Leitsatz (amtlich)
Einer Fristsetzung nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine klageweise Durchsetzung des Werklohnanspruchs trotz fehlender Abnahme bereits bei Inkrafttreten dieses Gesetzes vorlagen.
Nur unter besonderen Umständen kann daraus, daß die Partei in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so zeitig vorzubringen hat, wie es nach der Prozeßlage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entspricht, eine Verpflichtung der Partei abgeleitet werden, Ermittlungen zur Feststellung ihr nicht bekannter tatsächlicher Umstände anzustellen.
Normenkette
BGB § 640 Abs. 1 i.d.F. vom 1.5.2000; ZPO § 282 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. März 2001 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Werklohn für Lieferung und Montage einer Zu- und Abluftanlage für die Küche und die Gasträume eines China-Restaurants in Anspruch. In der Auftragsbestätigung der Klägerin hieß es u.a.:
„Die Luftmengen und Temperaturen werden gemäß den geltenden Vorschriften ausgeführt.
Die Leistung erfolgt zum Pauschalpreis von DM 70.000,– zuzüglich Mehrwertsteuer.
…
Bevor wir mit der Ausführung beginnen können, benötigen wir dringend noch folgende Unterlagen:
…
– Haubenanschluß, Anschlußwerte des Herstellers
…”.
Nach mehrfacher Erinnerung teilte der Beklagte der Klägerin für die Küchenablufthaube einen Sollvolumenstrom von 3.000 m³/h mit.
Nachdem die Klägerin den von ihr in der Küche zunächst eingebauten und vom Beklagten als zu laut beanstandeten Lüfter gegen einen anderen ausgetauscht hatte, verlangte sie vom Beklagten mit Schreiben vom 20. März 1995 die Mitteilung eines Abnahmetermins. Das lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, die Abluftanlagen im Damen-WC und in der Küche seien mangelhaft.
Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Küchenabluftanlage erreiche nicht das von den Parteien vereinbarte Luftstromvolumen von 3.000 m³/h.
Das Berufungsgericht hat zunächst ein Ergänzungsgutachten eingeholt. Am Tag vor der letzten mündlichen Verhandlung hat der Beklagte einen kurz zuvor erstatteten TÜV-Prüfbericht vorgelegt, in dem für die Küche ein Abluftvolumen von 3.150 m³/h und ein Zuluftvolumen von 1.520 m³/h angegeben wird. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Beklagten zur Zahlung verurteilt.
Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er den Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen ist.
I. Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Beklagte habe das Werk der Klägerin weder ausdrücklich noch stillschweigend abgenommen. Diese von der Revision als ihr günstig nicht angegriffene Feststellung läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
II. 1. Das Berufungsgericht hat jedoch angenommen, daß der Unternehmer auch ohne Abnahme sofort auf Zahlung seiner Vergütung klagen kann, wenn der Besteller die Abnahme grundlos und endgültig verweigert oder ein vorhandener Mangel nach seiner Art, seinem Umfang und vor allem seinen Auswirkungen derart unbedeutend ist, daß das Interesse des Bestellers an einer Beseitigung vor Abnahme nicht schützenswert ist und sich seine Verweigerung deshalb als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt. Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 25.1.1996 – VII ZR 26/95, NJW 1996, 1280, 1281). Dabei hat das Berufungsgericht allerdings nicht berücksichtigt, daß § 640 Abs. 1 BGB i.d.F. des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen hierzu nunmehr eine gesetzliche Regelung enthält, indem er bestimmt, daß die Abnahme wegen unwesentlicher Mängel nicht verweigert werden kann (Satz 2) und daß es der Abnahme gleichsteht, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist (Satz 3). Nach Art. 229 § 1 Abs. 2 Satz 3 EGBGB finden diese Vorschriften auch auf vor dem 1. Mai 2000 abgeschlossene Verträge mit der Maßgabe Anwendung, daß der Lauf der in § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB bestimmten Frist erst mit dem 1. Mai 2000 beginnt.
