Leitsatz (amtlich)
›Bei einer Darlehensvermittlung im Reisegewerbe setzt die Anwendung des § 817 S. 2 BGB einen bewußten oder leichtfertigen Verstoß gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO voraus, nicht aber das Bewußtsein der Vertragsnichtigkeit oder ein leichtfertiges Sichverschließen vor der Erkenntnis dieser Rechtsfolge des Gesetzesverstoßes.‹
Tatbestand
Die Klägerin macht Ansprüche geltend, die ihr von ihrem Ehemann abgetreten sind. Dessen landwirtschaftliches Anwesen war bereits 1982 erheblich mit Grundpfandrechten belastet. Als er damals weitere 150000 DM benötigte, wandte sich der Ehemann deswegen an den Kreditvermittler I., der ihm - nach mehrfachen Hausbesuchen - für eine Umschuldung der Gesamtverbindlichkeiten ein Hypothekendarlehen von 650000 DM bei der Beklagten und einen weiteren Kredit von 750000 DM bei einer anderen Bank vermittelte. In der Folgezeit konnte der Ehemann seine Zahlungspflichten aus den Kreditverträgen nicht erfüllen. Um die - von der Beklagten ab Herbst 1986 betriebene - Zwangsversteigerung seines Grundbesitzes zu vermeiden und einen lastenfreien Verkauf zu ermöglichen, zahlte der Ehemann an die Beklagte den von ihr für die Ablösung ihres Grundpfandrechts geforderten Betrag.
Die Klägerin verlangt mit der Begründung, der Kreditvertrag sei nichtig, die Kreditkosten zurück, die ihr Ehemann an die Beklagte geleistet hat. Die zunächst auf Zahlung vom 359202 DM nebst 10% Zinsen ab 26. Januar 1987 gerichtete, später in Höhe von 4. 500 DM zurückgenommene Klage ist vom Landgericht abgewiesen worden. Ihre Berufung hat die Klägerin auf einen Forderungsbetrag von 150000 DM nebst Zinsen beschränkt. Vom Berufungsgericht sind ihr durch Teilanerkenntnisurteil vom 1. Februar 1989 22336, 80 DM, durch Schlußurteil vom 26. März 1990 weitere 3538, 94 DM und 4% Zinsen ab 20. August 1987 zugesprochen worden. Gegen die Abweisung im übrigen hat die Klägerin Revision eingelegt. Der erkennende Senat hat durch Urteil vom 26. November 1991 die Beklagte - ihrem Anerkenntnis gemäß - zur Zahlung weiterer 26. 000 DM nebst 4% Zinsen verurteilt, die Sache im übrigen aber an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das nunmehr der Klägerin noch zusätzliche 36736, 85 DM nebst Zinsen zugesprochen, die Klageabweisung wegen des streitigen Restbetrags von 61387,41 DM aber wiederum bestätigt hat. Dagegen richtet sich die erneute Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Verurteilung der Beklagten in voller Höhe der in den Rechtsmittelverfahren auf 150000 DM beschränkten Klageforderung nebst 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit.
I. Das Berufungsgericht hat aufgrund der Zeugenvernehmung des Ehemanns der Klägerin einen Verstoß des Vermittlers gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO bejaht, deswegen den mit der Beklagten geschlossenen Kreditvertrag gemäß § 134 BGB für nichtig erachtet und die beiderseitigen Leistungen nach Bereicherungsrecht saldiert. Dabei ist es davon ausgegangen, der Ehemann der Klägerin sei nicht nur zur Rückzahlung des Kapitals, sondern auch zum Ersatz des Wertes der Kapitalnutzung verpflichtet gewesen. § 817 Satz 2 BGB sei nicht anwendbar, weil nicht festgestellt werden könne, daß die Beklagte oder der Vermittler sich des Gesetzesverstoßes bewußt gewesen seien oder sich der Einsicht in diesen Verstoß leichtfertig verschlossen hätten; von beiden könnten keine besseren Rechtskenntnisse verlangt werden als von den Richtern des Berufungsgerichts, die in ihrer ersten, später vom Revisionsgericht aufgehobenen Entscheidung eine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO verneint hätten.
II. Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
1. Mit Recht erachtet das Berufungsgericht den zwischen der Beklagten und dem Ehemann der Klägerin geschlossenen Darlehensvertrag für nichtig. Es folgt insoweit den Rechtsausführungen des erkennenden Senats im ersten Revisionsurteil vom 26. November 1991 (XI ZR 115/90 = WM 1992, 8); danach liegt, wenn ein Vermittler einen Interessenten mit dessen Einverständnis wegen eines zusätzlichen Kreditbedarfs von 150000 DM zuhause aufsucht, ihn dort dann aber zu einem Umschuldungskredit von 650000 DM überredet, darin ein Verstoß gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO, der gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit des Kreditvertrags führt. Die hierzu vom Berufungsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen werden in der Revisionsinstanz nicht angegriffen.
