Leitsatz (amtlich)
Befehl zur Tötung eines Demonteurs von Selbstschußanlagen an der innerdeutschen Grenze.
Normenkette
StGB §§ 30, 211
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. April 2003 wird mit der Maßgabe verworfen, daß der Angeklagte freigesprochen wird.
Die Staatskasse trägt die Kosten des gesamten Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
Die zugelassene Anklage wirft dem Angeklagten einen Totschlag vor: Er habe in der Zeit vom 26. bis 30. April 1976 – gemeinschaftlich und durch andere handelnd – die Tötung des G an der innerdeutschen Grenze organisiert und herbeigeführt. Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil das Verfahren gegen den Angeklagten wegen eingetretener Verfolgungsverjährung eingestellt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg, soweit das Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten eingelegt ist, führt vielmehr nach § 301 StPO zur Änderung des angefochtenen Urteils dahin, daß der Angeklagte freigesprochen wird.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Zur Perfektionierung der am 13. August 1961 begonnenen Absperrmaßnahmen hatte die Regierung der DDR im Herbst 1961 damit begonnen, weite Teile der innerdeutschen Grenze mit Minensperren zu versehen, um Flüchtlinge noch wirksamer von einer Flucht in die Bundesrepublik Deutschland abzuhalten. Nachdem anfangs hierzu Erdminen installiert worden waren, wurden zur Erhöhung der Wirksamkeit dieser Minensperren ab 1970 zunächst vereinzelt, ab Anfang 1972 systematisch bis zu ihrem Abbau ab dem Jahre 1983 Splitterminen des Typs SM-70 als sogenannte Anlage 501 zur Grenzsicherung installiert. Dabei handelte es sich um Selbstschußanlagen, die auf der der DDR zugekehrten Seite des Metallgitterzauns angebracht waren und bei Belastung von verspannten Drähten auf mechanisch-elektrischem Weg eine Detonation auslösten. Darauf breitete sich eine kegelförmige Salve von etwa 90 scharfkantigen Metallsplittern parallel zum Metallgitterzaun aus, wobei die kinetische Energie ausreichte, um Menschen mit Sicherheit schwer zur verletzen oder auch zu töten. Viele Flüchtlinge erlitten durch diese Minen schwerste Verletzungen oder wurden getötet. Die Regierung der DDR bestritt damals die Existenz derartiger Anlagen.
G, der im Alter von 17 Jahren in der DDR wegen „Diversion im schweren Fall, staatsgefährdender Gewaltakte, staatsgefährdender Propaganda sowie Hetze im schweren Fall” zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, nach Verbüßung von neun Jahren und zehn Monaten dieser Strafe von der Bundesregierung „freigekauft” und 1971 in die Bundesrepublik Deutschland entlassen worden war, sann, geprägt von den in der DDR herrschenden unmenschlichen Haftbedingungen, darauf, die DDR durch Präsentation der Selbstschußanlagen in der Weltöffentlichkeit bloßzustellen. In Verfolgung dieses Ziels montierte G in der Nacht zum 1. April 1976 und in der Nacht zum 23. April 1976 jeweils in der Nähe zum späteren Tatort eine Splittermine ab. Die abgebauten Splitterminen präsentierte G verschiedenen Behörden der Bundesrepublik Deutschland, zwei Zeitschriften und der „Arbeitsgemeinschaft 13. August”. Diese Vorgänge versetzten die Dienststellen der DDR bis hin zur ministeriellen Spitze in helle Aufregung. Die DDR, die 1972 den Grundlagenvertrag mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen und 1975 an der Konferenz in Helsinki teilgenommen hatte und um internationale Anerkennung bemüht war, war durch den Abbau und die Verbringung der Minen in die Bundesrepublik Deutschland in aller Welt bloßgestellt und der Lüge überführt. Deshalb sollten weitere derartige Aktionen mit allen Mitteln unterbunden und der oder die Täter unter allen Umständen ein für allemal ausgeschaltet werden. Spätestens durch einen am 16. April 1976 in dem Magazin „Der Spiegel” erschienenen Artikel wurde dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR bekannt, daß es G war, der in der Nacht zum 1. April 1976 die erste der beiden Minen abgebaut hatte. Spätestens daraufhin gab der Minister für Staatssicherheit Mielke den Befehl, weitere Minendemontagen um jeden Preis zu verhindern und G bei einem neuerlichen Versuch, eine Mine SM-70 abzubauen, nicht nur möglichst festzunehmen, sondern ihn ein für allemal endgültig auszuschalten und, wenn eine Festnahme, die vorrangig bezweckt war, um Informationen über mögliche Mittäter, Hintermänner oder Auftraggeber zu erhalten, nicht möglich sein würde, G keinesfalls entkommen zu lassen, sondern ihn notfalls zu „vernichten”, also zu töten. Die Einzelheiten der Umsetzung dieser Anordnung überließ Mielke seinen Untergebenen.
