Leitsatz (amtlich)
Bei einer nach den strengen Anforderungen an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers erforderlich werdenden Auslegung der Berufungsschrift sind zwar der Inhalt der innerhalb der Berufungsfrist eingereichten Abschrift des angefochtenen Urteils (hier: Kopie der vollständigen Urteilsausfertigung), nicht aber lediglich theoretisch mögliche Zweifel, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht bestehen, zu berücksichtigen.
Normenkette
ZPO § 518 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Aktenzeichen 11 U 388/97) |
LG Magdeburg (Aktenzeichen 8 O 3111/95) |
Tenor
Auf die Revisionen der Beklagten zu 1 und 3 wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 30. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt von den Beklagten in Höhe von 121.471,64 DM Ersatz für Schäden, die ihm durch die Beschädigung eines Pkw Ferrari bei einem Verkehrsunfall am 2. August 1994 entstanden seien. Fahrer des weiteren an dem Unfall beteiligten Fahrzeugs war der Beklagte zu 1; Halterin war die Beklagte zu 2; das Fahrzeug war bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert. Die Beklagte zu 3 hat im ersten Rechtszug behauptet, der Unfall sei zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1 verabredet worden, um dem Kläger in betrügerischer Weise Ersatzansprüche zu verschaffen. Sie hat die Verteidigung gegen die Klage zugleich als Nebenintervenientin für die Beklagten zu 1 und zu 2 geführt.
Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 13. Februar 1997 im Betrag von 121.366,64 DM nebst Zinsen stattgegeben. Die Entscheidung ist den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zu 3 am 14. Februar 1997 und den Beklagten zu 1 und zu 2 persönlich am 15. Februar 1997 zugestellt worden.
Mit einer am 10. März 1997 beim Oberlandesgericht eingegangenen Berufungsschrift der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zu 3 ist das Urteil des Landgerichts angefochten worden. Im Eingang der Berufungsschrift waren die Beklagten zu 1 und zu 2 als „Beklagte und Berufungskläger”, die Beklagte zu 3 lediglich als „Nebenintervenientin” bezeichnet. Der Text lautete auszugsweise:
„… legen wir namens und in Vollmacht der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts M. vom 13. Februar 1997 – Aktenzeichen … – zugestellt am 14. Februar 1997, Berufung ein.”
Dieser Berufungsschrift war die vollständige Kopie einer Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt.
Das Oberlandesgericht hat mit Teilurteil vom 30. September 1997 die Berufungen des Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 3 als unzulässig verworfen. Mit ihren Revisionen begehren die Beklagten zu 1 und 3 die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 3 als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 516 ZPO eingelegt seien. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Berufungsschrift sei nicht mit der gebotenen Sicherheit zu entnehmen, daß neben der Beklagten zu 2 auch die Beklagten zu 1 und zu 3 Berufung eingelegt hätten. Der Beklagte zu 1 sei zwar im Eingang der Berufungsschrift ebenfalls als Berufungskläger bezeichnet; die Berufung sei aber nicht auch in seinem Namen eingelegt. Die Beklagte zu 3 sei im Eingang der Berufungsschrift nicht als Rechtsmittelführerin, sondern allein als Nebenintervenientin aufgeführt worden. Auch unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Urteils lasse sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit feststellen, daß die Beklagten zu 1 und zu 3 Rechtsmittelführer sein sollten. Zwar sei die Beklagte zu 3 zugleich als Nebenintervenientin für die Beklagten zu 1 und zu 2 aufgetreten und die Berufungsanwälte hätten vor dem Landgericht die Beklagte zu 3 vertreten. Selbst wenn – was fraglich sei – neben dem Rubrum auch Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Auslegung der Berufungsschrift herangezogen werden dürften, erlaube das nicht den Schluß, daß die Berufung durch alle drei Beklagte oder durch die Beklagte zu 3 für sich und als Nebenintervenientin zugleich für die Beklagten zu 1 und zu 2 eingelegt worden sei. Das sei zwar naheliegend, weil die Beklagte zu 3 das Verfahren für sich und als Nebenintervenientin für die Beklagten zu 1 und zu 2 geführt habe. Es sei aber