Leitsatz (amtlich)
a) Soll der Notar ein Geschäft beurkunden, das erkennbar rechtlich undurchführbar ist, hat er die Beteiligten darüber zu belehren.
b) Ansprüche gegen den Vertragspartner des durch eine notarielle Amtspflichtverletzung Geschädigten, der im Falle seiner Inanspruchnahme seinerseits einen Ersatzanspruch gegen den Notar hat, weil er selbst in den Schutzbereich der verletzten Amtspflichten einbezogen ist, scheiden als anderweitige Ersatzmöglichkeit regelmäßig aus.
Normenkette
BeurkG § 17 Abs. 1 S. 1; BNotO § 19 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 24.05.2000; Aktenzeichen 3 U 132/99) |
LG Hannover (Urteil vom 16.06.1999) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden die Urteile des 3. Zivilsenats des OLG Celle v. 24.5.2000 und der 6. Zivilkammer des LG Hannover v. 16.6.1999 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die aus der Beurkundung der Kaufverträge v. 31.5.1994 - Urkundenrollennummern 392/94 und 393/94 - entstanden sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Über das Vermögen der P. GmbH (fortan: Schuldnerin) wurde am 19.2.1992 ein Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. An dem Betriebsgrundstück der Schuldnerin besaß die frühere Anteilseignerin, die Treuhandanstalt, ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht, das durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert war; nachrangig war das Grundstück außerdem mit einer Grundschuld belastet. Nachdem der Gesamtvollstreckungsverwalter mit - von dem verklagten Notar beurkundetem - Vertrag v. 18.8.1992 das Betriebsgrundstück verkauft hatte, übte die Treuhandanstalt ihr Vorkaufsrecht aus. Daraufhin wurde der Kaufvertrag nicht durchgeführt.
Mit am 31.5.1994 von dem Beklagten beurkundeten Verträgen kaufte L. als Treuhänder des Klägers zum einen von der Treuhandanstalt die "Rückauflassungsvormerkung" zu einem Preis von 805.000 DM und zum andern von dem Gesamtvollstreckungsverwalter das Grundstück zum Preis von 1.095.000 DM. Ziel der vertraglichen Konstruktion war es, dem Erwerber die durch die Rückauflassungsvormerkung gesicherte Position mit dem Rang vor der Grundschuld zu verschaffen. Dieses Vorhaben scheiterte an der - von allen Beteiligten übersehenen - Vorschrift des § 512 BGB a.F. Danach ist die Ausübung eines schuldrechtlichen Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn der Verkauf im Wege der Zwangsvollstreckung oder aus einer Insolvenzmasse erfolgt.
L. erstritt ein rechtskräftiges Urteil gegen die Treuhandanstalt auf Rückzahlung des Kaufpreises für die "Rückauflassungsvormerkung". Dieser wurde ihm daraufhin erstattet. Der Kaufpreis für das Grundstück wurde bislang nicht bezahlt.
Aus dem vorstehenden Sachverhalt sich ergebende, gegenwärtige und zukünftig entstehende Schadensersatzansprüche trat L. an den Kläger ab.
Dieser hat Klage auf Feststellung der Verpflichtung des Beklagten erhoben, dem Kläger sämtliche aus der Beurkundung der Kaufverträge v. 31.5.1994 entstandene Schäden zu ersetzen. LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur antragsgemäßen Feststellung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe die ihm aus § 17 Abs. 1 BeurkG dem Kläger gegenüber obliegenden notariellen Amtspflichten verletzt. Er habe bei der Beurkundung der Abtretung des Rückauflassungsanspruchs nicht auf die (damals noch geltende) Vorschrift des § 512 BGB und die sich daraus ergebende Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts hingewiesen. Der Kläger habe schlüssig vorgetragen, dass ihm auf Grund dieser Pflichtverletzung ein Schaden entstanden sei. Möglichen Ersatzansprüchen stehe jedoch das Verweisungsprivileg des § 19 Abs. 1 S. 2 BNotO entgegen. Der Kläger habe es schuldhaft versäumt, gegenüber der Treuhandanstalt einen Anspruch auf "großen" Schadensersatz durchzusetzen. Ggf. wäre der Kläger so zu stellen gewesen, wie er gestanden hätte, wenn ihm die Treuhandanstalt die nach dem notariellen Vertrag geschuldete Grundbuchposition verschafft hätte. Die Berufung auf das Verweisungsprivileg sei dem Beklagten nicht deshalb verwehrt, weil die Treuhandanstalt ihrerseits möglicherweise Ersatzansprüche gegenüber dem Beklagten hätte geltend machen können. Grundsätzlich scheide das Verweisungsprivileg nur dann aus, wenn dem anderweitig Haftenden seinerseits dieses Privileg zustehe.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klage ist gerechtfertigt.