Der Angeklagte war Kompaniechef einer speziellen Einsatzkompanie des Ministeriums für Staatssicherheit. Deren Hauptaufgabe bestand in der „Wahrnehmung politisch-operativer und operativ-militärischer Einsätze”, insbesondere an der innerdeutschen Grenze. Die Kompanie wurde vor allem in sogenannten „provokationsgefährdeten Abschnitten” der Grenze eingesetzt, so bei Fahnenfluchten, zur Beobachtung innerhalb und außerhalb militärischer Objekte in den Streitkräften, zu Fotodokumentationen an der Grenze, bei spektakulären Grenzzwischenfällen oder zur Beseitigung von „pioniertechnischen Anlagen” an der Grenze, wobei häufig in dem der Grenzbefestigung vorgelagerten, aber noch zur DDR gehörenden – als „feindwärts” bezeichneten – Gelände, etwa bei Schleusungsmaßnahmen, unter konspirativen Bedingungen Öffnungen im Metallgitterzaun geschaffen werden mußten. Die Kompanie wurde konspirativ geführt. Jeder Angehörige dieser Einheit, als „Kämpfer” bezeichnet, hatte zur Tarnung einen Decknamen und eine individuelle Legende. Die Einsatzkompanie galt nach außen als selbständige Einheit der Grenztruppen, war wie eine solche uniformiert, strukturiert und bewaffnet, jedoch in Wahrheit der Abteilung Äußere Abwehr, einer Unterabteilung der Abteilung I des Ministeriums für Staatssicherheit, unterstellt. Deren Leiter war der rechtskräftig – aus tatsächlichen Gründen mangels effektiver Mitwirkung an dem Tötungsbefehl – freigesprochene Mitangeklagte He …. Leiter der Hauptabteilung I des Ministeriums für Staatssicherheit und damit unmittelbarer Vorgesetzter He s war Generalleutnant Kl. Die Hauptabteilung I war direkt dem Stellvertreter des Ministers Mielke unterstellt. Während im Ministerium für Staatssicherheit noch die vorhandenen Unterlagen über G ausgewertet wurden, erhielt man dort Kenntnis vom zweiten Minenabbau, der in der Nacht zum 23. April 1976 erfolgt war. Namentlich aufgrund eines Hinweises ging man davon aus, daß wiederum G gehandelt habe und daß er vorhabe, im gleichen Bereich der Grenze weitere Minen abzubauen. Generalleutnant Kl. berichtete dem Minister Mielke und beauftragte den Oberstleutnant T, den Leiter des Bereichs Abwehr der Hauptabteilung I im Grenzkommando Nord, mit der Leitung des „Einsatzes SM-70”. Hierbei gab Kl die von Mielke erteilte Weisung weiter, G bei einem neuerlichen Versuch, eine Mine abzubauen, unter allen Umständen möglichst festzunehmen und – wenn dies nicht gelingen sollte – ihn keinesfalls entkommen zu lassen, sondern ihn dann gegebenenfalls zu „vernichten”. Die Befehlskette verlief mithin vom Minister Mielke über Generalleutnant Kl an Oberstleutnant T. Letzterer war damit nach dem im Ministerium für Staatssicherheit geltenden Prinzip der Einzelleitung am Ort verantwortlich für diesen Einsatz und hatte dort das Kommando.