nicht ausgeschlossen, daß sich die Interessenlage geändert habe; so sei es möglich, daß die Beklagte zu 3 von dem angefochtenen Urteil überzeugt sei, die Beklagte zu 2 aber wegen eines Streits mit dem Beklagten zu 1 anderen Sinnes geworden sei, ihre Interessen (etwa am Erhalt eines Schadensfreiheitsrabatts) habe weiterverfolgen wollen und deshalb die bisherigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zu 3 mit der Einlegung der Berufung beauftragt habe. Die nach Ablauf der Begründungsfrist zusammen mit einem vorsorglichen – allerdings unzulässigen – Wiedereinsetzungsantrag eingelegte Berufung der Beklagten zu 1 und zu 3 vom 13. Juni 1997 sei verspätet.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
1. Im Ansatzpunkt geht das Berufungsgericht allerdings zu Recht davon aus, daß strenge Anforderungen an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers zu stellen sind. Bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung müssen Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Das bedeutet jedoch nicht, daß die erforderliche Klarheit über die Person des Rechtsmittelklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre. Sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (vgl. Senatsurteil vom 13. Oktober 1998 - VI ZR 81/98 - z.V.b.; BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 1998 - VII ZB 7/98 - NJW 1998, 3499 und vom 4. Juni 1997 - VIII ZB 9/97 - NJW 1997, 3383, je m.w.N.). Dabei sind, wie auch sonst bei der Auslegung von Prozeßerklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen, die dem Gericht bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist bekannt sind und dem Rechtsmittelgegner zugänglich waren (vgl. BGHZ 113, 228, 230; 21, 168, 173). Die Auslegung von Prozeßerklärungen hat den Willen des Erklärenden zu beachten, wie er den äußerlich in Erscheinung getretenen Umständen üblicherweise zu entnehmen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 1959 - IV ZB 18/59 - NJW 1959, 724, 725; vom 8. Juli 1981 - IVb ZB 660/80 - NJW 1981, 2816, 2817). Bedenken daran, auch Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für die Auslegung der Berufungsschrift heranzuziehen, bestehen nicht, wenn – wie im Streitfall – eine vollständige Abschrift des Urteils für das Berufungsgericht beigefügt ist.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, daß im Streitfall die Rechtsmittelschrift in Verbindung mit der vorgelegten, vollständigen Kopie einer Ausfertigung des angefochtenen Urteils diesen Voraussetzungen genügte. Bei verständiger Würdigung war nicht zweifelhaft, wer Rechtsmittelführer war.
a) Das Berufungsgericht hat zwar richtig gesehen, daß die Berufungsschrift auslegungsbedürftig war. Sie bezeichnete die Beklagten zu 1 und zu 2 als Berufungskläger; zugleich aber sollte die Berufung „namens … der Beklagten und Berufungsklägerin” eingelegt sein. Das Berufungsgericht hat aber die gemäß § 518 Abs. 2 ZPO an die Bezeichnung des Berufungsklägers zu stellenden Anforderungen überspannt, wenn es die nach seiner eigenen Wertung eher theoretischen Zweifel an dem Inhalt der Berufungsschrift für ausschlaggebend gehalten hat. Die Verfassungsgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfG, Beschluß vom 9. August 1991 - 1 BvR 630/91 - NJW 1991, 3140). Die Zulässigkeit der Berufung darf nicht an unvollständigen oder fehlerhaften Bezeichnungen der Parteien des Berufungsverfahrens scheitern, wenn trotz dieser Mängel letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen können (vgl. Senatsbeschluß vom 7. November 1995 - VI ZB 12/95 - NJW 1996, 320, 321 m.w.N.). Lediglich theoretisch mögliche Zweifel, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht festgestellt sind, können daher bei der Auslegung der Berufungsschrift nicht ausschlaggebend sein.
b) Eine die berechtigten Interessen der Parteien des Berufungsrechtszuges berücksichtigende Auslegung der Berufungsschrift, die der Senat selbst vornehmen kann (vgl. BGHZ 4, 328, 334; BGH, Urteil vom 20. Januar 1988 - VIII ZR 296/86 - BGHR-ZPO § 518 Abs. 2 Parteibezeichnung 4 Rechtsmittelgegner = NJW 1988, 1204, 1205), ergab hier, daß die Berufung von der Beklagten zu 3 im eigenen Namen und zugleich durch sie als Nebenintervenientin für die Beklagten zu 1 und zu 2 geführt wurde.
