Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsschutz bei unentgeltlichen Reparaturen privater KfZ aus Gefälligkeit
Leitsatz (amtlich)
Wer am privaten Pkw eines anderen unentgeltlich und aus Gefälligkeit Reparaturen ausführt, wird wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO auf Grund eines Arbeitsverhältnisses in der privaten Kfz-Haltung Beschäftigter tätig und ist deshalb nach § 539 Abs. 2 RVO versichert mit der Folge, daß er wegen der Verletzungen, die er im Verlauf der Reparaturarbeiten durch das Verschulden des Kfz-Halters erleidet, diesen nach § 636 RVO nicht in Anspruch nehmen kann.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, §§ 636, 658 Abs. 2 Nr. 2
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten wird unter Aufhebung des Urteils des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Dezember 1985 und unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 7. August 1985 die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger, ein Maschinenbaustudent, erlitt am 10. Juli 1982 schwere Verletzungen, als er gemeinsam mit seinem Freund, dem Erstbeklagten, einem Musikstudenten, an dessen bei dem Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw aus Gefälligkeit und unentgeltlich Reparaturarbeiten ausführte. Er hatte sich mit seinem Oberkörper unter das mit einem Wagenheber auf unbefestigtem Untergrund vorn in der Mitte aufgebockte Fahrzeug gelegt, um von unten eine Lenkmanschette zu befestigen. Bei dem Versuch, einen besseren Beobachtungsplatz einzunehmen, berührte der Erstbeklagte das Fahrzeug, dessen Vorderräder abmontiert waren. Sekunden später fiel der Wagenheber um, das Fahrzeug stürzte zu Boden und die Radaufhängung traf den Kläger am Kopf.
Mit der Behauptung, der Unfall sei auf den Anstoß des Erstbeklagten gegen den Pkw zurückzuführen, verlangt der Kläger unter Anrechnung eines 50%igen Mitverschuldens von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld; ferner begehrt er die Feststellung ihrer Verpflichtung zur Erstattung der Hälfte seines künftigen materiellen und immateriellen unfallbedingten Schadens.
Die Beklagten machen geltend, das Herabstürzen des Wagens sei nicht auf den Anstoß des Erstbeklagten, sondern auf die eigenen Einwirkungen des Klägers auf das aufgebockte Fahrzeug zurückzuführen.
Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil den Schadensersatz- und den Schmerzensgeldanspruch des Klägers in Höhe von 50 % dem Grunde nach für begründet erklärt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihr auf Klageabweisung gerichtetes Prozeßbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält für bewiesen, daß der Erstbeklagte durch den Anstoß gegen das aufgebockte Fahrzeug dessen Herabstürzen und damit die Verletzungen des Klägers schuldhaft verursacht hat. Deshalb müßten die Beklagten nach §§ 823, 847, 254 BGB, § 3 PflVG und § 10 AKB unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens des Klägers für die Folgen seiner unfallbedingten Verletzungen aufkommen. Gegenüber diesen Ansprüchen des Klägers greife die Haftungsfreistellung aus § 636 RVO nicht ein. Zwar sei der Erstbeklagte als nicht gewerbsmäßiger Halter des Pkws nach § 658 Abs. 2 Nr. 2 RVO ein Unternehmer im Sinne des § 636 Abs. 1 RVO; auch griffen die beiden dort genannten Ausnahmetatbestände (Vorsatz des Schädigers und Schädigung bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr) hier nicht ein. Die Anwendung des § 636 Abs. 1 RVO scheitere aber deshalb, weil der Kläger nicht zum Kreis der gegen Arbeitsunfall Versicherten zähle, wie es diese Vorschrift voraussetze. In Betracht komme hier nur ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO, dessen Voraussetzungen aber nicht erfüllt seien. Zwar erstrecke sich der Versicherungsschutz, den diese Vorschrift gewähre, auch auf unentgeltlich geleistete Gefälligkeiten. Wie sich aus ihrer Verweisung auf § 539 Abs. 1 RVO ergebe, hänge ihre Anwendbarkeit aber davon ab, daß der Kläger für den Erstbeklagten arbeitnehmerähnlich tätig geworden sei. Daran fehle es. Der Kläger habe sich dem Erstbeklagten nicht wie ein angestellter Kraftfahrer untergeordnet, vielmehr habe er den Geschehensablauf maßgeblich bestimmt. Er habe gemeinsam mit dem Erstbeklagten den Entschluß zur Reparatur des Wagens gefaßt und sei bei ihrer Durchführung wegen seiner größeren Sachkompetenz "dominant" gewesen. Er habe die Idee gehabt, das Fahrzeug mit dem Scherenwagenheber in der Mitte aufzubocken; bei der Verwendung dieses Wagenhebers habe er dem Erstbeklagten noch Anweisungen gegeben. Planung und Durchführung der Reparatur hätten ihn in die Nähe eines selbständigen (Reparatur-)Unternehmers gerückt; die Rolle, die er gespielt habe, entspreche damit nicht dem Gesamtbild einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit.