Am 24. April 1976 erteilte der frühere Mitangeklagte He – auf Anordnung Kl s – dem Angeklagten S den Befehl, mit von ihm auszuwählenden Kräften seiner Einsatzkompanie sofort zum Grenzregiment 6 nach Schönberg zu Oberstleutnant T zu fahren, um dort entsprechend dem vorgegebenen Einsatzziel, „Grenzprovokationen” unter allen Umständen zu verhindern und den oder die Täter unbedingt festzunehmen und – wenn dies nicht gelingen würde – diese notfalls zu töten, sofort zum Einsatz zu kommen. Der Angeklagte wurde auch in groben Zügen darüber informiert, daß im Sicherungsabschnitt XII des Grenzregiments 6 zuvor Splitterminen SM-70 abgebaut und entwendet worden waren und daß mit Hilfe der Einsatzkompanie „feindwärts” ein Hinterhalt angelegt werden sollte. Ob ihm dabei auch der Name G genannt wurde, hat das Landgericht nicht feststellen können. Die vom Minister Mielke gegebene Anordnung wurde dem Angeklagten im Kern vom früheren Mitangeklagten He als Zielvorgabe mitgeteilt. Der Angeklagte wählte daraufhin aus seiner Einsatzkompanie die nach seiner Einschätzung für das vorgegebene Einsatzziel am besten geeigneten elf „Kämpfer” aus und begab sich mit ihnen sogleich nach Schönberg. Jeder „Kämpfer” war mit einer Maschinenpistole der Marke „Kalaschnikow” ausgerüstet, die Gruppe zudem mit zwei leichten Maschinengewehren. Noch am 24. April 1976 fanden zunächst eine Ortsbesichtigung des in Betracht kommenden Grenzabschnitts, an der auch der Angeklagte teilnahm, sowie eine anschließende Besprechung, an der sowohl der Angeklagte als auch Oberstleutnant T teilnahmen, statt. Bei dieser Besprechung wurden die Maßnahmen festgelegt, die getroffen werden sollten, um den von Minister Mielke über Generalleutnant Kl an Oberstleutnant T gegebenen Befehl zu erfüllen. Die bei dieser Besprechung beschlossenen Maßnahmen wurden Grundlage des folgenden Einsatzes am Ort. Dies war der „Große Grenzknick” bei der Grenzsäule 231 der Bundesrepublik Deutschland. Hier verlief die Grenze in einem rechten Winkel, dessen inneres Viertel – südöstlich – zur DDR gehörte. Gegenüber der im Westen und Norden verlaufenden Grenze war der Metallgitterzaun mit den Selbstschuß-anlagen um 30 Meter rückwärts gebaut, so daß sich vor diesem Zaun ein 30 Meter breiter Streifen von DDR-Gebiet erstreckte. Man rechnete damit, daß G in den nächsten Tagen wieder versuchen würde, mit Hilfe einer Anlegeleiter an eine Mine heranzukommen, um diese abzubauen. Man rechnete mit zwei bis drei Begleitern G s und einer Bewaffnung aller Personen. Deshalb sollte „feindwärts” des Metallgitterzauns ein Hinterhalt gelegt werden, um G dort zu überraschen, festzunehmen und an einer eventuellen Flucht zurück auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland zu hindern, wobei als letzte Möglichkeit seine Tötung ins Auge gefaßt war. Sollte die Staatsgrenze der DDR durch „provokatorische Handlungen” an den „pioniertechnischen Anlagen” verletzt oder sollten diese sichtbar angegriffen werden, waren die Personen festzunehmen; die Schußwaffe war anzuwenden, wenn keine andere Möglichkeit zur Realisierung der vorgenannten Zielstellung vorhanden sein würde. Die Feuerführung sollte parallel zur Staatsgrenze erfolgen.
Der Angeklagte akzeptierte bei dieser Besprechung das vorgegebene Ziel „festzunehmen bzw. zu vernichten”, also gegebenenfalls „zu töten”. Als Chef der Einsatzkompanie hatte er bei der Besprechung einen gewichtigen und für die Ausgestaltung der Einzelheiten des Einsatzes maßgeblichen Einfluß, wenngleich Oberstleutnant T den Einsatz am Ort leitete. Der Angeklagte war am Ort der „Mann der Praxis”, der seinen Sachverstand einbrachte und wußte, wie man am besten Hinterhalte legte. Er brachte bei der Besprechung auch eigene Verbesserungsvorschläge ein. Wie in der Besprechung beauftragt, rekrutierte er aus seiner Einsatzkompanie einen weiteren Zugführer und sieben weitere „Kämpfer”.
In einer „Information” vom 25. April 1976 teilte Oberstleutnant T. dem Generalleutnant Kl das Ergebnis der Beratung vom Vortage mit. Auch darin ist die „Festnahme bzw. Vernichtung der Täter” genannt. Kl. … war mit diesen Maßnahmen einverstanden. Der Angeklagte diktierte am 25. April 1976 einen internen „Maßnahmeplan”, der zu Dokumentationszwecken gefertigt wurde und den am Ort eingesetzten „Kämpfern” nicht im Wortlaut mitgeteilt wurde. Darin ist als Einsatzziel benannt, „den oder die Täter festzunehmen bzw. zu vernichten”. Ferner heißt es dort: „Die Anwendung der Schußwaffe erfolgt, wenn keine andere Möglichkeit zur Realisierung der vorgenannten Zielstellung vorhanden ist. Die Feuerführung erfolgt parallel zur Staatsgrenze.”
