Leitsatz (amtlich)
Die Gerichte des Orts, an dem die Primärverpflichtung aus einem Vertragsverhältnis i.S.v. Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO alt (= Art. 7 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO neu) erfüllt worden ist oder zu erfüllen war, sind auch für die Entscheidung über die aus der verletzten Primärverpflichtung abgeleiteten Sekundäransprüche international zuständig.
Das Revisionsgericht kann die Sache unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre.
Normenkette
EuGVVO 44/2001 Art. 5 Nr. 1 Buchst. a; ZPO § 538 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 28.04.2014; Aktenzeichen 11 U 7/14) |
LG Kiel (Urteil vom 13.12.2013; Aktenzeichen 12 O 66/12) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden der Beschluss des 11. Zivilsenats des OLG Schleswig in Schleswig vom 28.4.2014 und das Urteil der 12. Zivilkammer des LG Kiel vom 13.12.2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das LG Kiel zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Mit notariellem Vertrag vom 15.12.2010 kaufte der in Deutschland ansässige Kläger von den in Dänemark ansässigen Beklagten ein Hausgrundstück in Schleswig-Holstein für 114.000 EUR unter Ausschluss einer Haftung für Sachmängel. Er erfuhr im Juli 2011 von einem Nachbarn, dass dieser sich im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit dem verstorbenen Vater der Beklagten auf die Erlaubnis, an das Haus auf dem Grundstück des Klägers anzubauen und auf einen Ausgleich i.H.v. 10.000 EUR geeinigt habe, wovon die Beklagten gewusst hätten. Er sieht sich von ihnen arglistig getäuscht und verlangt Ersatz für Aufwendungen und Nachteile, die ihm als Folge des Anbaus entstanden seien (Kostenermittlung 535,50 EUR, Renovierungskosten 19.249,50 EUR, Mietausfall 24.365 EUR, Kosten für den Hinzuerwerb einer Fläche von 1 m2 für 250 EUR). Davon verlangt er Zahlung eines erstrangigen Teilbetrags von 19.499,50 EUR nebst Zinsen sowie Feststellung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung der Beklagten, ihm alle weiteren Aufwendungen "von der Hand zu halten, hilfsweise zu erstatten", die ihm aus dem Anbau entstehen.
Rz. 2
Das LG hat die Klage mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das OLG durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagten beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Das Berufungsgericht begründet die Abweisung der Klage als unzulässig mit der Erwägung, der einzige in Betracht zu ziehende Gerichtsstand in Deutschland, nämlich der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 (ABl. EG Nr. L 12, 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 280/2009 vom 6.4.2009, ABl. EU Nr. L 93, 13 - EuGVVO alt) sei nicht begründet. Zwar gelte dieser Gerichtsstand auch für Sekundäransprüche. Dabei sei aber nicht auf den ursprünglichen Erfüllungsanspruch abzustellen, sondern auf die konkret streitige Verpflichtung. Das sei ein Zahlungsanspruch, so dass die Gerichte am Wohnsitz der Beklagten international zuständig seien.
II.
Rz. 4
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die deutschen Gerichte sind international zuständig.
Rz. 5
1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestimmt sich im vorliegenden Fall noch nach den Bestimmungen der bisherigen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO alt). Diese Verordnung ist im Verhältnis zum Königreich Dänemark aufgrund von Art. 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 19.10.2005 (ABl. EU Nr. L 299, 62) anwendbar. Das gilt nach Art. 3 Abs. 1 des Abkommens nicht für Änderungen der genannten Verordnung wie die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU Nr. L 351, 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 2015/281 vom 26.11.2014, ABl. EU Nr. L 54, 1 - EuGVVO neu). Sie werden nach Art. 3 Abs. 2 des Abkommens erst nach einer entsprechenden Entscheidung Dänemarks anwendbar. Eine solche Entscheidung änderte indessen nach Art. 61 EuGVVO neu nichts an der Geltung der bisherigen Verordnung (EG) Nr. 44/2001, weil diese auf vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 eingeleitete Gerichtsverfahren wie das vorliegende weiterhin anzuwenden ist.
Rz. 6
2. Die deutschen Gerichte sind für den geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz wegen Sachmängeln aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO alt international zuständig.
