Leitsatz (amtlich)
Bei der Kündigung eines Architekten- oder Ingenieurvertrags gemäß § 648 Satz 1 BGB durch einen Besteller, dem bei weiterer Durchführung des Vertrags ein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Abs. 1 BGB zugestanden hätte, umfasst der Anspruch gemäß § 648 Satz 2 BGB hinsichtlich nicht erbrachter Leistungen grundsätzlich nicht die Vergütung für Leistungen, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären.
Normenkette
BGB § 648 Sätze 1-2, § 650p Abs. 2 S. 2, § 650r Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. Oktober 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin verlangt restliche Vergütung für Ingenieurleistungen. Sie schloss mit der Beklagten zu 1, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden: Beklagte), deren Gesellschafter die Beklagten zu 2 und 3 sind, am 19. Dezember 2018 einen schriftlichen Ingenieurvertrag "Technische Ausrüstung (§ 53 bis § 56 HOAI, Anlage 15 zur HOAI) … auf der Grundlage der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der Fassung 2013" über die Erbringung von Planungsleistungen für den Neubau eines Bürogebäudes mit Industrie- und Lagerhalle zu einem Pauschalhonorar von 39.473,68 €. Zum Leistungsumfang der Klägerin enthält der Vertrag fünf jeweils angekreuzte Leistungsphasen (1 bis 5), die mit Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung und Ausführungsplanung bezeichnet und darüber hinaus jeweils näher beschrieben sind. Unter "Honorierung des Auftragnehmers" sind für diese Leistungsphasen Prozentwerte vereinbart (in aufsteigender Reihenfolge der Leistungsphasen 0%, 9%, 17%, 2% und 22%).
Rz. 2
Die Klägerin nahm ihre Tätigkeit auf und übersandte am 19. März 2019 - zeitgleich mit einer von der Beklagten sodann ausgeglichenen Honorarabschlagsrechnung über einen Betrag von 9.520 € - der Beklagten einen Satz von ihr bis dahin erstellter und der Beklagten bereits zuvor als Vorabzug übermittelter Planungsunterlagen. Bestandteil dieser Unterlagen sind mehrere von der Klägerin jeweils als "Checkliste - Leistungsphase 1 - Grundlagenermittlung" überschriebene Unterlagen mit einzelnen planerischen Vorgaben, die die Beklagte jeweils am 20. Februar 2019 unterzeichnet hatte.
Rz. 3
Im Anschluss an verschiedene Beanstandungen der Planungsleistungen und einen darüber geführten Mailverkehr kündigte die Beklagte mit Brief vom 15. Mai 2019 unter Bezugnahme auf den vorausgegangenen Mailverkehr den Vertrag fristlos.
Rz. 4
Die Klägerin errechnet für überwiegend erbrachte Leistungen der Leistungsphase 2 einen Honoraranspruch von 7.818,79 € und verlangt unter Abzug des danach verbleibenden Rests der Abschlagszahlung (9.520 € - 7.818,79 €) nunmehr noch für nicht erbrachte Leistungen bis einschließlich Leistungsphase 5 eine Restvergütung von 18.193,52 €.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß wie Gesamtschuldner verurteilt, diesen Betrag sowie vorgerichtliche Anwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, an die Klägerin zu zahlen. Die Berufung der Beklagten hat nur hinsichtlich einer Herabsetzung des Zinssatzes Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Beklagten weiterhin vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf restliche Vergütung in Höhe von 18.193,52 € gegen die Beklagte gemäß §§ 631, 648 Satz 2 BGB, für den die Beklagten zu 2 und 3 entsprechend § 128 HGB mithafteten, für begründet erachtet. Die formgerechte Kündigungserklärung vom 15. Mai 2019 sei dahin auszulegen, dass die Beklagte das Vertragsverhältnis der Parteien jedenfalls auch im Wege einer sogenannten freien Kündigung nach § 650q Abs. 1 i.V.m. § 648 Satz 1 BGB habe beenden wollen. Ein für die Beklagte günstigeres Kündigungsrecht habe ihr nicht zugestanden. Insbesondere hätten die Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 650r Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorgelegen.