Am 26. April 1976 verdichteten sich die Hinweise, daß ein neuerlicher Versuch G s, im relevanten Grenzbereich erneut eine Splittermine abzubauen, unmittelbar bevorstand. Oberstleutnant T sandte daraufhin an Generalleutnant Kl zwei chiffrierte Telegramme, in denen die „Festnahme oder Vernichtung des zu erwartenden Täters” als Ziel der Operation genannt ist.
G beobachtete am 29. April 1976 nachmittags in der Nähe der Grenzsäule 231 das Gelände mit einem Fernglas und wurde dabei von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit beobachtet und fotografiert.
In der Tatnacht zum 1. Mai 1976, einer dunklen Neumondnacht, waren die Splitterminen im Bereich des Grenzknicks abgeschaltet, um eine Gefährdung der „Kämpfer” auszuschließen. Der Metallgitterzaun war „freundwärts” durch zwei am Grenzknick angebrachte Scheinwerfer erleuchtet, die parallel zum Zaun ausgerichtet waren und den „freundwärts” befindlichen Geländestreifen am Zaun erleuchteten. Das vorgelagerte Gelände lag völlig im Dunkeln. „Feindwärts” des Zaunes, etwa fünf Meter von diesem entfernt, lagen vier Mitglieder der Einsatzkompanie im Gras, nämlich die Zeugen L. …, R, Wi und Li. „Freundwärts” waren zahlreiche Kräfte eingesetzt, die über einen zentralen Führungspunkt durch eine Telefonverbindung mit Oberstleutnant T verbunden waren.
G hatte zwei Helfer gewonnen, um mit ihnen zum dritten Mal eine Splittermine abzubauen, die Zeugen Lie und U. Sie begaben sich zu dritt am 30. April 1976 gegen 22.30 Uhr zur Grenzsäule 231. Alle drei waren mit scharfen Schußwaffen ausgerüstet, G und Lie. … jeweils mit einer geladenen Pistole, U mit einer geladenen abgesägten Schrotflinte. G führte ferner diverses Werkzeug zum Abbau einer Mine mit und war mit einem langen schwarzen Mantel bekleidet. Alle drei hatten sich ihre Gesichter, Hände und Turnschuhe mit Schuhcreme geschwärzt. Bei Beobachtung der Grenzsicherungsanlagen fiel ihnen als Veränderung auf, daß Scheinwerfer installiert worden waren, die das Gelände hinter dem Zaun ausleuchteten, während das vorgelagerte Gelände zwischen Grenze und Zaun völlig im Dunkeln lag. U wollte zudem verdächtige Geräusche wie ein metallisches Klicken oder Schritte gehört haben. Lie. … und U konnten mit der Äußerung ihrer Bedenken angesichts der ihnen „unheimlich” erscheinenden Situation G nicht zur Aufgabe des Plans, sondern lediglich zu dessen Modifizierung bewegen. G. … hatte nunmehr die Idee, die Mine an der Ecke des Zaunes – statt sie abzubauen – wenigstens zu zünden, um der DDR zu signalisieren, „daß er wieder einmal zugeschlagen” habe. Damit, daß sich in dem DDR-Gelände vor dem Zaun Grenzposten aufhalten oder dort gar einen Hinterhalt gelegt haben würden, rechnete keiner der drei Männer. Lie und U postierten sich in der Nähe zur Grenzsäule 231, voneinander getrennt. Zwischen G. und ihnen war abgesprochen, daß sie beide beim Erscheinen von Grenzsoldaten „Halt! Grenzschutz!” oder etwas ähnliches rufen und notfalls G s Rückzug durch den Einsatz ihrer Waffen sichern sollten. G schlich sich nun gebückt auf den Grenzknick und die Ecke des Zaunes zu. „Da man wegen der zuvor wahrgenommenen Geräusche Argwohn geschöpft hatte” und das Vorhaben nun wegen der Nähe zum Zaun ganz besonders gefährlich wurde, zog G seine durchgeladene Pistole hervor.