2. Die Parteien streiten nur noch darüber, ob das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung über die Bereicherungsansprüche, die sich aus der Nichtigkeit des Darlehensvertrags ergeben, eine Anwendung des § 817 Satz 2 BGB zu Recht abgelehnt hat. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer das Kapital für die (rechtsunwirksam) vereinbarte Zeit überlassen muß, ohne von ihm gemäß § 818 BGB eine Verzinsung als Wertersatz für die Kapitalnutzung verlangen zu können (BGH, Urteile vom 2. Dezember 1982 - III ZR 90/81 = WM 1983, 115, 118 und vom 15. Juni 1989 - III ZR 9/88 = WM 1989, 1083, 1085). Die Anwendung des § 817 Satz 2 BGB setzt subjektiv allerdings voraus, daß der Vermittler, dessen Verschulden sich die Bank zurechnen lassen muß, entweder bewußt gegen das gesetzliche Verbot verstoßen oder sich zumindest leichtfertig der Einsicht in den Gesetzesverstoß verschlossen hat; dieser rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden, sondern entspricht der bereits zitierten Rechtsprechung.
Nicht zu folgen ist dem angefochtenen Urteil jedoch, wenn es die subjektiven Voraussetzungen des § 817 Satz 2 BGB im vorliegenden Fall verneint. Ein bewußter Verstoß gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO scheidet allerdings aus, weil die dazu erforderliche Tatsachenfeststellung fehlt. Mit Recht wendet sich die Revision aber dagegen, daß das Berufungsgericht auch ein - dem vorsätzlichen Tun gleichzustellendes - leichtfertiges Handeln des Vermittlers verneint hat. Insoweit geht es nicht um eine tatsächliche Feststellung, sondern um eine Frage der Wertung (BGH, Urteil vom 15. Juni 1989 aaO), die der uneingeschränkten Überprüfung und der eigenen Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt.
Das Berufungsgericht will das Vorgehen des Vermittlers mit dem Hinweis entschuldigen, im ersten Berufungsurteil vom 26. März 1990 seien auch die damals erkennenden Richter davon ausgegangen, daß das im Reisegewerbe vermittelte Darlehensgeschäft nicht wegen Verstoßes gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO nichtig sei. Diese Begründung unterscheidet nicht hinreichend zwischen dem Verstoß gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO und der Rechtsfolge des Verstoßes, die sich aus § 134 BGB ergibt. Die Anwendung des § 817 Satz 2 BGB setzt nur einen bewußten oder zumindest leichtfertigen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot des § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO voraus, nicht aber das Bewußtsein der Vertragsnichtigkeit oder ein leichtfertiges Sichverschließen vor der Erkenntnis dieser Rechtsfolge des Verstoßes. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob der Verschuldensvorwurf gegen den Vermittler entfallen müßte, wenn das erste Berufungsurteil einen Verstoß gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO verneint hätte. So war es hier nicht: Das Urteil vom 26. März 1990 ging im Gegenteil ausdrücklich davon aus, daß das Darlehensgeschäft im Reisegewerbe vermittelt wurde, ein Verstoß gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO also vorlag. Die folgenden Erörterungen des Urteils galten lediglich der Frage, ob dieser Verstoß gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit des Darlehensvertrags führte. Im Anschluß an das Urteil BGHZ 93, 264, in dem ebenfalls nicht über die Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO, sondern ausschließlich über die Rechtsfolge eines - dort unterstellten - Verstoßes gegen die Norm entschieden wurde (aaO S. 266/267), hat auch das Berufungsurteil vom 26. März 1990 lediglich die Nichtigkeit des im Reisegewerbe vermittelten Darlehensvertrags verneint und nur zur Begründung für die Nichtanwendung des § 134 BGB den Schutzzweck der Norm und die Schutzbedürftigkeit des Darlehensnehmers erörtert. Mit den Umständen des Vertragsabschlusses, die hier einen Verstoß gegen das Verbot des § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO begründeten, hat sich das erste Berufungsurteil nicht näher befaßt.
Allein auf diese Umstände aber kommt es hier bei der Wertung, ob der Vorwurf eines zumindest leichtfertigen Gesetzesverstoßes berechtigt ist, an. Der gewerbsmäßige Vermittler mußte wissen, daß ihm durch § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO eine Darlehensvermittlung im Reisegewerbe gemäß § 55 GewO verboten war. Ihm mußte sich auch die Erkenntnis aufdrängen, daß er deswegen einen Interessenten, der mit ihm wegen eines zusätzlichen Kreditbedarfs von höchstens 150. 000 DM verhandelt hatte, nicht erneut zuhause aufsuchen durfte, um ihn zur Aufnahme eines - mit erheblichen Vermittlungskosten verbundenen - Umschuldungsdarlehens von 650000 DM zu überreden.
3. Der Höhe nach ist die noch streitige Klageforderung aus § 812 BGB in vollem Umfang begründet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Ehemann der Klägerin aufgrund des nichtigen Darlehens von der Beklagten 620.000 DM erhalten, selbst aber insgesamt 978901,48 DM an sie gezahlt. Da die Beklagte mit Rücksicht auf § 817 Satz 2 BGB neben der Kapitalrückzahlung keinerlei Wertersatz für die Kapitalnutzung vom Darlehensnehmer verlangen konnte, ist sie jedenfalls in Höhe von 150000 DM auf seine Kosten ohne Rechtsgrund bereichert; in weiterem Umfang hat die Klägerin die Klageabweisung durch das Landgericht nicht angefochten.
Fundstellen
Haufe-Index 2993208 |
DB 1993, 1818 |
NJW 1993, 2108 |
BGHR BGB § 817 Satz 2 Reisegewerbe 1 |
DRsp I(144)132c |
WM 1993, 1323 |
ZIP 1993, 1068 |
JuS 1993, 965 |
MDR 1993, 752 |
ZBB 1993, 188 |