Rz. 8
Für eine wirksame Ausübung dieses Sonderkündigungsrechts fehle es bereits an dem Erfordernis, dass ihr die dafür nach § 650r Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche Zuleitung von "Unterlagen gemäß § 650p Abs. 2 BGB" vorausgegangen sein müsse.
Rz. 9
Schon der Wortlaut der Vorschrift gehe mit der Formulierung, dass der Besteller den Vertrag "nach Vorlage von Unterlagen gemäß § 650p Abs. 2 BGB" - und nicht etwa "bis zu deren Vorlage" - kündigen könne, davon aus, dass das Sonderkündigungsrecht nicht schon allein durch die noch ausstehende Vereinbarung der nach § 650p Abs. 2 Satz 1 BGB wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele ausgelöst werde, sondern das Kündigungsrecht nur in dem Zeitraum "nach Vorlage" der in Bezug genommenen Unterlagen und grundsätzlich nur bis zum Ablauf der in § 650r Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BGB dem Besteller dafür eingeräumten Entscheidungsfrist bestehe.
Rz. 10
Die Bezugnahme auf die Unterlagen gemäß § 650p Abs. 2 BGB sei dabei dahin auszulegen, dass Unterlagen vorgelegt werden müssten, also eine schriftliche Dokumentation, die nach ihrem Inhalt als Planungsgrundlage nebst Kosteneinschätzung nach § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB in Betracht käme. Ferner müsse der übergebene Unterlagenbestand nach dem objektiven Empfängerhorizont des Bestellers mit der Zielrichtung überreicht worden sein, die in § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB angesprochene Zustimmung des Bestellers zu erwirken.
Rz. 11
Allein diese Auslegung entspreche den von dem Gesetzgeber bei Schaffung dieser Vorschrift verfolgten Zwecken. Es liege insgesamt im Interesse beider Vertragsparteien, dass der Planer durch Verbindung der zugeleiteten Unterlagen mit einem hinreichend deutlichen Zustimmungsverlangen im Sinne einer Zäsur klarstellen müsse, dass er die zugeleiteten Unterlagen für nach § 650p Abs. 2 BGB zustimmungsfähig halte, damit das Sonderkündigungsrecht des Bestellers gemäß § 650r Abs. 1 Satz 1 BGB ausgelöst werden könne.
Rz. 12
Nach diesen Maßstäben habe auch bei der gebotenen Berücksichtigung des Empfängerhorizonts der Beklagten aus deren Sicht keine erkennbare Veranlassung für die Annahme bestanden, dass die Klägerin ihre Pflichten aus der Zielfindungsphase nach § 650p Abs. 2 BGB mit Zuleitung der am 19. März 2019 übermittelten Unterlagen nunmehr als abgeschlossen ansehe und hierzu die Zustimmung der Beklagten erwarte. Auch die Beklagte stelle nicht in Frage, dass keine dieser Unterlagen als Planungsgrundlage oder Kosteneinschätzung bezeichnet worden sei.
Rz. 13
Selbst wenn man die Auffassung verträte, ein Sonderkündigungsrecht könne auch aus Anlass einer Zuleitung mangelhafter oder unvollständiger Unterlagen ausgeübt werden, könne dies nur dann angenommen werden, wenn die zugeleiteten Unterlagen mit einem als solches erkennbaren Zustimmungsverlangen nach § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB verbunden worden seien oder in sonstiger Weise klar erkennbar gewesen sei, dass sie dem Besteller gerade mit der nach § 650p Abs. 2 BGB maßgeblichen Zielrichtung übermittelt worden seien, die noch offene Zielfindungsphase nunmehr durch eine noch ausstehende Vereinbarung der wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele zum Abschluss zu bringen. Hieran fehle es vorliegend.