Der Zeuge Li, der seine Maschinenpistole befehlswidrig neben sich gelegt hatte, möglicherweise zwischenzeitlich auch eingeschlafen war, bemerkte als erster der „feindwärts” eingesetzten Posten G, der sich in gebückter Haltung bis auf etwa fünf bis zehn Meter der Ecke des Metallgitterzaunes genähert hatte. Li griff daraufhin nach seiner abgelegten Maschinenpistole, wobei er ein metallisches Geräusch, möglicherweise durch Anstoßen der Waffe gegen einen Stein, verursachte. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, daß G das metallische Geräusch, dessen Ursache nur wenige Meter entfernt war, wahrnahm und ihm nun klar war, daß er in einen Hinterhalt der Grenzposten geraten war. Das Landgericht hat weiterhin nicht ausschließen können, daß G in dieser Situation jedenfalls als erster mindestens einen, nicht ausschließbar aber auch einen zweiten Schuß in Richtung des Geräusches und damit der Posten abgab. Wie weiterhin nicht ausschließbar, werteten die vier „feindwärts” eingesetzten Posten diesen Schuß – möglicherweise auch zwei Schüsse – G s als Angriff auf ihr Leben; sie schossen daraufhin zurück. Als erster schoß – nahezu zur gleichen Zeit wie G – Li. mit seiner Maschinenpistole auf G, wobei der zeitliche Abstand so gering war, daß sich die Schußgeräusche der Pistole und der Maschinenpistole akustisch überlagerten. Auch die drei anderen Posten eröffneten nun sofort das Feuer auf G. Alle vier schossen mit Dauerfeuer. G wurde noch in aufrechter oder gebückter Haltung von drei Kugeln im Oberkörper getroffen, wobei ein Geschoß Herz, Lunge und Rückenmark durchschlug, was zum Zusammenbruch des Kreislaufs und zum Herztod führte, so daß G sofort zusammensackte. Danach gaben die vier Posten weitere, mehrere Sekunden dauernde Feuerstöße in Richtung des liegenden G ab, der von zahlreichen Schüssen getroffen wurde. Nach dieser ersten Schußfolge trat eine kurze Pause ein. Ein Scheinwerfer an der Ecke des Zaunes wurde auf das vorgelagerte Gelände geschwenkt.
Bei Beginn der Schießerei waren Lie und U aus Angst, selbst beschossen zu werden, in das Hinterland geflüchtet. Lie trat dabei auf einen Ast und verursachte ein knackendes Geräusch. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, daß der Posten L dieses Knacken wahrnahm und befürchtete, auf westlichem Gebiet könnten sich bewaffnete Komplizen G s befinden. Möglicherweise rief L, um im Scheinwerferlicht nicht selbst ein leichtes Ziel abzugeben und ein freies Schußfeld zu haben: „Licht aus! Weg da vorne!” Währenddessen hatte U. den Eindruck, von Seiten der DDR kämen zwei Scheinwerfer, die er für Autoscheinwerfer hielt, auf ihn zu. Er gab daher mit der abgesägten Schrotflinte einen Schuß in Richtung dieser vermeintlichen Autoscheinwerfer ab. Möglicherweise als Reaktion auf diesen Schuß gab der Posten L in Richtung des Standorts U s einen oder zwei kurze Feuerstöße ab. Mehrere Geschosse schlugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im Baumwerk ein. Lie und U flüchteten.
Sofort nach dem Tatgeschehen setzten von höchster Stelle angeordnete Vertuschungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit ein. Insbesondere wurde die Leiche G s anonym und ohne Eintragung in das Sektionsbuch obduziert. Alle Schützen wurden mit dem „Kampforden in Silber” ausgezeichnet, den sie jedoch nicht tragen durften.
Das Landgericht hat das festgestellte Geschehen im wesentlichen folgendermaßen rechtlich gewürdigt:
Es ist sowohl hinsichtlich der ersten als auch hinsichtlich der zweiten Schußfolge der DDR-Schützen zur Annahme von Notwehr gelangt, weil zum ersten Handlungsteil nicht auszuschließen sei, daß G als erster schoß, und die zweite Schußfolge eine Reaktion auf den Schuß des Zeugen U gewesen sei. Deshalb hat das Landgericht unter dem Gesichtspunkt der „überholenden Kausalität” angenommen, daß eine vom Angeklagten nicht geplante Kausalkette in Gang gesetzt worden sei, weshalb ein vollendetes Tötungsdelikt (Mord nach § 112 StGB-DDR) nicht vorliege. Der Angeklagte habe lediglich eine erfolglose Aufforderung zur Begehung eines Mordes (nach § 227 Abs. 1 i.V. mit § 112 StGB-DDR) begangen. Da die Verfolgung dieses Deliktes verjährt sei, sei das Verfahren nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
Eine etwa fortbestehende Verfolgbarkeit der Tat nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland ist im Urteil nicht erörtert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt allein zu einer Änderung des Urteils zugunsten des Angeklagten.
1. Das angefochtene Urteil enthält keinen sachlichrechtlichen Fehler zum Vorteil des Angeklagten, soweit es die Beweiswürdigung und die Subsumtion der getroffenen Feststellungen unter das sachliche Recht betrifft.
a) Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei.
