Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch im aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet.
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau Kathrin - dem späteren Tatopfer - zu "häufigen Streitigkeiten", bei denen der "meist alkoholisierte" Angeklagte seine Frau auch schlug. Nach einem "besonders heftigen Streit" verließ Kathrin L. "endgül-tig die eheliche Wohnung" und zog in ein Frauenhaus. Am 6. Dezember 1994 begab sie sich zum Angeklagten, um zwei der gemeinsamen Kinder über Nacht in das Frauenhaus mitzunehmen. Der Angeklagte lehnte ihr entsprechendes Ansinnen ab, "und es entwickelte sich zwischen beiden ein verbaler Streit über den Verbleib der Kinder". Als seine Ehefrau auf Äußerungen des Angeklagten nicht mehr reagierte, "ergiff ihn eine solche Wut, daß er seine vor ihm stehende Frau mit beiden Händen von vorn um den Hals faßte, heftig mit beiden Händen zudrückte und mit den wiederholten Worten ’höre mir doch mal zuï kräftig schüttelte, um sie so zu zwingen, mit ihm zu sprechen. Als er schließlich los ließ, sank Kathrin L. zusammen, ohne noch ein Lebenszeichen von sich zu geben. Der Angeklagte, der zunächst nicht begreifen konnte, was da passiert ist, hob sie nach einer Weile auf und legte sie auf die Couch im Wohnzimmer. Als Kathrin L. auf sein Rütteln nicht reagierte, zog er ihr schließlich die Jacke aus. Während er ihr die Jacke auszog, fiel aus ihrer Jackentasche ein Bild seines Stiefvaters sowie ein Brief, den er als Liebesbrief seiner Frau an seinen Stiefvater erkannte.
Nachdem er den Brief gelesen hatte, kamen Wut und Eifersucht in ihm hoch und er faßte sie abermals an den Hals und mit den Worten ’ich konnte es mir denken, daß Du ein Verhältnis mit meinem Vater hastï, drückte er fest zu, wobei es ihm in diesem Moment gleichgültig war, ob seine bereits keine Lebenszeichen mehr von sich gebende Frau hierdurch getötet wurde oder nicht.
Durch eine dieser beiden Handlungen des Angeklagten, die beide geeignet waren, den Tod herbeizuführen, trat der Tod der Kathrin L. ein" (UA 6/7).
2. Der Schuldspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Das Schwurgericht hat ohne Rechtsfehler zwei selbständige Taten angenommen: Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die (gefährliche) Körperverletzung, um sein Opfer "zum Zuhören (zu) zwingen" (UA 6, 19). Erst "eine Weile" nach Abschluß der Körperverletzungshandlungen und nach dem Lesen des "Liebesbriefs" faßte er aufgrund einer für ihn veränderten Situation und Motivation - zur Wut trat die Eifersucht hinzu - den (bedingten) Tötungsvorsatz. Anders als etwa in den Fällen, in denen der Täter ohne Zäsur im Tatgeschehen (BGHSt 35, 305, 306 ["einheitliches Tun"]; BGH bei Holtz MDR 1977, 282; NStZ 1998, 621, 622) und mit gleicher Motivation (BGH, Urteil vom 8. Juli 1969 - 5 StR 228/69; vgl. auch BGH NStZ 1984, 214, 215 ["Ausdruck eines einheitlichen Willens"]; 1998, 621, 622 ["fortdauerndes Bestreben im Sinne eines einheitlichen Willens"]) vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergeht, stellt sich hier das zweiaktige Geschehen nicht als natürliche Handlungseinheit dar (vgl. den gleichgelagerten Fall BGH bei Holtz MDR 1979, 279; siehe ferner BGH NJW 1984, 1568; StV 1986, 293). Da nicht festgestellt werden konnte, ob der (nur von Körperverletzungsvorsatz getragene) erste Tatteil oder der (mit Tötungsvorsatz begangene) zweite Tatteil den Tod herbeigeführt hat, durfte nach dem Grundsatz "im Zweifel zugunsten des Angeklagten" der Todeseintritt keinem der beiden Tatteile zugerechnet werden (vgl. BGH NJW 1957, 1643 = GA 1958, 109 mit abl. Besprechung Peters GA 1958, 97; BGH NStZ 1992, 277, 278). Der Angeklagte wurde daher zu Recht wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchtem Totschlag verurteilt (vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 279; NJW 1984, 1568; NStZ 1992, 277, 278; Hruschka JuS 1982, 317, 322 ff.; Tröndle StGB 48. Aufl. § 1 Rdn. 19 aE; aA Wolter MDR 1981, 441 ff.; Eser in Schönke/Schröder StGB 25. Auflage § 1 Rdn. 99 m.w.N.). Daß eine vollendete Tötung vorliegt, kann hier somit - anders als in den Entscheidungen des Senats BGHSt 36, 262, 269 (eine vollendete gefährliche Körperverletzung) und NStZ 1994, 339 (eine Körperverletzung mit Todesfolge) - im Schuldspruch nicht zum Ausdruck kommen.