II.
Hiergegen wendet sich die Revision mit Recht. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zum Haftungsausschluß nach § 636 Abs. 1 RVO halten einer Nachprüfung nicht stand. Vielmehr greift diese Vorschrift hier ein mit der Folge, daß die Klage unter Aufhebung bzw. Abänderung der vorinstanzlichen Urteile abzuweisen ist.
1.
Nach § 636 Abs. 1 RVO ist der Unternehmer den in seinem Unternehmen tätigen Versicherten nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Arbeitsunfall verursacht hat, nur dann verpflichtet, wenn er diesen Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder wenn der Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist. Das Berufungsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, daß der Erstbeklagte gemäß § 658 Abs. 2 Nr. 2 RVO im Rahmen der Reparaturarbeiten an seinem Fahrzeug "Unternehmer" im Sinne des § 636 Abs. 1 RVO war und daß die Ausnahmetatbestände dieser Vorschrift hier nicht vorliegen, so daß es für die Frage, ob die Beklagten nach § 636 Abs. 1 RVO von der Haftung für die Unfallfolgen freigestellt sind, darauf ankommt, ob der Kläger im Unfallzeitpunkt ein im "Unternehmen" des Erstbeklagten tätiger Versicherter war. Mit Recht ist das Berufungsgericht weiter der Auffassung, daß der Kläger, der nur vorübergehend, unentgeltlich und aus Gefälligkeit mit der Reparatur des Fahrzeugs des Erstbeklagten befaßt war, nur nach Maßgabe der §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO in der Unfallversicherung versichert gewesen sein kann. Richtig ist schließlich auch die Erwägung des Berufungsgerichts, daß der Gefälligkeitscharakter der Tätigkeit des Klägers dem Versicherungsschutz aus §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht entgegensteht; es handelte sich um eine technische Reparatur, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit des Fahrzeugs erforderlich war, und damit um eine ernsthafte Arbeit, die in den Schutzbereich der §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO fällt (BSGE 5, 168, 171; st. Rspr.; vgl. Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 13. Aufl., TZ 1541 f.).
2.
Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht aber in seiner Auffassung, daß die Anwendbarkeit der §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO hier zu verneinen sei, weil die Tätigkeit des Klägers nicht arbeitnehmerähnlich gewesen sei.
Das Berufungsgericht stützt diese Wertung auf die Feststellung, daß der Kläger sich dem Zweitbeklagten nicht untergeordnet habe, sondern im Gegenteil "dominant" gewesen sei, so daß das Bild seiner Tätigkeit eher dem eines selbständigen (Reparatur-)Unternehmers und nicht dem eines arbeitnehmerähnlich Tätigen entsprochen habe. Damit trifft das Berufungsgericht nicht den entscheidenden Punkt. Sachkompetenz, Initiative und "Dominanz" des Klägers stehen seinem Versicherungsschutz aus §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht entgegen. Nach diesen Vorschriften ist der Versicherungsschutz davon abhängig, daß der Betroffene "wie" ein Beschäftigter im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO für den Unfallbetrieb tätig geworden ist. Dies bedeutet, daß die Regelung den Versicherungsschutz auf Tätigkeiten erstreckt, die in einem inneren Zusammenhang mit den Aufgaben des Unternehmens stehen, seinen Interessen dienen. Entscheidend für die Annahme des Versicherungsschutzes aus §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist mithin, ob der Betroffene mit der zum Unfall führenden Tätigkeit die Interessen des in Frage stehenden Unternehmens gefördert hat. Hingegen ist es für diesen Versicherungsschutz ohne Belang, ob sich der Betroffene dem Unternehmer "untergeordnet" hat; eine Beziehung zu dem Unfallbetrieb, die arbeitsrechtlich als die eines Arbeitnehmers zu qualifizieren ist, ist nicht erforderlich, insbesondere muß auch kein Abhängigkeitsverhältnis wirtschaftlicher oder persönlicher Art zum Unfallbetrieb vorliegen (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 1982 - VI ZR 240/79 - VersR 1983, 31, 32 m.w.N.). Gemäß diesen Grundsätzen