Leitsatz (amtlich)
Zur Form des Vergleichswiderrufs, wenn vereinbart ist „zu widerrufen durch einen Schriftsatz, der bis zum … bei Gericht eingegangen sein muß”.
Normenkette
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 130
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 29.11.1977) |
LG Düsseldorf |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. November 1977 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin besitzt die ausschließliche Lizenz an den Urheberrechten des im Jahre 1926 geschaffenen Mart-Stam-Stuhles. Außerdem ist sie von der Firma M. KG, die Nutzungsberechtigte hinsichtlich der Urheberrechte, des im Jahre 1924 geschaffenen Stüttgen-Stuhles ist, zur Rechtsverfolgung gegenüber den Beklagten ermächtigt; Schadensersatzansprüche der Firma M. sind ihr abgetreten. In einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und den Beklagten zu 1–3 ist durch rechtskräftiges Urteil festgestellt worden, daß die Beklagten zu 1–3 verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr und der Firma M. dadurch entstanden ist und noch entsteht, daß die Beklagten zu 1–3 hinterbeinlose Stahlrohrstühle einer näher beschriebenen Ausführung gewerbsmäßig herstellen, anbieten oder in Verkehr bringen. Nachdem die Beklagte zu 1 Auskunft über die von ihr vertriebenen hinterbeinlosen Stühle erteilt hat, verlangt die Klägerin mit der vorliegenden Klage von den Beklagten zu 1–3 die Zahlung einer angemessenen Lizenz von 8,– DM pro Stuhl nebst Mehrwertsteuer, insgesamt 25.422,88 DM zuzüglich Zinsen sowie die Erstattung bestimmter Kosten. Von den Beklagten zu 4–7, die Stahlrohrstühle von der Beklagten zu 1 bezogen und vertrieben haben, begehrt die Klägerin im Wege der Stufenklage Rechnungslegung über den Vertrieb der Stühle und Auskunft über die von ihnen abgegebenen Angebote.
Das Landgericht hat durch Teilurteil die gegen die Beklagten zu 4–7 gerichtete Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Vor dem Oberlandesgericht haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 1977 folgenden Vergleich geschlossen:
- „Zum Ausgleich der in diesem Prozeß gegenüber den Beklagten zu 4–7 verfolgten Ansprüche zahlen diese als Gesamtschuldner an die Klägerin 2.500,–DM.
Die Klägerin übernimmt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 4–7 des ersten Rechtszuges und trägt im Verhältnis zu den Beklagten zu 4–7 ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Eine Erstattung der erstinstanzlichen Gerichtskosten findet nicht statt.
Die Klägerin trägt ferner die Gerichtskosten des zweiten Rechtszuges, während die außergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz jede Partei selbst trägt.
- Den Parteien bleibt vorbehalten, diesen Vergleich zu widerrufen durch einen Schriftsatz, der bis zum 21. Juni 1977 bei Gericht eingegangen sein muß.”
Durch Schriftsatz vom 21. Juni 1977hat die Klägerin den Vergleich widerrufen. Der Widerrufsschriftsatz ist von einem Büroangestellten des Prozeßbevollmächtigiten der Klägerin am 21. Juni 1977 in das in der Wachtmeisterei des Oberlandesgerichts befindliche Fach des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts, bei dem die Sache anhängig war, gelegt worden. Der Schriftsatz ist der Geschäftsstelle des 20. Zivilsenats am 22. Juni 1977 zugetragen und dort mit einem Eingangsstempel, der das Datum 22. Juni 1977 trägt, versehen worden. In der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht haben die Beklagten erklärt, von den streitigen Stühlen seien 2.944 Stück zu einem Bruttoverkaufspreis von 46,20 DM verkauft worden. Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit, als Rechnungslegung über die Liefermengen begehrt wurde, übereinstimmend für erledigt erklärt. Im übrigen hat die Klägerin ihren Berufungsantrag aufrechterhalten. Die Beklagten zu 4–7 haben beantragt, die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Erledigung des Rechtsstreits durch den Vergleich vom 2. Juni 1977 festgestellt werde, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Das Oberlandesgericht hat dem Hauptantrag der Beklagten entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die im zweiten Rechtszug zuletzt gestellten Anträge weiter. Die Beklagten zu 4–7 beantragen die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Widerrufs Schriftsatz der Klägerin sei dem Gericht erst am 22. Juni 1977 und mithin erst nach Ablauf der im Vergleich vereinbarten Widerrufsfrist (21. Juni 1977) zugegangen. Nach dem im Vergleich zum Ausdruck gekommenen Willen der Parteien habe der Eingang des Widerrufsschriftsatzes in derselben Weise vonstatten gehen sollen wie der Eingang eines sonstigen fristwahrenden Schriftsatzes. Ein fristwahrender Schriftsatz gehe aber – abgesehen von den Fällen des Einwurfes in einen Nachtbriefkasten oder einen diesem gleichzusetzenden Briefkasten – nur und erst dann bei Gericht ein, wenn er dort von einem zur Entgegennahme und zur Beurkundung des Zeitpunktes befugten Beamten in Empfang genommen werde. Im vorliegenden Falle seien hierzu der Beamte in der Wachtmeisterei des Oberlandesgerichts (Briefannahmestelle) und die Geschäftsstelle des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts befugt gewesen. Die Einlegung des Widerrufsschriftsatzes in das Fach des 20. Zivilsenats in der Wachtmeisterei habe die Vorlegung bei einer dieser zur Entgegennahme befugten Stellen nicht ersetzen können. Der Beamte in der Wachtmeisterei habe nach der vom Präsidenten des Oberlandesgerichts eingeholten Äußerung nicht die Aufgabe gehabt, die Fächer der Senate nach fristwahrenden Schriftsätzen durchzusehen und diese, soweit sie ihm nicht bereits vorgelegt seien, mit einem Eingangsstempel zu versehen. Gewahrsam der Geschäftsstelle sei durch die unkontrollierte Einlegung in das Senatsfach, das lediglich der Erleichterung des inneren Geschäftsverkehrs gedient habe, noch nicht begründet worden.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat nicht näher begründet, weshalb es als die von den Parteien vereinbarte Form des Widerrufs die Übergabe des Widerrufsschriftsatzes an einen zur Entgegennahme und zur Beurkundung des Zeitpunktes befugten Beamten des Oberlandesgerichts ansieht. Es ist dies zwar die Form, die für das „Einreichen” bzw. „Überreichen” bestimmender Schriftsätze, wie z.B. eines Gesuches i.S. von § 207 ZPO, der Klage (§§ 253 Abs. 5, 496 ZPO), des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil (§ 340 Abs. 1 ZPO), der Berufung (§ 518 Abs. 1 ZPO), oder der Berufungsbegründung (§ 519 Abs. 2 ZPO) regelmäßig gewahrt sein muß (vgl. BGHZ 2, 31, 32; BGH LM § 513 ZPO Nr. 7; BGH NJW 1974, 1326; BGHZ 65, 10, 11; BGH VersR 1976, 641; 1063; zu BGHZ 65, 10 siehe BVerfGE 41, 323 = NJW 1976, 747). Im Streitfall haben die Parteien jedoch vereinbart, daß ein Widerrufsschriftsatz bis zum 21. Juni 1977 bei Gericht „eingegangen” sein müsse. Diese Fassung des Widerrufsvorbehalts legt den Schluß nahe, daß ein „Zugang” des Schriftsatzes im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB genügen sollte, zumal mehr auch für das Wirksamwerden der einer Behörde gegenüber abzugebenden Willenserklärung nach § 130 Abs. 3 BGB nicht erforderlich ist. Der Umstand, daß der Prozeßvergleich eine Doppelnatur hat, nämlich privates Rechtsgeschäft und zugleich Prozeßhandlung ist, oder als Doppeltatbestand zu werten ist (vgl. BGHZ 61, 394, 398), was dahinstehen kann, spricht allein noch nicht dafür, daß die Form der „Einreichung” bei Gericht gewollt war. Ebenso kann daraus, daß die Widerrufserklärung jedenfalls dann, wenn sie dem Gericht gegenüber abzugeben ist, nicht nur Willenserklärung, sondern zugleich Prozeßhandlung ist (vgl. Bökelmann in Festschrift für Friedrich Weber, 1975, S. 101, 105) und mit ihr eine Frist gewahrt werden soll, noch nichts für die Auffassung des Berufungsgerichts entnommen werden. Vielmehr spricht der Gesichtspunkt, daß die durch Rechtsanwälte vertretenen Parteien die sonst häufig gebrauchte Formulierung „Widerruf durch Einreichung eines Schriftsatzes bei Gericht” gerade nicht gebraucht haben, eher dafür, daß an einen bloßen Zugang im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB gedacht war (vgl. RGZ 135, 338, 339; BAGE 9, 172, 177). Dies gilt umso mehr, als nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gegen die Versäumung der in einem Prozeßvergleich vereinbarten Widerrufsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist (vgl. BGH LM § 130 BGB Nr. 2; BGHZ 61, 394, 398) und es daher auch im Interesse beider Parteien gelegen haben kann, den Widerruf nicht weiteren Formerfordernissen zu unterstellen. Diese Zusammenhänge hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Seine Auslegung des Widerrufsvorbehalts, die nach den Vorschriften der §§ 133, 157 BGB zu beurteilen ist (vgl. BAG AP § 794 ZPO Nr. 1 mit Anmerkung Pohle; BGHZ 46, 277, 278), kann daher aus Rechtsgründen keinen Bestand haben. Das Revisionsgericht ist andererseits nicht gehindert, den Widerrufsvorbehalt nunmehr selbst auszulegen. Er muß bei Berücksichtigung der hier gegebenen Umstände nach Treu und Glauben dahin verstanden werden, daß der Widerrufsschriftsatz der Klägerin dem Oberlandesgericht lediglich rechtzeitig zuzugehen brauchte.
2. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Widerrufsschriftsatz ist am 21. Juni 1977, einem Dienstag, zwischen 15.00 Uhr und 15.30 Uhr zum Oberlandesgericht gebracht und dort in das Fach des 20. Zivilsenats eingelegt worden. Er war damit so in den Machtbereich des Oberlandesgerichts gelangt, daß er von diesem jedenfalls zur Kenntnis genommen werden konnte (vgl. BGH LM § 130 BGB Nr. 8; BGHZ 67, 271, 275). Er ist damit dem Oberlandesgericht am letzten Tage der Frist zugegangen und somit rechtzeitig erklärt worden.
Das Berufungsurteil, das die Rechtswirksamkeit des Widerrufs verneint und damit den Prozeßvergleich als rechtswirksam angesehen hat, kann daher keinen Bestand haben. Die Sache mußte zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Dem Berufungsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen.
Unterschriften
v. Gamm, Alff, Merkel, Schönberg, Piper
Fundstellen
Haufe-Index 1237579 |
NJW 1980, 1752 |
Nachschlagewerk BGH |