Namentlich geht die Einzelbeanstandung der Beschwerdeführerin fehl: Die sachlichrechtlichen Einwände gehen allein dahin, daß die Feststellung, der Zeuge U habe nach der ersten Schußfolge mit der abgesägten Schrotflinte einen Schuß in Richtung der Scheinwerfer abgegeben (UA S. 51), einzig auf die Bekundungen dieses Zeugen gestützt wird (UA S. 99 f., 108), während sich aus der schriftlichen Erklärung des Zeugen L, die dieser als Beschuldigter in dem Verfahren vor dem Landgericht Schwerin unter dem 9. November 1999 abgegeben hat (UA S. 83 bis 86), die Wahrnehmung eines solchen Schusses nicht ergebe. Der Zeuge U hat einen solchen von ihm abgegebenen Schuß kontinuierlich – in der polizeilichen Vernehmung vom 1. Mai 1976, in der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 20. Oktober 1992 sowie in der Hauptverhandlung – und jeweils detailreich geschildert. Es begründet keinen sachlichrechtlichen Fehler, daß das Landgericht diesem substantiierten Eingeständnis des Schützen U gefolgt ist, ohne in diesem Zusammenhang darauf Bezug zu nehmen, daß der Zeuge L diesen Schuß in einer früheren Erklärung nicht geschildert hat. Soweit die Revision darüber hinaus an das Protokoll der landgerichtlichen Hauptverhandlung anknüpft, ist dies – angesichts der allein erhobenen Sachrüge – unbeachtlich.
b) Auch die rechtliche Würdigung enthält keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten.
aa) Das gilt zunächst für die Würdigung nach dem Recht der DDR.
Eine Strafbarkeit des Angeklagten würde (auch) voraussetzen, daß er sich mit der in der DDR begangenen Tat nach dem dort zur Tatzeit geltenden Recht strafbar gemacht hätte (§ 2 StGB i.V. mit Art. 315 Abs. 1 EGStGB).
Eine Beteiligung an einem Tötungsdelikt gegen G oder seine Begleiter in Form der Täterschaft, Anstiftung oder Beihilfe liegt nach den Feststellungen nicht vor: Die vier Schützen schossen zunächst – nicht ausschließbar – in der ersten Schußfolge als Reaktion auf den einen Schuß oder die zwei von G möglicherweise zuerst auf sie selbst abgegebenen Schüsse. Die in der zweiten Schußfolge von L in Richtung des Standorts U s abgegebenen Schüsse waren – nicht ausschließbar – eine Reaktion auf den Schuß U s mit der Schrotflinte. Danach kann in allen Schüssen der DDR-Schützen, weil in Notwehr nach § 17 Abs. 1 StGB-DDR begangen, „keine Straftat” gefunden werden. Dies hat zur Folge, daß der Angeklagte an diesen Taten weder als Täter (§ 22 Abs. 1 StGB-DDR), noch als Mittäter (§ 22 Abs. 2 Nr. 2 StGB-DDR), noch als Anstifter (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR) oder als Gehilfe (§ 22 Abs. 2 Nr. 3 StGB-DDR) beteiligt sein kann.
Vielmehr liegt im Verhalten des Angeklagten lediglich eine erfolglose Aufforderung zur Begehung eines Mordes nach § 227 Abs. 1 i.V. mit § 112 StGB-DDR. Es sei angemerkt, daß das Landgericht Schwerin unter dem Gesichtspunkt der Notwehr oder der Putativnotwehr drei der Schützen vom Vorwurf des versuchten Mordes rechtskräftig (vgl. BGH, Beschluß nach § 349 Abs. 2 StPO vom 24. April 2001 – 4 StR 410/00) freigesprochen hat, nachdem das Verfahren gegen den vierten Schützen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden war.
Die Tat des Angeklagten war nicht gerechtfertigt.
Zur Tatzeit war der Schußwaffengebrauch der hier tätig gewordenen speziellen Einsatzkompanie des Ministeriums für Staatssicherheit allein durch die vom Minister für Staatssicherheit erlassene Ordnung über den Gebrauch von Schußwaffen für die Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit – Schußwaffengebrauchsordnung – vom 5. Februar 1976 geregelt. Diese entsprach in den hier in Betracht kommenden Teilen nahezu gleichlautend der für die regelmäßig den Dienst an der Grenze versehenden Grenztruppen geltenden Dienstvorschrift DV 018/0/008 „Einsatz der Grenztruppen zur Sicherung der Staatsgrenze – Grenzkompanie” vom 5. August 1974. Diese allein internen Verwaltungsvorschriften waren schon als solche nicht geeignet, vorsätzliches tödliches Schießen an der innerdeutschen Grenze zu rechtfertigen. Entsprechend hat der Senat bereits im Urteil BGHSt 39, 353, 366 f. – zu der „Vorschrift über die Organisation und Führung der Grenzsicherung in der Grenzkompanie” (DV – 30/10) vom 8. Februar 1964 – entschieden. Eine anderweitige Rechtfertigung ergibt sich aus dem Recht der DDR nicht.