2. Die Nichtberücksichtigung dieser Vorschriften ist im Ergebnis jedoch unschädlich. Dabei kann dahinstehen, ob es nach neuer Rechtslage einer Fristsetzung auch dann bedarf, wenn der Besteller die Abnahme ernsthaft und endgültig verweigert, weil § 640 Abs. 1 BGB keine § 634 Abs. 2 BGB (in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden und gemäß Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB für das Streitverhältnis maßgebenden Fassung; im folgenden: a.F.) entsprechende Vorschrift enthält (so Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl., § 640 Rdn. 8; Roth, JZ 2001, 543, 550; a.A. Motzke, NZBau 2000, 489, 495; Niemöller, BauR 2001, 481, 485; s. ferner Kniffka, ZfBR 2000, 227, 230, der die Fortführung der bisherigen Rechtsprechung für erwägenswert hält). Ebenso kann dahinstehen, ob das vom Berufungsgericht in Bezug genommene Schreiben vom 20. März 1995 eine Fristsetzung nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB enthält, deren Lauf gemäß Art. 229 § 1 Abs. 2 Satz 3 EGBGB mit dem 1. Mai 2000 begann. Da durch die Neuregelung die Rechtsstellung des Unternehmers verbessert und nicht verschlechtert werden sollte, bedarf es einer Fristsetzung jedenfalls dann nicht, wenn die Voraussetzungen für einen Zahlungsanspruch des Bestellers ohne Abnahme bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vorlagen. Die Übergangsregelung schließt das nicht aus, da sie lediglich bestimmt, unter welchen Voraussetzungen seit dem 1. Mai 2000 auch bei vor diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Verträgen eine Abnahmeverpflichtung des Bestellers oder ein der Abnahme gleichgestellter Tatbestand entstehen kann.
3. Einen Mangel der Lüftungsanlage im Damen-WC hat das Berufungsgericht verneint. Das wird von der Revision nicht angegriffen und läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
4. Das Berufungsgericht meint ferner, der Beklagte sei auch nicht wegen unzureichender Leistung der Abluftanlage in der Restaurantküche zur Verweigerung der Abnahme berechtigt. Der Beklagte habe der Klägerin auf deren Anfrage mitgeteilt, daß die Anlage in der Küche mit einem Volumenstrom von 3.000 m³/h arbeiten solle; dies sei Gegenstand des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages geworden. Diese Abluftleistung erbringe die Anlage, wie der gerichtliche Sachverständige in seinem vom Berufungsgericht eingeholten Ergänzungsgutachten festgestellt habe und auch der Beklagte dadurch bestätigt habe, daß er unter Bezugnahme auf das TÜV-Gutachten einen gemessenen Volumenstrom von 3.150 m³/h vorgetragen habe. Soweit der Beklagte der Ansicht sei, der Sollvolumenstrom betrage 5.674 m³/h, sei dies deshalb unerheblich, weil die seiner Ansicht nach zu geringe Dimensionierung allein in seinen Verantwortungsbereich falle.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Durchgreifende Bedenken bestehen bereits gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Parteien hätten einen Sollvolumenstrom von 3.000 m³/h vereinbart. Das Berufungsgericht bezieht sich hierzu auf das erstinstanzliche Urteil, in dem das Landgericht aus der Bekundung des Zeugen A., der Beklagte habe ihm gegenüber in einer Besprechung im November 1994 einen erforderlichen Volumenstrom von 3.000 m³/h genannt, folgert, dies sei Bestandteil des Vertrages der Parteien geworden. Die Revision rügt zu Recht, daß Landgericht und Berufungsgericht hierbei den vorgetragenen Sachverhalt nicht ausgeschöpft haben.
Nach der Auftragsbestätigung der Klägerin sollten „die Luftmengen … gemäß den geltenden Vorschriften ausgeführt” werden; es war dort ferner angegeben, daß die Klägerin, bevor sie mit der Ausführung beginnen könne, dringend die Anschlußwerte des Herstellers (der Ofenhaube) benötige. Das Berufungsgericht hat es unterlassen, den (zunächst) mit diesem Inhalt zustandegekommenen Vertrag auszulegen. Sein Wortlaut deutet darauf hin, daß die Klägerin die Volumenströme so zu dimensionieren hatte, wie dies den anwendbaren gesetzlichen Vorschriften und im übrigen den einschlägigen Normen und sonstigen Regeln der Technik für eine fachgerechte Entlüftung entsprach und die Mitteilung der Anschlußwerte ihr lediglich die für eine entsprechende Auslegung der Anlage notwendigen Informationen über für ihre Leistung vorgegebene Umstände liefern sollte.