Dem angefochtenen Urteil des Landgerichts war zu entnehmen, daß nach einem Verkehrsunfall drei Beklagte als Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des am Unfall beteiligten Fahrzeugs in Haftungseinheit gesamtschuldnerisch zum Schadensersatz verurteilt worden waren. Bei dieser Sachlage war die Berufung nur eines der drei auf der Beklagtenseite in Anspruch genommenen Beteiligten aus Rechtsgründen nicht sinnvoll. Eine Änderung der Auswirkungen des Urteils für den Haftpflichtversicherer war infolge dieser – von der üblichen Ausgestaltung bei Gesamtschuldverhältnissen abweichenden (vgl. § 3 Nr. 9 PflVG, § 10 Abs. 2 a, c AKB) – besonderen Situation nur zu erreichen, wenn das Urteil gegen alle drei Beklagten abgeändert wurde. Hinzu kam, daß der Versicherer als Drittbeklagter den Prozeß im ersten Rechtszug zur Wahrung seiner Interessen zugleich als Nebenintervenient für die beiden anderen Beklagten geführt hatte. Die dadurch bedingte besondere Interessenlage und der Zweck der Berufungseinlegung, die Wirkungen des erstinstanzlichen Urteils für den prozeßführenden Versicherer zu beseitigen, legten es nahe, daß die von den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Versicherers eingelegte Berufung für die Beklagten zu 1 und zu 2 von der Beklagten zu 3 als Nebenintervenientin (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 27. Juni 1985 - III ZB 12/85 - NJW 1986, 257 li. Sp. unten; BGH, Urteil vom 15. Juni 1989 - VII ZR 227/88 - NJW 1990, 190 und vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 223/93 - NJW 1995, 198, 199 a.E.) und zugleich für die Beklagte zu 3 geführt wurde. Dem angefochtenen Urteil war zu entnehmen, daß der beklagte Versicherer sich auf den Standpunkt gestellt hatte, der Unfall, aus dem der Kläger Ersatzansprüche ableitete, sei verabredet gewesen. Dieser Umstand bot eine hinlängliche Erklärung für die Besonderheit, daß der drittbeklagte Versicherer sich abzugrenzen wünschte und deshalb Berufung zugleich im eigenen Namen wie auch als Nebenintervenient für die beiden anderen Beklagten einlegen wollte.
Bei Berücksichtigung dieser Umstände war hinreichend deutlich, daß die Bezeichnung des Berufungsführers mit „der Beklagten und Berufungsklägerin” nicht allein die Beklagte zu 2 betraf, weil auch der Beklagte zu 1 als „Berufungskläger” bezeichnet war. Daraus wiederum war für den fachkundigen Leser der Berufungsschrift erkennbar, daß die Berufungsschrift eine offenbare Unrichtigkeit enthielt und richtig lauten mußte: „… legen wir namens und in Vollmacht der Beklagten und Berufungskläger … Berufung ein”.
In verständiger Würdigung der Interessenlage und des bisherigen Prozeßverlaufs, wie sie sich aus dem angefochtenen Urteil ergaben, war ferner deutlich, daß die Bezeichnung der Beklagten zu 3 im Eingang der Berufungsschrift ausschließlich als „Nebenintervenientin” offensichtlich unvollständig und um die Bezeichnung als „Beklagte und Berufungsklägerin” zu ergänzen war.
Demgegenüber genügte die bloße Möglichkeit einer Änderung der dem erstinstanzlichen Urteil zu entnehmenden Interessenlage der Beklagten als eine nur theoretische Möglichkeit ohne irgendwelche tatsächlichen Anhaltspunkte nicht, vernünftige Zweifel an der Auslegung der Berufungsschrift zu begründen. Es waren keinerlei Umstände ersichtlich, die auf einen Sinnesumschwung der Beklagten zu 2 hindeuteten. Daß die Beklagte zu 2 nunmehr selbständig und auf eigene Kosten die bisherigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zu 3 mit der Wahrnehmung ihrer Rechte in zumindest teilweisem Gegensatz zu den Interessen der Beklagten zu 3, welche in diesem Falle das angefochtene Urteil hinnehmen mußte, beauftragt hatte, lag selbst dann fern, wenn damit der Schadensfreiheitsrabatt des Versicherungsnehmers gerettet werden sollte. Ein solcher Interessenumschwung war nicht nur unwahrscheinlich, sondern rein theoretisch und durfte deshalb zur Auslegung nicht herangezogen werden.
Dieser Beurteilung durch den Senat steht schließlich nicht – wie die Revisionserwiderung meint – entgegen, daß grundsätzlich alle Streitgenossen genannt werden müssen, die Rechtsmittelführer sein sollen (vgl. BGH, Beschluß vom 26. September 1988 - II ZB 6/88 - BGHR-ZPO § 518 Abs. 2 Parteibezeichnung 5 Rechtsmittelführer). Diesem Erfordernis war durch die richtig verstandene Berufungsschrift in Zusammenhang mit dem vollständig vorgelegten landgerichtlichen Urteil genügt.
Unterschriften
Groß, Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler, Dr. Greiner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.12.1998 durch Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538961 |
NJW 1999, 1554 |
Nachschlagewerk BGH |
DAR 1999, 260 |
MDR 1999, 625 |
NZV 1999, 202 |
SGb 1999, 518 |
VRS 1999, 417 |
VersR 1999, 900 |