3. Die wegen des versuchten Totschlags festgesetzte Strafe und der Ausspruch über die Gesamtstrafe haben jedoch keinen Bestand.
a) Das Landgericht hat trotz des Vorliegens der Voraussetzungen erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) beim Angeklagten die Strafe für den versuchten Totschlag (11 Jahre Freiheitsstrafe) dem Normalstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Zur Ablehnung eines minder schweren Falles des Totschlags (§ 213 StGB) und zur Begründung des gewählten Strafrahmens hat es ausgeführt, daß die "gesamte Tatsituation ... so nahe an das Mordmerkmal der Heimtücke (herankomme), daß ohne die Anwendung des § 21 StGB eine lebenslängliche Freiheitsstrafe gemäß § 212 Abs. 2 StGB angemessen gewesen wäre" (UA 28). Eine Milderung wegen Versuchs (§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) komme "aufgrund der Gesamtumstände" nicht in Betracht (UA 29).
b) Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Schwurgericht hat das Vorliegen von dem Angeklagten anzulastenden Mordmerkmalen rechtsfehlerfrei verneint; insbesondere hat der Angeklagte nicht heimtückisch gehandelt, weil das Tatopfer bei dem mit Tötungsvorsatz geführten tätlichen Angriff bereits bewußtlos und damit nicht arglos war (vgl. BGHSt 23, 119, 120; 32, 382, 386, 388; BGH bei Holtz MDR 1977, 282; StV 1998, 543; 545; Lackner/Kühl StGB 22. Aufl. § 211 Rdn. 7 m.w.N.; aA Tröndle aaO. § 211 Rdn. 6c; vgl. auch Kutzer NStZ 1994, 110, 111).
Soweit das Landgericht darauf abstellt, die "gesamte Tatsituation" komme "nahe" an das Mordmerkmal der Heimtücke "heran", trägt diese Begründung - selbst wenn sie zuträfe - nicht die Bewertung des (versuchten) Totschlags als "besonders schweren Fall". Ein besonders schwerer Fall des Totschlags, der die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe rechtfertigt, setzt voraus, daß das in der Tat zum Ausdruck gekommene Verschulden des Täters so außergewöhnlich groß ist, daß es ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders; zu der "Nähe" der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu einem gesetzlichen Mordmerkmal müssen noch schulderhöhende Momente hinzutreten, die besonders gewichtig sind (BGH NJW 1982, 2264, 2265; NStZ 1993, 342; BGHR StGB § 212 Abs. 2 Umstände, schulderhöhende 1, 3; Eser NStZ 1984, 49, 51 f.). Solche Umstände sind weder vom Landgericht dargetan noch ersichtlich. Vielmehr liegen erhebliche Strafmilderungsgründe vor, die das Schwurgericht bei der erforderlichen Gesamtwürdigung von Tat und Täter - rechtsfehlerhaft - nicht zureichend gewürdigt hat: So ist der zweite Teil des Tatgeschehens ganz entscheidend dadurch geprägt, daß der Angeklagte nach dem Lesen des "Liebesbriefs" seiner Frau an seinen Stiefvater "die Beherrschung" verlor (UA 11); seine "affektive Erregung" verminderte in Verbindung mit der bei ihm festgestellten Persönlichkeitsstörung seine Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) und damit Schuldgehalt und Strafwürdigkeit der Tat (vgl. BGH NStZ 1993, 342). Es liegt zudem - wovon bei der Strafzumessung wiederum zugunsten des Angeklagten ausgegangen werden muß -lediglich ein untauglicher Versuch des Totschlags vor, der wegen seiner geringeren Gefährlichkeit regelmäßig zur Strafmilderung führen muß (vgl. BGH, Beschluß vom 13. Oktober 1993 - 5 StR 230/93). Hinzu kommt, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist und die Feststellungen zum Tatgeschehen im wesentlichen auf seinem (schriftlichen) Geständnis beruhen (vgl. hierzu BGHSt 43, 195, 209 f.; Senatsbeschluß vom 3. Dezember 1998 - 4 StR 606/98).
Bei Berücksichtigung dieser strafmildernden Umstände liegt die Anwendung des § 212 Abs. 2 StGB selbst dann fern, wenn die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht gegeben wären. Wäre der Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB gemäß den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert worden (vgl. UA 27 für die gefährliche Körperverletzung), so würde er von zwei Jahren bis zu elf Jahren drei Monaten - statt von fünf bis zu 15 Jahren - Freiheitsstrafe reichen, bei einer weiteren Milderung wegen Versuchs (§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) von sechs Monaten bis zu acht Jahren fünf Monaten Freiheitsstrafe.
Die nicht rechtsfehlerfreie Strafrahmenbestimmung muß somit zur Aufhebung der wegen versuchten Totschlags verhängten Strafe führen. Hiervon ist die wegen gefährlicher Körperverletzung festgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren nicht betroffen; sie kann daher bestehenbleiben. Die Aufhebung der Strafe wegen versuchten Totschlags führt aber zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
4. Der Senat verweist die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO an das Landgericht Dessau zurück.
Für die neue Verhandlung ist folgendes zu bemerken:
Das Landgericht hat zwar ohne Rechtsfehler ausgeführt, daß die im Schuldspruch durch die zweifache Anwendung des Zweifelssatzes nicht zum Ausdruck gekommene schuldhafte Verursachung des Todes des Tatopfers durch den Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung bei der Festsetzung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen ist; eine schematische "Mathematisierung" der Strafzumessung innerhalb des anzuwendenden Strafrahmens, wie sie in dem angefochtenen Urteil vorgenommen wurde (UA 27, 29), ist aber grundsätzlich verfehlt (vgl. BGHSt 34, 345, 350 ff.; Senatsbeschluß vom 5. Februar 1998 - 4 StR 606/97; Gribbohm in LK/StGB 11. Aufl. § 46 Rdn. 266 ff., 324).
Fundstellen
Haufe-Index 2993599 |
NStZ-RR 1999, 101 |
StV 2000, 309 |