Rz. 7
a) Diese Vorschrift begründet zwar nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keinen einheitlichen Gerichtsstand für alle Verpflichtungen aus einem Vertrag etwa an dem Ort, an dem die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen wäre (EuGH, Urt. v. 15.1.1987 - Rs. C-266/85 - Shenavai/Kreischer, ECLI:EU:C:1987:11 Rz. 17 f.; v. 5.10.1999 - Rs. C-420/97 - Leathertex, ECLI:EU:C:1999:483 Rz. 36). In Abhängigkeit von den Orten, an denen sie zu erfüllen sind, können sich danach unterschiedliche Gerichtsstände für die einzelnen Primärverpflichtungen ergeben. Das bedeutet aber nicht, dass auch für die Primärverpflichtung und die aus ihrer Verletzung abgeleiteten Sekundärverpflichtungen unterschiedliche Gerichtsstände bestünden. Vielmehr bestimmt sich der Gerichtsstand solcher Ansprüche nicht danach, wo diese selbst zu erfüllen wären, sondern danach, wo der Primäranspruch, an den sie anknüpfen, zu erfüllen war oder erfüllt wurde (EuGH, Urt. v. 6.10.1976 - Rs. C-14/76 - de Bloos, ECLI:EU:C:1976, 134 Rz. 15/17, vom 15.1.1987 - Rs. C-266/85 - Shenavai/Kreischer, ECLI:EU:C:1987:11 Rz. 9 und vom 5.10.1999 - Rs. C-420/97 - Leathertex, ECLI:EU:C:1999:483 Rz. 31; BGH, Urt. v. 11.12.1996 - VIII ZR 154/96, BGHZ 134, 201, 205; v. 7.12.2000 - VII ZR 404/99, WM 2001 904, 905; öst. OGH, Beschluss 27.1.1998 - 7 Ob 375/97s, www.ris.bka.gr.at; Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, Art. 7 EuGVVO [neu] Rz. 30; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5 EuGVVO [alt] Rz. 37). Diese Rechtsprechung ist zwar zu dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungs-Übereinkommen und dem Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ergangen. Der Gerichtshof hat aber entschieden, dass die hier noch anzuwendende bisherige Verordnung Nr. 44/2001 genauso auszulegen ist, ausgenommen nur den hier nicht gegebenen Fall, dass der Verordnungsgeber bewusst von dem Übereinkommen abgewichen ist (Urt. v. 23.4.2009 - Rs. C-533/07 - Falco, ECLI:EU:C:2009:257 Rz. 54 f.). Für den hier geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz wegen Sachmängeln ist deshalb der Erfüllungsort der Primärleistung des Verkäufers - der Verpflichtung zur Verschaffung von Eigentum und Besitz an dem verkauften Grundstück - maßgeblich. Dieser bestimmt sich gem. Art. 4 Abs. 1 Buchstabe c VO (EG) Nr. 593/2008 (vom 17.6.2008, ABl. EU Nr. L 177, 6 - sog. ROM I Verordnung) bei Grundstückskaufverträgen nach dem Belegenheitsstatut, hier also nach deutschem Recht. Danach liegt der Erfüllungsort in Deutschland.
Rz. 8
b) Das von dem Berufungsgericht angeführte Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Besix/WABAG (Rs. 256/00, ECLI:EU:C:2002, 99) ergibt nichts anderes. Danach ist zwar ein einheitlicher Erfüllungsort zu bestimmen, wenn eine vertragliche Primärverpflichtung an einer Vielzahl von Orten zu erfüllen ist, nämlich derjenige, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweist (a.a.O. Rz. 32). Um eine solche Fallgestaltung geht es hier aber nicht. Der Schadensersatzanspruch wird aus der Verletzung der Primärverpflichtung abgeleitet, das verkaufte Grundstück in vertragsgemäßem Zustand zu übereignen und zu übergeben. Diese Verpflichtung ist nur in Deutschland zu erfüllen.
Rz. 9
c) Unbehelflich ist auch die Berufung auf die Urteile des OLG Saarbrücken vom 16.2.2011 (1 U 574/09, IPRax 2013, 74 Rz. 72 f.) und des OLG Köln vom 16.12.2008 (9 U 47/07, juris Rz. 38, 44). Beide folgen der dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs.
Rz. 10
3. Auch für den weiter geltend gemachten, materiell-rechtlich konkurrierenden Anspruch des Klägers aus der Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten ist ein Gerichtsstand in Deutschland gegeben.