Vielmehr gilt folgendes: Die Staatspraxis der DDR, die die vorsätzliche Tötung von Flüchtlingen durch Schußwaffen, insbesondere auch durch Selbstschußanlagen und Minen zur Vermeidung einer Flucht aus der DDR in Kauf nahm, war wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte nicht geeignet, die Täter zu rechtfertigen (BGHSt 40, 218, 232 m.w.N.). Diese für die vorsätzliche Tötung von Flüchtlingen entwickelten Grundsätze müssen auch auf den vorliegenden Fall Anwendung finden, in dem versucht wurde, eine Selbstschußanlage zu demontieren. Wenngleich es hier nicht um die Verhinderung einer Flucht aus der DDR im Einzelfall geht, steht das Tun des Angeklagten im Gesamtzusammenhang der Sicherung der eben beschriebenen Staatspraxis der DDR. Es muß daher der entsprechenden rechtlichen Bewertung unterfallen.
Die Verfolgung des Deliktes nach § 227 Abs. 1 i.V. mit § 112 StGB-DDR, das mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht war und für das nach § 82 Abs. 1 Nr. 2 StGB-DDR eine Verjährungsfrist von fünf Jahren galt, ist jedoch mit Ablauf des 2. Oktober 2000 verjährt (§ 315a Abs. 2 EGStGB i.d.F. des 3. Verjährungsgesetzes vom 22. Dezember 1997, BGBl I 3223). Gleichzeitig ist die absolute Verjährung eingetreten (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB i.V. mit Art. 315a Abs. 1 Satz 3 letzter Halbsatz EGStGB).
bb) Auch begründet es keinen durchgreifenden Rechtsfehler, daß das Landgericht nicht erörtert hat, ob die Tat im Hinblick auf einen etwaigen Strafanspruch der Bundesrepublik Deutschland noch geahndet werden kann.
Im Ausgangspunkt zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, daß ein Strafanspruch der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist, der möglicherweise nicht verjährt sei. Indes greift dieser Gesichtspunkt im Ergebnis nicht durch.
(1) Allerdings findet auf die Tat das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland schon deshalb Anwendung, weil das Tatopfer ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland sein sollte (§ 7 Abs. 1 StGB).
Danach kommt es auf die weiterhin vom Generalbundesanwalt angestellte Erwägung im Ergebnis nicht an, daß sich die Anwendung des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland auch aus §§ 3, 9 Abs. 1 StGB etwa daraus ergeben könnte, daß der Angeklagte die Vorstellung gehabt hätte, es würde über die Grenze der DDR hinaus geschossen werden, so daß der Tatort (auch) in der Bundesrepublik Deutschland liegen sollte. Hierzu ist zu bemerken: Es liegt fern, daß der Angeklagte mit der Möglichkeit rechnete, die Tötung G s oder seiner Helfer würde auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgen. Vor dem Metallgitterzaun lag ein 30 Meter breiter zum Territorium der DDR gehöriger Geländestreifen. Die Planung ging dahin, G und seine Begleiter unmittelbar vor dem Zaun, also auf dem Gelände der DDR zu stellen. Dabei wollte man – offenbar zur Vermeidung politischer Komplikationen – Schüsse auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vermeiden. So wurde schon in der Besprechung am 24. April 1976 beschlossen, daß die Feuerführung parallel zur Staatsgrenze erfolgen sollte (UA S. 26). Ebenso heißt es im „Maßnahmeplan” vom 26. April 1976: „Die Feuerführung erfolgt parallel zur Staatsgrenze” (UA S. 35). Daß schließlich gleichwohl Schüsse auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschlugen, kann einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten nicht näherliegend erscheinen lassen.
(2) Eine nach dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland strafbare Tat wäre hier nur dann noch verfolgbar, wenn es sich um eine versuchte Anstiftung zu einem Mord (§ 30 Abs. 1 i.V. mit § 211 StGB) handeln würde (§ 78 Abs. 2 StGB). Indes ergibt sich aus den Feststellungen die versuchte Anstiftung zu einem Mord, zu dessen Begründung allein das Merkmal der Heimtücke in Betracht kommt, nicht.
