Leitsatz (amtlich)
Die in einem gerichtlichen Vergleich vor dem auswärtigen Senat eines OLG getroffene Vereinbarung, daß der Widerruf binnen bestimmter Frist mit einem bei dem auswärtigen Senat eingehenden Schriftsatz erklärt werden kann, führt zur Unwirksamkeit des Widerrufs, wenn dieser innerhalb der Frist nur bei dem Stammgericht, nicht aber bei dem auswärtigen Senat eingeht.
Normenkette
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1; GVG § 116 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 19. Januar 1978 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verkaufte im Februar 1974 192 Ballen Hirtenteppiche an die Firma I… Richard S… & Co. in A… Mit der Weisung, die Ware nur gegen eine Bankfreigabeerklärung an die Käuferin auszuliefern, wurde sie bei der Zweigniederlassung der Beklagten in eingelagert. Diese gab die Ware entgegen der ihr erteilten Weisung im März 1974 heraus. Auf den Kaufpreis von 36.609 US-Dollar erlangte die Klägerin mangels Zahlungsfähigkeit der Käuferin keine Zahlung. Für den Ausfall hat sie die Beklagte verantwortlich gemacht und auf Zahlung von 36.609 US-Dollar verklagt. Diese hat unter Berufung auf § 64 ADSp die Einrede der Verjährung erhoben und außerdem die Aktivlegitimation der Klägerin sowie ihre eigene Passivlegitimation bestritten.
Das Landgericht hat die Verjährungseinrede der Beklagten durchgreifen lassen und die Klage abgewiesen. Im Berufungsrechtszug haben sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 17. November 1977 gerichtlich verglichen. Die Beklagte hat sich verpflichtet, 15.000,– DM an die Klägerin zu zahlen und 1/4 der Prozeßkosten zu tragen. In Ziffer IV des Vergleichs haben sich die Parteien den Widerruf mit folgender Vereinbarung vorbehalten:
„Dieser Vergleich kann von beiden Parteien durch einen Schriftsatz widerrufen werden, der bis 8. Dezember 1977 bei den Zivilsenaten des Oberlandesgerichts München in Augsburg eingegangen sein muß …”
Mit einem bei der Allgemeinen Einlaufstelle der Jusitzbehörden in München am 7. Dezember 1977 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage hat die Klägerin den Vergleich widerrufen. Bei den Zivilsenaten des Oberlandesgerichts München in Augsburg und bei den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ist der Schriftsatz erst am 9. Dezember 1977 eingegangen.
Die Klägerin ist der Meinung, sie habe den Vergleich wirksam widerrufen, weil der Schriftsatz vom 7. Dezember 1977 noch vor Ablauf der Widerrufsfrist bei der Einlaufstelle des Stammgerichts eingegangen sei. Sie hat die Fortsetzung des Verfahrens begehrt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, 36.609 US-Dollar nebst 10% Zinsen seit dem 1. März 1974 an sie zu zahlen.
Demgegenüber hat die Beklagte beantragt,
die Rechtswirksamkeit des Vergleichs auszusprechen.
Diesem Antrag hat das Oberlandesgericht stattgegeben und durch Urteil festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 17. November 1977 beendet worden sei. Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin habe den Vergleich nicht wirksam widerrufen, weil der Widerrufsschriftsatz vom 7. Dezember 1977 erst am 9. Dezember 1977, also erst nach Ablauf der im Vergleich bestimmten Widerrufsfrist bei den Augsburger Senaten des Oberlandesgerichts München eingegangen sei. Auf den Eingang dieses Schriftsatzes bei der Einlaufstelle des Oberlandesgerichts München am 7. Dezember 1977 komme nichts an. Zwar seien auch die Augsburger Senate Teil des Oberlandesgerichts München und dem entspreche es, daß die für sie bestimmten Schriftsätze im allgemeinen wirksam beim Stammgericht eingereicht werden könnten. Diese Regelung gelte aber nicht ohne weiteres auch für den einen Vergleichswiderruf enthaltenden Schriftsatz. Wie der Widerrufsvorbehalt selbst seien auch Form und Frist der Widerrufserklärung nach materiell-rechtlichen Grundsätzen zu beurteilen und richteten sich deshalb ausschließlich nach der von den Parteien im Vergleich getroffenen Vereinbarung. Diese bestimme als Empfänger eines Widerrufs ausschließlich die Zivilsenate in Augsburg, also nicht das Stammgericht in München. Das bedeute, daß der erst am 9. Dezember 1977 bei den Augsburger Senaten eingegangene Widerruf verspätet sei.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.
