezüglich derjenigen Anspruchsgründe, auf die er auch weiterhin die Klage stützen will, die Gesichtspunkte anführen, aus denen heraus er die angegriffene Entscheidung für falsch hält (LM zu ZPO § 519 Nr. 58 = NJW 1968, 396). Dieser Grundsatz, dem der Senat schon in seinem Urteil vom 15. Oktober 1970 – III ZR 169/67 = BGHZ 54, 332 gefolgt ist, ergibt sich aus dem Zweck des § 519 Abs. 3 ZPO, eine sorgfältige Vorbereitung und damit eine Beschleunigung des Berufungsverfahrens durchzusetzen (vgl. RGZ 147, 313, 315); der Berufungskläger soll seine vom ersten Urteil abweichende Auffassung dem Berufungsgericht so unterbreiten, daß dieses – wie auch der Prozeßgegner – sich möglichst schnell und sicher darüber unterrichten kann, was der Berufungskläger gegen das für unrichtig gehaltene erste Urteil zu sagen hat (RGZ 164, 390, 392).
Demgegenüber greift der Hinweis der Revisionserwiderung der Klägerin auf § 537 ZPO nicht durch. Allerdings fallen nach dieser Bestimmung bei zulässiger Berufung alle den Klageanspruch betreffenden „Streitpunkte” dem Berufungsgericht zur Verhandlung und Entscheidung an. Die Revisionserwiderung irrt jedoch in ihrer Auffassung, die Frage, ob der Beklagte als Erbe hafte, sei lediglich einer der Streitpunkte in diesem Sinne gewesen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um einen von mehreren Klagegründen, um einen selbständigen Anspruch, der in seiner tatsächlichen und rechtlichen Begründung von den übrigen Klagegründen der Vermögensübernahme und der Schuldübernahme abweicht. Wenn die Klägerin das erste Urteil auch insoweit angreifen wollte, als es die Haftung des Beklagten als Erbe verneint hat, dann hätte sie in der Berufungsbegründung die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung auch und gerade hinsichtlich dieses Haftungsgrundes bestimmt bezeichnen müssen. Das aber ist nicht geschehen. Demzufolge ist dieser Klagegrund nicht in zulässiger Weise in die Berufungsinstanz gelangt, und die Ansicht der Revisionserwiderung, die Klägerin habe ihren Vortrag noch nach Ablauf der Begründungsfrist ergänzen dürfen – wie es in der mündlichen Verhandlung geschehen ist –, ist unrichtig. Der Auffassung des Berufungsgerichts, die Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen reiche hier ausnahmsweise noch aus, weil es sich hinsichtlich der Erbenhaftung im wesentlichen um eine Rechtsfrage handele, vermag der Senat nicht zu folgen; sie widerspricht der angeführten Rechtsprechung und läßt unberücksichtigt, daß es nicht lediglich um einen Rechtsgrund geht, sondern um einen aus einem besonderen Rechtsverhältnis hergeleiteten Haftungsgrund, der eine eigene tatsächliche und rechtliche Grundlage hat und damit anders liegt als die in der Berufungsbegründung behandelten Anspruchsgrundlagen. Die Klägerin hätte auch hinsichtlich dieses Klagegrundes innerhalb der Begründungsfrist darlegen müssen, weshalb und in welcher Richtung sie das erste Urteil angreifen will.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung rechtsirrig auf den nicht angefallenen Klagegrund der Erbenhaftung abgestellt hat. Die Sache ist zur Verhandlung und Entscheidung über die bisher nicht behandelten Klagegründe, hinsichtlich deren die Berufung zulässig ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrechtszuges wird dem Berufungsgericht übertragen, weil erst dessen künftige Entscheidung ergeben wird, ob dem Rechtsmittel ein sachlicher Erfolg zukommt.
Unterschriften
Meyer, Bundesrichter Dr. Beyer ist erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben. Meyer, Dr. Hußla, Gähtgens, Keßler
Fundstellen
Haufe-Index 1502433 |
NJW 1971, 1565 |
NJW 1971, 807 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1971, 465 |