Rz. 14
Der Restvergütungsanspruch der Klägerin sei auch der Höhe nach berechtigt. Die geltend gemachte Teilvergütung für bereits erbrachte Leistungen in Höhe von 7.818,79 € brutto sei zwischen den Parteien der Höhe nach unstreitig. Ihre Einwände zur Anspruchshöhe bezüglich der (nicht umsatzsteuerpflichtigen) Vergütung für nicht erbrachte Leistungen hätten die Beklagten im Verlauf des erstinstanzlichen Rechtsstreits ausdrücklich fallen gelassen. Es begegne keinen Bedenken, dass die Klägerin sich gemäß einer Pauschalierungsklausel im Vertrag ersparte Aufwendungen von 40 % habe anrechnen lassen. Konkrete Einwände zu einem abstrakt überhöhten Ansatz dieser Pauschale hätten die Beklagten auch nicht erhoben.
II.
Rz. 15
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
Rz. 16
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin nach § 650q i.V.m. § 631 Abs. 1, § 648 Satz 2 BGB zu beurteilen ist. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Kündigungserklärung der Beklagten vom 15. Mai 2019 als Kündigung gemäß § 648 BGB gewertet. Ihr stand kein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Abs. 1 BGB zu.
Rz. 17
a) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu der zwischen den Parteien umstrittenen Frage getroffen, ob die Parteien des Vertrags vom19. Dezember 2018, einem Ingenieurvertrag im Sinne des § 650p Abs. 1 BGB, beim Vertragsschluss bereits alle wesentlichen Planungsziele vereinbart haben. Wäre das der Fall, lägen die Voraussetzungen des § 650p Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vor und das an die Verpflichtung des Unternehmers nach Satz 2 dieser Vorschrift anknüpfende Kündigungsrecht des § 650r Abs. 1 BGB käme von vornherein nicht in Betracht.
Rz. 18
Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass bei Vertragsschluss nicht bereits alle wesentlichen Planungsziele im Sinne von § 650p Abs. 2 Satz 1 BGB vereinbart worden sind.
Rz. 19
b) Auf dieser Grundlage begegnet es keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht - ebenso wie die Parteien - stillschweigend von der Wirksamkeit des gesamten, über die Leistungsphasen 1 bis 5 abgeschlossenen Vertrags ausgegangen ist. Es ist nach den getroffenen Feststellungen nichts dafür ersichtlich, dass der Vertrag etwa hinsichtlich einzelner vereinbarter Leistungsphasen wegen Unbestimmtheit unwirksam ist.
Rz. 20
Eine solche Unwirksamkeit kann sich nicht aus der - unterstellten - Tatsache ergeben, dass es bei Vertragsschluss an der Vereinbarung wesentlicher Planungsziele im Sinne von § 650p Abs. 2 Satz 1 BGB gefehlt hat. Unabhängig von der Frage, ob diese in jedem Fall oder nur unter Umständen essentialia negotii des Ingenieurvertrags oder jedenfalls einzelner seiner Leistungsphasen darstellen, ergibt sich bereits aus der Gesetzessystematik, dass hieraus keine Unwirksamkeit folgen soll (vgl. BeckOK Bauvertragsrecht/Fuchs, Stand: 31. Juli 2022, § 650p BGB Rn. 166 f. m.w.N., auch zu Gegenauffassungen, die mit unterschiedlichen Begründungen zunächst nur einen wirksamen Vertrag hinsichtlich der in § 650p Abs. 2 BGB genannten Leistungen annehmen; vgl. etwa MünchKommBGB/Busche, 8. Aufl., § 650p Rn. 12). Denn die beiderseitigen Kündigungsrechte des § 650r Abs. 1 und 2 BGB setzen gerade einen wirksamen Vertrag über Leistungen voraus, die über jene hinausgehen, die zur Erfüllung der Pflichten des Unternehmers nach § 650p Abs. 2 BGB notwendig sind. Nach der Rechtsprechung des Senats führt eine fehlende Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Vertragsinhalts im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dann nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags, wenn die Vertragsparteien eine (stillschweigende) Vereinbarung getroffen haben, nach