Auf der Grundlage einer solchen vertraglichen Regelung stellte aber die Mitteilung des Volumenstromes durch den Beklagten zunächst nur die vereinbarte tatsächliche Information dar. Daß sie nach der Vorstellung der Parteien zugleich eine Änderung oder jedenfalls Konkretisierung des geschuldeten Leistungsinhalts bedeuten sollte, ist zwar nicht ausgeschlossen, bedürfte jedoch zusätzlicher tatsächlicher Anhaltspunkte für eine entsprechende Willensübereinstimmung, die das Berufungsgericht nicht festgestellt hat.
b) Unabhängig hiervon hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß nach ständiger Rechtsprechung ein Fehler im Sinne des § 633 Abs. 1 BGB a.F. schon dann vorliegt, wenn das Werk von der Beschaffenheit abweicht, die es für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch haben muß. Der Auftraggeber hat die Entstehung eines mangelfreien, zweckgerechten Werkes zu gewährleisten. Entspricht die Leistung nicht diesen Anforderungen, so ist sie fehlerhaft, und zwar unabhängig davon, ob die anerkannten Regeln der Technik eingehalten worden sind. Ausschlaggebend ist allein, daß der Leistungsmangel zwangsläufig den angestrebten Erfolg beeinträchtigt (BGHZ 91, 206, 212; BGH, Urt. v. 6.5.1985 – VII ZR 304/83, BauR 1985, 567, 568; Urt. v. 20.4.1989 – VII ZR 80/88, BauR 1989, 462, 464; Urt. v. 19.1.1995 – VII ZR 131/93, NJW-RR 1995, 472 f.; Sen.Urt. v. 17.12.1996 – X ZR 86/94, NJW-RR 1997, 688, 689). Ein Mangel liegt deshalb auch dann vor, wenn eine bestimmte Ausführung der Werkleistung vereinbart ist, sich jedoch als für die beabsichtigte Verwendung untauglich erweist (BGHZ 91, 206, 213; BGH, Urt. v. 20.11.1986 – VII ZR 360/85, BauR 1987, 207, 208).
Nach der vom Berufungsgericht nicht geprüften und daher für das Revisionsverfahren als richtig zu unterstellenden Behauptung des Beklagten muß die Lüftungsanlage für einen Abluftvolumenstrom von 5.674 m³/h ausgelegt werden. Sie ist daher selbst dann fehlerhaft ausgelegt, wenn die Parteien übereinstimmend ein Sollvolumen von 3.000 m³/h zugrundegelegt haben.
c) Anders läge es nur dann, wenn der Beklagte der Klägerin eine bindende Anweisung erteilt hätte, die der Klägerin keine Wahl gelassen und absolute Befolgung erheischt hätte (BGHZ 91, 206, 214). Derartiges hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
5. Die vom Berufungsgericht angenommene grundlose Abnahmeverweigerung kann auch nicht aus anderen Gründen angenommen werden.
a) Allerdings trifft den Beklagten ein Mitverschulden an der unzureichenden Dimensionierung des Abluftvolumenstromes, da er der Klägerin fehlerhafte Angaben gemacht hat. Das schloß jedoch die Verpflichtung der Klägerin zu einer fachgerechten Auslegung der Anlage jedenfalls deshalb nicht aus, weil die Klägerin, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, bereits vor Abschluß ihrer Arbeiten Kenntnis davon erhalten hat, daß der vom Beklagten angegebene Abluftwert nicht zutraf. Sie bot deshalb dem Beklagten, wie sich aus dem im Berufungsurteil in Bezug genommenen erstinstanzlichen Urteil ergibt, eine Erweiterung der Abluftanlage durch den Einbau von zwei neuen Schalldämpfern und einem Lüfter, ausgelegt für einen Volumenstrom von 6.000 m³/h, zu einem Mehrpreis von 7.061,– DM netto an. Nachdem der Beklagte dieses Angebot nicht annahm, baute die Klägerin den von ihr nach ihrem Vorbringen aufgrund eines Versehens ursprünglich eingebauten – vom Beklagten als zu laut gerügten – Lüfter mit einer Leistung von 4.850 m³/h wieder aus und an seiner Stelle einen Lüfter mit einem Sollvolumenstrom von 3.000 m³/h ein. Danach hat aber die Klägerin den Lüfter mit dem unzureichenden Sollvolumenstrom erst zu einem Zeitpunkt eingebaut, als ihr der zu geringe Sollwert bereits bekannt war; das durfte sie nicht tun.
b) Die – auch – dadurch verursachte mangelhafte Werkleistung kann auch nicht deshalb allein dem Beklagten angelastet werden, weil er das Zusatzangebot der Klägerin nicht angenommen hat. Da die Parteien einen Pauschalpreis für die Lieferung und Montage der Zu- und Abluftanlage für Küche und Gastraum vereinbart hatten, stand der Klägerin für den leistungsfähigeren Lüfter als solchen keine Mehrvergütung zu. Eine zusätzliche Vergütung konnte sie nur für solche Mehraufwendungen beanspruchen, die ihr durch die nachträgliche Umstellung auf einen höheren Sollvolumenstrom entstanden. Solche Mehraufwendungen hat die Klägerin jedoch nicht beziffert und nicht gefordert.