hat der Senat in den Fällen, in denen der Betroffene in den Risikosphären mehrerer Unternehmen tätig geworden war, die Abgrenzung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO unter dem Gesichtspunkt der Interessenwahrnehmung vorgenommen; er hat den Betroffenen unfallversicherungsrechtlich dem Unternehmen zugeordnet, dessen Interessen zu fördern seine Tätigkeit bestimmt war (vgl. z.B. Senatsurteile vom 22. Juni 1982 - VI ZR 240/79 - aaO; vom 3. Mai 1983 - VI ZR 68/81 - VersR 1983, 728, 729; vom 5. Juli 1983 - VI ZR 273/81 - VersR 1983, 855, 856 und vom 8. April 1986 - VI ZR 61/85 - VersR 1986, 868, 869). Andererseits liegt es in der Konsequenz dieser Rechtsprechung, daß der Senat dann, wenn die Tätigkeit des Betroffenen der Wahrnehmung seiner eigenen Interessen gedient hat, er also eigenwirtschaftlich tätig geworden ist, den Versicherungsschutz aus § 539 Abs. 2 RVO verneint hat (vgl. Senatsurteil vom 25. Juni 1985 - VI ZR 34/84 - VersR 1985, 1082, 1083); das gleiche gilt, wenn der Betroffene mit seiner Tätigkeit die Interessen seines eigenen Unternehmens verfolgt hat (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 1986 - VI ZR 181/85 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die am Gesichtspunkt der Interessenwahrnehmung ausgerichtete rechtliche Würdigung der Reparaturtätigkeit des Klägers führt zur Bejahung seines Versicherungsschutzes aus §§ 539 Abs. 2, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Die Reparatur diente der Förderung der Interessen des Erstbeklagten. Sie war dazu bestimmt, die Funktionstüchtigkeit seines Fahrzeugs zu erhalten oder wiederherzustellen und damit die Fortführung des "Unternehmens" des Erstbeklagten - seine private Fahrzeughaltung - zu ermöglichen. Daß die Reparaturtätigkeit des Klägers zugleich auch seinen eigenen Interessen gedient hätte, er in irgendeiner Weise eigenwirtschaftlich tätig geworden wäre, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erkennbar. Das gilt auch dann, wenn sich der Kläger etwa aus Freude am Basteln im Rahmen seiner Freizeitgestaltung mit der Reparatur des Fahrzeugs befaßt hat; denn die Motive seiner Tätigkeit sind für deren sozialversicherungsrechtliche Bewertung ohne Belang (vgl. Senatsurteil vom 25. Juni 1985 - VI ZR 34/84 - a.a.O. m.w.N.). Ebenso ist nicht zu erkennen, daß der Kläger - wovon aber das Berufungsgericht ausgeht - durch die Art der Durchführung der Reparaturtätigkeit in die Nähe eines selbständigen (Reparatur-)Unternehmers gerückt wäre. Dies wäre in diesem Regelungszusammenhang nur erheblich, wenn der Kläger derartige Reparaturarbeiten planmäßig mit einer gewissen Regelmäßigkeit und mit eigenem wirtschaftlichen Risiko ausgeführt hätte (BSGE 42, 126, 128). Dem steht die Feststellung des Berufungsgerichts entgegen, daß es sich bei seiner Tätigkeit um eine gelegentliche freundschaftliche Hilfeleistung gehandelt hat, die er aus Gefälligkeit und unentgeltlich erbracht hat. Der Kläger ist also nicht für eigene Rechnung tätig geworden, wie es der Begriff des Unternehmers verlangt (§ 658 Abs. 2 Nr. 1 RVO).
Diese Beurteilung entspricht auch der Würdigung, die das Bundessozialgericht in den den Parteien bekannten Urteilen in vergleichbaren Fällen vorgenommen hat (Urteile vom 27. November 1985 - 2 RU 27/85 - Mithilfe beim Anbringen von Unterbodenschutz am Pkw eines Arbeitskollegen - und 2 RU 37/84 - Reparatur am Anlasser des Pkws eines Arbeitskollegen).
Die Bejahung des Versicherungsschutzes des Klägers nach § 539 Abs. 2 RVO bedeutet zugleich, daß der Unfall als Arbeitsunfall im "Unternehmen" des Erstbeklagten zu qualifizieren ist (§ 548 Abs. 1 RVO), wie es § 636 Abs. 1 RVO voraussetzt. Damit liegen alle Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift vor, so daß die Ansprüche des Klägers auf Ersatz seines unfallbedingten Personenschadens ausgeschlossen sind. Deshalb ist, da der Kläger mit der Klage nur einen solchen Schaden geltend gemacht hat, die Klage abzuweisen.
Unterschriften
Dr. Steffen
Scheffen
Dr. Ankermann
Dr. Lepa
Dr. Schmitz
Fundstellen
Haufe-Index 1456311 |
NJW 1987, 1643 |