der dem Besteller ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich des Inhalts der Leistungspflichten des Unternehmers zusteht (§§ 315, 316 BGB); diese Regelungen ermöglichen es den Vertragsparteien, die Konkretisierung der geschuldeten Leistung vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu lösen (BGH, Urteil vom 23. April 2015 - VII ZR 131/13 Rn. 30 f., BGHZ 205, 107). Damit ist auf der Grundlage der Gesetzessystematik seit Einführung der §§ 650p ff. BGB mit Wirkung zum 1. Januar 2018 grundsätzlich davon auszugehen, dass dem Besteller eines Architekten- oder Ingenieurvertrags ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der noch nicht vereinbarten Planungs- (und gegebenenfalls Überwachungs-)Ziele zusteht, es sei denn, es ist etwas anderes vereinbart (so auch Kniffka, BauR 2017, 1846, 1854). Der neu eingeführte § 650p Abs. 2 BGB dient dem Zweck, dieses Leistungsbestimmungsrecht frühzeitig ausüben und damit Klarheit über den wesentlichen Planungsinhalt schaffen zu können (vgl. Kniffka, BauR 2017, 1846, 1854). Zugleich klärt das Gesetz die Rechtsfolgen für den Fall, dass der Besteller eine solche Leistungsbestimmung nicht mehr vornehmen möchte oder nicht zeitnah vornimmt, indem es die Möglichkeiten der Vertragsbeendigung nach § 650r BGB vorsieht.
Rz. 21
c) Die Beklagte hatte - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - im Zeitpunkt ihrer Kündigung kein Kündigungsrecht nach § 650r Abs. 1 BGB. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kann der Besteller "nach Vorlage von Unterlagen gemäß § 650p Absatz 2" BGB den Vertrag kündigen.
Rz. 22
aa) Die Formulierung ist kein Versehen und kann nicht etwa berichtigend dahin ausgelegt werden, dass der Besteller "bis zur Vorlage" dieser Unterlagen zur Kündigung berechtigt sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen die nach § 650p Abs. 2 BGB vorzulegende Planungsgrundlage und Kosteneinschätzung zusammen den Besteller in die Lage versetzen, eine fundierte Entscheidung zu treffen, ob er dieses Bauprojekt mit diesem Planer realisieren oder von dem in § 650q BGB-E (= § 650r BGB) vorgesehenen Kündigungsrecht Gebrauch machen möchte (BT-Drucks. 18/8486, S. 67). Dementsprechend solle der Besteller den Vertrag "nach Vorlage" dieser Unterlagen kündigen können; beispielhaft wird hervorgehoben, dass auch bei konkretisierungsbedürftigen Ingenieurverträgen der Besteller im weiteren Verlauf zu der Erkenntnis kommen könne, dass er die Gesamtkosten des Vorhabens unterschätzt habe und er von einer Durchführung absehen wolle (BT-Drucks. 18/8486, S. 69). Die vom Gesetzgeber angenommene Rechtfertigung für dieses "Sonderkündigungsrecht" des Bestellers beruht auf der neuen Erkenntnissituation nach Vorlage der Unterlagen gemäß § 650p Abs. 2 BGB.
Rz. 23
bb) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass es eine von § 650r Abs. 1 Satz 1 BGB vorausgesetzte Vorlage von Urkunden gemäß § 650p Abs. 2 BGB zur Zustimmung nicht gegeben hat. Es hat jedenfalls an der Vorlage einer Kosteneinschätzung durch die Klägerin gefehlt.
Rz. 24
Nach dem Wortlaut von § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB hat der Unternehmer die Planungsgrundlage zusammen mit einer Kosteneinschätzung vorzulegen. Hieraus folgt, dass es jedenfalls nicht ausreicht, auch nur eines von beiden ausschließlich mündlich mitzuteilen. Entgegen der Auffassung der Revision ändert sich daran grundsätzlich nichts, wenn - wie von ihr behauptet - die Klägerin im Laufe der Zielfindungsphase die Kosten mündlich erläutert haben sollte, was die Beklagte als ausreichend angesehen habe. Damit sind keine Umstände dargelegt, die dazu führen könnten, die gesetzliche Voraussetzung ausnahmsweise für entbehrlich zu halten.