6. Soweit der Beklagte in der letzten mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf seinen Schriftsatz vom 11. Januar 2001 und den diesem beigefügten Prüfbericht der TÜV Anlagentechnik GmbH vom 8. Januar 2001 ferner eine mit 1.530 m³/h unzureichende Auslegung der Küchenzuluftanlage bemängelt hat, hat das Berufungsgericht dies zum einen für nicht nachvollziehbar gehalten, da die vorgelegte Meßwerttabelle für die Zuluft keinen Sollwert aufweise. Zum anderen hat es gemeint, der Vortrag sei nach § 528 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen, weil der Beklagte ihn schon in erster Instanz hätte halten können, insbesondere gemäß TPrüfVO die TÜV-Prüfung schon zu einem wesentlichen früheren Zeitpunkt hätte vornehmen lassen müssen, und die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens die Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits verzögern würde.
Auch das beanstandet die Revision mit Erfolg.
a) In der Mängelliste des TÜV-Berichts heißt es unter Nr. 11 zur Minderleistung des Küchen-Zuluftvolumenstromes, sie betrage ca. 57 % gegenüber dem unter Punkt 1 der Bemerkungen berechneten Volumenstrom (= 3.568 m³/h). Es wird ferner ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Bilanz aller Luftströme (Zu- und Abluft) im gesamten Küchenbereich ausgeglichen sein sollte. Ein mangelhafter Zuluftwert war damit nachvollziehbar dargelegt.
b) Die Voraussetzungen des § 528 Abs. 2 ZPO (in der nach § 26 Nr. 5 EGZPO maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) für die Zurückweisung dieses Vorbringens lagen nicht vor.
Nach dieser Vorschrift sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt worden sind, nur zuzulassen, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei das Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hatte.
Schon ein Verstoß des Beklagten gegen seine Prozeßförderungspflicht kann jedoch nicht angenommen werden. Eine Partei hat nach § 282 Abs. 1 ZPO in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozeßlage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entspricht. Die Vorschrift hält damit die Parteien zu konzentrierter Verfahrensführung an; Vorbringen soll grundsätzlich nicht aus prozeßtaktischen Erwägungen zurückgehalten werden (vgl. MünchKomm./Prütting, ZPO, 2. Aufl., § 282 Rdn. 2, 10; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 282 Rdn. 3). Eine Verpflichtung, tatsächliche Umstände, die der Partei nicht bekannt sind, erst zu ermitteln, ist daraus grundsätzlich nicht abzuleiten, sondern kann nur durch besondere Umstände begründet werden. Die Verletzung einer anderen Zwecken dienenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, wie sie das Berufungsgericht hier angenommen hat, reicht zur Begründung einer entsprechenden prozessualen „Ermittlungspflicht” nicht aus.
Zu der für eine Zurückweisung weiterhin erforderlichen groben Nachlässigkeit hat das Berufungsgericht überhaupt keine Feststellungen getroffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs liegt grobe Nachlässigkeit im Sinne der genannten Bestimmung – gleichermaßen wie im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO – nur dann vor, wenn eine Prozeßpartei ihre Pflicht zur Prozeßführung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterläßt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei hätte als notwendig einleuchten müssen (vgl. BVerfG NJW 1985, 1149; BGH, Urt. v. 24.9.1986 – VIII ZR 255/85, NJW 1987, 501, 502; Urt. v. 5.7.1990 – I ZR 164/88, NJW 1991, 493, 494). Die diesen Vorwurf begründenden Tatsachen muß das Gericht in seinem Urteil feststellen (BGH, Urt. v. 8.11.1990 – VII ZR 3/90, NJW-RR 1991, 701; Urt. v. 8.3.1991 – V ZR 339/89, NJW-RR 1991, 767); auch daran fehlt es.
Unterschriften
Jestaedt, Keukenschrijver, Mühlens, Meier-Beck, Asendorf
Fundstellen
Haufe-Index 875438 |
BB 2003, 332 |
DB 2003, 501 |
NJW 2003, 200 |
BGHR 2003, 105 |
BauR 2003, 236 |
IBR 2003, 7 |
JurBüro 2003, 222 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 1376 |
ZIP 2002, 2179 |
MDR 2003, 408 |
ZfBR 2003, 34 |
FSt 2004, 302 |
KammerForum 2003, 160 |
Mitt. 2003, 143 |