1. Die Ansicht der Vorderrichter, der Beklagte habe seine notariellen Amtspflichten verletzt (§ 19 Abs. 1 S. 1 BNotO), indem er - unter Außerachtlassung des § 512 BGB a.F. - die "Übertragung einer Rückauflassungsvormerkung" beurkundet habe, wird von der Revisionserwiderung hingenommen. Sie ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts war dieses Rechtsgeschäft zwar nicht unwirksam. Es war nur rechtlich undurchführbar, weil es den Vertragsgegenstand - dies war der Rückauflassungsanspruch; mit dessen Übertragung wäre die Vormerkung nach § 401 BGB mitübergegangen - nicht gab. Das Vorkaufsrecht, dessen Ausübung den Rückauflassungsanspruch hätte auslösen können, war durch § 512 BGB a.F. ausgeschlossen. Ein Notar, dem angesonnen wird, ein rechtlich undurchführbares Geschäft zu beurkunden, muss die Beteiligten zumindest über die erkennbaren rechtlichen Schwierigkeiten und die daraus folgenden Haftungsrisiken (vgl. §§ 437, 440, 323 Abs. 3 BGB a.F.) belehren. Denn die rechtliche Undurchführbarkeit eines Geschäfts berührt dessen "rechtliche Tragweite" (§ 17 Abs. 1 BeurkG).
2. Auch gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe schlüssig dargelegt, dass ihm ein Schaden entstanden sei oder dass ein solcher zumindest drohe, wendet sich die Revisionserwiderung nicht. Aus dem Vorbringen des Beklagten ergibt sich nicht, dass ein Schaden in vollem Umfang ausgeschlossen ist. Dies reicht aus, um die begehrte Feststellung auszusprechen.
3. Der Schaden ist durch die Pflichtverletzung entstanden. Nach der nicht bestrittenen Behauptung des Klägers hätte er die beiden Verträge v. 31.5.1994 nicht abgeschlossen, wenn der Beklagte auf die Problematik hingewiesen hätte.
4. Die Ansicht des LG wie auch des Berufungsgerichts, möglichen Ersatzansprüchen könne der Beklagte das Verweisungsprivileg (§ 19 Abs. 1 S. 2 BNotO) entgegenhalten, wird von der Revision mit Erfolg angegriffen.
a) Falls der Kläger - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist - seine Rechte gegenüber der Treuhandanstalt nicht bestmöglich gewahrt hat, ist dies unerheblich. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Schadensersatzanspruch gegen einen Dritten nicht als anderweitige Ersatzmöglichkeit anzusehen, wenn der Dritte ebenfalls in den Schutzbereich der verletzten Notarpflichten einbezogen war. Ggf. würde der Notar, falls er den Geschädigten auf den Ersatzanspruch gegen den Dritten verweisen dürfte, sofort von diesem in Anspruch genommen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.12.1998 - IX ZR 244/97, BGHR BNotO § 19 Abs. 1 S. 2 - Subsidiarität 4; Urt. v. 6.7.2000 - IX ZR 88/98, MDR 2000, 1280 = WM 2000, 1808 [1811]; v. 24.10.2002 - III ZR 107/02, BGHReport 2003, 89 = NJW 2003, 202 [204]). In den Schutzbereich der Notarpflichten können nicht nur die Organe einer durch den Notar geschädigten juristischen Person (BGH, Beschl. v. 10.12.1998 - IX ZR 244/97, BGHR BNotO § 19 Abs. 1 S. 2 - Subsidiarität 4), sondern auch die rechtsgeschäftlichen Vertreter des Geschädigten (BGH, Urt. v. 6.7.2000 - IX ZR 88/98, MDR 2000, 1280 = WM 2000, 1808 [1811]) und die andere Vertragspartei einbezogen sein (BGH, v. 24.10.2002 - III ZR 107/02, BGHReport 2003, 89 = NJW 2003, 202 [204]).
b) Im vorliegenden Fall war die Treuhandanstalt in den Schutzbereich der verletzten Amtspflicht einbezogen. Wenn der Beklagte den Käufer des vormerkungsgesicherten Rückauflassungsanspruchs - nämlich den Treuhänder des Klägers - darüber aufklären musste, dass dieser Anspruch wegen § 512 BGB a.F. nicht besteht, so traf ihn eine entsprechende Pflicht auch gegenüber dem Verkäufer, also der Treuhandanstalt.
c) Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Regressanspruch des Vertragspartners gegen den Notar "anderen rechtlichen Voraussetzungen unterliegen", insbes. wegen eigener Mitverantwortlichkeit nach § 254 BGB eingeschränkt oder verjährt sein könne. Beide Gesichtspunkte sind nicht tragfähig.
aa) Zu der Frage, ob der Anspruch gegen den Vertragspartner eine anderweitige Ersatzmöglichkeit darstellt, wenn und soweit sein Regressanspruch gegen den Notar wegen Mitverschuldens nach § 254 BGB gemindert ist, liegt bislang keine höchstrichterliche Entscheidung vor. Es spricht manches dafür, das Verweisungsprivileg des § 19 Abs. 1 S. 2 BNotO insoweit zu versagen, als der Regressanspruch des Vertragspartners selbst unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens besteht. Denn insofern muss der Notar in jedem Falle mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, weil ein Mitverschulden vorliegend nicht in Betracht kommt. Der Notar, der bei der Durchführung eines Amtsgeschäfts das Recht fehlerhaft anwendet, kann einem Beteiligten ein Mitverschulden in aller Regel selbst dann nicht vorwerfen, wenn dieser - etwa weil er selbst rechtskundig ist - den Fehler hätte bemerken können (vgl. BGH v. 21.11.1996 - IX ZR 182/95, BGHZ 134, 100 [114 f.] = MDR 1997, 506; Urt. v. 26.6.1997 - IX ZR 163/96, WM 1997, 1901 [1903]; v. 29.3.2001 - IX ZR 445/98, MDR 2001, 948 = BGHReport 2001, 692 = WM 2001, 1204 [1207]).