Rz. 25
d) Entgegen der Auffassung der Revision kann § 650r Abs. 1 Satz 1 BGB nicht entsprechend auf die Zeit vor Zuleitung der Unterlagen gemäß § 650p Abs. 2 BGB angewandt werden (a.A. im Ergebnis NK-BGB/Henrici, 4. Aufl., § 650r Rn. 6). Es liegt bereits keine planwidrige Lücke im Gesetz vor. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber ein neues Kündigungsrecht nur für den Zeitraum nach Erhalt der Unterlagen eingeführt hat, kann - anders als die Revision meint - nicht geschlossen werden, er habe einen möglichen Wunsch des Bestellers, sich schon zuvor von dem Vertrag zu lösen, schlicht nicht bedacht. Zum einen ist davon auszugehen, dass ihm die bereits bestehenden Kündigungsrechte der §§ 648, 648a BGB bekannt waren (vgl. auch BT-Drucks. 18/8486, S. 69). Zum anderen war - wie dargestellt - Anlass zur Einfügung eines weiteren Kündigungsgrundes der Umstand, dass in den Fällen des § 650p Abs. 2 BGB nach Klärung der dort angesprochenen noch offenen Punkte des Vertrags ein Bedürfnis dafür gesehen wurde, dem Besteller aufgrund der geänderten Entscheidungsgrundlage eine für ihn günstigere Kündigungsmöglichkeit zu ermöglichen.
Rz. 26
e) Ohne Rechtsfehler und von der Revision auch nicht angegriffen hat das Berufungsgericht mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 648a BGB die von der Beklagten erklärte Kündigung als (freie) Kündigung gemäß § 648 BGB gewertet.
Rz. 27
2. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Beurteilung der Höhe der vereinbarten Vergütung im Sinne von § 648 Satz 2 BGB durch das Berufungsgericht. Es hätte bei der Berechnung der Vergütung nicht diejenigen nicht erbrachten Leistungen der Klägerin berücksichtigen dürfen, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären.
Rz. 28
a) Die im Sinne von § 648 Satz 2 BGB vereinbarte Vergütung betrifft hinsichtlich der - hier nur in Rede stehenden - nicht erbrachten Leistungen nur solche, für die ohne die Kündigung voraussichtlich eine Vergütung verdient worden wäre. Das ergibt sich aus dem Sinn von § 648 Satz 2 BGB, der als Ausgleich für die freie Lösungsmöglichkeit des Bestellers vom Vertrag verhindern will, dass dem Unternehmer Vorteile aus dem geschlossenen Vertrag genommen werden, ihm jedoch nicht ermöglichen soll, aus der Kündigung Vorteile zu ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1995 - VII ZR 198/94, BGHZ 131, 362, juris Rn. 16; Urteil vom 24. Juni 1999 - VII ZR 342/98, BauR 1999, 1292, juris Rn. 9; Versäumnisurteil vom 22. November 2007 - VII ZR 83/05 Rn. 20, BGHZ 174, 267; Klein, BauR 2016, 12, 14 f. m.w.N.; Jacob, BauR 2021, 751, 752; Rosendahl, NZBau 2022, 450). Dementsprechend werden etwa bei einer Vergütung, die nach Einheitspreisen bemessen ist, die Mengen berücksichtigt, die für die ausstehenden Arbeiten anzunehmen sind, wobei allerdings im Allgemeinen nichts dagegen spricht, für deren Ermittlung von den im Leistungsverzeichnis angegebenen Mengen und Massen auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1995 - VII ZR 198/94, BGHZ 131, 362, juris Rn. 13; BeckOK Bauvertragsrecht/Kiedrowski, Stand: 31. Oktober 2021, § 648 BGB Rn. 152 ff.; Jacob, BauR 2021, 751, 753).