Rz. 11
a) Es spricht viel dafür, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO alt auch für solche Schadensersatzansprüche gegeben ist. Zwar können Ansprüche auf Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urt. v. 17.9.2001 - Rs. C-334/00 - Tacconi, ECLI:EU:C:2002:499 Rz. 23, 27) nicht in diesem Gerichtsstand, sondern nur im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO alt verfolgt werden, wenn es z.B. wegen Abbruchs der Vertragsverhandlungen nicht zum Vertragsschluss kommt (Beispiel: öst. OGH, JBl 2007, 800, 803) oder eine vertragsfremde Person, z.B. ein Vertreter ohne Vertretungsmacht, in Anspruch genommen werden soll (Beispiel: öst. OGH, ZfRV 2007, 112). Grund für die Zuordnung solcher Ansprüche zu dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist aber der Umstand, dass es in solchen Fällen an einer "freiwillig eingegangenen Verpflichtung" fehlt (EuGH, Urt. v. 17.9.2001 - Rs. C-334/00 - Tacconi, ECLI:EU:C:2002:499 Rz. 23). Es liegt daher nicht fern anzunehmen, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsorts der Primärleistung maßgeblich ist, auf die sich die verletzte vorvertragliche Pflicht bezieht, wenn - wie hier - der Vertrag tatsächlich zustande kommt und der Vertragspartner in Anspruch genommen wird (in diesem Sinne etwa: EuGH, Urt. v. 14.5.2009 - Rs. C-180/06 - Ilsinger, ECLI:EU:C:2009:303 Rz. 57 allerdings obiter zu einer Gewinnzusage; Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, Art. 7 EuGVVO [neu] Rz. 24; Leible in Rauscher, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 5 Brüssel I Verordnung [EuGVVO alt] Rz. 27 a.E.; Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, 2. Aufl., Art. 5 Rz. 55; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 5 EuGVVO [alt] Rz. 5; Jault-Seseke/Weller in Simons/Hausmann, Brüssel-I-Verordnung, dt. Ausgabe, Art. 5 Rz. 19; in diesem Punkt unklar: Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 5 EuGVVO [alt] Rz. 205; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 5 EuGVVO alt Rz. 75). Abschließend entschieden werden muss die Frage nicht, weil die deutschen Gerichte hier in einem wie im anderen Fall international zuständig sind.
Rz. 12
b) Können Ansprüche wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Gerichtstand des Erfüllungsorts geltend gemacht werden, käme es - ebenso wie bei Sekundäransprüchen - nicht auf den Ort an, an dem der aus der Verletzung folgende Anspruch zu erfüllen ist, sondern auf den Ort, an dem die Primärpflicht aus dem zustande gekommenen Vertrag zu erfüllen ist, auf die sich die verletzte Aufklärungspflicht bezieht. Denn die Zuständigkeit ist insoweit umfassend (Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, Art. 7 EuGVVO [neu] Rz. 30). Das ist hier die in Deutschland zu erfüllende Eigentumsverschaffungspflicht. Müsste der aus der verletzten Aufklärungspflicht abgeleitete Anspruch im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung verfolgt werden, käme es nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO alt darauf an, wo das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Das sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort (Urt. v. 16.5.2013 - Rs. C-228/11 - Melzer, ECLI:EU:C:2013:305 Rz. 25 und vom 3.10.2013 Rs. C-170/12 - Pinckney, ECLI:EU:C:2013, 635 Rz. 26). Beide liegen hier in Deutschland. Aufklärungspflichten sollen im Inland verletzt worden sein. Auch der Schaden ist im Inland eingetreten, da das Grundstück hier liegt und der Kläger hier ansässig ist.
III.
Rz. 13
Der Beschluss des Berufungsgerichts kann deshalb keinen Bestand haben. Weil sich die Vorinstanzen - bei ihrem Ausgangspunkt konsequent - mit den geltend gemachten Ansprüchen nicht inhaltlich befasst und die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen haben, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif.
Rz. 14
Der Beschluss des Berufungsgerichts ist aufzuheben. Die Sache ist hier zur neuen Verhandlung und Entscheidung nicht an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, sondern an das LG. Eine solche Möglichkeit hat der BGH bislang für den Fall anerkannt, dass das Berufungsgericht aufgrund der neuen Verhandlung die Sache an das LG zurückverweisen müsste (Urt. v. 24.9.1998 - IX ZR 371/97, BGHZ 139, 325, 333). Eine gesetzliche Verpflichtung zur Zurückverweisung besteht nach geltendem Recht zwar nicht mehr. Die Zurückverweisung stünde nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts. Das Revisionsgericht kann die Sache aber unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre. So liegt es hier. Der Kläger hat die Zurückverweisung an das LG schon im Berufungsverfahren und im Revisionsverfahren vor dem Senat beantragt. Die Beklagten haben nicht auf einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht bestanden und nichts dafür vorgebracht, was es rechtfertigen würde, dem Kläger die erste Tatsacheninstanz zu nehmen. Dann ist es ermessengerecht, wenn das Revisionsgericht die Sache unmittelbar an das LG zurückverweist. Von dieser Möglichkeit macht der Senat Gebrauch.
Fundstellen
Haufe-Index 8901348 |
BB 2016, 129 |
BB 2016, 211 |