Ein Mitverschulden hätte der Beklagte der Treuhandanstalt nur entgegenhalten können, wenn Rechtsanwalt T., der die Verkäuferin bei Abschluss des Kaufvertrages vertreten hat, als selbstständig tätiger Rechtsanwalt von der Treuhandanstalt mandatiert gewesen wäre. Ggf. hätte T. seine anwaltlichen Pflichten gegenüber der Treuhandanstalt verletzt. Sollte die Behauptung des Beklagten zutreffen, die Idee von der Beseitigung der Grundschuld durch Ausübung des Vorkaufsrechts sei von T. entwickelt worden, fiele diese Pflichtverletzung als dem Mandanten zuzurechnendes Mitverschulden ins Gewicht, und die Treuhandanstalt hätte ihrerseits einen Regressanspruch gegen Rechtsanwalt T. In diesem Falle wäre sogar eine doppelte Verweisung möglich: Der Beklagte könnte den Kläger auf die Inanspruchnahme der Treuhandanstalt und die Treuhandanstalt auf die Inanspruchnahme T. verweisen.
So liegt der Fall indessen nicht. T. war nicht selbstständig, sondern als angestellter Mitarbeiter der Treuhandanstalt tätig. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Treuhandanstalt v. 16.12.1993, das der Beklagte selbst mit seiner Klageerwiderung vorgelegt hat.
bb) Der in den Schutzbereich der Notarpflichten einbezogene Vertragspartner ist i.d.R. nicht infolge Verjährung gehindert, seinerseits bei dem Notar Regress zu nehmen. Die Verjährung des dem Vertragspartner zustehenden Regressanspruchs kann frühestens zu laufen beginnen, wenn ihm ein Schaden entstanden ist. Dabei kann es sich, soweit es um die Frage nach einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit geht, nur um den Schaden handeln, der dem Vertragspartner aus der Inanspruchnahme durch den zuerst Geschädigten erwächst. So lange diese Inanspruchnahme aussteht, läuft mithin im Verhältnis des Vertragspartners zu dem Notar keine Verjährungsfrist.
d) Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit hat - und hatte - der Kläger auch nicht in sonstiger Hinsicht (§ 563 ZPO a.F.).
aa) Der Kläger hat gegen Rechtsanwalt T. persönlich, der als Vertreter der Treuhandanstalt den Vertrag über die "Übertragung einer Rückauflassungsvormerkung" abgeschlossen hat, keine Schadensersatzansprüche; als Mitarbeiter der Treuhandanstalt genießt jener obendrein den Schutz durch die notariellen Amtspflichten, die dem Beklagten gegenüber der Treuhandanstalt oblagen.
bb) Ansprüche gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter scheiden als anderweitige Ersatzmöglichkeit ebenfalls aus, weil auch dieser Verkäufer in den Schutzbereich der notariellen Amtspflichten einbezogen ist (vgl. oben b).
cc) Nach dem Vortrag des Beklagten hat der Kläger die Möglichkeit versäumt, gegen Zahlung des Grundstückskaufpreises von 1.095.000 DM das lastenfreie Eigentum an dem Grundstück zu erhalten. Der Gesamtvollstreckungsverwalter habe - so der Beklagte - den Kaufpreisanspruch an die Grundschuldgläubigerin, die B. (B.), abgetreten, und diese habe die Überlassung einer Löschungsbewilligung hinsichtlich der Grundschuld angeboten, wenn ihr die Kaufpreissumme gezahlt werde. Die Annahme dieses Angebots hätte den Schaden jedoch nicht vermieden. Nach dem eigenen Vortrag des Beklagten war nämlich die B. hinsichtlich des Kaufpreisanspruchs nicht sachbefugt, weil der Abtretung an diese eine solche an eine andere Bank vorausgegangen war.
III.
Da sich das angefochtene Urteil auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweist (§ 563 ZPO a.F.), ist es aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil sie zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.), und der Klage stattgeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1207607 |
NWB 2004, 4054 |
BGHR 2004, 1549 |
FamRZ 2004, 1557 |
NJW-RR 2004, 1704 |
DNotI-Report 2004, 194 |
MittBayNot 2005, 72 |
MDR 2004, 1264 |
NotBZ 2004, 341 |
RENOpraxis 2004, 169 |
ZNotP 2004, 408 |