Entscheidungsstichwort (Thema)

Restwertberechnung bei Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs. Anrechnung des Übererlöses

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der Geschädigte, der sein beschädigtes Fahrzeug nicht reparieren lassen, sondern es veräußern und ein Ersatzfahrzeug anschaffen will, darf seiner Schadensabrechnung im Allgemeinen denjenigen Restwert zugrunde legen, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.

b) Anderes gilt aber dann, wenn der Geschädigte für das Unfallfahrzeug ohne besondere Anstrengungen einen Erlös erzielt hat, der den vom Sachverständigen geschätzten Betrag übersteigt.

 

Normenkette

BGB § 249 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Gera (Urteil vom 08.04.2009; Aktenzeichen 1 S 164/08)

AG Rudolstadt (Entscheidung vom 03.04.2008; Aktenzeichen 3 C 780/06)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Gera vom 8.4.2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Kläger die Kosten beider Rechtsmittelverfahren zu tragen hat.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer (nachfolgend: Beklagte) auf Zahlung weiterer Mietwagenkosten und eines weiteren Schmerzensgeldes aus einem Verkehrsunfall vom 11.6.2003 in Anspruch, bei dem der Kläger verletzt und sein Pkw beschädigt wurde. Die volle Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten nur noch um die Frage, ob die vom AG für begründet erachtete Klageforderung i.H.v. 4.653,16 EUR durch die von der Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung i.H.v. 5.500 EUR erloschen ist. Die Beklagte hatte bei der Schadensregulierung Mitte August 2003 vom unstreitigen Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs i.H.v. 25.800 EUR brutto lediglich den vom Sachverständigen des Klägers ermittelten Restwert i.H.v. 5.200 EUR in Abzug gebracht. Der Kläger hatte das Unfallfahrzeug aber, nachdem er im Juli 2003 seinen Fahrzeugversicherer eingeschaltet und dieser ihm mit Hilfe der Internetrestwertbörse "Car TV" eine günstigere Verwertungsmöglichkeit aufgezeigt hatte, an die Firma Kfz-Handel F. zu einem Kaufpreis von 10.700 EUR brutto veräußert. Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger müsse sich auf den Wiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeugs nicht lediglich den von seinem Gutachter geschätzten Restwert seines Fahrzeugs i.H.v. 5.200 EUR, sondern den tatsächlich von ihm erzielten Veräußerungserlös i.H.v. 10.700 EUR anrechnen lassen, weshalb sie 5.500 EUR zu viel an den Kläger gezahlt habe.

Rz. 2

Das AG hat die Klage, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, im Hinblick auf die von der Beklagten erklärte Hilfsaufrechnung abgewiesen. Das LG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageforderung i.H.v. 4.653,16 EUR weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 3

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die vom AG für begründet erachtete Klageforderung durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen sei. Der Kläger müsse sich auf seinen Schadensersatzanspruch den von ihm tatsächlich erzielten Veräußerungserlös i.H.v. 10.700 EUR anrechnen lassen. Zwar könne der Geschädigte seiner Schadensberechnung grundsätzlich den durch den Gutachter ermittelten Restwertbetrag zugrunde legen. Anderes gelte aber dann, wenn der Geschädigte für das Unfallfahrzeug ohne überobligationsmäßige Anstrengungen einen Erlös erzielt habe, der den vom Sachverständigen geschätzten Betrag übersteige. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger durch lediglich obligationsmäßige Anstrengungen an das Restwertangebot i.H.v. 10.700 EUR gelangt sei. Ihm sei das Restwertangebot der Firma Kfz-Handel F. "in den Schoß gefallen". Er habe den Schaden lediglich seinem Fahrzeugversicherer gemeldet und ihm das Gutachten zur Schadensregulierung übersandt. Auch der Fahrzeugversicherer habe nur geringen Aufwand betrieben, um die dem Kläger unterbreitete günstige Verwertungsmöglichkeit zu ermitteln. Abgesehen davon habe der Versicherer den Ermittlungsaufwand nicht für und im Interesse des Klägers, sondern ausschließlich im eigenen Interesse getätigt, um mit Hilfe eines möglichst hohen Restwertangebots seine eigene Leistungsverpflichtung gering zu halten. Auch habe der Kläger seinen Fahrzeugversicherer nicht in Anspruch genommen, um in den Genuss eines besonders günstigen Restwertangebots zu kommen, sondern um auf Gutachtenbasis den Schaden reguliert zu erhalten.

II.

Rz. 4

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Klageforderung durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB erloschen ist. Die Beklagte hat an den Kläger im Rahmen ihrer Schadensregulierung 5.500 EUR zuviel geleistet. In dieser Höhe steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Das Berufungsgericht hat der Schadensberechnung zu Recht einen Restwert des Unfallfahrzeugs von 10.700 EUR und nicht von lediglich 5.200 EUR zugrunde gelegt.

Rz. 5

1. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. BGH BGHZ 92, 85, 86 f.; 102, 322, 330; 161, 151, 154; 181, 242, 245; Urt. v. 9.12.2008 - VI ZR 173/07, VersR 2009, 408, 409; v. 13.10.2009 - VI ZR 318/08, VersR 2010, 130, 131).

Rz. 6

2. Derartige Rechtsfehler sind vorliegend nicht ersichtlich.

Rz. 7

a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt angenommen, dass der zu ersetzende Schaden dann, wenn der Geschädigte sein beschädigtes Fahrzeug nicht reparieren lassen, sondern es veräußern und ein Ersatzfahrzeug anschaffen will, in der Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert besteht (vgl. BGH BGHZ 115, 364, 372; 143, 189, 193; 163, 362, 365; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, VersR 1992, 457; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92, VersR 1993, 769; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, VersR 2005, 381; v. 7.6.2005 - VI ZR 192/04, VersR 2005, 1257, 1258; v. 1.6.2010 - VI ZR 316/09 -, z.V.b.). Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.