1. Der Abrede der Parteien, daß der Vergleich mit einem Schriftsatz widerrufen werden kann, der innerhalb bestimmter Frist „bei den Zivilsenaten des Oberlandesgerichts München in Augsburg eingegangen sein muß”, hat das Berufungsgericht entnommen, daß der – fristgerechte – Eingang eines Widerrufsschriftsatzes beim Stammgericht der Vereinbarung in Ziff. IV des Vergleichs nicht genüge, sondern daß es erforderlich sei, den Schriftsatz innerhalb der Frist entweder bei den Zivilsenaten in Augsburg selbst einzuliefern oder – was dem gleichstehe – in den Nachtbriefkasten der Justizbehörden in Augsburg einzuwerfen. Diese im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Feststellungen des Berufungsgerichts zu der Frage, was die Parteien mit den in Ziff. IV des Vergleichs niedergelegten Bestimmungen vereinbart haben, lassen entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung der Revision Rechts- oder Verfahrensfehler nicht erkennen. Nach dem Wortlaut der Vereinbarung liegt es nahe, sie so auszulegen, wie es das Berufungsgericht getan hat. Es erscheint folgerichtig und zweckmäßig, wenn die Parteien eines Prozeßvergleichs vereinbaren, daß der Widerruf örtlich dorthin zu richten ist, wo der mit der Sache befaßte auswärtige Senat seinen Sitz hat.
Denn dann weiß dieser alsbald nach Eingang der Widerrufsschrift und nicht erst mit u.U. mehrtägiger Verzögerung, daß der Vergleich widerrufen worden ist, und vielfach erfährt auch der Gegner auf diese Weise früher vom Widerruf als sonst. Entgegen der Annahme der Revision sind damit Erschwernisse im Verfahrensablauf für die Parteien nicht verbunden. Regelmäßig wird sich sogar das Verfahren beschleunigen und vereinfachen. Erforderlich ist nur, daß die Widerrufsschrift an den im Vergleich bestimmten Adressaten gerichtet ist und ihn noch vor Ablauf der Widerrufsfrist erreicht. Wenn deshalb das Berufungsgericht den vor ihm abgeschlossenen Vergleich dahin verstanden hat, daß nur eine in Augsburg fristgerecht eingehende Erklärung zum Widerruf des Vergleichs führe, nicht aber ein bei dem Stammgericht in München eingereichter Schriftsatz, dann kann dieser Auslegung aus Rechtsgründen nicht entgegengetreten werden.
2. Entgegen der Auffassung der Revision begegnet die Vereinbarung der Parteien keinen rechtlichen Bedenken. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß zwar die für einen auswärtigen Spruchkörper bestimmten Schriftsätze grundsätzlich auch beim Stammgericht wirksam eingereicht werden könnten, daß das aber nicht für den Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs gelte, weil sich Form und Frist des Widerrufs allein nach der von den Parteien getroffenen Vereinbarung richteten und nach materiell-rechtlichen Grundsätzen zu beurteilen seien.
Die Revision macht demgegenüber geltend, der Widerruf eines Prozeßvergleichs sei Prozeßhandlung, wenn er vereinbarungsgemäß dem Gericht und nicht dem Gegner gegenüber zu erklären sei. Es komme daher darauf an, ob die Parteien allein die auswärtigen Senate, nicht aber das Stammgericht schlechthin als Empfänger eines Vergleichswiderrufs hätten vereinbaren können. Diese Frage sei zu verneinen. Prozeßhandlungen dieser Art würden wirksam, wenn sie der Stelle gegenüber vorgenommen würden, die zu ihrer Entgegennahme allgemein befugt sei. Weder das Gericht noch die Parteien dürften hier zusätzliche Erfordernisse aufstellen. Der Verfahrensablauf solle für alle Prozeßbeteiligten einfach und überschaubar sein. Es dürfe nicht dahin kommen, daß bei einer Prozeßhandlung zunächst geprüft werden müsse, ob die Parteien für ihren Zugang besondere Erfordernisse aufgestellt hätten. So solle auch die Einrichtung auswärtiger Spruchkörper eines Stammgerichts, ähnlich wie die Einrichtung auswärtiger Gerichtstage, Erleichterungen für die Gerichtseingesessenen schaffen, nicht aber zu Erschwernissen führen. Diesen Ausführungen der Revision kann nicht gefolgt werden.
Wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, ist der Prozeßvergleich ein Prozeßvertrag, der eine Doppelnatur hat. Er ist Prozeßhandlung, weil er den Rechtsstreit beendet, und privatrechtlicher Vertrag, weil er sachlich-rechtlich die Ansprüche und Verbindlichkeiten der Parteien regelt (RGZ 161, 253, 255; BGHZ 16, 388, 390; 28, 171, 172; 41, 310, 311). Als Vertrag des bürgerlichen Rechts unterliegt er den Vorschriften und Grundsätzen des Privatrechts. Dem entspricht es, daß die Freiheit der Prozeßparteien, den Empfänger eines Widerrufsschriftsatzes zu bestimmen, keinen Einschränkungen unterliegt. Die Parteien sind hier ebensowenig eingeschränkt wie bei den Vereinbarungen zu Frist und Form des Widerrufs (siehe Senatsurteil vom 16.11.1979 – I ZR 3/78). So ist es ohne weiteres zulässig und vielfach auch üblich, zum Adressaten der Widerrufserklärung das Gericht zu bestimmen, vor dem der Vergleich protokolliert worden ist. Aus dieser den Parteien vorbehaltenen Freiheit ergibt sich, daß es keinen rechtlichen Bedenken unterliegt, als Empfänger einer Widerrufserklärung nicht das Stammgericht schlechthin, sondern allein dessen auswärtige Senate zu bestimmen, wenn – wie im Streitfall – der Vergleich vor einem der auswärtigen Senate abgeschlossen und von ihm beurkundet worden ist. Die auswärtigen Senate eines Oberlandesgerichts sind zwar Teil des Stammgerichts, aber örtlich verselbständigt, weil sie durch eine auf § 116 Abs. 2 GVG beruhende Anordnung der Landesjustizverwaltung außerhalb des Sitzes des Oberlandesgerichts besonders eingerichtet worden sind. Das ist auch bei den auswärtigen Zivilsenaten des Oberlandesgerichts München in Augsburg der Fall (siehe die Verordnung über die Zivilsenate des Oberlandesgerichts München in Augsburg vom 21.1.1974, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1974, S. 44). Angesichts dessen ist nicht zu erkennen, inwiefern eine unter Ausschluß des Stammgerichts im übrigen getroffene Vereinbarung der Parteien über die Bestimmung der auswärtigen Senate in Augsburg als Empfänger einer Widerrufserklärung rechtlich nicht wirksam sein sollte. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht aus der Vereinbarung der Parteien über die Bestimmung des Empfängers einer Widerrufserklärung die Annahme hergeleitet, daß ein wirksamer Widerruf nicht vorliegt, wenn dieser innerhalb der bis zum Ablauf des 8. Dezember 1977 laufenden Widerrufsfrist nur beim Oberlandesgericht in München, nicht aber bei den auswärtigen Senaten in Augsburg eingegangen ist. Dem steht nicht entgegen, daß Prozeßhandlungen, worauf die Revision an sich richtig hinweist, im allgemeinen wirksam sind, wenn sie der Stelle gegenüber vorgenommen werden, die zur ihrer Entgegennahme allgemein befugt ist. Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang berücksichtigt, daß zwar die an einen auswärtigen Spruchkörper gerichteten Schriftsätze grundsätzlich auch bei dem Stammgericht wirksam eingereicht werden könnten (BGH NJW 1967, 107), daß dies aber nicht für einen Schriftsatz gelte, mit dem ein vor einem auswärtigen Senat abgeschlossener Prozeßvergleich widerrufen wird, der die Bestimmung enthält, daß der Vergleich innerhalb bestimmter Frist durch Anzeige bei den auswärtigen Senaten widerrufen werden muß. Die Revision übersieht, daß aufgrund einer zulässigen Parteivereinbarung und damit rechtlich bindend als Erklärungsempfänger nicht das Stammgericht schlechthin, sondern allein dessen auswärtige Senate ausgewählt worden sind. Anders als sonst bei der Einreichung von Schriftsätzen im Prozeß hätte deshalb der Widerruf, um wirksam zu sein, allein den Zivilsenaten in Augsburg fristgerecht zugeleitet werden müssen. Die zwar an die auswärtigen Senate in Augsburg gerichtete, dort aber erst am 9. Dezember 1977 eingegangene Widerrufserklärung hat deshalb das Berufungsgericht zutreffend für verspätet erachtet.
3. Demgemäß war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 609450 |
NJW 1980, 1753 |