Rz. 29
b) Die Anwendung dieser Grundsätze führt bei einem Architekten- oder Ingenieurvertrag, bei dem wesentliche Planungs- und Überwachungsziele im Sinne des § 650p Abs. 2 BGB bei Vertragsschluss noch nicht vereinbart sind und dem Besteller ein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Abs. 1 BGB zusteht, dazu, dass der Anspruch gemäß § 648 Satz 2 BGB hinsichtlich nicht erbrachter Leistungen grundsätzlich nicht die Vergütung für Leistungen, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären, umfasst.
Rz. 30
Das ergibt sich zum einen aus der Systematik des Gesetzes, wonach solche Architekten- und Ingenieurverträge dem Unternehmer trotz anfänglich wirksamer Vereinbarung der Erbringung und Vergütung auch der weiteren Leistungen keine rechtlich gesicherte Position verschaffen, diese Vergütungsteile auch zu verdienen. Denn der Besteller kann nach Vorlage der Unterlagen durch den Unternehmer ohne weitere Voraussetzungen, insbesondere unabhängig von den ihn hierzu veranlassenden Gründen, mit der Folge kündigen, dass eine entsprechende Vergütungspflicht entfällt, § 650r Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB. Hat ein Besteller hiervon unabhängig bereits zuvor gekündigt, kann zum anderen unterstellt werden, dass er erst recht diese Kündigungsmöglichkeit ergriffen hätte. Daher würde der Unternehmer Vorteile aus der frühzeitigen freien Kündigung des Bestellers ziehen, erhielte er nunmehr auch Vergütungsanteile, die nach § 650r Abs. 3 BGB nicht geschuldet wären. Es werden dem Unternehmer angesichts des gesetzlichen Kündigungsrechts des § 650r Abs. 1 Satz 1 BGB dagegen keine Vorteile aus dem geschlossenen Vertrag genommen, auf die er vertrauen konnte, wenn die nach § 648 Satz 2 BGB geschuldete Vergütung auf die Leistungen beschränkt wird, die auch nach § 650r Abs. 3 BGB vergütungspflichtig gewesen wären.
Rz. 31
c) Dieser Wertung steht nicht entgegen, dass Zweck des Kündigungsrechts nach § 650r Abs. 1 BGB (nur) ist, dem Besteller aufgrund der geänderten Entscheidungsgrundlage nach Vorlage der Unterlagen gemäß § 650p Abs. 2 BGB eine Lösung von der Pflicht, eine Vergütung für weitere Leistungen zahlen zu müssen, zu ermöglichen (vgl. oben II. 1. c) aa) und d)). Daraus folgt nicht, dass von ihm verlangt werden muss, für eine Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt zuzuwarten, um eine derartige Reduzierung der Vergütungspflicht berücksichtigen zu können. Denn das würde, wie dargelegt, eine Abweichung von dem im Übrigen geltenden Grundsatz bedeuten, dass die Berechnung einer Vergütung nach § 648 Satz 2 BGB nicht zu Vorteilen zugunsten des Unternehmers und damit zu Lasten des Bestellers gehen darf. Eine derartige Abweichung ist nicht gerechtfertigt, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber eine solche mit der Einführung eines zu Gunsten des Bestellers vorgesehenen zusätzlichen "Sonderkündigungsrechts" verbinden wollte.
III.
Rz. 32
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Voraussetzungen des § 650p Abs. 2 Satz 1 BGB vorliegen. Das Urteil des Berufungsgerichts war daher im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Pamp |
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Halfmeier |
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Sacher |
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RinBGH Borris ist krankheitsbedingt an der Beifügung ihrer Unterschrift gehindert |
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Brenneisen |
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Fundstellen
Haufe-Index 15498442 |
BGHZ 2023, 153 |
NJW 2023, 1120 |
BauR 2023, 260 |
BauR 2023, 5 |
IBR 2023, 81 |
WM 2023, 1037 |
JZ 2023, 74 |
MDR 2023, 226 |
NZBau 2023, 389 |
NZBau 2023, 5 |