Rz. 8

b) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht den Restwert des Unfallfahrzeugs an dem Preis bemessen, den der Kläger bei der Veräußerung seines Fahrzeugs erzielt hat.

Rz. 9

aa) Zwar darf der Geschädigte seiner Schadensabrechnung im Allgemeinen denjenigen Restwert zugrunde legen, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH BGHZ 143, 189, 193; 163, 362, 366; 171, 287, 290 f.; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91 -, a.a.O., S. 458; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92 -, a.a.O., S. 769 f.; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04 -, a.a.O., S. 382; v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, VersR 2005, 1448, 1449; v. 10.7.2007 - VI ZR 217/06, VersR 2007, 1243 f.; v. 13.10.2009 - VI ZR 318/08 -, a.a.O.; v. 1.6.2010 - VI ZR 316/09 -, z.V.b.).

Rz. 10

bb) Anderes gilt aber dann, wenn der Geschädigte, was zur Beweislast des Schädigers steht, für das Unfallfahrzeug ohne besondere Anstrengungen einen Erlös erzielt hat, der den vom Sachverständigen geschätzten Betrag übersteigt. In diesem Fall hat er durch die Verwertung seines Fahrzeugs in Höhe des tatsächlich erzielten Erlöses den ihm entstandenen Schaden ausgeglichen. Da nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen der Geschädigte zwar vollen Ersatz verlangen kann, an dem Schadensfall aber nicht "verdienen" soll, kann ihn der Schädiger an dem tatsächlich erzielten Erlös festhalten (vgl. BGH, Urt. v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91 -, a.a.O.; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04 -, a.a.O.).

Rz. 11

cc) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Veräußerung des Unfallfahrzeugs zu einem Preis von 10.700 EUR sei für den Kläger nicht mit besonderen Anstrengungen verbunden gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision wendet sich nicht gegen die tatrichterliche Würdigung, wonach das Veräußerungsgeschäft unter den festgestellten Umständen weder für den Kläger noch für seine Kaskoversicherung, die ihm das Kaufangebot der Fa.F. übermittelt hat, einen nennenswerten Aufwand verursacht hat. Diese Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

Rz. 12

Entgegen der Auffassung der Revision hat der Kläger besondere - einer vollständigen Anrechnung des erzielten Verkaufserlöses auf den Wiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeugs entgegenstehende - Anstrengungen auch nicht dadurch entfaltet, dass er eine Fahrzeugversicherung unterhalten und dafür Beiträge geleistet hat. Denn diese Aufwendungen sind weder durch die Veräußerung des Unfallfahrzeugs verursacht worden noch überhaupt im Zusammenhang mit ihr entstanden. Die Entscheidung des Klägers, eine Fahrzeugversicherung abzuschließen und die Versicherungsbeiträge zu zahlen, war in jeder Hinsicht unabhängig von der späteren Verwertung des Unfallfahrzeugs. Die Revision zeigt keinen übergangenen Sachvortrag auf, der die Annahme begründen könnte, der Kläger habe die Versicherung zu dem Zweck abgeschlossen, dass ihm im Schadensfall eine günstige Verwertungsmöglichkeit aufgezeigt werde. Dies wäre auch lebensfremd. Gegenstand der Fahrzeugversicherung ist das Interesse des Eigentümers an der Erhaltung des versicherten Fahrzeugs (vgl. BGHZ 30, 40, 42; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 12 AKB Rz. 2). Ihr Sinn besteht darin, Ersatz des unmittelbar am Fahrzeug entstandenen Schadens auch dann erlangen zu können, wenn ein Dritter nicht haftbar gemacht werden kann. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt der Versicherer, wenn er dem Versicherungsnehmer eine günstige Verwertungsmöglichkeit aufzeigt, auch ausschließlich im eigenen Interesse, seine Leistungsverpflichtung gering zu halten.

Rz. 13

Bei dieser Sachlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den vom Kläger erzielten Verkaufserlös i.H.v. 10.700 EUR in vollem Umfang auf den Wiederbeschaffungswert angerechnet hat.

Rz. 14

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Revisionserwiderung wendet sich zu Recht gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts, die in der Revisionstanz von Amts wegen geändert werden kann, ohne dass das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelführers gilt (vgl. BGHZ 92, 137, 139; Urt. v. 6.4.2000 - III ZR 150/98 - zitiert nach Juris; v. 20.1.2010 - VIII ZR 141/09, MDR 2010, 498, 499). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte in der Berufungsinstanz nicht teilweise unterlegen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückgewiesen. Die Beklagte, die sich gegen die Aberkennung ihrer zum Gegenstand der Hilfsaufrechnung gemachten Forderung durch das AG im Hinblick auf die Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO mit der Berufung hätte wenden können (vgl. BGHZ 26, 295, 296; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., Vor § 511 Rz. 26a), hat die Entscheidung des AG nicht angegriffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2361146

NJW 2010, 2724

EBE/BGH 2010, 226

JurBüro 2010, 611

ZAP 2010, 832

DAR 2010, 510

MDR 2010, 983

NJ 2010, 472

NZV 2010, 443

VRS 2010, 257

VersR 2010, 1197

VuR 2010, 440

KfZ-SV 2010, 29

NJW-Spezial 2010, 459

RdW 2010, 569

SVR 2010, 337

SVR 2010, 465

VRR 2010, 464

ZGS 2010, 388

r+s 2010, 348

DS 2010, 323

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