Heimtückisch handelt, wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tat ausnutzt (Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 211 Rdn. 16 m.N. der st. Rspr.). Jedoch entfällt die Arglosigkeit des Opfers dann, wenn es im Tatzeitpunkt mit einem schweren oder doch erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (BGHSt 33, 363, 365; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13, 27, 29; BGH NStZ-RR 2004, 14, 15). So liegt es hier. G und seine Helfer, die nach dem vorangegangenen zweimaligen Abbau von Minen eine höchste Wachsamkeit der DDR-Organe voraussetzten, rechneten – auf realer Grundlage und konkret – mit einem Angriff, als sie sich zu dritt scharf bewaffnet und mit geschwärzten Gesichtern, Händen und Turnschuhen der Grenze näherten. Ihre Skepsis steigerte sich, als U „verdächtige Geräusche wie ein metallisches Klicken oder Schritte gehört haben wollte” (UA S. 45). Daher hebt das Landgericht zu Recht ausdrücklich hervor, daß sie „Argwohn” hegten, gar als G gebückt mit gezogener und durchgeladener Pistole auf den Grenzknick zuschlich (UA S. 47). Nichts spricht für hiervon abweichende Vorstellungen des Angeklagten bei seinen Befehlen.
Die Verfolgung wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag (§ 30 Abs. 1 i.V. mit § 212 StGB) ist verjährt. Die am 30. April 1976 beginnende Verjährungsfrist von 20 Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB) endete am 29. April 1996. Diejenigen Vorschriften, die die Verjährung von nach dem Strafrecht der DDR begangenen Straftaten ergänzend regeln ([1.] Verjährungsgesetz vom 26. März 1993, BGBl I 392; 2. Verjährungsgesetz vom 27. September 1993, BGBl I 1657, und 3. Verjährungsgesetz vom 22. Dezember 1997, BGBl I 3223), berühren den nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland entstandenen Strafanspruch nicht, dessen Verjährung unter keinem Gesichtspunkt gehemmt ist. Die erste etwa unterbrechungstaugliche Handlung erfolgte mit der Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten am 8. Juli 1996 (Sachakten Bd. V Bl. 464 ff.).
2. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils nach § 301 StPO führt jedoch zur Freisprechung des Angeklagten.
a) Allerdings hat das Landgericht ohne einen den Angeklagten benachteiligenden sachlichrechtlichen Fehler zu den getroffenen Feststellungen und zu der rechtlichen Würdigung gefunden. Dabei hat es insbesondere die Planungen und organisatorischen Vorkehrungen der Organe der DDR und die dazu beitragenden Handlungen des Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt. Namentlich ist es dabei ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangt, daß die beteiligten Führungskräfte der DDR einschließlich des Angeklagten die – in den Dokumenten hinter dem Wort „vernichten” kaum verborgene – Tötung G s und seiner Helfer für den Fall geplant hatten, daß diese Personen nicht würden festgenommen werden können (vgl. BVerfGE 95, 96, 139; BGHSt 40, 218, 223 f. und 241, 242).
b) Indes war nicht, wie geschehen, das Verfahren einzustellen, sondern auf Freispruch zu erkennen. Dies holt der Senat – mit der geänderten Kostenfolge nach § 467 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Mai 2004 – 3 StR 126/04) – nach.
Kann bei tateinheitlichem oder sonst rechtlichem Zusammentreffen eines schwereren und eines leichteren Tatvorwurfs der schwerere nicht nachgewiesen werden und ist der leichtere wegen Vorliegens eines unbehebbaren Verfahrenshindernisses nicht mehr verfolgbar, so hat die Sachentscheidung Vorrang vor der Verfahrensentscheidung, weil der schwerer wiegende Vorwurf den Urteilsausspruch bestimmt (st. Rspr.: BGHSt 1, 231, 235; 7, 256, 261 und 13, 268; BGH GA 1959, 17; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 495; BGH, Beschluß vom 4. Mai 2004 – 3 StR 126/04; ebenso schon RGSt 66, 51; zustimmend das Schrifttum: Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 260 Rdn. 103 bis 105; Schoreit in KK 5. Aufl. § 260 Rdn. 51; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 260 Rdn. 46). So liegt es hier. Die dem Angeklagten durch die Anklage vorgeworfene vorsätzliche Tötung G s, Mord nach § 112 StGB-DDR, Totschlag nach § 212 StGB, die nicht verjährt wäre (vgl. nur BGHSt 42, 332, 336 m.w.N.), konnte nicht festgestellt werden. Die allein festgestellte erfolglose Aufforderung zur Begehung einer Tat nach § 227 Abs. 1 i.V. mit § 112 StGB-DDR ist verjährt.
Unterschriften
Basdorf, Häger, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2557143 |
BGHSt 2006, 16 |
BGHSt |
NJW 2005, 1287 |
NJ 2005, 471 |
NStZ-RR 2005, 310 |
NJW-Spezial 2005, 232 |
StraFo 2005, 204 |